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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §6 Z3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Mag. Samm als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des S in S, geboren 1971 alias 1971, vertreten durch Dr. Clemens Endl, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Dreifaltigkeitsgasse 9, gegen den am 31. Jänner 2002 verkündeten und am 13. Februar 2002 schriftlich ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 225.646/5-II/04/02, betreffend § 6 Z 3 und § 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Indien, beantragte am 27. Juni 2001 Asyl. Zu seinen Fluchtgründen gab er zunächst (bei seiner Befragung durch das Bundesasylamt am 27. Juni 2001) zusammengefasst an, er sei von der Polizei verdächtigt worden, mit Sikh-Extremisten in Kontakt zu stehen. Bei seiner ausführlichen Befragung durch das Bundesasylamt am 19. Dezember 2001 präzisierte der Beschwerdeführer, ihm sei vorgeworfen worden, Freunden eines verstorbenen Terroristen Unterkunft und Essen gegeben zu haben; eine Anzeige oder ein Haftbefehl gegen ihn liege nicht vor. Im Fall einer Rückkehr nach Indien befürchte er, die Polizei werde ihn "verhaften und belästigen".
Diesen Asylantrag wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom 19. Dezember 2001 gemäß § 6 Z 3 AsylG als offensichtlich unbegründet ab und sprach aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Die Erstbehörde kam aus näher dargestellten Gründen zum Ergebnis, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers zu den behaupteten Fluchtgründen "absolut unglaubwürdig", der Asylantrag daher offensichtlich unbegründet sei.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung ergänzte der Beschwerdeführer, er sei von der Polizei nicht festgenommen worden, weil er sich "immer rechtzeitig verstecken konnte". Überdies sei die Situation im Punjab vom Bundesasylamt unrichtig dargestellt worden; es komme immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen, insbesondere zu Folterungen und Tötungen von Gefangenen im Polizeigewahrsam.
Die belangte Behörde führte am 31. Jänner 2002 eine mündliche Berufungsverhandlung durch, in der der Beschwerdeführer einvernommen, vom Sachverständigen "für die aktuelle politische Lage in Indien" ein Gutachten zur Gefahrensituation in Indien erstattet und eine Mitteilung des Bundesministeriums für Inneres erörtert wurde.
In der Berufungsverhandlung gab der ausführlich vernommene Beschwerdeführer - zusammengefasst - an, nach der Tötung eines (mit einer terroristischen Vereinigung in Kontakt stehenden) Freundes durch die Polizei seien er selbst und sein Vater wiederholt von der Polizei verhaftet, befragt und geschlagen worden; "sodann" habe er sich "weitgehend versteckt gehalten". Es sei gang und gäbe, dass Personen von der Polizei fälschlich beschuldigt, verhaftet und sogar getötet würden.
Der länderkundliche Sachverständige führte zunächst aus, dass sich die Sicherheitslage im Punjab, "gemessen am Höhepunkt des Khalistan-Terrorismus (1984 bis 1993)", normalisiert habe, doch komme es immer wieder zu Polizeiübergriffen und terroristischen Aktivitäten, weshalb er die Situation nicht als "äußerst ruhig" bezeichnen würde. Er könne der Aussage (im "Indien-Vorhalt" des Bundesasylamtes), dass "der Polizeiapparat im Punjab ... heute grundsätzlich auf Grund der Gesetze im rechtsstaatlichen Sinn agiert", zustimmen, wenn auch "grundsätzlich" nicht gleichbedeutend sei mit "ausnahmslos". Zur Gefahr, Opfer willkürlicher Handlungen der Polizei zu werden, verwies er auf ein schriftliches Vorgutachten; diese Gefahr sei "jedenfalls höher als in Österreich". Eine zielgerichtete Verfolgung des Beschwerdeführers auf Grund des "vorgebrachten terroristischen Hintergrundes" halte der Sachverständige gegenwärtig für ausgeschlossen , weil der Beschwerdeführer nicht einer "high profile"-Personengruppe angehöre, für die allein derzeit eine solche Gefahr bestehe. Der Beschwerdeführer zähle mit Sicherheit nicht zu dieser Personengruppe, weil bei ihm nicht einmal "Waffenbezug hervorgekommen" sei, vielmehr der einzige "terroristische Bezug" offenbar bereits 1993 geendet und der Beschwerdeführer seither in seiner Heimatgegend "jahrelang offen" gelebt habe, ohne dass bislang "etwas passiert" sei. Wenn auch die Gefahr, Opfer schlichter polizeilicher Willkür zu werden, in Indien nicht völlig ausgeschlossen werden könne, halte er die Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer "in näherer Zukunft Opfer einer derartigen Gefahr würde", für gering. Der Punjab gehöre nämlich nicht zu jenen indischen Regionen, in denen "derzeit Menschenrechtsverletzungen vor allem vorkommen" und "Personen mit ähnlichem sozialen Hintergrund", wie ihn der Beschwerdeführer aufweise, lebten "nicht in ständiger Furcht vor polizeilichen Übergriffen".
Wohl könne sich die Sicherheitslage im Punjab "durch Terroranschläge schlagartig ändern", doch sei selbst im Falle eines gravierenden Terroranschlages "erste Reaktion der staatlichen Sicherheitsbehörden" die Verhaftung von bereits polizeilich vorgemerkten Personen ("history sheeters" bzw. "habitual offenders"), wozu aber nur "einschlägig gerichtlich vorbestrafte" Personen zu zählen seien, nicht auch solche - wie der Beschwerdeführer - "mit allenfalls losem Polizeikontakt". Selbst bei Festnahme von "nur am Rande beteiligter Personen" läge es wesentlich näher, dass "diesfalls Personen mit einem aktuellen Bezug zu direkt (an militanten Untergrundaktivitäten) beteiligten Personen ins Blickfeld der Polizei gerieten".
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung "gemäß §§ 6, 8 AsylG" ab. In der schriftlichen Ausfertigung des in der Berufungsverhandlung vom 31. Jänner 2002 verkündeten Bescheids wird nach einer Wiedergabe des Verfahrens vor dem Bundesasylamt und des (auszugsweisen) Inhaltes der Berufung das Protokoll über die mündliche Berufungsverhandlung (in seinen "maßgeblichen Teilen") zitiert und dann - nach einer Darstellung der Gesetzeslage - ausgeführt:
"Gegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens ist zunächst einzig die Frage, ob das Bundesasylamt den diesem Verfahren zugrundeliegenden Asylantrag des nunmehrigen Berufungswerbers zu Recht gemäß § 6 AsylG - aus dem vom Bundesasylamt einzig herangezogenen Grunde der Z 3 dieser Gesetzesstelle oder allenfalls aus einem anderen der in dieser Gesetzesstelle genannten konkreten Tatbestände - als 'offensichtlich unbegründet' abgewiesen habe und erst diesfalls weiters die Frage, ob auch das Vorliegen von Refoulementschutz(tat)beständen zu Recht verneint worden sei.
Im gegenständlichen Fall sind nach Ansicht des hier entscheidenden Mitgliedes beide Fragen zu bejahen:
Selbst unter Zugrundelegung des Zutreffens des sachverhaltsmäßigen Vorbringens des Berufungswerbers (dh unter Ausklammerung der Anhaltspunkte, die auf einen mit den Angaben des Berufungswerbers zum Zeitpunkt und Weg der Reise von Indien nach Österreich nicht vereinbaren, mehrmonatigen Aufenthalt des Berufungswerbers in Griechenland hindeuten) hat nämlich das Ergebnis der Berufungsverhandlung keine Anhaltspunkte für eine relevante Gefährdung des Berufungswerbers erbracht, ist doch nach der gutächtlichen Beurteilung des Sachverständigen - der der Berufungswerber nicht (mehr) fundiert entgegengetreten ist (während umgekehrt der Sachverständige u.a. die Berufungsausführungen einer detaillierten Kritik unterzogen hatte) - nämlich eine zielgerichtete Verfolgung des Berufungswerbers wegen des vorgebrachten terroristischen Hintergrundes gegenwärtig ausgeschlossen und in Ansehung des Berufungswerbers auch eine sonstige, die Gewährung von Refoulementschutz bedingende Gefahr (Opfer schlichter polizeilicher Willkür zu werden) gegenwärtig jedenfalls nicht naheliegend (sondern nur 'gering').
Die Berufung war daher spruchgemäß vollinhaltlich abzuweisen."
Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen:
Die belangte Behörde vertritt im angefochtenen Bescheid die Auffassung, auch "unter Zugrundelegung des Zutreffens des sachverhaltsmäßigen Vorbringens" des Beschwerdeführers sei der Asylantrag offensichtlich unbegründet im Sinne des § 6 Z 3 AsylG. Es kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob eine solche Vorgangsweise (bei Annahme der Richtigkeit des Vorbringens zu den für die Ausreise maßgeblichen Fluchtgründen wird die abweisende Entscheidung auf § 6 Z 3 AsylG gestützt) rechtmäßig sein kann. Die belangte Behörde ist davon ausgegangen, dass auch unter der Annahme der Richtigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers "offensichtlich" keine Bedrohungssituation für ihn vorliege, und hat sich dabei auf das Gutachten des Sachverständigen gestützt. Dieser Vorgangsweise kann bei der hier gegebenen Sachlage jedenfalls nicht beigepflichtet werden: Ausgehend vom Vorbringen des Beschwerdeführers (dessen Widersprüchlichkeit die belangte Behörde in der Berufungsverhandlung thematisiert hat, ohne aber im angefochtenen Bescheid eine Beweiswürdigung vorzunehmen) ist dieser wegen des Verdachtes, er unterstütze Terroristen, von der Polizei nicht nur wiederholt befragt, sondern auch verhaftet und geschlagen worden; weiteren Verfolgungen habe er sich durch jahrelanges Versteckthalten entzogen. Schon daraus ergibt sich, dass bei Zugrundelegung seines Vorbringens eine Bedrohungssituation für den Beschwerdeführer nicht mit der erforderlichen Klarheit von vornherein ausgeschlossen und daher nicht von einem "offensichtlich" unbegründeten Asylantrag im Sinne des § 6 Z 3 AsylG ausgegangen werden konnte (zum Offensichtlichkeits-Maßstab des § 6 Z 3 AsylG vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 21. August 2001, Zl. 2000/01/0214 mwN).
Da die belangte Behörde bei Beurteilung des Offensichtlichkeitskalküls des § 6 Z 3 AsylG die Rechtslage verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil ein gesonderter Ersatz von Umsatzsteuer im Gesetz keine Deckung findet.
Wien, am 26. November 2004
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2002200292.X00Im RIS seit
04.01.2005