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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §58 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der S-Gesellschaft m.b.H. in L, vertreten durch die Saxinger Chalupsky Weber & Partner Rechtsanwälte GesmbH in 4020 Linz, Europaplatz 7, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 27. August 2002, Zl. SV(SanR)-410966/1-2002-Scl/May, betreffend Beitragsnachverrechnung gemäß § 53a ASVG (mitbeteiligte Partei:
Oberösterreichische Gebietskrankenkasse, 4021 Linz, Gruberstraße 77), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Den von der belangten Behörde vorgelegten Aktenteilen (die letztgenannten weder durchnummeriert oder sonst in erkennbarer Weise zusammengefasst und auch nicht mit einem Inhaltsverzeichnis versehen, sodass deren Vollständigkeit nicht beurteilt werden kann) kann folgendes Verwaltungsgeschehen entnommen werden:
Mit Bescheid vom 14. März 2002 hat die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse die beschwerdeführende Gesellschaft verpflichtet, für alle bei ihr "gemäß § 5 Abs. 2 ASVG geringfügig beschäftigten Personen ('Feldinterviewer'), sofern die Summe der monatlichen allgemeinen Beitragsgrundlagen dieser Personen das Eineinhalbfache der Geringfügigkeitsgrenze überschreitet, den Pauschalbetrag in der Höhe von 16,4 % (Pauschalbetrag in der Kranken- und Pensionsversicherung) zu entrichten. Daraus ergibt sich für das Kalenderjahr 2000 ein Dienstgeberbeitrag von EUR 52.949,33 und für das Kalenderjahr 2001 ein Dienstgeberbeitrag von EUR 45.397,32."
Dieser Bescheid wurde damit begründet, dass die beschwerdeführende Partei laut ihren Meldungen "einen Dienstgeberpauschalbeitrag gemäß § 53a Abs. 1 Z. 2 ASVG verrechnet" habe, weil sie Dienstnehmer mit einem geringfügigen Entgelt im Sinne des § 5 Abs. 2 ASVG beschäftige, wobei die Summe der monatlichen allgemeinen Beitragsgrundlagen das Eineinhalbfache der Geringfügigkeitsgrenze überschreiten würde. Mit Schreiben vom 8. Februar 2002 habe die Beschwerdeführerin hinsichtlich der Entrichtung des pauschalierten Dienstgeberbeitrages für die Kalenderjahre 2000 und 2001 um Ausstellung eines Bescheides ersucht. Nach Wiedergabe der Bestimmungen des § 53a Abs. 1 Z. 2 und Abs. 2 ASVG und unter Hinweis auf den hinsichtlich § 53a ASVG ergangenen Prüfungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 27. Juni 2001, B 1271/99, vertrat die mitbeteiligte Partei die Auffassung, dass die Beschwerdeführerin mangels Aufhebung des § 53a ASVG als verfassungswidrig und somit auf Grund der geltenden Gesetzeslage "den Dienstgeberpauschalbetrag gemäß § 53 Abs. 1 Z. 2 ASVG zu Recht entrichtet" habe.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Einspruch, dessen Begründung wie folgt lautet:
"1. Verfassungswidrigkeit des Sonderbeitrags für geringfügig Beschäftigte
Mit dem angefochtenen Bescheid unterstellt die Oberösterreichische Gebietskrankenkasse das Vorliegen einer Pflichtversicherung nach ASVG und bei Vorliegen einer geringfügigen Beschäftigung die Pflicht des Dienstgebers zur Leistung eines Sonderbeitrags gemäß § 53a ASVG. Im Hinblick auf die vom Verfassungsgerichtshof im Einleitungsbeschluss vom 27. 6. 2001 zu B 1271/99 aufgezeigte Verfassungswidrigkeit des § 53a ASVG verstoßen die von der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse unter Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes getroffenen Feststellungen der Beitragspflicht sowie die bescheidmäßige Vorschreibung dieses Sonderbeitrags gegen den Gleichheitssatz, das Grundrecht auf Erwerbsfreiheit.
Ungeachtet der in parallel zu diesem Verfahren laufenden Einspruchsverfahren zu prüfenden Frage, ob für einzelne Rechtsverhältnisse überhaupt eine Pflichtversicherung nach ASVG vorliegt, darf der Sonderbeitrag gemäß § 53a ASVG auf Grund der Verfassungswidrigkeit dieser Bestimmung nicht vorgeschrieben werden."
Daran schloss sich der Antrag der Beschwerdeführerin, den erstinstanzlichen Bescheid aufzuheben.
Die mitbeteiligte Partei legte diesen Einspruch der belangten Behörde mit dem Antrag vor, sie möge "den Kassenbescheid vom 14.3.2002 vollinhaltlich bestätigen und den Einspruch als rechtlich unbegründet abweisen".
Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid gab die belangte Behörde dem Einspruch keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid. Nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und der von ihr angewendeten gesetzlichen Bestimmungen verwies die belangte Behörde auf das (mittlerweile ergangene) Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 7. März 2002, G 219/01, womit mehrere Teile in § 53a ASVG unter Fristsetzung bis 31. März 2003 aufgehoben worden waren. Unter Hinweis auf Art. 140 Abs. 7 B-VG betonte die belangte Behörde, dass sie die Regelungen des § 53a ASVG weiterhin anzuwenden habe und die Vorschreibung der pauschalierten Dienstgeberbeiträge für die Kalenderjahre 2000 und 2001 "somit zu Recht" erfolgt sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte Verwaltungsakten mit dem eingangs geschilderten äußeren Erscheinungsbild vor und erstattete - ebenso wie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse - eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Die Beschwerdeführerin hat auf diese Gegenschriften repliziert.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Soweit die Beschwerde argumentiert, die vom Verfassungsgerichtshof gesetzte Frist für die Aufhebung des § 53a ASVG führe "im Ergebnis zu einer unbilligen Schlechterstellung" der Beschwerdeführerin, ist sie auf Art. 140 Abs. 7 zweiter Satz B-VG zu verweisen. Eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides wird mit diesem Vorbringen nicht aufgezeigt.
Die beschwerdeführende Partei rügt jedoch auch, dass die belangte Behörde nicht auf die Frage eingegangen sei, ob es sich bei allen Beschäftigten, deren geringfügiges Entgelt in der beitragspflichtigen Lohnsumme zusammengefasst wurde, um Versicherte insbesondere nach § 4 Abs. 4 ASVG handle (und nicht um "neue Selbständige" im Sinne des § 2 Abs. 1 Z. 4 GSVG).
Dazu erwidert die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift, dass die Beschwerdeführerin im Einspruch kein Vorbringen in diese Richtung erstattet habe. Sie habe "nie konkret behauptet, dass die Rechtsverhältnisse mit ihren 'Feldinterviewern' ihrer Ansicht nach nicht dem Anwendungsbereich des ASVG" unterlägen. Die belangte Behörde sei daher nicht verpflichtet gewesen, das gegenständliche Verfahren auszusetzen bzw. die Frage der rechtlichen Qualifikation der "Feldinterviewer" als Vorfrage zu beurteilen.
Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse behauptet in ihrer Gegenschrift, sie habe nur hinsichtlich jener Beschäftigten die Beitragspflicht festgestellt, welche die beschwerdeführende Gesellschaft selbst zur Sozialversicherung nach dem ASVG gemeldet habe. Dies bestreitet die beschwerdeführende Partei in einer Gegenäußerung.
Die beschwerdeführende Partei ist mit ihrer Verfahrensrüge im Ergebnis im Recht:
Voraussetzung der Beitragspflicht im Sinne des § 53a Abs. 1 Z. 2 ASVG in der hier noch anzuwendenden (mittlerweile vom Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 7. März 2002, G 219/01, aufgehobenen) Fassung ist, dass es sich um die beim Dienstgeber "gemäß § 5 Abs. 2 beschäftigten Personen" handelt.
Gemäß § 5 Abs. 2 ASVG gilt ein Beschäftigungsverhältnis unter in dieser Bestimmung näher geregelten Voraussetzungen als geringfügig. Gemäß § 5 Abs. 1 Z. 2 ASVG versteht man unter geringfügig beschäftigten Personen Dienstnehmer "und ihnen gemäß § 4 Abs. 4 gleichgestellte Personen", wenn das ihnen aus einem oder mehreren Beschäftigungsverhältnissen im Kalendermonat gebührende Entgelt den Betrag nach § 5 Abs. 2 ASVG nicht übersteigt.
Die Beitragspflicht für Dienstgeber geringfügig Beschäftigter besteht daher nach § 53a ASVG nur unter zwei Vorausssetzungen: Es muss sich um geringfügig entlohnte Versicherte im Sinne des § 4 Abs. 1 Z. 1 iVm Abs. 2 ASVG oder nach § 4 Abs. 4 ASVG iVm § 5 Abs. 2 ASVG handeln und die Summe der an diesen Personenkreis von diesem Dienstgeber bezahlten geringfügigen Entgelte muss das Eineinhalbfache der Geringfügigkeitsgrenze überschreiten. Die Frage, ob überhaupt eine geringfügig entlohnte versicherungspflichtige Beschäftigung im Sinne des § 4 Abs. 1 Z. 1 in Verbindung mit Abs. 2 ASVG oder des § 4 Abs. 4 ASVG vorliegt, ist daher eine im Verfahren über die Höhe der Beitragspflicht gemäß § 53a ASVG zu beurteilende Vorfrage im Sinne des § 38 AVG.
Soweit die Beurteilung der Vorfrage Teil der Begründung des Bescheides zu sein hat, unterliegt sie den allgemeinen Regeln für die Anforderungen an diese Begründung, dh. dass die Bescheidbegründung auf jede strittige Sachfrage und Rechtsfrage von Relevanz einzugehen hat (vgl. zB die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I, § 60 AVG, unter E 23 zitierte Entscheidung). Das Ausmaß der Begründungspflicht wird nämlich nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes durch das von der Rechtsordnung anerkannte Rechtsschutzinteresse der Partei bestimmt und reicht nicht weiter als dieses (Walter/Thienel, aaO, E 35f).
Es trifft daher zwar zu, dass die belangte Behörde nicht verpflichtet gewesen wäre, die Frage der Versicherungspflicht der von der Beschwerdeführerin geringfügig entlohnten Beschäftigten als Vorfrage ausdrücklich zu behandeln, wenn sie diese mit Recht als unstrittig ansehen durfte. Die belangte Behörde hat jedoch weder festgestellt, dass diese Frage zwischen der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse und der Beschwerdeführerin nicht strittig ist, noch dass etwa über diese Frage bereits eine bindende Hauptfragenentscheidung vorläge. Sie hat sie vielmehr mit Stillschweigen übergangen.
Sie durfte diese Frage vor allem aber deshalb nicht für unstrittig halten, weil die beschwerdeführende Partei in ihrem Einspruch - wenn auch in einer gerade noch erkennbaren Weise - auf die parallel (offenbar gemeint: von der belangten Behörde) geführten Einspruchsverfahren verwiesen hat, in welchen über die Frage (als Hauptfrage) entschieden werden sollte, "ob für einzelne Rechtsverhältnisse überhaupt eine Pflichtversicherung nach ASVG vorliegt".
Die belangte Behörde hätte daher die Frage der Versicherungspflicht der bei der beschwerdeführenden Partei beschäftigten Personen, deren Entgelt in die beitragspflichtige Lohnsumme im Sinne des § 53a ASVG einbezogen wurde, - soweit sich diese bei näherer Betrachtung als strittig erwiesen hätte - in der Begründung ihres Bescheides als Vorfrage beurteilen oder das Verfahren gemäß § 38 AVG bis zur Entscheidung der strittigen Vorfrage als Hauptfrage aussetzen müssen.
Zu keinem anderen Ergebnis führt die Berücksichtigung der im verwaltungsgerichtlichen Vorverfahren zwischen der beschwerdeführenden und der mitbeteiligten Partei aufgetretenen Meinungsverschiedenheit zu der Frage, ob seitens der Mitbeteiligten (ohnehin) nur für jene Personen ein Dienstgeberbeitrag vorgeschrieben worden sei, welche die Beschwerdeführerin selbst der Gebietskrankenkasse als versicherungspflichtig gemeldet habe. Eine solche (zB zur Vermeidung von Meldeverstößen vorsichtsweise erstattete) Meldung schließt es nämlich nicht aus, dass dem Dienstgeber auch in solchen Fällen ein Rechtsschutzinteresse daran zuzubilligen ist, die Frage der Versicherungspflicht (dh. ob die Meldung zu Recht erstattet und der Beitrag zu Recht vorgeschrieben wurde) in einem Verwaltungsverfahren hinsichtlich der Beitragspflicht als Vorfrage geklärt zu wissen.
Der angefochtene Bescheid erweist sich daher auf Grund des Übergehens der Frage der Versicherungspflicht des betroffenen Personenkreises mit einem Begründungsmangel behaftet, der es ausschließt, ihn auf seine inhaltliche Rechtmäßigkeit hinsichtlich der aufgezeigten Vorfrage zu überprüfen; er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Im Hinblick auf die auch vor dem Verwaltungsgerichtshof geltende Gebührenfreiheit, war das Begehren auf Ersatz der Beschwerdegebühr gemäß § 110 ASVG abzuweisen.
Wien, am 17. November 2004
Schlagworte
Begründung AllgemeinEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2002080241.X00Im RIS seit
17.01.2005