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19/05 Menschenrechte;Norm
FrG 1997 §36 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde der M, geboren 1980, vertreten durch Dr. Christof Dunst, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rathausstraße 19, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 17. August 2004, Zl. SD 814/04, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 17. August 2004 wurde gegen die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Serbien und Montenegro, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.
Die Beschwerdeführerin lebe nach ihren Behauptungen seit 1990, nach der Aktenlage jedoch erst seit Februar 1991 im Bundesgebiet. Seit 7. Februar 1992 verfüge sie über Aufenthaltstitel.
Mit Urteil vom 23. Jänner 2002 sei sie wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betruges nach den §§ 146, 147 Abs. 2, 148 erster Fall StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von acht Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Diesem Urteil liege zu Grunde, dass die Beschwerdeführerin von 14. Juli 1999 bis 20. August 1999 23 preisgestützte Mobiltelefone bei einem Mobilnetzbetreiber unter Abschluss von Verträgen mit einer Mindestdauer von zwölf Monaten erworben habe, ohne die vereinbarte Grundgebühr oder anfallende Gesprächs- bzw. Freischaltgebühren zu bezahlen. Die Telefone seien vielmehr angeschafft worden, um sie in Jugoslawien zu verkaufen. Die Beschwerdeführerin habe von ihrer Mutter erfahren, dass man auf diese Weise Geld verdienen könne. Die Telefone habe sie teilweise gemeinsam mit ihrer Mutter und teilweise allein in ihrer Heimat verkauft. Mit demselben Urteil seien u.a. die Schwester, die Mutter und der Großvater der Beschwerdeführerin wegen gleichartiger Betrügereien rechtskräftig verurteilt worden.
Mit Urteil vom 7. März 2002 sei die Beschwerdeführerin wegen des Verbrechens des teils vollendeten und teils versuchten gewerbsmäßigen schweren Betruges nach den §§ 146, 147 Abs. 2, 148 erster Fall und 15 StGB sowie wegen des Vergehens der Sachbeschädigung gemäß § 125 leg. cit. zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten, davon fünf Monate unter bedingter Strafnachsicht, rechtskräftig verurteilt worden. Diesem Urteil liege zu Grunde, dass die Beschwerdeführerin von 18. Jänner 2001 bis 29. Juni 2001 gemeinsam mit einer Mittäterin in 88 Fällen bei zwei Versandhäusern Waren im Gesamtwert von etwa S 253.000,-- (EUR 18.386,--) betrügerisch bestellt, dabei verschiedene Namen und Adressen angegeben und die erlangten Waren nie bezahlt habe. In zumindest vier weiteren Fällen sei es beim Versuch geblieben. Weiters hätten die Täterinnen zehn Hausbrieffachanlagen der Post aufgebrochen bzw. vorsätzlich beschädigt und dadurch einen Schaden von S 25.000,-- (EUR 1.817,--) verursacht.
Auf Grund dieses Fehlverhaltens sei die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt.
Die Beschwerdeführerin sei ledig und habe keine Sorgepflichten. Familiäre Bindungen bestünden zur Mutter, zu einer Schwester, über die ebenfalls ein Aufenthaltsverbot erlassen worden sei, sowie zu zwei weiteren Geschwistern. Die Beschwerdeführerin wohne mit den Familienangehörigen jedoch nicht in Haushaltsgemeinschaft. Der mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Eingriff in das Privat- und Familienleben sei zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen (Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen, Schutz des Eigentums und Vermögens Dritter) dringend geboten. Die große Zahl der Tathandlungen lasse recht eindrücklich die offenbare Geringschätzung der österreichischen Rechtsvorschriften durch die Beschwerdeführerin erkennen. Die Vielzahl der einzelnen Straftaten lasse unter Berücksichtigung der Höhe des verursachten Schadens sowie der gewerbsmäßigen Vorgangsweise eine zu Gunsten der Beschwerdeführerin ausfallende Verhaltensprognose nicht zu. Das Aufenthaltsverbot sei daher im Grund des § 37 Abs. 1 FrG zulässig.
Bei der Interessenabwägung gemäß § 37 Abs. 2 FrG sei auf die aus der Aufenthaltsdauer ableitbare Integration der Beschwerdeführerin Bedacht zu nehmen gewesen. Diese Integration werde jedoch in ihrer sozialen Komponente durch das wiederholte schwerwiegende strafbare Verhalten der Beschwerdeführerin an Gewicht gemindert. Die auf das Familienleben bezogene soziale Integration werde dadurch deutlich relativiert, dass die Schwester, die Mutter und der Großvater der Beschwerdeführerin wegen gleichartiger strafbarer Handlungen keinesfalls geringfügig verurteilt worden seien. Die Beschwerdeführerin sei seit 22. März 2000 durchgehend beschäftigt. Insgesamt sei das Interesse der Beschwerdeführerin am Verbleib in Österreich zwar gewichtig, jedoch keinesfalls besonders ausgeprägt. Dem stehe das maßgebliche, einen hohen Stellenwert genießende öffentliche Interesse an der Verhinderung strafbarer Handlungen und am Schutz des Eigentums gegenüber. Die Auswirkungen des Aufenthaltsverbots auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin wögen nicht schwerer als das in ihrem Fehlverhalten gegründete große öffentliche Interesse an der Erlassung dieser Maßnahme.
Die Tatbestände des § 38 FrG seien entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin nicht erfüllt. Zum Zeitpunkt der Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts (14. Juli 1999) sei die Beschwerdeführerin nämlich keinesfalls zehn Jahre in Österreich aufhältig bzw. niedergelassen gewesen.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Auf Grund der unstrittig feststehenden rechtskräftigen Verurteilungen der Beschwerdeführerin ist - selbst wenn diese Verurteilungen, wie in der Beschwerde behauptet, zueinander im Verhältnis der §§ 31 und 40 StGB stehen sollten und daher als Einheit zu werten wären - der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG verwirklicht.
2. Die Beschwerdeführerin hat von 14. Juli 1999 bis 20. August 1999 23 preisgestützte Mobiltelefone erworben, ohne die vereinbarte Grundgebühr oder anfallende Gesprächs- bzw. Freischaltgebühren zu begleichen, um sie in ihrer Heimat zu verkaufen. In der Zeit von 18. Jänner 2001 bis 29. Juni 2001 hat sie in nicht weniger als 88 Fällen Waren im Gesamtwert von über EUR 18.000,-- betrügerisch bestellt, wobei sie verschiedene Namen und Adressen verwendet und die so erlangten Waren nie bezahlt hat. Bei allen diesen Straftaten ist sie gewerbsmäßig, also in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung derartiger Straftaten eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen (§ 70 StGB), vorgegangen. Darüber hinaus hat sie zehn Hausbrieffachanlagen aufgebrochen bzw. vorsätzlich beschädigt und dadurch einen Schaden von über EUR 1.800,-- verursacht.
Auf Grund dieser Straftaten geht vom weiteren Aufenthalt der Beschwerdeführerin eine gravierende Beeinträchtigung des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung der Eigentumskriminalität aus. Der nach dem Beschwerdevorbringen seit der letzten Straftat verstrichene Zeitraum von mehr als zweieinhalb Jahren ist viel zu kurz, um auf einen Wegfall oder auch nur eine Minderung der von der Beschwerdeführerin ausgehenden Gefährdung öffentlicher Interessen schließen zu können.
Aus diesen Gründen begegnet die Auffassung der belangten Behörde, die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme sei gerechtfertigt, keinem Einwand.
3. Bei der Interessenabwägung gemäß § 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG hat die belangte Behörde neben der Aufenthaltsdauer den inländischen Aufenthalt von drei Geschwistern, der Mutter und des Großvaters sowie die durchgehende Berufstätigkeit der Beschwerdeführerin seit März 2000 berücksichtigt. Wie die belangte Behörde richtig erkannt hat, wird die aus der Aufenthaltsdauer ableitbare Integration in der für sie wesentlichen sozialen Komponente durch die zahlreichen Straftaten der Beschwerdeführerin relativiert. Von daher wiegen die persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin am Verbleib im Bundesgebiet - auch wenn man die Integration nicht dadurch weiter gemindert ansieht, dass auch Angehörige rechtskräftig verurteilt worden sind - trotz der langen Aufenthaltsdauer nicht allzu schwer.
Diesen persönlichen Interessen steht die aus den über einen längeren Zeitraum in zahlreichen Angriffen gewerbsmäßig begangenen Straftaten resultierende große Gefährdung öffentlicher Interessen gegenüber. Die Ansicht der belangten Behörde, dass das Aufenthaltsverbot zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK (Verhinderung strafbarer Handlungen, Schutz der Rechte anderer) dringend geboten sei (§ 37 Abs. 1 FrG) und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin und ihrer Familie nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung (§ 37 Abs. 2 leg. cit.), kann nicht als rechtswidrig erkannt werden.
4.1. Die Beschwerdeführerin bringt vor, dass sie sich im Zeitpunkt der ersten Verurteilung bereits mehr als zehn Jahre in Österreich aufgehalten habe und dem Aufenthaltsverbot daher § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG entgegenstehe. Selbst wenn auf Grund des Tatzeitraumes die Voraussetzungen dieser Gesetzesstelle nicht erfüllt seien, so sei doch zu berücksichtigen, dass sich die Beschwerdeführerin im Zeitraum der Begehung der Straftaten bereits neun Jahre im Bundesgebiet aufgehalten habe. Aus der gesetzlichen "Staffelung" wonach ein Aufenthaltsverbot nach zehnjähriger Aufenthaltsdauer gemäß § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG nur mehr bei Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren zulässig und bei Erfüllung der Voraussetzungen des § 38 Abs. 1 Z. 4 leg. cit. gar nicht mehr zulässig sei, ergebe sich, dass bei längerem Aufenthalt schon "de jure eine stärkere Integration" angenommen werde. Es wäre daher Aufgabe der Behörde gewesen, detailliert darzulegen, warum das Aufenthaltsverbot gerechtfertigt sei, obwohl die Beschwerdeführerin die Voraussetzungen des § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG bei Begehung der Straftaten bereits nahezu erfüllt habe.
4.2. Gemäß § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn dem Fremden vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 StbG verliehen hätte werden können, es sei denn, der Fremde wäre wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig zu mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden.
Beim "maßgeblichen Sachverhalt" im Sinn dieser Gesetzesstelle handelt es sich im Fall eines auf strafbare Handlungen gegründeten Aufenthaltsverbotes nicht um die Verurteilung, sondern um das zu Grunde liegende Fehlverhalten. Bei der Beurteilung der Zulässigkeit eines Aufenthaltsverbots im Grund des § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG ist zu prüfen, ob der Fremde vor Verwirklichung des ersten der von der Behörde zulässigerweise zur Begründung des Aufenthaltsverbots herangezogenen Umstände, die in ihrer Gesamtheit die Maßnahme tragen, die Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 StbG erfüllte. (Vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 17. September 1998, Zl. 98/18/0170.)
Die Beschwerdeführerin hat die von der belangten Behörde zulässigerweise zur Begründung des Aufenthaltsverbots herangezogenen Straftaten bereits ab Juli 1999 begangen. In diesem Zeitpunkt erfüllte die Beschwerdeführerin die für die Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG erforderliche Voraussetzung eines inländischen Hauptwohnsitzes in der Dauer von mindestens zehn Jahren selbst dann noch nicht, wenn man ihren Angaben folgt, dass sie sich bereits seit 1990 im Bundesgebiet aufhalte. Schon aus diesem Grund steht § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG der Erlassung des Aufenthaltsverbots nicht entgegen.
Die Dauer des inländischen Aufenthalts der Beschwerdeführerin wurde von der belangten Behörde bei der Abwägung gemäß § 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG ausreichend berücksichtigt. Der vorgebrachte Umstand, dass der Beschwerdeführerin auf die gemäß § 38 Abs. 1 Z. 3 geforderte Dauer des inländischen Hauptwohnsitzes im Zeitpunkt der Begehung der ersten Straftat nur mehr ein Jahr gefehlt habe, führt zu keiner zusätzlichen Einschränkung der Möglichkeit, ein Aufenthaltsverbot zu verhängen.
5. Da somit bereits der Beschwerdeinhalt erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.
6. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Wien, am 3. November 2004
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2004180313.X00Im RIS seit
07.12.2004