Index
E3R E02202000;Norm
31992R2913 ZK 1992 Art238 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Höfinger, Dr. Köller, Dr. Thoma und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Siegl, über die Beschwerde der K GmbH in W, vertreten durch Kosch & Partner, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Bäckerstraße 1/3/13, gegen den Bescheid des Unabhängigen Finanzsenates, Zollsenat 3 (K), vom 7. Jänner 2004, Zl. ZRV/0278-Z3K/02, betreffend Rücknahme einer begünstigenden Entscheidung in einer Zollangelegenheit, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin beantragte beim Hauptzollamt Wien mit der Anmeldung vom 13. September 2000 die Vernichtung von 16.759 kg (Rohmasse) aus der tschechischen Republik eingeführten und verdorbenen Putenbrüsten ohne Knochen.
Mit Bescheid vom 14. September 2000 bewilligte das Hauptzollamt Wien der Beschwerdeführerin die beantragte Vernichtung der Putenbrüste durch Übergabe an die S INDUSTRIES in T unter zollamtlicher Aufsicht gegen Übernahmebestätigung gemäß Art. 182 Zollkodex (ZK). Die angeführten Waren seien nach innerer Beschau im vollen Umfang der Vernichtung zuzuführen.
In einem Aktenvermerk vom 22. September 2000 hielt ein Zollorgan anlässlich der Hausbeschauabfertigung fest, die Ware sei, wie im Bescheid angeordnet, der genannten Firma übergeben und eine Übernahmebestätigung sei dem Abfertigungsbeamten ausgefolgt worden. Im Zuge der Abfertigung sei festgestellt worden, dass es sich bei der genannten Firma um keinen Entsorgungsbetrieb, sondern um einen Wiederverwertungsbetrieb handle und eine Vernichtung nicht möglich sei. Die Ware werde innerhalb von 24 Stunden zu Tiermehl als Futtermittel verarbeitet und das Endprodukt um ca. S 3,-- pro kg verkauft. Bei der Verarbeitung blieben ca. 1/3 des Rohstoffes als Endprodukt über. Für die Beschwerdeführerin entstünden nur geringe Kosten. Eine Vernichtung durch Verbrennen wäre lt. der genannten Firma nur bei der EBS möglich und koste angeblich S 7.500,-- pro Tonne.
Am 3. Oktober 2000 beantragte die Beschwerdeführerin die Erstattung der Eingangsabgaben mit der Begründung, die genannten Waren seien gemäß dem Bescheid vom 14. September 2000 bei der genannten Firma der Vernichtung zugeführt worden.
Mit Bescheid vom 17. Jänner 2001, Zl. 100/60492/2000-5, nahm das Hauptzollamt Wien die begünstigende Entscheidung des Hauptzollamtes Wien vom 14. September 2000 gemäß Art. 8 ZK zurück. In der Begründung heißt es, wie festgestellt worden sei, seien die Putenbrüste ohne Knochen keiner Vernichtung im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen zugeführt worden, sondern die Ware sei verarbeitet worden; d.h. es seien Überreste angefallen, die wirtschaftlich weiter verwertbar gewesen seien. Auf Grund dieser Tatsache hätte die begünstigende Entscheidung (Vernichtung) nicht ergehen dürfen.
Mit weiterem Bescheid vom 22. Jänner 2001, Zl. 100/60492/2000, wies das Hauptzollamt Wien den Antrag der Beschwerdeführerin auf Rückerstattung der Eingangsabgaben ab. In der Begründung führte die Behörde aus, im Zuge der Abfertigung, nämlich der Übergabe der Ware an die Firma S INDUSTRIES , habe der Abfertigungsbeamte festgestellt, dass es sich bei diesem Unternehmen um keinen Entsorgungsbetrieb, sondern um einen Wiederverwertungsbetrieb handle und somit keine Vernichtung der Ware erfolge bzw. erfolgen könne. Die Ware sei zur Herstellung von Tiermehl als Futtermittel weiter verarbeitet worden. Der rechtswidrig ergangene Bewilligungsbescheid sei zurückgenommen worden. Es liege kein Erstattungsgrund vor, wodurch der Antrag abzuweisen gewesen sei.
Die Beschwerdeführerin brachte die mit "26.2.2001" datierte und beim Hauptzollamt Wien am 29. Jänner 2001 eingelangte Berufung ein, die folgenden - auszugsweise wiedergegebenen - Inhalt hat.
"Berufung gegen den Bescheid Zahl: 100/60492/2000-5 Fa. A - Putenbrust ohne Knochen
Unser Antrag vom 3.10.2000 auf Rückerstattung der Eingangsabgaben zu We NR. 100/000/807.352/03/0 - Ihr Schreiben vom 22.1.2001
...
in offener Frist legen wir gegen den o.a. Bescheid das Rechtsmittel der Berufung
ein und begründen dies wie folgt.
Wir haben, wie bereits in der Vergangenheit viele Male die Vernichtung von tierischen Rohstoffen bei einer Tierkörperbeseitigungsanstalt (Fa. S Industries, T) beantragt. Gemäß der 11. Verordnung zur Beseitigung von tierischen Abfällen vom 3. April 1997 sind alle im Bereich des Bundeslandes Wien anfallenden tierischen Abfälle von der Tierkörperbeseitigung W GmbH einzusammeln und an eine Tierkörperverwertungsanstalt, abzuführen.
Die Tierkörperbeseitigung W GmbH ist lediglich eine Sammelstelle, die alle tierischen Abfälle des Bundeslandes Wien sammelt und an die ehemalige T Tierkörperverwertung, weiterleitet.
...
Aus diesem Grunde gibt es daher keine andere Vernichtungsmöglichkeit für tierische Abfälle als die Ware bei der nächst gelegenen Tierkörperbeseitigungsanstalt, entsorgen zu lassen.
Der eventuelle wirtschaftliche Nutzen des hergestellten Tiermehles ist als äußerst gering anzusehen und im Hinblick des Fütterungsverbotes von Tiermehl, ein weiteres Entsorgungsproblem.
Auf Grund unserer oben angeführten Ausführungen beantragen wird daher die Erstattung der geleisteten Abgaben, danken im Voraus für eine positive Erledigung und verbleiben ..."
Mit Berufungsvorentscheidung vom 9. Juli 2001 wies das Hauptzollamt Wien die Berufung gegen den Bescheid vom 17. Jänner 2001, Zl. 100/60492/2000-5, als unbegründet ab. In der Begründung heißt es: Die Berufungsschrift richte sich gegen den Bescheid vom 17. Jänner 2001. Die begünstigende Entscheidung des Hauptzollamtes Wien vom 14. September 2000 sei auf Grund unrichtiger Tatsachen ergangen. Auf Grund der richtigen und vollständigen Tatsachen hätte die begünstigende Entscheidung nicht ergehen dürfen und werde gemäß Art. 8 ZK zurück genommen.
Die Beschwerdeführerin erhob Beschwerde an den Unabhängigen Finanzsenat, in der sie darauf hinwies, dass es keine andere Vernichtungsmöglichkeit für tierische Abfälle gebe, und stellte den Antrag auf Rückerstattung der geleisteten Abgaben.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Beschwerde als unbegründet ab. In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde aus, es seien die Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 1 ZK gegeben und die Entscheidung sei zwingend zurückzunehmen gewesen. Da keine Vernichtung, sondern eine Zerstörung der Ware erfolgt sei, habe die im Antrag angegebene Tatsache nicht der Realität entsprochen und sei somit unrichtig gewesen. Die Unrichtigkeit einer Tatsache rechtfertige neben den weiteren Voraussetzungen eine Rücknahme nur, wenn die Entscheidung bei Richtigkeit der Tatsache nicht hätte ergehen dürfen. Dies sei dann der Fall, wenn die unrichtige Tatsache für das Ergehen der Entscheidung kausal gewesen sei und die ergangene Entscheidung unter Berücksichtigung der richtigen Tatsache nicht hätte ergehen dürfen. Hätte die Beschwerdeführerin die Zerstörung der Ware und somit die richtige Tatsache angegeben, hätte die Bewilligung der Vernichtung nicht ergehen dürfen. Die Kausalität zwischen der unrichtigen Tatsache und dem Ergehen der Entscheidung sei somit vorgelegen. Eine weitere Voraussetzung für die Zurücknahme einer begünstigenden Entscheidung sei, dass die Unrichtigkeit der Tatsache dem Antragsteller bekannt gewesen sei oder vernünftigerweise hätte bekannt sein müssen. Diese Form der Formulierung schließe die leichteste Form der Fahrlässigkeit aus. Der Beschwerdeführerin hätte die unrichtige Tatsache zumindest vernünftigerweise bekannt sein müssen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, mit der sowohl Rechtswidrigkeit des Inhaltes als auch Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht auf Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes vor Erlassung eines Bescheides und Erstattung des Abgabenbetrages verletzt.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die im verwaltungsbehördlichen Verfahren nicht vertretene Beschwerdeführerin erhob mit der mit "26.02.2001" datierten und bei der Behörde am 29. Jänner 2001 eingelangten Eingabe Berufung. Diese Berufung wurde ausdrücklich gegen den Bescheid mit der Zl. 100/60492/2000-5 erhoben. Darüber hinaus wird auch auf den "Antrag vom 3.10.2000 auf Rückerstattung der Eingangsabgaben" und auf "Ihr Schreiben vom 22.01.2001" Bezug genommen. Bei dem "Schreiben" vom 22. Jänner 2001 handelte es sich um den Bescheid vom 22. Jänner 2001 mit der Zl. 100/60492/2000. In der Begründung der Berufung wird auch die Erstattung der Abgaben begehrt.
In Ablehnung einer überspitzten formalistischen Anwendung der Verfahrensgesetze kommt es nicht auf die Bezeichnung, sondern auf den Inhalt einer Eingabe an, um zu beurteilen, welches Begehren einem Anbringen wirklich zu Grunde liegt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. April 1990, Zl. 89/16/0203).
Dies gilt insbesondere bei nicht vertretenen Parteien. Der Berufung liegt offenkundig das Begehren zugrunde, die für die vernichteten Waren entrichteten Abgaben rückerstattet zu erhalten. Bei diesem Inhalt der Berufung kann nicht zweifelhaft sein, dass die Beschwerdeführerin sowohl den Bescheid vom 17. Jänner 2001 als auch den Bescheid vom 22. Jänner 2001 bekämpfte. Es ergebe für sie auch keinen Sinn, bloß die Zurücknahme der begünstigenden Entscheidung vom 14. September 2000, nicht aber die Abweisung des Antrages auf Rückerstattung der Eingangsabgaben anzufechten. Es wäre daher bei dem Inhalt dieser Berufung entgegen der in der Gegenschrift zu Tage getretenen Ansicht der belangten Behörde davon auszugehen gewesen, dass sowohl Berufung gegen den Bescheid vom 17. Jänner 2001 als auch gegen den Bescheid vom 22. Jänner 2001 erhoben wurde.
Mit Berufungsvorentscheidung vom 9. Juli 2001 hat das Hauptzollamt Wien nur über die Berufung gegen den Bescheid vom 17. Jänner 2001 abgesprochen. Dies ist auch Gegenstand des angefochtenen Bescheides und des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Die Berufung gegen den Bescheid des Hauptzollamtes Wien vom 22. Jänner 2001 ist noch unerledigt.
Das Hauptzollamt Wien hat die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid vom 17. Jänner 2001 als unbegründet abgewiesen. Die belangte Behörde vertrat die Ansicht, die Entscheidung über die gewährte Vernichtung sei auf Grund der Angaben unrichtiger Tatsachen ergangen und der Beschwerdeführerin hätte dies bekannt sein müssen.
Die Beschwerdeführerin beantragte mit der Eingabe vom 13. September 2000 die Vernichtung der Waren durch Übergabe an die Tierkörperverwertung.
Der Begriff "Vernichtung" einer Ware ist in den Gemeinschaftsvorschriften nicht näher umschrieben. Nach allgemeiner Auffassung wird dann von der Vernichtung einer Ware auszugehen sein, wenn sie völlig beseitigt oder entwertet ist (vgl. Witte, Zollkodex-Kommentar, Rz 2 zu Art. 4 und Rz 19 zu Art. 238 ZK).
In der Tierkörperverwertung wird - nach einem im Akt befindlichen Aktenvermerk - aus der angelieferten Ware Tiermehl hergestellt und um S 3 pro kg verkauft. Wurde aus den angelieferten Putenbrüsten Tiermehl hergestellt und verkauft, dann wurde die zur Vernichtung beantragte Ware nicht völlig beseitigt und entwertet, weil Ergebnis der Verwertung der Putenbrüste ein weiter handelbares wirtschaftliches Gut, nämlich Tiermehl, war.
In diesem Aktenvermerk wurde allerdings nicht konkret festgehalten, ob das aus den verarbeiteten Putenbrüsten erzeugte Tiermehl dann weiterverkauft oder letztlich doch vernichtet wurde. Eine Vernichtung von Waren kann auch in Einzelschritten erfolgen. Wurde daher im Beschwerdefall zwar zunächst Tiermehl hergestellt, dieses aber anschließend beseitigt, dann kann nicht davon ausgegangen werden, dass keine Vernichtung der Ware stattgefunden hat.
Die Beschwerdeführerin stellte mit der Anmeldung vom 13. September 2000 den Antrag auf Vernichtung der Putenbrüste. Das Hauptzollamt Wien bewilligte die Vernichtung der Waren durch Übergabe unter zollamtlicher Aufsicht gegen Übernahmebestätigung an die namentlich genannte Tierkörperverwertung, ohne weitere Bedingungen und Auflagen betreffend die Art und Weise der Vernichtung zu verfügen. Mit der Übergabe allein war die Vernichtung der Putenbrüste jedenfalls aber noch nicht eingetreten. Für die Behörde war allerdings nach diesem Bescheidspruch die Übergabe der Ware an die genannte Einrichtung und nicht mehr die weitere Behandlung entscheidend, wiewohl auch der Behörde die Kenntnis zumutbar war, dass in einer Tierkörperverwertung bei Verarbeitung der Putenbrüste als Produkt zunächst Tiermehl erzeugt werden kann.
Nach Artikel 8 Abs. 1 ZK wird eine begünstigende Entscheidung zurückgenommen, wenn sie auf Grund unrichtiger oder unvollständiger Tatsachen ergangen ist und
-
dem Antragsteller die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Tatsachen bekannt war oder vernünftigerweise hätte bekannt sein müssen und
-
sie auf Grund der richtigen und vollständigen Tatsachen nicht hätte ergehen dürfen.
Gemäß Artikel 8 Abs. 3 ZK gilt die Rücknahme ab dem Zeitpunkt, zu dem die zurückgenommene Entscheidung ergangen ist.
Nach der Bestimmung Artikel 8 Abs. 1 ZK ist nicht maßgebend, ob die Beschwerdeführerin unrichtige Angaben gemacht hat, sondern ob die Entscheidung auf Grund unrichtiger Tatsachen ergangen ist. Die Beschwerdeführerin beantragte die Vernichtung der Putenbrüste bei der genannten Tierkörperverwertung ohne nähere Angaben über die Art und Weise dieser Vernichtung zu machen. Das Hauptzollamt Wien hat die Vernichtung "im vollen Umfang" angeordnet.
Ungeachtet des Umstandes, ob eine Verpflichtung zur Anlieferung der verdorbenen Putenbrüste an die Tierkörperverwertung bestanden hat oder nicht, steht im Beschwerdefall gar nicht fest, ob die Vernichtung der Putenbrüste "im vollen Umfang" durch Vernichtung des angefallenen Tiermehls nicht doch stattgefunden hat. Die Rücknahme der begünstigenden Entscheidung ohne konkrete Feststellung der hiefür erforderlichen Voraussetzungen, nämlich ob eine Vernichtung auch des angefallenen Zwischenprodukts stattgefunden hat oder nicht, verletzt die Beschwerdeführerin in ihren Rechten.
Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 11. November 2004
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2004160043.X00Im RIS seit
10.12.2004Zuletzt aktualisiert am
20.07.2012