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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §1 Z4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des H, geboren 1948, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 12. September 2001, Zl. St 3/01, betreffend Feststellung gemäß § 75 Abs. 1 FrG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 12. September 2001 wurde auf Grund des Antrages des Beschwerdeführers, eines jugoslawischen Staatsangehörigen, vom 12. Oktober 1998 gemäß § 75 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, festgestellt, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer in der Bundesrepublik Jugoslawien gemäß § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 leg. cit. bedroht sei.
Der Beschwerdeführer habe zur Begründung seines Antrages auf seine Angaben im Asylverfahren verwiesen. Demnach habe ihm die Militärpolizei im September 1991 einen Einberufungsbefehl übergeben. Er hätte auf der Seite der Serben gegen die Albaner und Kroaten kämpfen müssen. Er habe nicht in einem sinnlosen Krieg sterben wollen. Kosovo-Albaner hätten keine Rechte. Wehrdienstverweigerer würden mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden.
(In ihrem erstinstanzlichen Bescheid vom 19. Dezember 2000 hat die Bundespolizeidirektion Linz Folgendes ausgeführt:
"Was nun ihre Befürchtung betrifft, bei Ihrer Rückkehr in Ihr Heimatland von der serbischen Polizei verhaftet und in einem Gefängnis inhaftiert zu werden, so muss hier ausgeführt werden, dass dies in Ihrem Fall nicht möglich ist. Dies deshalb, da Ihnen in Ihrem Heimatland eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht - nämlich die Provinz Kosovo. ... An dieser Stelle muss festgehalten werden, dass eine allfällige Abschiebung Ihrer Person nicht nach Belgrad oder in den Bereich außerhalb der Provinz Kosovo erfolgt, sondern nur in die Provinz Kosovo (Pristina)."
In der dagegen erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer zu diesem Abschnitt des Bescheides vor:
"Aufgrund der Tatsache, dass die Behörde in Ihrem Spruch nur von der Gefährdung in der BR Jugoslawien ausgeht, und nicht von der Provinz Kosovo, ist anzumerken, dass ich eben genau diese Bedrohung in der BR Jugoslawien erleiden würde. Zur innerstaatlichen Fluchtalternative Kosovo führt die Behörde nur allgemeine Bemerkungen an.")
Die belangte Behörde führte des Weiteren aus, es sei das Recht eines jeden Staates, seine Staatsbürger zum Militärdienst einzuberufen. Auch in Staaten westlicher Prägung stehe die Wehrdienstverweigerung bzw. die Desertion unter strenger Strafdrohung. Die Einberufung zum Militärdienst bzw. die strafrechtliche Verfolgung wegen Desertion und Refraktion stelle grundsätzlich weder Folter noch unmenschliche Strafe noch ebensolche Behandlung im Sinn des Art. 3 EMRK dar. Die Gefahr der Bestrafung des Beschwerdeführers in seinem Heimatstaat wegen Verweigerung des Militärdienstes sei keine Bedrohung der Freiheit des Beschwerdeführers aus Gründen seiner politischen Ansichten im Sinn des § 57 Abs. 2 FrG. Eine Flucht wegen Einberufung zum Militärdienst (Desertion) könne nur dann asylrechtlich und in weiterer Folge fremdenrechtlich relevant sein, wenn die Einberufung aus einem der in der Flüchtlingskonvention genannten Gründe erfolgt wäre, wenn eine Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung aus asylrelevanten Gründen schwerer als gegenüber anderen Staatsangehörigen gewesen wäre oder wenn der Beschwerdeführer einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe ausgesetzt wäre. Asylrechtliche bzw. fremdenrechtliche Relevanz könne der Einberufung zum Militärdienst ferner nur dann zukommen, wenn der Beschwerdeführer während der Ableistung des Militärdienstes aus den im § 57 Abs. 2 FrG angeführten Gründen gegenüber Personen anderer Volksgruppen schlechter gestellt wäre. All dies treffe auf den Beschwerdeführer nicht zu und sei von ihm auch nicht behauptet worden.
Der Kosovo stehe unter internationaler Verwaltung bzw. internationaler Kontrolle. Damit sei eine innerstaatliche Fluchtalternative gewährleistet. Der Beschwerdeführer habe dazu nicht Stellung genommen. Es bestehe dort für ihn keine aktuelle Verfolgung bzw. Gefährdung.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und nahm von der Erstattung einer Gegenschrift "wegen Arbeitsüberlastung durch Berufungs- und Beschwerdefälle" Abstand.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 75 FrG hat der Fremde das Bestehen einer aktuellen, also im Fall seiner Abschiebung in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten Bedrohung im Sinn des § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Im Verfahren nach § 75 FrG ist die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Fremden in diesen Staats zu beurteilen.
2. Die Beschwerde wendet sich gegen die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative und bringt vor, die belangte Behörde hätte feststellen müssen, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Kosovo unzulässig sei. Es sei im Jahr 2001 "doch zu einer erheblichen Anzahl von illegalen Tötungen von Kosovo-Albanern und Übergriffen ... gekommen."
In seiner asylrechtlichen Judikatur hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass es sich beim Kosovo seit Institutionalisierung der UN-Verwaltung (seit 20. Juni 1999) um einen eigenen Herkunftsstaat im Sinn des § 1 Z. 4 AsylG handelt, der neben den Staat Serbien und Montenegro (früher: Bundesrepublik Jugoslawien), ohne den Kosovo, tritt. Davon wird insbesondere auch im Zusammenhang mit der Non-Refoulement-Prüfung nach § 8 AsylG ausgegangen. Das zieht als Konsequenz ua. nach sich, dass Aussprüche nach § 8 AsylG, die die "Bundesrepublik Jugoslawien" erfassen, sich jedoch inhaltlich auf die Beurteilung der Situation im Kosovo beschränken, mit Rechtswidrigkeit behaftet sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Mai 2004, Zl. 2001/18/0036, mwN).
Die belangte Behörde hat sich inhaltlich lediglich im Zusammenhang mit den Folgen einer Wehrdienstverweigerung mit der Situation in der Bundesrepublik Jugoslawien befasst. Mit der Frage, ob der Beschwerdeführer dort im Fall seiner Rückkehr Gefahr liefe nicht wegen der Wehrdienstverweigerung, sondern allgemein wegen seiner Eigenschaft als Kosovo-Albaner von der serbischen Polizei verhaftet und inhaftiert zu werden (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 8. September 1999, Zlen. 99/01/0126 und 98/01/0503), hat sich die belangte Behörde - ebenso wie die Erstbehörde - nicht auseinandergesetzt, weil beide aufgrund der angenommenen inneren Fluchtalternative im Kosovo eine Gefährdung des Beschwerdeführers in der Bundesrepublik Jugoslawien (einschließlich des Kosovo) ausgeschlossen haben.
Angesichts dessen, dass sich die Entscheidung nach § 75 Abs. 1 FrG als das fremdenpolizeiliche Gegenstück zur Entscheidung der Asylbehörden nach § 8 AsylG darstellt, erweist sich die Nichtbehandlung der Verhältnisse im Gebiet der Bundesrepublik Jugoslawien (ohne den Kosovo) nach dem Gesagten als verfehlt und verletzt den Beschwerdeführer in Rechten, weil der Spruch des bekämpften Bescheides - anders als in der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides angekündigt - seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung auch in ein Gebiet der Bundesrepublik Jugoslawien außerhalb des Kosovo ermöglicht, ohne dass insoweit eine inhaltliche Prüfung der Zulässigkeit einer solchen Maßnahme stattgefunden hätte (vgl. nochmals das Erkenntnis Zl. 2001/18/0036).
3. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 30. November 2004
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2001180227.X00Im RIS seit
30.12.2004