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L50006 Pflichtschule allgemeinbildend Steiermark;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner sowie die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Stöberl und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hofer, über die Beschwerde der JL in O, vertreten durch die Erziehungsberechtigte AL, diese vertreten durch Dr. Herbert Grass und Mag. Günther Kiegerl, Rechtsanwälte in 8530 Deutschlandsberg, Hauptplatz 42, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg vom 4. September 2003, Zl. 13.0-3/02, betreffend sprengelfremden Schulbesuch, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Steiermark hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.188,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Eingabe vom 10. Februar 2003 beantragte die Beschwerdeführerin (durch ihre Erziehungsberechtigte) beim Bürgermeister der Marktgemeinde S die Bewilligung des sprengelfremden Schulbesuchs in der Volksschule P. Begründend wurde vorgebracht, Julia habe bereits den Kindergarten in P besucht. Aus "berufsbedingten Gründen meinerseits" (gemeint: der Mutter) solle Julia nachmittags im Schülerhort P untergebracht werden. Müsste Julia die Volksschule in S besuchen, könnte die Mutter ihrer Beschäftigung nicht mehr nachgehen, weil nach Schulschluss in S keine Betreuung zur Verfügung stehe.
Mit Bescheid vom 13. März 2003 wies der Bürgermeister den Antrag (nach Anhörung des Schulerhalters und der Bezirksschulrates) ab. Begründend wurde dargelegt, dass "nach erfolgter Schuleinschreibung bei der Volksschule S am 7. März 2003 mit 28 Kindern eine berechtigte Hoffnung für eine Zweiklassigkeit besteht". Es werde "gemeinsam mit der Gemeinde S eine Nachmittagsbetreuung in P angestrebt". Die Möglichkeit des Transports von der Volksschule S zur Nachmittagsbetreuung in P "in der Mittagspause der Arbeitszeit" der Mutter sei in Zusammenarbeit mit der Gemeinde S gegeben.
Die Beschwerdeführerin erhob (durch ihrer Erziehungsberechtigte) Berufung. Diese brachte vor, es sei darauf Bedacht zu nehmen, dass die Tochter seit drei Jahren den Kindergarten in P besuche und die schulreifen Kinder der Kindergartengruppe die Volksschule in P besuchen würden. Ihre Tochter würde durch die Zuteilung nach S aus ihrer sozialen Gemeinschaft herausgerissen und in ein neues soziales Umfeld gebracht. Unter Berücksichtigung des eher zurückhaltenden und schüchternen Wesens der Tochter würde diese Trennung einen schweren Einschnitt bedeuten. Weiters würde die polysportive Volksschule in P die sportlichen Fähigkeiten und Interessen der Tochter sehr gut fördern. Die Volksschule in P könne von der Tochter auch ohne Transportmöglichkeit über einen kurzen Fußweg erreicht werden, während der Weg zur Volksschule in S ohne ständige Transportmöglichkeit nicht zumutbar sei. Sie müsste daher sowohl am Morgen in die Schule gebracht als auch dort wieder abgeholt werden. Betont werde, dass eine Nachmittagsbetreuung derzeit nur in P angeboten werde.
Die belangte Behörde wies die Berufung ab. Sie legte dar, für die Zweiklassigkeit der ersten Stufe und die Erhaltung der Organisationsform der Volksschule S sei der Besuch aller schulpflichtigen Kinder des Schulsprengels erforderlich. Den Argumenten für den sprengelfremden Schulbesuch könne unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse der Schülerin nicht beigetreten werden. Für den Besuch der Schüler aus dem Raum B und O stehe ein Schulbus im Rahmen der Schülerfreifahrt zur Verfügung. Die Volksschule S decke sowohl im sportlich-kreativen als auch im Projektunterricht alle Bereiche eines individuellen Bildungsangebotes ab. Ein Turnsaal, eine Spielwiese und eine Sportanlage stünden bei der Schule und im Nahbereich der Schule zur Verfügung. Der polysportive Unterricht in der Volksschule P sei keine Schwerpunktbildung einer Volksschule. Der Gesichtspunkt der Integration in die Schulgemeinschaft der Volksschule S sei für alle schulpflichtigen Kinder aus verschiedenen Kindergartengruppen erfahrungsgemäß gegeben. Ab dem Schuljahr 2003/2004 werde an der Volksschule S von Montag bis Freitag in der Zeit bis 17.00 Uhr eine Nachmittagsbetreuung durch das steiermärkische Hilfswerk angeboten.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend macht. Insbesondere wird unter Gesichtspunkten der fehlerhaften Ermessensübung, der Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhalts, von Begründungsmängeln und der Verletzung des Parteiengehörs vorgetragen, es sei die Behauptung unrichtig, dass für die Zweiklassigkeit der ersten Stufe und die Erhaltung der Organisationsform der Volksschule S der Besuch aller schulpflichtigen Kinder des Schulsprengels erforderlich sei. Dies ersehe man auch daraus, dass für das laufende Schuljahr nur Schuleinschreibungen von 24 Kindern zu verzeichnen gewesen wären. Ebenso sei die Behauptung unrichtig, dass ab dem Schuljahr 2003/2004 an der Volksschule S von Montag bis Freitag in der Zeit bis 17.00 Uhr eine Nachmittagsbetreuung angeboten werde. Es sei bereits aus dem der Stellungnahme der Gemeinde S beiliegenden Beiblatt zu ersehen, dass die Betreuung z.B. an einem Montag nur bis 14.00 Uhr, am Dienstag nur bis 15.00 Uhr und am Mittwoch nur bis 16.00 Uhr angeboten werde und auch während der Schulferien keine Betreuung stattfinde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie u.a. darlegte, an der Volksschule S werde im Schuljahr 2003/2004 eine Nachmittagsbetreuung von Montag bis Freitag bis 17.00 Uhr durchgeführt. Das Vorbringen der Beschwerde hinsichtlich der Zeiten der Nachmittagsbetreuung sei daher unrichtig.
Bemerkt wird, dass nach der Aktenlage (Schreiben der Marktgemeinde P vom 3. November 2003) die Beschwerdeführerin die Volksschule in P besucht.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 23 Abs. 1 des Steiermärkischen Pflichtschulerhaltungsgesetzes 1970 in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 72/1995 ist jeder Schulpflichtige in die für ihn nach der Schulart in Betracht kommende Schule, deren Schulsprengel er angehört (Sprengelschule), aufzunehmen.
Über Antrag des Erziehungsberechtigten kann gemäß § 23 Abs. 2 leg. cit. die Aufnahme eines dem Schulsprengel nicht angehörigen Schulpflichtigen genehmigt werden. Die Bewilligung zum sprengelfremden Schulbesuch kann unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des Schülers, seiner individuellen Bildungsziele, unter Bedachtnahme auf die örtlichen Verkehrsverhältnisse, die Zumutbarkeit des Schulweges und die Organisationsform der betroffenen Pflichtschule erteilt werden.
Nach § 3 leg. cit. kommt in den Verwaltungsverfahren, die sich in Vollziehung dieses Gesetzes ergeben, den gesetzlichen Schulerhaltern sowie den zu einem Schulsprengel gehörenden oder in sonstiger Weise an einer öffentlichen Pflichtschule beteiligten Gebietskörperschaften Parteistellung im Sinne des AVG 1991 zu.
Die Entscheidung der belangten Behörde beruht unter Anderem auf der Annahme, dass für die Zweiklassigkeit der ersten Stufe und die Erhaltung der Organisationsform der Volksschule S der Besuch aller schulpflichtigen Kinder des Schulsprengels erforderlich sei. Dem von der Erziehungsberechtigten der Beschwerdeführerin vorgetragenen Gesichtspunkt, dass im Hinblick auf ihre Berufstätigkeit eine Nachmittagsbetreuung erforderlich sei, die in S nicht zur Verfügung stehe, maß die belangte Behörde kein Gewicht bei; sie legte dar, dass ab dem Schuljahr 2003/2004 an der Volksschule S von Montag bis Freitag in der Zeit bis 17.00 Uhr eine Nachmittagsbetreuung durch das Steiermärkische Hilfswerk angeboten werde. Die belangte Behörde ging somit offenbar davon aus, dass bei der Entscheidung über den sprengelfremden Schulbesuch einerseits auf ein Interesse des Schulerhalters an der Beibehaltung der Organisationsform und der Erreichung der Klassenteilungszahl und andererseits - unter dem Gesichtspunkt der persönlichen Verhältnisse des Schülers - unter Anderem auf die Gewährleistung der Betreuung der Minderjährigen an Nachmittagen (unter Bedachtnahme auf die Berufstätigkeit der Erziehungsberechtigten) Rücksicht zu nehmen wäre.
Die oben wiedergegebenen, mit den eben erwähnten Gesichtspunkten in Zusammenhang stehenden tatsächlichen Annahmen waren der Beschwerdeführerin vor Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht im Sinne des § 45 Abs. 3 AVG vorgehalten worden. Dieser Verfahrensmangel ist wesentlich, zumal die Beschwerdeführerin vorbringt, dass kein Zusammenhang der Beibehaltung der Organisationsform der Schule bzw. des Erreichens der Klassenteilungszahl und dem von ihr angestrebten sprengelfremden Schulbesuch bestehe, und die in S angebotene Nachmittagsbetreuung unter Gesichtspunkten der Arbeitszeiten der Erziehungsberechtigten der in P angebotenen Nachmittagsbetreuung nicht gleichwertig sei.
Da somit nicht auszuschließen ist, dass die belangte Behörde nach Gewährung von Parteiengehör in Bezug auf die ihrem Bescheid zu Grunde gelegten Feststellungen und bei Bedachtnahme auf das Vorbringen der Beschwerdeführerin zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG und - im Rahmen des Antrages - auf der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 22. November 2004
Schlagworte
Parteiengehör Verletzung des Parteiengehörs VerfahrensmangelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2003100259.X00Im RIS seit
04.01.2005