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E6J;Norm
61985CJ0316 CPAS Courcelles / Lebon VORAB;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Graf und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lier, über die Beschwerde des K in W, vertreten durch Dr. Karl Mathias Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franziskanerplatz 1, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle Wien des Arbeitsmarktservice vom 28. Mai 2003, Zl. 10/13117, betreffend Ausstellung einer Bestätigung gemäß § 3 Abs. 8 Ausländerbeschäftigungsgesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Arbeitsmarktservice hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid des Arbeitsmarktservice Wien, Esteplatz, vom 15. April 2003 wurde der am selben Tag gestellte Antrag des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Bangladesch, auf Ausstellung einer Bestätigung über die Zugehörigkeit zum Personenkreis nach § 1 Abs. 2 lit. l des Ausländerbeschäftigungsgesetzes gemäß § 3 Abs. 8 AuslBG im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, der "wesentliche Teil" des Lebensunterhaltes des Antragstellers sei jeweils nach dem konkreten Einzelfall zu ermitteln. Lebe das Kind im gemeinsamen Haushalt mit einem österreichischen Elternteil, werde die Zurverfügungstellung von Unterkunft und Verpflegung genügen, bei getrenntem Wohnsitz hingegen werde ein geeigneter Nachweis der Unterhaltsleistung zu erbringen sein. Bei Geldleistungen diene als Orientierung der aktuelle Ausgleichszulagenrichtsatz von derzeit EUR 643,54. Da der (Anm.: von einem österreichischen Staatsbürger adoptierte) Beschwerdeführer laut Meldezettel nicht im gemeinsamen Haushalt mit seinem österreichischen Elternteil lebe, habe er Einkommensnachweise seines Adoptivvaters sowie eine Bestätigung der Unterhaltsgewährung dem Antrag beigelegt. Laut dieser Bestätigung habe er von seinem Adoptivvater Unterhalt in der Höhe von monatlich EUR 600,-- erhalten. Da der Adoptivvater des Beschwerdeführers nach dem vorgelegten Einkommensnachweis über ein monatliches Einkommen von EUR 1.165,-- monatlich verfüge, erscheine es unglaubwürdig, dass dieser neben seinem Eigenbedarf die Deckung des Lebensunterhaltes für den Beschwerdeführer tatsächlich bestreite. Da sein Adoptivvater dem Beschwerdeführer somit keine ausreichenden Mittel zur Bestreitung des wesentlichen Teiles des Lebensunterhaltes zuwenden könne, sei der Ausnahmetatbestand des § 1 Abs. 2 lit. l AuslBG nicht erfüllt.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er im Wesentlichen darauf verwies, sowohl sein als auch seines Adoptivvaters Lebensaufwand sei äußerst bescheiden. Er selbst habe Wohnungskosten im Durchschnitt von monatlich nur etwa EUR 120,-- zu leisten. Nach den vorgelegten Lohn- und Arbeitsbestätigungen verdiene sein Adoptivvater als Küchenhilfe monatlich im Durchschnitt rund EUR 755,-- netto vierzehnmal im Jahr, was ein Durchschnittsnettoeinkommen von rund EUR 904,-- ergebe. Aus einer zusätzlichen Tätigkeit als Zeitungskolporteur bringe er monatlich im Durchschnitt weitere EUR 390,-- ins Verdienen, sodass sich ein Monatsdurchschnitt von EUR 1.300,-- ergebe. Auch die Lebenshaltungskosten seines Adoptivvaters würden monatlich nur in etwa EUR 115,-- betragen, wobei er in dem gastronomischen Betrieb, in welchem er tätig sei, zwei Mahlzeiten von seinem Dienstgeber zur Verfügung gestellt bekomme. Somit benötige er im Monatsdurchschnitt lediglich etwa EUR 200,--, sodass er den Rest zur Leistung von Unterhaltsbeträgen für den Beschwerdeführer und auch der noch in Bangladesch lebenden Restfamilie zur Verfügung stellen könne. Im Übrigen seien in dem gegenständlichen Fall nicht durchschnittliche österreichische Verhältnisse anzunehmen, sondern die in mehrfachen Arbeitsverhältnissen arbeitenden Menschen aus dem asiatischen Kulturkreis, denen äußerste Genügsamkeit und Sparsamkeit zu eigen sei. Über die tatsächlichen Einkommens- und Lebensverhältnisse sowohl des Beschwerdeführers als auch seines Adoptivvaters seien keinerlei Beweise aufgenommen worden.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dieser Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 1 Abs. 2 lit. l und § 3 Abs. 8 AuslBG keine Folge. Nach Darstellung des Verfahrensganges und wörtlicher Wiedergabe der Berufung führte die belangte Behörde aus, um das Vorliegen des Ausnahmetatbestandes des § 1 Abs. 2 lit. l AuslBG zu begründen, müsse durch den österreichischen Elternteil eine fortgesetzte und regelmäßige Unterhaltsgewährung erfolgen, die es ermögliche, den wesentlichen Teil des Lebensunterhaltes des Kindes zu decken. Dazu diene der Ausgleichszulagenrichtsatz (für das Kalenderjahr 2003 EUR 643,54) lediglich als Orientierung und eine Unterhaltsleistung in dieser Höhe sei nicht zwingendes Erfordernis. Es müsse jedoch gewährleistet sein, dass sich der österreichische Staatsbürger aufgrund seiner persönlichen Verhältnisse in der Lage befinde, dem Angehörigen Unterhalt im erforderlichen Ausmaß zu leisten. Die Sonderzahlungen seien keine monatlich zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel und könnten somit nicht für die pro Monat zu erbringende Unterhaltsleistung miteingerechnet werden. Somit erziele der Adoptivvater des Beschwerdeführers monatlich maximal ein Einkommen von EUR 1.195,--, wobei der Verdienst aus einer angeblich in der Nacht durchgeführten Zeitungszustellung in der Höhe von EUR 390,-- in keiner Weise belegt worden sei. Außerdem sei nach den sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen diese Nebenbeschäftigung, wenn sie in einem Arbeitsverhältnis erfolge, vom Arbeitgeber der Gebietskrankenkasse zu melden, sodass der Adoptivvater des Beschwerdeführers bei Ausübung derartig selbständiger Erwerbstätigkeit diese bei der gewerblichen Sozialversicherungsanstalt anzuzeigen verpflichtet wäre, da ein Honorar von EUR 390,-- über der Geringfügigkeitsgrenze liege. Beim Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger seien diesbezüglich keine Daten erfasst, weshalb die angebliche Einkommensquelle aus der Zustellung von Zeitschriften für die Beurteilung des maßgebenden Sachverhaltes nicht als evident zu erachten sei. Es könne auch nicht eine sparsame Lebensweise zugrunde gelegt werden, sondern es seien hinsichtlich des Bedarfes des Unterhaltsberechtigten bzw. Unterhaltsverpflichteten objektive Gesichtspunkte anzulegen. Zudem lebe der Adoptivvater des Beschwerdeführers nach den getroffenen Erhebungen seit dem Kalenderjahr 1991 im Bundesgebiet, weshalb hinsichtlich seiner Lebensbedürfnisse auch eine Anpassung an inländische Verhältnisse selbst in bescheidener Form anzunehmen sei. Der Beschwerdeführer habe selbst angegeben, dass der Adoptivvater zudem auch Unterhaltsbeiträge an seine in Bangladesch lebende Restfamilie leiste, welche laut Adoptionsvertrag zumindest aus einer Gattin und zwei leiblichen Töchtern bestehe. Im Hinblick auf die von diesem aufzuwendenden pekuniären Beträge für seinen Lebensunterhalt und die Unterstützung seiner Familie sei daher die behauptete monatliche Zahlung von EUR 600,-- als nicht zutreffend zu erachten. Überdies müsse der Unterhalt durch den österreichischen Elternteil in Regelmäßigkeit und Permanenz gewährt werden, um die Anwendung des Ausnahmetatbestandes des § 1 Abs. 2 lit. l AuslBG zu begründen. Nach den getroffenen Erhebungen sei der Adoptivvater des Beschwerdeführers vom 15. Mai 1996 bis 27. August 2000 in keinem Arbeitsverhältnis gestanden, anschließend sei er bei fünf verschiedenen Arbeitgebern beschäftigt sowie zwischenzeitig arbeitssuchend gemeldet gewesen und sei auch im Arbeitslosengeldbezug gestanden, zuletzt vom 16. April bis 27. April 2003 mit einem Tagsatz von EUR 18,79, was einem Betrag von monatlich EUR 573,70 entspreche. Es sei daher auch keine fortgesetzte und regelmäßige Unterhaltsgewährung gesichert. Nach dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens könne der Adoptivvater dem Beschwerdeführer aufgrund seiner persönlichen Verhältnisse keine ausreichenden Mittel zur Bestreitung des wesentlichen Teiles seines Lebensunterhaltes zuwenden, weshalb der Ausnahmetatbestand des § 1 Abs. 2 lit. l AuslBG nicht gegeben sei. Daher komme auch die Ausstellung einer Bestätigung gemäß § 3 Abs. 8 AuslBG nicht in Frage.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt, und legte die Verwaltungsakten vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 3 Abs. 8 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes, BGBl. Nr. 218/1975, in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 126/2002, ist Familienangehörigen gemäß § 1 Abs. 2 lit. l leg. cit. auf deren Antrag von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice eine Bestätigung auszustellen, dass sie vom Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes ausgenommen sind.
Gemäß § 1 Abs. 2 lit. l AuslBG sind die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes nicht anzuwenden auf EWR-Bürger, drittstaatsangehörige Ehegatten eines österreichischen Staatsbürgers oder eines anderen EWR-Bürgers sowie drittstaatsangehörige Kinder eines österreichischen Staatsbürgers oder eines anderen EWR-Bürgers (einschließlich Adoptiv- und Stiefkinder), die noch nicht 21 Jahre als sind oder denen der österreichische Staatsbürger bzw. der EWR-Bürger Unterhalt gewährt, sofern der Ehegatte bzw. das Kind zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt sind (Unterstreichungen durch den Verwaltungsgerichtshof).
Der Beschwerdeführer ist Adoptivsohn eines österreichischen Staatsbürgers und zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt. Unstrittig ist, dass der Beschwerdeführer das 21. Lebensjahr überschritten hat (geboren 1970).
Die belangte Behörde ist zutreffend davon ausgegangen, dass es bei Beurteilung des Vorliegens des Ausnahmetatbestandes des § 1 Abs. 2 lit. l AuslBG auf die tatsächliche Unterhaltsleistung ankommt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat dargelegt, dass als Untergrenze für eine ausreichende Unterhaltsgewährung gemäß § 1 Abs. 2 lit. l AuslBG "eine fortgesetzte und regelmäßige Leistung in einem Umfang zu verlangen ist, der es ermöglicht, den wesentlichen Teil des Lebensunterhaltes zu decken" (vgl. das hg. Erkenntnis vom 1. Juli 1998, Zl. 98/09/0048). Der Ausgleichszulagenrichtsatz kann nur als Anhaltspunkt, nicht aber als bindende Grenze für diese in jedem Einzelfall zu treffende Beurteilung sein. Es ist auf die tatsächliche Situation abzustellen (vgl. dazu das im vorgenannten Erkenntnis Zl. 98/09/0048 zitierte Urteil des EuGH vom 18. Juni 1987 in der Rechtssache CPAS Courcelles/Lebon, C-316/85, Slg. 1987, 2832, RNr. 22).
Unbestritten ist, dass der Beschwerdeführer mit seinem Adoptivvater nicht im gemeinsamen Haushalt lebt. Da es bei Beurteilung des Ausnahmetatbestandes des § 1 Abs. 2 lit. l AuslBG auf die tatsächliche Unterhaltsleistung und nicht auf eine allenfalls nach Privatrecht festzusetzende Unterhaltsverpflichtung ankommt, muss in einem Fall nach § 1 Abs. 2 lit. l AuslBG eine Unterhaltsleistung nicht zwingend in Geld bestehen. Zwar hat die belangte Behörde in diesem Zusammenhang zutreffend erkannt, dass im Falle einer reinen Geldalimentation die Höhe des jeweiligen Ausgleichszulagenrichtsatzes (im gegenständlichen Fall EUR 643,54) als Orientierungshilfe anzusehen ist, sie hat jedoch ihren Bescheid aus nachstehenden Erwägungen mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet:
Die belangte Behörde vertrat die Auffassung der Behauptung des Beschwerdeführers, sein Adoptivvater erziele als Zeitungskolporteur einen Nebenverdienst, sei die Glaubwürdigkeit abzusprechen, weil eine solche Nebenbeschäftigung aus den von der Behörde eingeholten Datenauszügen des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger nicht hervorgehe. Weiters hielt sie dem Beschwerdeführer entgegen, die Regelmäßigkeit der Unterhaltsleistung sei im Hinblick auf die sich aus den Datenauszügen des Hauptverbandes der Österreichischen Sozialversicherungsträger ergebenden Zeiten der Arbeitslosigkeit des Adoptivvaters bzw. des Bezuges des Arbeitslosengeldes durch diesen nicht anzunehmen gewesen. Die von der belangten Behörde amtswegig eingeholten und als entscheidungswesentlich eingestuften Datenauszüge des Hauptverbandes der Österreichischen Sozialversicherungsträger wurden aber dem Beschwerdeführer niemals im Verfahren gemäß § 45 Abs. 3 AVG vorgehalten; ihm wurde keine Gelegenheit zur Stellungnahme zu diesen Beweisergebnissen gegeben. Die persönlichen Lebensumstände sowohl des Beschwerdeführers als auch seines Adoptivvaters wurden von der belangten Behörde lediglich aufgrund dieser Datenauszüge angenommen, konkrete Erhebungen darüber sind nicht erfolgt. Dadurch, dass die belangte Behörde ihrem Bescheid ohne weitere Beweisergebnisse, etwa durch Einvernahme des Beschwerdeführers und seines österreichischen Adoptivvaters die genannten Annahmen zu Grunde gelegt hat, ohne diese der Partei zuvor zur Kenntnis zu bringen, hat sie den in § 45 Abs. 3 AVG verankerten Grundsatz des Parteiengehörs bzw. des diesem innewohnenden "Überraschungsverbotes" verletzt. Insofern die Beschwerde daher rügt, die behaupteten konkreten Lebensumstände der Beteiligten seien von der Behörde unbeachtet geblieben, trifft dies zu.
Da nicht gesagt werden kann, dass die Behörde bei Vermeidung des aufgezeigten Verfahrensmangels nicht zu einem anderen, für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 17. November 2004
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2003090102.X00Im RIS seit
10.12.2004Zuletzt aktualisiert am
21.11.2011