TE Vwgh Erkenntnis 2004/11/4 2001/20/0649

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.11.2004
beobachten
merken

Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/10 Grundrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §13 Abs1;
AsylG 1997 §15 Abs1;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
BVG über die Beseitigung rassischer Diskriminierung 1973 Art1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FlKonv Art1 AbschnF litb;
FlKonv Art1 AbschnF;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 4. Oktober 2001, Zl. 221.534/0-XII/36/01, betreffend § 7 AsylG (mitbeteiligte Partei: S, geboren 1974), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger des Iran, reiste am 30. November 2000 in das Bundesgebiet ein und ersuchte um Asyl. Zur Begründung gab er vor dem Bundesasylamt an, er habe seine Cousine, in die er verliebt gewesen sei, eine Woche, bevor diese einen anderen Mann hätte heiraten sollen, vergewaltigt. Da der Vater der Cousine Mitarbeiter des iranischen Geheimdienstes und daher sehr einflussreich sei, fürchte der Mitbeteiligte um sein Leben.

Mit Bescheid vom 16. Februar 2001 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Mitbeteiligten "wegen Vorliegens eines Asylausschlussgrundes" gemäß "§ 7 iVm § 13 Abs. 1 Asylgesetz 1997" ab und erklärte in einem zweiten Spruchteil die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Mitbeteiligten in den Iran gemäß § 8 AsylG für unzulässig. In ihrer Begründung ging die Erstbehörde vom behaupteten Fluchtgrund des Mitbeteiligten aus. Zur Asylentscheidung vertrat sie die Auffassung, einerseits lasse sich die geltend gemachte Verfolgungsgefahr auf keinen der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Verfolgungsgründe zurückführen und andererseits habe die mitbeteiligte Partei den Asylausschlussgrund der Begehung eines schweren, nicht politischen Verbrechens im Heimatland gemäß § 13 Abs. 1 AsylG in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention verwirklicht. Zur Entscheidung nach § 8 AsylG verwies die Erstbehörde auf die dem Mitbeteiligten im Iran drohende unmenschliche Behandlung bzw. Todesstrafe.

Der Mitbeteiligte erhob gegen die Asylentscheidung Berufung, in der er die besonderen Umstände, die ihn zur genannten Tat veranlasst hätten, schilderte. Gleichzeitig wies er auf die ihm nach dem iranischen Strafgesetz drohende Todesstrafe hin.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Mitbeteiligten "gemäß § 7 AsylG" ab. Nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens führte die belangte Behörde begründend aus, im gegenständlichen Fall stehe der Asylgewährung entgegen, dass der Mitbeteiligte nicht aus einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention aufgezählten Gründe sondern wegen eines allgemein strafbaren Delikts gegen die Sittlichkeit verfolgt werde. Der Umstand, dass der Onkel des Mitbeteiligten Mitglied der iranischen Geheimpolizei sei, begründe jedenfalls noch keine politisch oder religiös motivierte Verfolgung. Vielmehr habe der Mitbeteiligte in der Berufung selbst angegeben, dass er seinen Onkel durch die Straftat in der Ehre verletzt habe und von diesem deshalb, somit aus einem rein persönlichen Motiv, verfolgt werde. Die Asylgewährung komme daher schon von vornherein nicht in Betracht, dies unabhängig davon, ob der Mitbeteiligte tatsächlich einen Asylausschlussgrund im Sinn des § 13 Abs. 1 AsylG verwirklicht habe. "Selbst wenn man", so die belangte Behörde weiter, mit den Berufungsangaben des Mitbeteiligten davon ausginge, dass die von ihm verübte Straftat wegen der seelischen Ausnahmesituation, in der er sich befunden habe, nicht als schweres, nicht politisches Verbrechen im Sinn des Art. 1 Abschnitt F lit. b der Genfer Flüchtlingskonvention anzusehen sei, so wäre für ihn mangels asylrelevanter Verfolgungsgründe nichts gewonnen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde des Bundesministers für Inneres, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Die Amtsbeschwerde wendet sich nicht gegen die Abweisung des Asylantrages als solche. Sie macht vielmehr geltend, dass es die belangte Behörde, im Gegensatz zur Erstbehörde, unterlassen habe, sich mit der Frage, ob der Mitbeteiligte durch die Vergewaltigung seiner Cousine einen Asylausschlussgrund verwirklicht habe, auseinander zu setzen. Von der Lösung dieser von der belangten Behörde unbeantworteten Frage sei angesichts des dem Mitbeteiligten rechtskräftig gemäß § 8 AsylG gewährten Abschiebungsschutzes die rechtliche Konsequenz abhängig, ob ihm eine (mit Schriftsatz vom 29. Oktober 2001 beantragte) befristete Aufenthaltsberechtigung zu erteilen sei. Gemäß § 15 Abs. 1 AsylG sei eine befristete Aufenthaltsberechtigung nämlich nur solchen Fremden zu gewähren, deren Asylantrag aus anderen Gründen als den Asylausschlussgründen rechtskräftig abgewiesen worden sei.

Zunächst hat die belangte Behörde ausgehend vom geltend gemachten Fluchtgrund zu Recht die Frage aufgeworfen, ob der Mitbeteiligte überhaupt Flüchtling im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist (vgl. zur Relevanz dieser Frage bei der Prüfung, ob Art. 1 Abschnitt F lit. b GFK anzuwenden ist, das hg. Erkenntnis vom 31. Jänner 2002, Zl. 99/20/0372). Sie hat in diesem Zusammenhang die Ansicht vertreten, dass die vom Mitbeteiligten befürchtete Verfolgung nur auf dem Verdacht einer allgemein strafbaren Handlung und nicht auf asylrelevanten Merkmalen beruhe. Träfe diese - in der vorliegenden Amtsbeschwerde nicht bekämpfte - Rechtsauffassung zu (vgl. aber zur Bewertung der drohenden Todesstrafe sowohl vor dem Hintergrund ihrer Unverhältnismäßigkeit als auch unter dem Aspekt von dem Schutz religiöser Werte dienender Strafvorschriften im Iran die hg. Erkenntnisse vom 27. September 2001, Zl. 99/20/0409, und vom 17. September 2003, Zl. 99/20/0126, je mwN), so bestünde gegen die Abweisung des Asylantrages des Mitbeteiligten kein Einwand.

Davon zu unterscheiden ist die in der Amtsbeschwerde aufgeworfene Frage, ob die belangte Behörde unbeschadet des Ergebnisses der Asylentscheidung im Hinblick auf den im Erstbescheid genannten Asylausschlussgrund und den dort gewährten Abschiebungsschutz jedenfalls hätte beurteilen müssen, ob der Mitbeteiligte durch die Straftat einen der Gründe des Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention verwirklicht habe. Dem hält die belangte Behörde in der Gegenschrift entgegen, dass die Gewährung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 15 Abs. 1 AsylG nicht Gegenstand ihrer Entscheidung gewesen sei. Bei der von ihr gewählten rechtlichen Begründung für die Abweisung des Asylantrages sei eine Prüfung von Asylausschlussgründen nicht nur entbehrlich, sondern sie wäre sogar sinnwidrig gewesen. Die letztgenannte Ansicht der belangten Behörde trifft freilich nur zu, wenn sich, was im Folgenden zu prüfen ist, aus dem Gesetz nichts Gegenteiliges ergibt.

§ 15 AsylG in der hier maßgeblichen Fassung vor der Asylgesetz-Novelle 2003 lautete (auszugsweise):

"Befristete Aufenthaltsberechtigung

§ 15. (1) Fremden, deren Asylantrag aus anderen Gründen als den Asylausschlussgründen (§ 13) rechtskräftig abgewiesen wurde und die sich ohne rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet befinden, ist mit Bescheid eine befristete Aufenthaltsberechtigung zu erteilen, wenn gemäß § 8 festgestellt wurde, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung unzulässig ist."

In der Regierungsvorlage (686 BlgNR XX.GP 23) finden sich dazu folgende Erläuterungen:

"... Die befristete Aufenthaltsberechtigung kann nur erteilt werden, wenn der Asylantrag des betroffenen Fremden aus anderen Gründen als nach den Asylausschlussgründen (Art. 1 Abschnitt F und Art. 33 Abs. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) rechtskräftig abgewiesen wurde, und wenn die Asylbehörde gemäß § 8 festgestellt hat, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung unzulässig ist. In diesen Fällen ist das Verfahren relativ unkompliziert, weil ausnahmslos über die wesentliche Rechtsbedingung, nämlich die Unzulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung, ein bescheidmäßig bindender Abspruch vorliegt und andererseits die rechtskräftige Abweisung des Asylantrags keiner besonderen Ermittlungen bedarf. ..."

Der in der Gegenschrift zum Ausdruck kommenden Ansicht, dass die Verwirklichung eines Asylausschlussgrundes im Sinn des § 13 Abs. 1 AsylG bei der Beurteilung der Voraussetzungen für die Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 15 Abs. 1 AsylG geklärt werden könne, steht zunächst der Wortlaut der letztgenannten Bestimmung entgegen. Demnach ist u.a. Voraussetzung für die Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung, dass der Asylantrag aus anderen Gründen als den Asylausschlussgründen "rechtskräftig abgewiesen wurde". Auch die zitierten Erläuterungen sprechen dagegen, die Klärung der Frage, ob der Asylwerber einen Asylausschlussgrund verwirklicht hat, der Entscheidung nach § 15 Abs. 1 AsylG vorzubehalten. So geht der Gesetzgeber in den wiedergegebenen Materialien davon aus, dass über die Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung "relativ unkompliziert" entschieden werden kann, weil auch die Voraussetzung der rechtskräftigen Abweisung des Asylantrages keiner besonderen Ermittlungen bedarf. Damit setzen die Erläuterungen voraus, dass bei der Entscheidung über die Erteilung der befristeten Aufenthaltsberechtigung auch die Frage, ob ein Asylausschlussgrund vorliegt, bereits geklärt ist. Die Prüfung von Asylausschlussgründen erst im Verfahren zur Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung entspricht daher offenbar nicht der Absicht des Gesetzgebers.

Wäre nun eine befristete Aufenthaltsberechtigung nur jenen Asylwerbern zu versagen, deren Asylantrag (tatsächlich) aus einem Asylausschlussgrund rechtskräftig abgewiesen wurde, und wäre demgegenüber anderen Asylwerbern, die zwar einen solchen Asylausschlussgrund verwirklicht haben, deren Asylantrag aber aus einem anderen als einem Asylausschlussgrund rechtskräftig abgewiesen wurde, eine befristete Aufenthaltsberechtigung zu erteilen, so stünde dies im Widerspruch zur verfassungsgesetzlich gebotenen Gleichbehandlung von Fremden. Es kann nämlich für die Erteilung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nicht darauf ankommen, welchen von mehreren Gründen die Asylbehörde für die Abweisung eines Asylantrages herangezogen hat. Bei verfassungskonformer Interpretation des § 15 Abs. 1 AsylG ist daher für die Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung entscheidend, ob der Asylantrag nur aus anderen Gründen als den Asylausschlussgründen abgewiesen wurde.

Aus dem Gesagten ergibt sich, dass die Asylbehörde - um die Entscheidung über die Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 15 Abs. 1 AsylG zu ermöglichen - jedenfalls im Zusammenhang mit der Gewährung von Abschiebungsschutz gemäß § 8 AsylG bereits bei der Abweisung eines Asylantrages bei gegebenen Anhaltspunkten Feststellungen über die Verwirklichung eines Asylausschlussgrundes zu treffen hat, und zwar unabhängig davon, ob sie diese Entscheidung auf das Bestehen eines Asylausschlussgrundes oder (auch) auf andere Abweisungsgründe stützt.

Im Beschwerdefall wurde der Asylantrag des Mitbeteiligten nach dem Spruch der Erstbehörde wegen Vorliegens eines Asylausschlussgrundes gemäß "§ 7 iVm § 13 Abs. 1 Asylgesetz 1997" abgewiesen. Die dagegen erhobene Berufung hat die belangte Behörde demgegenüber spruchgemäß (bloß) "gemäß § 7 AsylG" abgewiesen, weil dem Mitbeteiligten nach ihrer Begründung "unabhängig davon, ob" er einen Asylausschlussgrund verwirklicht habe, Asyl zu versagen sei. Die belangte Behörde hat damit (ungeachtet ihrer weiteren - nur hypothetischen - Überlegungen über die rechtliche Beurteilung der genannten Straftat) trotz Abweisung des Asylantrages des vor Abschiebung geschützten Mitbeteiligten in unrichtiger Beurteilung der Rechtslage die Frage, ob dieser im Hinblick auf die von ihm verübte Straftat einen Asylausschlussgrund verwirklicht hat, nicht eindeutig beantwortet.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben. Wien, am 4. November 2004

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2001200649.X00

Im RIS seit

24.11.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten