TE Vwgh Erkenntnis 2004/11/19 2000/02/0366

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Veröffentlicht am 19.11.2004
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §10 Abs1 idF 1996/201;
AlVG 1977 §9 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Riedinger, Dr. Holeschofsky, Dr. Beck und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schlegel-Lanz, über die Beschwerde des HH in K, vertreten durch Dr. Gerhard Hiebler, Rechtsanwalt in 8700 Leoben, Hauptplatz 12/II, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitmarktservice Steiermark vom 10. November 2000, Zl. LGS600/ALV/1218/2000-Ze/Kö, betreffend Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.172,88 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 22. September 2000 sprach die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice aus, dass der Beschwerdeführer den Anspruch auf Notstandshilfe gemäß § 38 in Verbindung mit § 10 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977, BGBl. Nr. 609/1977 (AlVG) für den Zeitraum vom 29. August 2000 bis 9. Oktober 2000 verloren habe.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, welcher mit dem angefochtenen Bescheid vom 10. November 2000 keine Folge gegeben wurde.

Die belangte Behörde ging in der Begründung des angefochtenen Bescheides im Wesentlichen davon aus, dass der Beschwerdeführer seit 21. November 1994 fast ununterbrochen Arbeitslosengeld und Notstandshilfe beziehe. Da die persönlichen Kenntnisse und Fähigkeiten des Beschwerdeführers zur Vermittlung am Arbeitsmarkt nicht ausreichend seien, sei er angewiesen worden, ab 28. August 2000 an der Wiedereingliederungsmaßnahme Integra (Vorschaltmodul) teilzunehmen. Am ersten Tag dieser Maßnahme seien alle Teilnehmer gebeten worden, einen Fragebogen auszufüllen. Mit diesem habe festgestellt werden sollen, welche persönlichen und gesundheitlichen Probleme der Teilnehmer für eine Arbeitsaufnahme erschwerend wirkten und den erfolgreichen Verlauf der geplanten Maßnahme behindern könnten. Der Beschwerdeführer habe die Angaben aus datenschutzrechtlichen Gründen verweigert und eine Prüfung durch die Arbeiterkammer und das Bundessozialamt angekündigt. Er sei daher in einem Gespräch nochmals auf die Notwendigkeit der Angaben aufmerksam gemacht worden, insbesondere darauf, dass nur dadurch sichergestellt werden könne, dass er im Projekt Integra richtig und ohne negative gesundheitliche Folgen eingesetzt werden könne. Dennoch habe der Beschwerdeführer keine Angaben über seine gesundheitlichen Einschränkungen machen wollen und auf den Behindertenausweis verwiesen.

Mit Schreiben vom 25. August 2000 habe ihm die Arbeiterkammer hinsichtlich seiner Bedenken mitgeteilt, dass es in seinem Interesse liegen müsse, dass seine gesundheitlichen Probleme bekannt seien, weil ihm ansonsten keine zumutbare Tätigkeit zugewiesen werden könne.

Der Beschwerdeführer sei ferner darauf hingewiesen worden, dass vom Bundessozialamt zwar der Grad der Behinderung festgestellt werde, damit aber keine Feststellung hinsichtlich zumutbarer Beschäftigungen erfolge. Die für die Durchführung des Projektes Integra erforderlichen Angaben stellten die Voraussetzung für den erfolgreichen Verlauf dieser Maßnahme dar und sollten außerdem sicherstellen, dass der Beschwerdeführer, ohne seine Gesundheit zu gefährden, beschäftigt werden könne. Die im Zuge der Befragung den Mitarbeitern des Berufsinformationszentrums gegenüber gemachten Angaben würden nur im Sinne der Teilnehmer verwendet. Da sich der Beschwerdeführer trotz entsprechender Aufklärung durch die Mitarbeiter des Berufsinformationszentrums geweigert habe, die für die Durchführung der geplanten Maßnahme erforderlichen Angaben zu machen, sei die Weiterführung und damit der erfolgreiche Abschluss dieser Maßnahme durch sein Verschulden nicht möglich gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Gemäß § 9 Abs. 1 AlVG ist arbeitswillig, wer (unter anderem) bereit ist, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen.

§ 10 AlVG idF BGBl. Nr. 201/1996 hat folgenden Wortlaut:

"1) Wenn der Arbeitslose

-

sich weigert, eine ihm von der regionalen Geschäftsstelle zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, oder

-

sich ohne wichtigen Grund weigert, einem Auftrag zur Nach(Um)schulung zu entsprechen oder durch sein Verschulden den Erfolg der Nach(Um)schulung vereitelt, oder

-

ohne wichtigen Grund die Teilnahme an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt verweigert oder den Erfolg der Maßnahme vereitelt, oder

-

auf Aufforderung durch die regionale Geschäftsstelle nicht bereit oder in der Lage ist, ausreichende Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung glaubhaft zu machen,

verliert er für die Dauer der Weigerung, jedenfalls aber für die Dauer der auf die Weigerung folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Liegt im Zeitraum eines Jahres vor dem Beginn eines Anspruchsverlustes bereits ein früherer Anspruchsverlust, so beträgt der im ersten Satz genannte Zeitraum acht Wochen. Die Zeiten des Anspruchsverlustes verlängern sich um die in ihnen liegenden Zeiträume, während derer Krankengeld bezogen wurde.

(2) Der Ausschluß vom Bezug des Arbeitslosengeldes ist in berücksichtigungswürdigen Fällen, wie zB Aufnahme einer anderen Beschäftigung, ganz oder teilweise nachzusehen. Vor dieser Nachsicht sowie vor Erlassung einer Entscheidung gemäß Abs. 1 ist der Regionalbeirat anzuhören."

Diese Bestimmungen sind gemäß § 38 AlVG auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinen Erkenntnissen vom 21. Dezember 1993, Zlen. 93/08/0215-0218, und vom 20. Dezember 1994, Zl. 93/08/0134, zur Nach(Um)schulung Arbeitsloser die Auffassung vertreten, es könne aus den §§ 9 Abs. 1 und 10 Abs. 1 AlVG nicht abgeleitet werden, dass es im freien Belieben des Arbeitsamtes stünde, einem Arbeitslosen (auch einem Langzeitarbeitslosen) entweder eine Arbeitsstelle zu vermitteln oder ihn zu einer Nach- oder Umschulung zuzuweisen. Eine solche Zuweisung vermöge sich insbesondere auch nicht auf die vom Arbeitslosen (auch wiederholt) an den Tag gelegte Arbeitsunwilligkeit, eine ihm durch das Arbeitsamt zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen, zu stützen. Für eine solche Maßnahme sei vielmehr Voraussetzung, dass die Kenntnisse und Fähigkeiten des Arbeitslosen für die Vermittlung einer zumutbaren Beschäftigung nach Lage des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes nicht ausreichend seien. Die Behörde habe diese Voraussetzungen zu ermitteln und das Ergebnis ihres Ermittlungsverfahrens dem Arbeitslosen - unter Hinweis auf die Rechtsfolgen einer Weigerung -

zur Kenntnis zu bringen. Von einer den Verlust des Anspruches auf Arbeitslosengeld nach sich ziehenden ungerechtfertigten Weigerung des Arbeitslosen, an einer ihm zugewiesenen Nach- oder Umschulungsmaßnahme teilzunehmen, könne nur dann gesprochen werden, wenn sie in objektiver Kenntnis des Inhaltes der erforderlichen Nach(Um)schulung und der Zumutbarkeit und Erforderlichkeit einer solchen Maßnahme erfolge.

Diese Subsidiarität gilt nach dem hg. Erkenntnis vom 5. September 1995, Zl. 94/08/0246, und der daran anschließenden ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes angesichts des nach wie vor bestehenden Primates der Erlangung bzw. Vermittlung einer dem Arbeitslosen zumutbaren Beschäftigung durch seine eigenen, von ihm zu entfaltenden Bemühungen oder durch das Arbeitsmarktservice in entsprechender Weise auch für Maßnahmen zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. Demgemäß liegt eine ungerechtfertigte Weigerung eines Arbeitslosen, an einer solchen Maßnahme teilzunehmen, nur dann vor, wenn es sich überhaupt um eine solche Maßnahme handelt, wenn weiters feststeht, dass die Kenntnisse und Fähigkeiten des Arbeitslosen für die Erlangung bzw. Vermittlung einer zumutbaren Beschäftigung nach Lage des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes nicht ausreichend sind und es deshalb solcher Maßnahmen der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt bedarf, und wenn schließlich das Arbeitsmarktservice das Ergebnis des diesbezüglichen Ermittlungsverfahrens dem Arbeitslosen - unter Hinweis auf die Rechtsfolgen einer Weigerung -

zur Kenntnis gebracht hat und der Arbeitslose dennoch ohne wichtigen Grund die Teilnahme an der Maßnahme ablehnt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. November 2000, Zl. 96/08/0042, mwN).

Der angefochtene Bescheid und die vorgelegten Akten lassen nicht erkennen, dass dem Beschwerdeführer im Sinne der dargestellten Rechtsprechung bestimmte Kenntnisse und Fähigkeiten, die ihm durch die Maßnahme, deren Erfolg er vereitelt haben soll, vermittelt worden wären, gefehlt hätten und ihm das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens hierüber vor den ihm angelasteten Vereitelungshandlungen unter Hinweis auf die Rechtsfolgen eines solchen Verhaltens zur Kenntnis gebracht worden wäre. War dies nicht geschehen, so konnte sich der Beschwerdeführer von Anfang an weigern, an der Wiedereingliederungsmaßnahme teilzunehmen, ohne dass dies die Rechtsfolgen des § 10 Abs. 1 AlVG ausgelöst hätte (vgl. auch dazu das zitierte Erkenntnis vom 5. September 1995, Zl. 94/08/0246). Die Dauer seiner Arbeitslosigkeit (seit November 1994) hätte es wohl erleichtern können, die Notwendigkeit einer Wiedereingliederungsmaßnahme zu begründen, erübrigte die Einhaltung des beschriebenen Verfahrens aber nicht.

Der angefochtene Bescheid war daher schon aus diesen Erwägungen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 19. November 2004

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2000020366.X00

Im RIS seit

10.12.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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