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62 Arbeitsmarktverwaltung;Norm
AlVG 1977 §1 Abs1 lita;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des Arbeitsmarktservice Niederösterreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17-19, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 6. Dezember 2001, Zl. GS8-9586/2-2001, betreffend Feststellung der Formalversicherung in der Arbeitslosenversicherung (mitbeteiligte Parteien: 1. Reitverein, vertreten durch C in W, 2. C, w.o.), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird in "Teil B" seines Spruches wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Einspruchsbescheid der belangten Behörde vom 6. Dezember 2001 wurde in Abänderung des erstinstanzlichen Bescheides der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse in "Teil A" des (dreigliedrigen) Spruchs festgestellt, dass für die Zweitmitbeteiligte als "Obfrau und Projektleiterin" des erstmitbeteiligten Vereins ab 1. Mai 1997 bis 6. Juli 2000 eine Formalversicherung "in der Pflichtversicherung der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung nach dem ASVG" bestehe, in "Teil B", dass für die Zweitmitbeteiligte ab 1. Mai 1997 bis einschließlich 6. Juli 2000 "eine Formalversicherung in der Pflichtversicherung der Arbeitslosenversicherung" bestehe, sowie in "Teil C", dass die Zweitmitbeteiligte auf Grund ihrer Tätigkeit "als Obfrau und Projektleiterin" des erstmitbeteiligten Vereins seit 1. Mai 1997 nicht der Voll-(Kranken-, Unfall-, Pensions-) und Arbeitslosenversicherungspflicht als Dienstnehmerin unterliege.
Zum (allein strittigen) Abspruch unter "Teil B" über das Bestehen einer "Formalversicherung in der Pflichtversicherung der Arbeitslosenversicherung" vom 1. Mai 1997 bis 6. Juli 2000 bezieht sich die belangte Behörde in der Begründung zunächst auf die festgestellte Formalversicherung im Sinne des § 21 ASVG und auf zwei "Leitentscheidungen", nämlich SVSlg. 26.934 (Bescheid des Bundesministers für soziale Verwaltung) sowie SVSlg. 30967 (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes), in denen ausgesprochen worden sei, dass eine "bloße Formalversicherung ... die Arbeitslosenversicherungspflicht nicht zu begründen" vermöchte.
Die belangte Behörde erklärt in der Begründung ihrer Entscheidung, diese Rechtsauffassung nicht zu teilen. Es sei vor allem nicht nachvollziehbar,
"warum bei beiden Entscheidungen Ausgangspunkt der juristischen Argumentation nicht § 21 ASVG war, sondern in der Entscheidung des BMSV § 1 des alten AlVG und in der Entscheidung des VwGH die §§ 1 und 2 ASVG".
Es würden "nach derzeit geltendem Recht ... offenkundig leges speciales zu § 2 ASVG in Gestalt des § 45 AlVG 1977 und des § 5 AMPFG" existieren. Da gemäß § 21 Abs. 3 ASVG die Formalversicherung "in allen in Betracht kommenden Versicherungen die gleichen Rechtswirkungen wie die Pflichtversicherung" habe, sei "die Formalversicherung auch in der Arbeitslosenversicherung beim gegebenen Sachverhalt zwingend". Nach Hinweisen auf § 45 AlVG, § 5 Abs. 1 AMPFG, § 69 Abs. 2 erster Satz ASVG und Überlegungen zur "Anwendung der systematisch-logischen Auslegung", der "historischen Auslegung", der "objektiv-teleologischen Auslegung" sowie der "verfassungskonformen Interpretation, welche von der Natur der Sache ausgeht", kommt die belangte Behörde zum Schluss, man werde "kaum begründen können, warum im Bereich der Arbeitslosenversicherung keine Formalversicherung möglich sein soll, im Bereich der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung, allenfalls noch weiteren Sozialversicherungen, hingegen schon".
Gegen diesen "Teil B" des angefochtenen Bescheides richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice, in der im Wesentlichen unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. September 1985, Zl. 82/08/0071 (SVSlg. 26.934), die Auffassung vertreten wird, dass für die Zweitmitbeteiligte ab 1. Mai 1997 bis einschließlich 6. Juli 2000 "keine Formalversicherung in der Pflichtversicherung der Arbeitslosenversicherung" bestehe.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 1 Abs. 1 lit. a AlVG sind für den Fall der Arbeitslosigkeit versichert (arbeitslosenversichert) unter anderem
"a) Dienstnehmer, die bei einem oder mehreren Dienstgebern beschäftigt sind ... soweit sie in der Krankenversicherung auf Grund gesetzlicher Vorschriften pflichtversichert sind oder Anspruch auf Leistungen einer Krankenfürsorgeanstalt haben und nicht nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen versicherungsfrei sind".
Die im § 1 Abs. 2 AlVG genannten Ausnahmen von der Versicherungspflicht treffen im Beschwerdefall unstrittig nicht zu.
§ 21 Abs. 1 und 3 ASVG lauten:
"§ 21. (1) Hat ein Versicherungsträger bei einer nicht der Pflichtversicherung nach diesem oder einem anderen Bundesgesetz unterliegenden Person auf Grund der bei ihm vorbehaltlos erstatteten, nicht vorsätzlich unrichtigen Anmeldung den Bestand der Pflichtversicherung als gegeben angesehen und für den vermeintlichen Pflichtversicherten drei Monate ununterbrochen die Beiträge unbeanstandet angenommen, so besteht ab dem Zeitpunkt, für den erstmals die Beiträge entrichtet worden sind, eine Formalversicherung.
...
(3) Die Formalversicherung hat in allen in Betracht kommenden Versicherungen die gleichen Rechtswirkungen wie die Pflichtversicherung."
Der dem § 21 Abs. 3 ASVG von der belangten Behörde beigelegte Inhalt kommt dieser Norm nicht zu: Die belangte Behörde übersieht zunächst, dass diese Norm zwar den Inhalt hat, dass einer bestehenden Formalversicherung im Sinne des § 21 Abs. 1 ASVG die Rechtswirkungen einer Pflichtversicherung zugeordnet werden, nicht jedoch, dass sie für sich die Formalversicherung in anderen Zweigen der gesetzlichen Sozialversicherung selbst begründen könnte. Mit dieser Bestimmung soll vielmehr zum Ausdruck gebracht werden, dass immer dann, wenn ein Gesetz, welches die "in Betracht kommenden Versicherungen" regelt, an die Pflichtversicherung anknüpft, für diese Anknüpfung eine Formalversicherung gemäß § 21 Abs. 1 ASVG einer entsprechenden Pflichtversicherung (in der Kranken-, Unfall- oder Pensionsversicherung) gleichzuhalten ist.
Das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 enthält aber keine dem § 21 Abs. 1 ASVG vergleichbare Regelung über die Formalversicherung, wie die belangte Behörde nicht in Zweifel zieht. Schon deshalb ist ihr Ausspruch zu "Teil B" des angefochtenen Bescheides rechtswidrig.
Die Argumentation der belangten Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides könnte aber auch so zu verstehen sein, dass sie meint, das Bestehen einer Formalversicherung in der Krankenversicherung führe wie eine Pflichtversicherung auch zur Pflichtversicherung in der Arbeitslosenversicherung; aber auch dies trifft nicht zu:
Die belangte Behörde - sollte ihre Argumentation in diesem Sinne zu verstehen sein - übersähe dann vor allem, dass nicht nur das Bestehen einer Krankenversicherung für das Bestehen der Arbeitslosenversicherung essenziell, sondern dass in § 1 Abs. 1 lit. a AlVG eine zweite Voraussetzung normiert ist, nämlich die Beschäftigung bei einem oder mehreren Dienstgebern als Dienstnehmer. Nun hat aber die belangte Behörde in "Teil C" des angefochtenen Bescheides ausgesprochen und auf vielen Seiten der Begründung des angefochtenen Bescheides dargetan, dass die Zweitmitbeteiligte nicht Dienstnehmerin der erstmitbeteiligten Partei ist und daher seit 1. Mai 1997 nicht der Vollversicherung als Dienstnehmerin unterliegt. Eine Pflichtversicherung nach § 1 Abs. 1 lit. a AlVG kommt somit auch dann nicht in Betracht, wenn zwar Formalversicherung gemäß § 21 Abs. 1 ASVG besteht (und damit gemäß § 21 Abs. 3 ASVG eine Krankenversicherung vorliegt), hingegen das weitere Merkmal einer Beschäftigung als Dienstnehmer fehlt.
Die Rechtsauffassung der belangten Behörde erweist sich daher als in jeder Hinsicht verfehlt.
Der angefochtene Bescheid war daher im angefochtenen Umfang wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 17. November 2004
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2002080068.X00Im RIS seit
17.01.2005Zuletzt aktualisiert am
07.10.2008