TE Vwgh Erkenntnis 2004/11/19 2004/02/0230

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Veröffentlicht am 19.11.2004
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §52;
AVG §63 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Holeschofsky und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schlegel-Lanz, über die Beschwerde der RF in L, vertreten durch Dr. Albin Walchshofer, Rechtsanwalt in 4060 Leonding, Mühlweg 5, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 24. November 2003, Zl. VwSen- 109231/8/Sch/Pe, betreffend Zurückweisung einer Berufung in Angelegenheit Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Oberösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit (mündlich verkündetem) Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Linz vom 12. August 2003 wurde über die Beschwerdeführerin wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß § 5 Abs. 2 Z. 2 StVO eine Strafe verhängt. Nach der Verkündung des Straferkenntnisses unterschrieb die Beschwerdeführerin den im verwendeten Formular angekreuzten Text, dass sie "ausdrücklich auf die Berufung verzichtet".

Gegen dieses Straferkenntnis erhob die Beschwerdeführerin Berufung. Der Berufungsverzicht werde von ihr wegen Vorliegens eines Willensmangels angefochten; ihr sei bei Unterfertigung der Niederschrift vom 12. August 2003 nicht bewusst gewesen, was sie unterfertigt habe. Sie sei auf Grund eines "schizophrenen Residualzustandes" und der psychischen Belastung der Verhandlung vom 12. August 2003 nicht in der Lage gewesen, rechtswirksam einen Berufungsverzicht abzugeben. Sie legte einen Schlussbericht der Landes-Nervenklinik WJ vom 6. Mai 2003 über einen stationären Aufenthalt bei.

Die belangte Behörde holte ein "Aktengutachten" der Landessanitätsdirektion ein, das sich aber - offenbar auf Grund unklarer Fragestellung - auf den Zeitpunkt der zu Grunde liegenden Übertretung (12./13. März 2003) bezog und nicht auf den Tag der Abgabe des Berufungsverzichtes (12. August 2003). Es wurde von der belangten Behörde daher auch nicht verwertet. Die belangte Behörde wies die Berufung nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung, in der die Beschwerdeführerin und der Leiter der Amtshandlung vom 12. August 2003 einvernommen wurden, mit der wesentlichen Begründung als unzulässig zurück, dass die Beschwerdeführerin am 12. August 2003 nicht auf eine psychische Erkrankung hingewiesen habe und der Leiter der Amtshandlung "nichts diesbezüglich feststellen" habe können. Aus dem Verhalten der Beschwerdeführerin in der Berufungsverhandlung sei der Eindruck entstanden, dass sie "darüber im Bilde war, worum es damals gegangen" sei. Auch dem Gang der Berufungsverhandlung habe sie "augenscheinlich" folgen können.

Weder das Vorbringen in der Berufungsschrift noch das ergänzende Vorbringen im Rahmen der Berufungsverhandlung seien geeignet, Zweifel am Willensentschluss der Beschwerdeführerin darzutun, weshalb weitere Beweisaufnahmen entbehrlich seien.

Gegen diesen Bescheid erhob die beschwerdeführende Partei zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte mit Beschluss vom 9. Juni 2004, B 104/04, ihre Behandlung ab und trat die für diesen Fall bereits ausgeführte Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 63 Abs. 4 AVG ist eine Berufung nicht mehr zulässig, wenn die Partei nach Verkündung des Bescheides ausdrücklich auf die Berufung verzichtet hat. Der Berufungsverzicht ist somit eine von der Partei vorgenommene Prozesshandlung, der die Wirkung anhaftet, dass eine von der Partei eingebrachte Berufung einer meritorischen Erledigung nicht zugeführt werden darf. Ein einmal ausgesprochener Berufungsverzicht kann auch nicht mehr zurückgenommen werden. Allerdings ist nach der hg. Judikatur das Vorliegen eines Berufungsverzichtes besonders streng zu prüfen. Auch ist ein anlässlich der Unterzeichnung eines Berufungsverzichtes vorliegender Willensmangel, wenn er tatsächlich bestanden hat, zu Gunsten des Beschwerdeführers zu beachten (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 10. März 1994, Zl. 94/19/0601).

Die Beschwerdeführerin weist darauf hin, dass sie bereits anlässlich der Einbringung der Berufung den genannten "Schlussbericht" der Landes-Nervenklinik WJ vorgelegt habe, in dem ua. vermerkt ist, dass "als Diagnose ein schizophrener Residualzustand bekannt" sei. Sie habe die Auswirkungen dieser Krankheit (zB. sei sie in belastenden Situationen nicht zugänglich und nicht kooperativ, ihr Gedankengang sei in solchen Situationen ungeordnet) dargetan. Zudem hat sie in der mündlichen Verhandlung zu den Vorkommnissen am 12. August 2003 ua. ausgesagt:

"Im Hinblick auf eine Berufung kann ich mich aber an keine diesbezüglichen Erörterungen erinnern. Ich war erstaunt und geschockt, wie teuer die Sache wäre. Ich kann mich nicht mehr erinnern, was noch passiert ist. In der Zeit zwischen Kenntnisnahme davon, dass die Strafe 1.200 Euro betragen würde und das Verlassen des Büros ..."

Angesichts der an das Vorliegen eines wirksamen Berufungsverzichtes anzulegenden strengen Prüfung ist bei behauptetem, auf einer Geisteskrankheit beruhenden Willensmangel insbesondere dann, wenn zu dieser Krankheit ärztliche Unterlagen beigebracht wurden, zu dieser Behauptung ein Gutachten eines Facharztes aus dem Fachgebiet der Psychiatrie einzuholen. Die belangte Behörde hätte sich daher auch nicht mit den Angaben des Leiters der Amtshandlung vom 12. August 2003 und mit ihrem subjektiven Eindruck anlässlich der von ihr durchgeführten mündlichen Verhandlung begnügen dürfen.

Da die belangte Behörde kein entsprechendes fachärztliches Gutachten eingeholt hat, das sich auf den Zeitpunkt der Abgabe des Berufungsverzichtes bezieht, hat sie Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können. Der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 19. November 2004

Schlagworte

"zu einem anderen Bescheid" Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1 Rechtsgrundsätze Verzicht Widerruf VwRallg6/3 Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung Arzt Verfahrensbestimmungen Berufungsbehörde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2004020230.X00

Im RIS seit

11.01.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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