Index
62 Arbeitsmarktverwaltung;Norm
AlVG 1977 §10 Abs1 idF 1996/201;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Riedinger, Dr. Holeschofsky, Dr. Beck und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schlegel-Lanz, über die Beschwerde des AR in I, vertreten durch Dr. Eva Posch, Rechtsanwältin in 6020 Innsbruck, Salurner Straße 15, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Tirol vom 25. April 2000, Zl. LGSTi/V/1216/5342 05 07 48-702/2000, betreffend Notstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 25. April 2000 sprach die belangte Behörde gemäß § 38 in Verbindung mit § 10 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 (AlVG) den Verlust des Anspruches des Beschwerdeführers auf Notstandshilfe aus und begründete diese Entscheidung damit, dass dem Beschwerdeführer von der Behörde erster Instanz am 22. Februar 2000 der Auftrag erteilt worden sei, an der Maßnahme "Arbeitsbeschaffungsprojekt für Arbeitslose ab 40" zur Wiedereingliederung bei dem am 6. März 2000 beginnenden vierwöchigen ganztägigen Seminar "Initiative 40" teilzunehmen. Zwei Tage nach Beginn dieses Seminars sei er von der Teilnahme an diesem ausgeschlossen worden, weil er sich laut Stellungnahme der erstinstanzlichen Behörde nicht in den "Kurs integrieren habe lassen und sich nur zwangsverpflichtet gefühlt habe". So habe er sich täglich dahin gehend geäußert, dass er studieren würde und daher für die Arbeit keine Zeit hätte. Seit März 1995 sei der Beschwerdeführer als arbeitslos gemeldet und habe man bereits mehrfach versucht, ihn durch Schulungsmaßnahmen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, wobei bisher auf allfällige "Sanktionen" verzichtet worden sei. Auf Grund des Verhaltens des Beschwerdeführers und der Vereitelung der Kursteilnahme sei die gegenständliche Maßnahme zu ergreifen gewesen. Der Beschwerdeführer könne sich auch nicht auf die Teilnahme an dem Projekt "Coaching für Akademiker" berufen, weil diese Veranstaltung seine Anwesenheit lediglich an einigen wenigen Terminen in zeitlichen Abständen von ca. einer Woche erfordert habe. Der Beschwerdeführer wäre verpflichtet gewesen, sich aktiv in den Kurs "Initiative 40 einzubinden". Er habe aber durch diverse "Aktionen", wie beispielsweise das Austauschen seines Namenschildes gegen ein automationsunterstützt gestaltetes Schild mit der Aufschrift "Ausländerhass, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung sind Gründe für die Arbeitslosigkeit" von vornherein jegliche Zusammenarbeit mit den Kursleitern verweigert und das Seminar durch sein Verhalten gestört. Weiters habe man den Beschwerdeführer auch darüber informiert, dass die "Initiative 40" auf Grund der "Schulungsstruktur" und der "Schulungsinhalte" für ihn gegenüber dem zeitlich bei weitem weniger aufwändigen "Bewerbungscoaching für Akademiker" Priorität habe. Da seine Teilnahme am "Akademikercoaching" nicht geeignet gewesen sei, eine Nachsicht gemäß § 10 Abs. 2 AlVG zu rechtfertigen und der Beschwerdeführer auch sonst mehrfach zu erkennen gegeben habe, dass für ihn sein Zweitstudium gegenüber seiner Eingliederung am Arbeitsmarkt vorrangig sei, sei der Verlust seines Anspruches auf Notstandshilfe gemäß § 10 Abs. 1 AlVG auszusprechen gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Gemäß § 9 Abs. 1 AlVG ist arbeitswillig, wer (unter anderem) bereit ist, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen.
§ 10 AlVG idF BGBl. Nr. 201/1996 hat folgenden Wortlaut:
"1) Wenn der Arbeitslose
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sich weigert, eine ihm von der regionalen Geschäftsstelle zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, oder
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sich ohne wichtigen Grund weigert, einem Auftrag zur Nach(Um)schulung zu entsprechen oder durch sein Verschulden den Erfolg der Nach(Um)schulung vereitelt, oder
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ohne wichtigen Grund die Teilnahme an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt verweigert oder den Erfolg der Maßnahme vereitelt, oder
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auf Aufforderung durch die regionale Geschäftsstelle nicht bereit oder in der Lage ist, ausreichende Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung glaubhaft zu machen,
verliert er für die Dauer der Weigerung, jedenfalls aber für die Dauer der auf die Weigerung folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Liegt im Zeitraum eines Jahres vor dem Beginn eines Anspruchsverlustes bereits ein früherer Anspruchsverlust, so beträgt der im ersten Satz genannte Zeitraum acht Wochen. Die Zeiten des Anspruchsverlustes verlängern sich um die in ihnen liegenden Zeiträume, während derer Krankengeld bezogen wurde.
(2) Der Ausschluss vom Bezug des Arbeitslosengeldes ist in berücksichtigungswürdigen Fällen, wie zB Aufnahme einer anderen Beschäftigung, ganz oder teilweise nachzusehen. Vor dieser Nachsicht sowie vor Erlassung einer Entscheidung gemäß Abs. 1 ist der Regionalbeirat anzuhören."
Diese Bestimmungen sind gemäß § 38 AlVG auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinen Erkenntnissen vom 21. Dezember 1993, Zlen. 93/08/0215-0218, und vom 20. Dezember 1994, Zl. 93/08/0134, zur Nach(Um)schulung Arbeitsloser die Auffassung vertreten, es könne aus den §§ 9 Abs. 1 und 10 Abs. 1 AlVG nicht abgeleitet werden, dass es im freien Belieben des Arbeitsamtes stünde, einem Arbeitslosen (auch einem Langzeitarbeitslosen) entweder eine Arbeitsstelle zu vermitteln oder ihn zu einer Nach- oder Umschulung zuzuweisen. Eine solche Zuweisung vermöge sich insbesondere auch nicht auf die vom Arbeitslosen (auch wiederholt) an den Tag gelegte Arbeitsunwilligkeit, eine ihm durch das Arbeitsamt zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen, zu stützen. Für eine solche Maßnahme sei vielmehr Voraussetzung, dass die Kenntnisse und Fähigkeiten des Arbeitslosen für die Vermittlung einer zumutbaren Beschäftigung nach Lage des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes nicht ausreichend seien. Die Behörde habe diese Voraussetzungen zu ermitteln und das Ergebnis ihres Ermittlungsverfahrens dem Arbeitslosen - unter Hinweis auf die Rechtsfolgen einer Weigerung -
zur Kenntnis zu bringen. Von einer den Verlust des Anspruches auf Arbeitslosengeld nach sich ziehenden ungerechtfertigten Weigerung des Arbeitslosen, an einer ihm zugewiesenen Nach- oder Umschulungsmaßnahme teilzunehmen, könne nur dann gesprochen werden, wenn sie in objektiver Kenntnis des Inhaltes der erforderlichen Nach(Um)schulung und der Zumutbarkeit und Erforderlichkeit einer solchen Maßnahme erfolge.
Diese Subsidiarität gilt nach dem hg. Erkenntnis vom 5. September 1995, Zl. 94/08/0246, und der daran anschließenden ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - angesichts des nach wie vor bestehenden Primates der Erlangung bzw. Vermittlung einer dem Arbeitslosen zumutbaren Beschäftigung durch seine eigenen, von ihm zu entfaltenden Bemühungen oder durch das Arbeitsmarktservice - in entsprechender Weise auch für Maßnahmen zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. Demgemäss liegt eine ungerechtfertigte Weigerung eines Arbeitslosen, an einer solchen Maßnahme teilzunehmen, nur dann vor, wenn es sich überhaupt um eine solche Maßnahme handelt, wenn weiters feststeht, dass die Kenntnisse und Fähigkeiten des Arbeitslosen für die Erlangung bzw. Vermittlung einer zumutbaren Beschäftigung nach Lage des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes nicht ausreichend sind und es deshalb solcher Maßnahmen der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt bedarf, und wenn schließlich das Arbeitsmarktservice das Ergebnis des diesbezüglichen Ermittlungsverfahrens dem Arbeitslosen - unter Hinweis auf die Rechtsfolgen einer Weigerung -
zur Kenntnis gebracht hat und der Arbeitslose dennoch ohne wichtigen Grund die Teilnahme an der Maßnahme ablehnt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. November 2000, Zl. 96/08/0042, mwN).
Der angefochtene Bescheid und die vorgelegten Akten lassen nicht erkennen, dass dem Beschwerdeführer im Sinne der dargestellten Rechtsprechung bestimmte Kenntnisse und Fähigkeiten, die ihm durch die Maßnahme, deren Erfolg er vereitelt haben soll, vermittelt worden wären, gefehlt hätten und ihm das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens hierüber vor den ihm angelasteten Vereitelungshandlungen unter Hinweis auf die Rechtsfolgen eines solchen Verhaltens zur Kenntnis gebracht worden wäre. War dies nicht geschehen, so konnte sich der Beschwerdeführer von Anfang an weigern, an der Wiedereingliederungsmaßnahme teilzunehmen, ohne dass dies die Rechtsfolgen des § 10 Abs. 1 AlVG ausgelöst hätte (vgl. auch dazu das zitierte Erkenntnis vom 5. September 1995, Zl. 94/08/0246). Die Dauer seiner Arbeitslosigkeit (seit März 1995) hätte es wohl erleichtern können, die Notwendigkeit einer Wiedereingliederungsmaßnahme zu begründen, erübrigte die Einhaltung des beschriebenen Verfahrens aber nicht.
Der angefochtene Bescheid war daher schon aus diesen Erwägungen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 19. November 2004
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2000020189.X00Im RIS seit
31.12.2004