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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
VwRallg;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des Dipl. Ing. DDr. S in W, vertreten durch Dr. Walter Riedl, Dr. Peter Ringhofer, Dr. Martin Riedl und Dr. Georg Riedl, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Franz Josefs Kai 5, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 30. August 2001, Zl. SD 115/01, betreffend Entziehung des Waffenpasses, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.172,88 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 3. Jänner 2001 entzog die Bundespolizeidirektion Wien den von ihr dem Beschwerdeführer für zwei Faustfeuerwaffen ausgestellten Waffenpass und führte als Rechtsgrundlage § 25 Abs. 3 iVm § 8 Abs. 1 des Waffengesetzes 1996 (im Folgenden kurz: WaffG) an. Begründend stellte sie fest, im Zuge einer Überprüfung der waffenrechtlichen Verlässlichkeit des Beschwerdeführers habe sich bei Einsichtnahme in das Strafregister ergeben, dass dieser mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 14. Dezember 1995 u.a. wegen unbefugten Besitzes von Kriegsmaterial gemäß § 36 Abs. 1 Z 4 des Waffengesetzes 1986 verurteilt worden sei.
Gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer in seiner Berufung vor, er habe als Universitätsprofessor am Institut für Allgemeine Mechanik der Technischen Universität Wien im Rahmen eines näher genannten Forschungsauftrages der (nach Akt S. 83: mit Förderungsmitteln der) Republik Österreich über die "Zerstörungsfreie Prüfung von Probekörpern und Bauteilen aus Beton" einen Impulsgeber zur Herstellung des für den Prüfvorgang erforderlichen Stoßes auf den zu prüfenden Bauteil benötigt. Bei diesem Impulsgeber habe er in erster Linie an ein in Österreich vorhandenes Produkt, konkret an das von der Firma Steyr produzierte Sturmgewehr gedacht, das er mit einigen Veränderungen für die genannte Aufgabe für geeignet gehalten habe. Über einen namentlich genannten, mittlerweile verstorbenen autorisierten Waffenhändler der Firma W. habe er den Prototyp eines halbfertigen Sturmgewehres ohne Produktionsnummer, das beliebig veränderbar gewesen sei, erworben. Dabei habe es sich um ein Versuchsmodell und nicht um eine am Markt befindliche Kriegswaffe gehandelt, was das Strafgericht am Fehlen der Produktionsnummer hätte erkennen müssen. Die Verurteilung wegen des unbefugten Besitzes von Kriegsmaterial halte er für rechtswidrig, weil er schon auf Grund der verfassungsgesetzlich geschützten Freiheit von Lehre und Forschung Untersuchungen an jeder Art von Materialien durchführen dürfe. Waffen habe er nie missbräuchlich oder leichtfertig verwendet und stets sorgfältig verwahrt. Die "Entwendung" des genannten Prototyps des Sturmgewehres durch einen von ihm entlassenen Mitarbeiter, der das Gewehr der Polizei übergeben habe, sei nicht zu verhindern gewesen. Der Beschwerdeführer sei seit vielen Jahren Jäger, ein Verstoß gegen das Waffengesetz sei ihm (abgesehen von der gegenständlichen Verurteilung) nie angelastet worden. Im Übrigen sei die genannte Verurteilung, wie sich aus einem vom Beschwerdeführer vorgelegten Strafregisterauszug vom 8. März 1999 ergebe, bereits getilgt.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dieser Berufung keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid mit der Maßgabe, dass sich die Entziehung des Waffenpasses auf § 25 Abs. 3 iVm § 8 Abs. 1 Z 3 WaffG stütze. Wie sich aus dem (im Akt befindlichen) Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien ergebe, sei der Beschwerdeführer (der nach der Urteilsbegründung Geschäftsführer zahlreicher Gesellschaften sei) wegen fahrlässiger Krida, wegen des Vergehens nach § 114 Abs. 1 ASVG und wegen des Vergehens nach § 36 Abs. 1 Z 4 des Waffengesetzes 1986 (zu einer bedingten Freiheitsstrafe von fünf Monaten) verurteilt worden. Das letztgenannte Delikt habe (nach dem Spruch des genannten Urteils) darin bestanden, dass der Beschwerdeführer "zumindest im Frühjahr 1989 in Salzburg fahrlässig Kriegsmaterial, nämlich ein Sturmgewehr StG 77, unbefugt besessen habe". Nach Darstellung der Rechtslage meinte die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides weiter, dass der Beschwerdeführer "unter nicht nachvollziehbaren Umständen in Besitz ... des Sturmgewehres gelangt sein will", was durch den von ihm geltend gemachten Umstand des Fehlens der Produktionsnummer dieser Waffe unterstrichen werde. Nach Ansicht der belangten Behörde sei es "wohl als bedenklich einzustufen", dass der Beschwerdeführer Kriegsmaterial ohne Produktionsnummer von einem Waffenhändler überlassen erhalten habe. Nicht nachvollziehbar sei, weshalb der Beschwerdeführer nicht um eine Ausnahmebewilligung für das Sturmgewehr angesucht habe, wenn er das Kriegsmaterial für Forschungszwecke benötigt habe. Von einer Person, die im Rahmen der Forschung offensichtlich auch mit Waffen zu tun habe und darüber hinaus im Besitz eines Waffenpasses sei, müsse ein Wissen um derartige Möglichkeiten vorausgesetzt werden. Der Beschwerdeführer habe aber "auch völlig unbescheinigt" gelassen, dass der von ihm genannte Forschungsauftrag "tatsächlich existiert hat bzw. welchen Inhalt dieser hatte".
Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes folgerte die belangte Behörde in rechtlicher Hinsicht, auf Grund des unberechtigten Besitzes von Kriegsmaterial durch den Beschwerdeführer sei die Annahme im Sinn des § 8 Abs. 1 Z 3 WaffG gerechtfertigt, dieser werde Waffen Menschen überlassen, die zum Besitz solcher Waffen nicht berechtigt seien. Daran könne nichts ändern, dass der unberechtigte Besitz von Kriegsmaterial durch den Beschwerdeführer bereits mehr als zehn Jahre zurück liege. Vielmehr sei dem Beschwerdeführer, weil er bis zum heutigen Zeitpunkt sein Fehlverhalten als solches nicht erkennen wolle, die waffenrechtliche Verlässlichkeit abzusprechen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage des Verwaltungsaktes und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des WaffG
lauten (auszugsweise):
"Verlässlichkeit
§ 8. (1) Ein Mensch ist verlässlich, wenn er voraussichtlich mit Waffen sachgemäß umgehen wird und keine Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass er
1.
Waffen missbräuchlich oder leichtfertig verwenden wird;
2.
mit Waffen unvorsichtig umgehen oder diese nicht sorgfältig verwahren wird;
3. Waffen Menschen überlassen wird, die zum Besitz solcher Waffen nicht berechtigt sind. ...
...
Überprüfung der Verlässlichkeit
§ 25. (1) ...
(3) Ergibt sich, dass der Berechtigte nicht mehr verlässlich ist, so hat die Behörde waffenrechtliche Urkunden zu entziehen.
..."
Das Waffengesetz 1986 lautete in den hier relevanten
Bestimmungen (auszugsweise):
"Kriegsmaterial
§ 28a. (1) Der Erwerb, der Besitz und das Führen von Kriegsmaterial sind verboten.
(2) Von den Verboten des Abs. 1 können auf Antrag Ausnahmebewilligungen erteilt werden. ...
Strafbestimmungen
§ 36. (1) Wer, wenn auch nur fahrlässig,
1.
...
4.
Kriegsmaterial (ausgenommen Gewehrpatronen mit Vollmantelgeschoss) unbefugt erwirbt, besitzt oder führt;
...
ist vom Gericht mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen."
In seiner Beschwerde bringt der Beschwerdeführer vor, er sei "unverändert der Ansicht", dass es sich bei dem in Rede stehenden halbfertigen Sturmgewehr nicht um eine Waffe, geschweige denn um Kriegsmaterial, handle. Das strafgerichtliche Urteil sei diesbezüglich nicht bindend.
Diesem Argument ist zu entgegnen, dass die belangte Behörde im Hinblick auf die Tatbestandsvoraussetzungen des § 36 Abs. 1 Z 4 des Waffengesetzes 1986 und angesichts des zitierten Urteilsspruchs des Strafgerichtes zu Recht davon ausgegangen ist, dass dieses Urteil bezüglich der Frage der Qualifikation des gegenständlichen Sturmgewehrs als Kriegsmaterial Bindungswirkung entfaltet (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. Dezember 1997, Zl. 97/20/0048). Die belangte Behörde durfte daher der Beurteilung der waffenrechtlichen Verlässlichkeit des Beschwerdeführers im Sinn des § 8 Abs. 1 WaffG - ungeachtet einer (allfälligen) Tilgung der in Rede stehenden Verurteilung des Beschwerdeführers (vgl. das Erkenntnis vom 21. September 2000, Zl. 98/20/0139) - zugrunde legen, dass dieser zumindest im Frühjahr 1989 Kriegsmaterial unbefugt (die Erteilung einer Bewilligung nach § 28a Abs. 2 Waffengesetz 1986 wurde vom Beschwerdeführer nicht behauptet) besessen hat.
Zum unbefugten Besitz von Waffen verwies die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid zunächst zutreffend auf das hg. Erkenntnis vom 23. Juli 1999, Zl. 99/20/0101. In dieser Entscheidung hat der Verwaltungsgerichtshof die zu § 6 Waffengesetz 1986 ergangene Judikatur, wonach unbefugter Besitz von Waffen allein mangels ausdrücklicher Anordnung des Gesetzes noch nicht die Annahme der Unverlässlichkeit im Sinne des Waffengesetzes rechtfertige, in dieser allgemeinen Aussage für die Anwendungsfälle des § 8 Abs. 1 WaffG nicht aufrecht erhalten. Ohne Beurteilung der konkreten Umstände des Besitzes und des Erwerbsvorganges (etwa nach der dem Besitzer anzulastenden Verschuldensform, der Dauer des unberechtigten Besitzes und allfälliger Versuche der Legalisierung) könne gemäß den Ausführungen in diesem Erkenntnis nicht gesagt werden, dass "keine Tatsachen die Annahme" rechtfertigten, der Betroffene werde "Waffen Menschen überlassen, die zum Besitz solcher Waffen nicht berechtigt sind". Vor dem Hintergrund des § 50 Abs. 3 und 4 zweiter Satz WaffG komme maßgebliche Bedeutung auch dem Umstand zu, ob der Betroffene von sich aus initiativ tätig werde, den unberechtigten Besitz zu beenden, etwa freiwillig mit einer Mitteilung an die Behörde herantrete und den Verbleib der Waffe aufkläre. Bei der gemäß § 8 Abs. 1 WaffG vorzunehmenden waffenrechtlichen Prognose über die künftige Verlässlichkeit des Betroffenen seien nicht nur die Verurteilung wegen unbefugten Besitzes einer genehmigungspflichtigen Schusswaffe gemäß § 50 WaffG, sondern insbesondere auch die Umstände des unbefugten Erwerbes zu berücksichtigen (vgl. anschließend an das zitierte Erkenntnis, Zl. 99/20/0101, auch jenes vom 27. September 2001, Zl. 99/20/0404, und - betreffend ein Waffenverbot - das Erkenntnis vom 24. Februar 2000, Zl. 99/20/0149).
Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ist auf das (im Ergebnis zutreffende) Vorbringen des Beschwerdeführers in der Beschwerde einzugehen, der zusammengefasst meint, eine Beurteilung seines Gesamtverhaltens, so auch seines langjährigen Wohlverhaltens, habe die Schlussfolgerung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit im Bescheiderlassungszeitpunkt nicht (mehr) zugelassen. Entgegen der wiedergegebenen Ansicht der belangten Behörde hat der Beschwerdeführer zu den nach der zitierten Judikatur maßgeblichen Umständen des unbefugten Erwerbes des gegenständlichen Sturmgewehres in einer nicht von vornherein als unplausibel erkennbaren Weise angegeben, er habe den Prototypen des halbfertigen - und deshalb ohne Produktionsnummern ausgestatteten - Sturmgewehres über einen autorisierten Waffenhändler erworben. Den von ihm angesprochenen Forschungsauftrag, für dessen Erfüllung er das Sturmgewehr nach seinen Angaben benötigt habe, hat der Beschwerdeführer mit der Berufung (siehe das dort beigelegte Titelblatt der Forschungsarbeit) konkretisiert, sodass auch nicht gesagt werden kann, dieser Auftrag sei "völlig unbescheinigt" geblieben. Dass der Beschwerdeführer Kriegsmaterial in der Verschuldensform des Vorsatzes besessen habe (was bei der Beurteilung des unbefugten Waffenbesitzes nach der zitierten Judikatur nicht unerheblich gewesen wäre), wurde weder vom Strafgericht noch von der belangten Behörde explizit festgestellt. Vor dem Hintergrund dieser Umstände gewinnt für die Bewertung der waffenrechtlichen Verlässlichkeit des Beschwerdeführers jedenfalls der Einwand an Bedeutung, dass das von ihm gesetzte strafbare Verhalten unstrittig bereits im Frühjahr 1989 gesetzt wurde und dass bis zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides mehr als zwölf Jahre vergangen sind, in denen dem Beschwerdeführer (auch nach der Aktenlage) kein waffenrechtlich relevantes Fehlverhalten mehr vorzuwerfen war (vgl. dazu auch den dem hg. Erkenntnis vom 17. Oktober 2002, Zl. 2001/20/0478, zugrunde liegenden Beschwerdefall, in welchem ein Zeitraum des Wohlverhaltens von bereits sechs Jahren nach unbefugtem Waffenbesitz, dies allerdings im Zusammenhang mit einem Waffenverbot, beachtlich war).
Da die belangte Behörde dem bereits lang andauernden Wohlverhalten des Beschwerdeführers somit zu Unrecht keine Bedeutung beigemessen und seine waffenrechtliche Verlässlichkeit unter den genannten Gesichtspunkten unzutreffend beurteilt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Wien, am 4. November 2004
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Bindung der Verwaltungsbehörden an gerichtliche Entscheidungen VwRallg9/4European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2001200641.X00Im RIS seit
24.11.2004