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62 Arbeitsmarktverwaltung;Norm
AlVG 1977 §10 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Strohmayer, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des Ing. C in W, vertreten durch Dr. Gerhard Hiebler, Rechtsanwalt in 8700 Leoben, Hauptplatz 12/II, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitmarktservice Steiermark vom 13. März 2002, Zl. LGS600/ALV/1218/2002-Mag.Enn/Kö, betreffend Notstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Am 30. Jänner 2002 hat der Beschwerdeführer vor dem Arbeitsmarktservice Mürzzuschlag zum Vorhalt betreffend das Nichtzustandekommen eines Beschäftigungsverhältnisses Folgendes angegeben:
"Ich hätte bei der Leasingfirma anfangen können u. mußte auf Abruf bereit sein. Leider wußte ich keinen genauen Tag. Die Firma hat mehrmals versucht, mich tel. zu erreichen, doch ich bekam erst am Montag von meiner Mutter ausgerichtet, daß ich am 17.12.(2001) (= Montag) hätte anfangen müssen. Zur Firma bin ich hingefahren, doch da ich am Vortag länger unterwegs war und auch einiges getrunken hatte, sagte mir der Vorarbeiter, da ich zu spät dran bin und eine Fahne habe, kann ich gleich heimgehen. Die Stelle bei der Fa. M. habe ich selbst gesucht; ich sehe nicht ein, eine Sperre zu bekommen, weil ich selbst aktiv war. Hätte ich nichts getan, gäbe es keine Sperre."
Mit Bescheid vom 20. Februar 2002 sprach das Arbeitsmarktservice Mürzzuschlag aus, dass der Beschwerdeführer gemäß § 10 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 (AlVG) für die Zeit vom 17. Dezember 2001 bis zum 27. Jänner 2002 den Anspruch auf Arbeitslosengeld verloren habe. Eine Nachsicht werde nicht erteilt. Der Beschwerdeführer habe die Arbeit bei der Firma M. nicht ordnungsgemäß aufgenommen.
In der dagegen erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, der Vorarbeiter der Firma M. habe ihn auf Grund der Vermutung, er "wäre angetrunken", für arbeitsunfähig befunden, obwohl er zu diesem Zeitpunkt "voll arbeitsfähig, nüchtern und arbeitswillig" gewesen sei.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung mit folgender tragender Begründung keine Folge gegeben:
"Mit Ihrem Verhalten, der verspätete Arbeitsantritt und Ihrem sonstigen Auftreten haben Sie den Vorarbeiter dazu veranlasst sie nicht einzustellen."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Arbeitswillig ist nach § 9 Abs. 1 erster bzw. vierter Fall AlVG u.a., wer bereit ist, eine durch die regionale Geschäftsstelle vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder von einer sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit Gebrauch zu machen. Wenn sich der Arbeitslose weigert, eine ihm von der regionalen Geschäftsstelle zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder wenn er die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, so verliert er nach § 10 Abs. 1 AlVG für die Dauer der Weigerung, jedenfalls aber für die Dauer der auf die Weigerung folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld.
Der vierte Fall des § 9 Abs. 1 AlVG ist zwar nicht der ersten Alternative des ersten Falles des § 10 Abs. 1 AlVG (Weigerung, eine von der regionalen Geschäftsstelle zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen) gleichzustellen, es könnte aber die zweite Alternative der zuletzt genannten Gesetzesstelle (wer "die Annahme einer solchen" - d.h. sich bietenden und zumutbaren, nicht aber notwendigerweise von der regionalen Geschäftsstelle zugewiesenen - "Beschäftigung vereitelt") erfüllt sein (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Juni 1990, Zl. 90/08/0084). Somit führt auch das Fehlen der Bereitschaft, von einer gemäß § 9 Abs. 2 AlVG zumutbaren, sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit iSd § 9 Abs. 1 vierter Fall AlVG Gebrauch zu machen, nach § 10 Abs. 1 AlVG zum Verlust des Arbeitslosengeldes in der Dauer von mindestens sechs Wochen.
§§ 9 und 10 AlVG sind gemäß § 38 AlVG auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.
Das Nichtzustandekommen eines den Zustand der Arbeitslosigkeit beendenden (zumutbaren) Beschäftigungsverhältnisses kann vom Arbeitslosen (sieht man vom Fall der Weigerung, eine angebotene oder sonst sich bietende Beschäftigung anzunehmen, ab) auf zwei Wegen verschuldet (d.h. dessen Zustandekommen vereitelt) werden: nämlich dadurch, dass der Arbeitslose ein auf die Erlangung des Arbeitsplatzes ausgerichtetes Handeln erst gar nicht entfaltet (zB Unterlassung der Vereinbarung eines Vorstellungstermines, Nichtantritt der Arbeit) oder aber, dass er den Erfolg seiner (nach außen zu Tage getretenen) Bemühungen durch ein Verhalten, welches nach allgemeiner Erfahrung geeignet ist, den potentiellen Dienstgeber von der Einstellung des Arbeitslosen abzubringen, zunichte macht. Unter einer "Vereitelung" im Sinne des § 10 Abs. 1 AlVG ist ein auf das zugewiesene (bzw. sonst sich bietende) Beschäftigungsverhältnis bezogenes Verhalten des Arbeitslosen zu verstehen, das das Nichtzustandekommen dieses zumutbaren Beschäftigungsverhältnisses herbeiführt; das Nichtzustandekommen muss in einem darauf gerichteten oder dieses zumindest in Kauf nehmenden Verhalten des Arbeitslosen seinen Grund haben (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Februar 2000, Zl. 95/08/0329, mwN).
Der Beschwerdeführer bringt vor, der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig, weil nicht § 10, sondern allenfalls § 11 AlVG anzuwenden gewesen wäre. Er habe das Dienstverhältnis tatsächlich angetreten und einen halben Tag lang gearbeitet.
Diese Frage (vgl. zu ihr das hg. Erkenntnis vom 15. Mai 2002, Zl. 2002/08/0040) kann auf sich beruhen, weil der angefochtene Bescheid unter einem von Amts wegen aufzugreifenden Feststellungsmangel leidet.
Der Beschwerdeführer hat im Verwaltungsverfahren vorgebracht, dass er von seiner Mutter erst zu Beginn des Tages des Arbeitsantritts (Montag, 17. Dezember 2001) vom Arbeitsbeginn erfahren habe. Da er am Vortag länger unterwegs gewesen sei und auch einiges getrunken gehabt habe, habe ihm der Vorarbeiter gesagt, dass er "zu spät dran" sei und "eine Fahne habe". Er sei aber zu diesem Zeitpunkt arbeitsfähig (nüchtern) gewesen.
Der Beschwerdeführer war auch dann, wenn er von einem potentiellen Arbeitgeber "in Evidenz" gehalten wird, wie die belangte Behörde festgestellt hat, keineswegs verpflichtet, sich "auf Abruf" bereit zu halten. Träfen also seine Behauptungen zu, er sei (erstens) zwar noch am Tage der Anforderung durch das Unternehmen, allerdings nicht rechtzeitig zum gewünschten Arbeitsbeginn von seiner Mutter hievon verständigt worden (sodass er ohne sein Verschulden zu spät am Arbeitsplatz eingetroffen ist) und dass (zweitens) seine "Alkoholfahne" noch vom Vortag herrührte (an dem er demgemäß - und anders als bei einem geplanten Arbeitsbeginn oder Vorstellungsgespräch - noch nicht wissen konnte, dass er am nächsten Tag zum Arbeitsantritt aufgefordert werden würde), dann könnte ihm am Nichtzustandekommen der Beschäftigung kein schuldhaftes Verhalten angelastet werden, welches den Tatbestand der Vereitelung erfüllen würde.
Da die belangte Behörde die rechtliche Relevanz des Vorbringens des Beschwerdeführers verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 17. November 2004
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2002080131.X00Im RIS seit
31.12.2004Zuletzt aktualisiert am
17.11.2010