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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §6 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde der T in S, geboren 1949, vertreten durch Dr. Michael Schubeck, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Erzabt-Klotz-Straße 8, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 26. März 2003, Zl. 234.952/0- VIII/22/03, betreffend §§ 6 Z. 1 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine armenische Staatsangehörige, reiste am 21. Juli 2002 gemeinsam mit ihrem Sohn Arthur Tokatelian in das Bundesgebiet ein und stellte am 24. Juli 2002 einen Asylantrag. Bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 3. Februar 2003 gab sie an, aus Armenien im Juni 2001 ohne Probleme und unter Verwendung ihres Reisepasses ausgereist zu sein. Den Entschluss dazu habe sie gefasst, nachdem ihr Sohn vom Militär "zurückgekommen" sei und sie gebeten habe, alles zu verkaufen und den Heimatstaat zu verlassen. Die Gründe für diesen Wunsch habe er ihr nicht genau gesagt, weil er gewusst habe, dass sie herzkrank sei. Sie wisse aber soviel, dass es "irgendetwas mit einem Waffenhandel" zu tun gehabt habe. Die Frage, ob es also richtig sei, dass die Beschwerdeführerin selbst "keine Gründe für ihre Ausreise aus Armenien" habe, wurde von ihr ausdrücklich bejaht. Sie sei "grundsätzlich mit Armenien zufrieden"; es belaste sie jedoch die Situation mit ihrem Sohn.
Mit Bescheid vom 3. Februar 2003 wies das Bundesasylamt den Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 6 Z. 1 AsylG als offensichtlich unbegründet ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Armenien zulässig sei.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin unter anderem wörtlich vor:
"Ich habe gemeinsam mit meinem Sohn Armenien verlassen. Mein Sohn ist vom Militärdienst zurückgekommen und hat gesagt, es wäre nötig, alles zu verkaufen und Armenien zu verlassen. Ich bin herzkrank und mein Sohn hat wohl nicht gewagt, mir die genauen Gründe zu nennen, um mich nicht allzu sehr aufzuregen. Er meinte, dass ich ihm vertrauen müsse. Ich glaube, dass es um Waffenhandel im Zusammenhang mit seinem Militärdienst ging und er auf Grund dessen große Probleme bekommen hat. Hätte ich jedoch nicht mit meinem Sohn meine Heimat verlassen, wäre auch ich in große Schwierigkeiten geraten, da ich auf Grund des unbekannten Aufenthalts meines Sohnes unter Druck gesetzt worden wäre. Außerdem hätte ich nicht gewusst, wie ich in Armenien als alleinstehende Frau ohne verwandtschaftliche Verbindungen weiter leben hätte sollen. Jedenfalls sind meine Fluchtgründe eng mit jenem meines Sohnes verflochten.
...
Es ist nicht von vornherein von der Hand zu weisen, dass auch mir in Armenien vor (richtig: von( jenen Leuten, vor denen sich mein Sohn fürchtete, Gefahr gedroht hätte. Sicherlich wäre ich aber massiv unter Druck gesetzt worden, den Aufenthaltsort meines Sohnes bekannt zu geben."
Gegen die Aberkennung des Refoulementschutzes brachte die Beschwerdeführerin vor, es bestehe für sie im Falle ihrer Rückkehr nach Armenien die konkrete Gefahr, unmenschlich behandelt zu werden, da sie wegen des unbekannten Aufenthaltes ihres Sohnes "unter Druck gesetzt werden könnte". Abschließend beantragte die Beschwerdeführerin, eine mündliche Berufungsverhandlung durchzuführen, um ihre Gefährdungssituation in der Heimat darlegen zu können und durch Einvernahme ihres Sohnes als Zeugen "zu erhellen, dass auch sie in Armenien großer Gefahr ausgesetzt gewesen wäre."
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin (ohne Durchführung einer Berufungsverhandlung) "gemäß §§ 6, 8 Asylgesetz" ab. Nach Wiedergabe ihrer erstinstanzlichen Angaben folgerte die belangte Behörde, im vorliegenden Fall habe die Beschwerdeführerin eindeutig ausgeführt, dass sie selbst keine "Gründe" habe, aus Armenien auszureisen und nur deswegen ihren Herkunftsstaat verlassen habe, weil sie von ihrem Sohn darum gebeten worden sei. Es werde von der Beschwerdeführerin damit "offensichtlich und eindeutig keine Behauptung aufgestellt", dass ihr in ihrem Herkunftsstaat Verfolgung drohe. Wenn die Beschwerdeführerin eine "Verfolgung" hinsichtlich ihres Sohnes behaupte, sei dazu festzuhalten, dass sie diese allenfalls in einem Verfahren gemäß §§ 10, 11 AsylG (Asylerstreckung) geltend machen hätte können, nicht jedoch zur Begründung eines eigenen Asylantrages, wobei auch das Vorliegen einer Sippenhaftung oder indirekten Verfolgung von ihr nicht behauptet worden sei. Im Übrigen lasse sich auch aus dem Vorbringen des Sohnes der Beschwerdeführerin irgendein Zusammenhang zu den in der Genfer Flüchtlingskonvention taxativ aufgezählten Verfolgungsgründen nicht entnehmen. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sei nicht erforderlich gewesen, weil die Berufung "reine Rechtsausführungen" enthalten und im Übrigen nur "auf die bereits in der Ersteinvernahme geschilderten Gründe der Flucht verwiesen" (bzw. "...das bereits vor der Behörde erster Instanz erstattete Vorbringen wiederholt...") habe. Der bloße Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung löse in einem asylrechtlichen Berufungsverfahren keine Verhandlungspflicht aus, wenn - wie hier - "in der Berufung kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinaus gehender Sachverhalt erstmalig neu und konkret behauptet" worden sei.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Gemäß § 6 AsylG sind Asylanträge als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist nach der von der belangten Behörde herangezogenen Ziffer 1 dieser Bestimmung der Fall, wenn sich ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht die Behauptung entnehmen lässt, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung droht. Bei der Prüfung, ob ein unter § 6 Z. 1 AsylG zu subsumierender Fall vorliegt, ist demnach von den Angaben der Asylwerber auszugehen und auf deren Grundlage zu beurteilen, ob sich diesem Vorbringen mit der erforderlichen Eindeutigkeit keine Behauptungen im Sinne einer im Herkunftsstaat drohenden Verfolgung entnehmen lassen. Unter "Verfolgung" im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Die Anwendung des § 6 Z. 1 AsylG setzt im Sinne dieses Verständnisses des Verfolgungsbegriffes voraus, dass dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich keine Behauptungen zu einer ihnen drohenden Verfolgung, also eines ungerechtfertigten Eingriffes der genannten Art, zu entnehmen sind. Im Hinblick auf das "Offensichtlichkeitskalkül" kann dabei auch die unzureichende Intensität des drohenden Eingriffs nur zur Subsumtion des Vorbringens unter diesen Tatbestand führen, wenn der Fall in dieser Hinsicht völlig eindeutig ist und keine Abgrenzungsfragen aufwirft (vgl. zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom 1. April 2004, Zl. 2002/20/0347, m.w.N).
Der belangten Behörde ist dahingehend zu folgen, dass die Beschwerdeführerin in ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt keine Verfolgung im obigen Sinne behauptete, sondern über ausdrückliche Nachfrage das Vorliegen eigener Fluchtgründe sogar verneinte. Aktenwidrig ist jedoch, dass die Berufung der Beschwerdeführerin das erstinstanzliche Vorbringen lediglich wiederholt habe. Vielmehr führte die Beschwerdeführerin in ihrem Rechtsmittel ergänzend aus, dass ihr Sohn wegen eines "Waffenhandels im Zusammenhang mit seinem Militärdienst" große Probleme bekommen habe, ihre eigenen Fluchtgründe mit jenen des Sohnes eng verflochten seien und sie selbst im Falle des Verbleibens in ihrer Heimat auch "in große Schwierigkeiten geraten" wäre, weil ihr in Armenien von jenen Leuten, vor denen sich ihr Sohn gefürchtet habe, Gefahr gedroht hätte, zumal sie "massiv unter Druck gesetzt worden" wäre, den Aufenthaltsort ihres Sohnes bekannt zu geben. Es bestünde daher die konkrete Gefahr, dass sie im Falle ihrer Rückkehr unmenschlich behandelt würde. Dieses Berufungsvorbringen steht einer Anwendung des § 6 Z. 1 AsylG jedenfalls im Hinblick auf die geforderte Offensichtlichkeit einer mangelnden Verfolgungsbehauptung entgegen.
Dass dem Vorbringen des Sohnes der Beschwerdeführerin - wie die belangte Behörde ergänzend ausführt - ein Zusammenhang zu den in der Genfer Flüchtlingskonvention taxativ aufgezählten Verfolgungsgründen nicht zu entnehmen gewesen sei, vermag den angefochtenen Bescheid nicht zu tragen, weil sich die belangte Behörde hinsichtlich der Beschwerdeführerin ausschließlich auf einen Anwendungsfall des § 6 Z. 1 AsylG (nicht jedoch auf § 6 Z. 2 AsylG) berufen, dessen Tatbestandsvoraussetzungen aber zu Unrecht angenommen hat.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Von der Durchführung einer Berufungsverhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Wien, am 4. November 2004
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2003200260.X00Im RIS seit
04.01.2005