TE Vwgh Erkenntnis 2004/11/30 2003/01/0504

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Veröffentlicht am 30.11.2004
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §28;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
MRK Art3;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde der D, geboren 1979, vertreten durch Mag. Dr. Bernhard Rosenkranz, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Plainstraße 23, gegen Spruchpunkt I des Bescheides des unabhängigen Bundesasylsenates vom 10. September 2003, Zl. 233.112/0-VIII/22/02, betreffend § 7 AsylG 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheidteil wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin reiste am 24. April 2002 in das Bundesgebiet ein und beantragte am folgenden Tag die Gewährung von Asyl. Sie ist Staatsangehörige der (ehemaligen) Bundesrepublik Jugoslawien, stammt aus dem Kosovo und gehört der albanischen Volksgruppe an.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 8. November 2002 wurde der Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 7 AsylG abgewiesen und ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Bundesrepublik Jugoslawien, Provinz Kosovo, gemäß § 8 AsylG für zulässig erklärt.

In der auf Grund der von der Beschwerdeführerin erhobenen Berufung durchgeführten mündlichen Verhandlung vom 6. August 2003 brachte die Beschwerdeführerin vor, ihr Vater sei vor längerer Zeit verstorben und ihre Mutter wohne mit ihrer Familie bei der Familie des Onkels der Beschwerdeführerin. Während des Krieges sei ihre Mutter mit der Familie zunächst in Montenegro und sodann in der Schweiz gewesen. Zu ihrem Fluchtgrund brachte die Beschwerdeführerin Folgendes vor (VL = Verhandlungsleiter, BW = Beschwerdeführerin):

"Vorhalt: Bei der erstinstanzlichen Einvernahme haben Sie angegeben, dass Sie in Montenegro einen Freund gehabt haben und diesen auch heiraten wollten, Ihre Familie dies allerdings abgelehnt hat. Stimmt das?

BW: Ja, deswegen bin ich nach Österreich gekommen.

VL: Warum haben Sie eigentlich damals Montenegro verlassen

und sind nicht bei Ihrem Freund geblieben?

BW: Ich wohnte in Ulqin und habe mich in ihn verliebt. Als das meine Mutter erfahren hat, hat sie entschieden, dass wir Ulqin verlassen und wir gingen in die Schweiz. Ich war natürlich gezwungen, mit meiner Familie in die Schweiz zu gehen. Es ist Tradition bei uns, dass man bei der Familie bleibt.

VL: Hatten Sie später noch Kontakt mit Ihrem Freund in Montenegro?

BW: Ja.

VL: Warum sind Sie nicht zu ihm nach Montenegro zurückgekehrt?

BW: Als wir aus der Schweiz zurückkehrten, kam er in den Kosovo. Seine Mutter ist Bosnierin und der Vater ist Montenegriner aus Ulqin. Mein Onkel hat das mitbekommen und hat mir nicht erlaubt, mich mit ihm zu verloben. Mein Freund ist dann wieder nach Montenegro zurückgekehrt, dann ist der Kontakt abgerissen. Seit dieser Zeit habe ich mit meinem Onkel Probleme.

VL: Welche Probleme hatten Sie mit Ihrem Onkel?

BW: Er hatte etwas dagegen, dass ich mich in einen Montenegriner verliebt hatte. Er hat mir nicht erlaubt, die Schule weiter zu besuchen. Ich war eingeengt und durfte das Haus nicht mehr verlassen. Er hat mich auch geschlagen.

VL: Haben Sie Ihren Onkel angezeigt, weil er Sie geschlagen hatte?

BW: Nein. Meine Schwester ist 17 Jahre, mein Bruder ist 13 Jahre, wenn ich ihn angezeigt hätte, hätte die ganze Familie Probleme bekommen. Meine Mutter hatte keine Arbeit und wir würden ohne Unterstützung dastehen, wenn ich meinen Onkel angezeigt hätte.

VL: Hätten Sie nicht die Möglichkeit gehabt, irgendwo anders im Kosovo Unterkunft zu finden?

BW: Nein."

In Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 8. November 2002 hinsichtlich § 7 AsylG ab. In Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides gab sie der Berufung betreffend § 8 AsylG statt und stellte fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Serbien und Montenegro nicht zulässig sei. In Spruchpunkt III gewährte sie der Beschwerdeführerin eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 15 AsylG.

Begründend stellte die belangte Behörde nach Darstellung der allgemeinen Lage im Kosovo zur Situation unverheirateter Frauen im Kosovo fest, dass Frauen nach den Regeln des Kanuns vollständig von ihren Eltern und Ehemännern abhängig seien und es ihnen nicht zustünde, sich in die Angelegenheiten des Familienoberhauptes oder des öffentlichen Lebens einzumischen; Frauen hätten auch kein Anrecht auf das kollektive Eigentum der Familie. Vor allem in ländlichen Gegenden des Kosovo hätten diese Regeln in abgeschwächter Form noch immer ihre Gültigkeit. Nach der serbischen Repressionspolitik in den 90er Jahren und dem damit einhergehenden Rückzug der kosovo-albanischen Bevölkerung in parallele Gesellschaftsstrukturen seien Errungenschaften in Frauenrechts- und Emanzipationsfragen weitgehend rückgängig gemacht worden und kämen traditionelle Gesellschaftsformen wieder verstärkt zur Anwendung. Weiterhin sei eine Ehe ohne das Einverständnis der Eltern oder des Haushaltsvorstandes kaum möglich. Die Großfamilie stelle im Kosovo nach wie vor die wichtigste soziale Institution dar. Sie gewähre Schutz und Unterstützung in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht, allein stehenden Frauen im Kosovo drohe ohne Rückhalt durch den Familienverband soziale und wirtschaftliche Isolation. Staatliche oder gesellschaftliche Institutionen, die dies auffangen könnten, gebe es im Kosovo praktisch nicht. Für die Frage der Rückführung kosovo-albanischer Frauen sei die Frage entscheidend, ob diese innerhalb des verwandtschaftlichen Netzes aufgenommen würden, wobei eine allein stehende und unverheiratete Frau nach dem traditionellen Rollenverständnis im Kosovo zu ihren männlichen Blutsverwandten zurückzukehren habe. Von Personen, die in den Kosovo zurückkehrten, ohne über eine eigene Unterkunft zu verfügen, werde erwartet, dass sie zunächst bei Familienangehörigen unterkämen. Frauen seien Gewalt in der Familie weitgehend schutzlos ausgesetzt, es gebe vor allem keinen Ort, wo sie Schutz vor Misshandlungen suchen könnten (z.B. Frauenhäuser).

Zu § 7 AsylG führte die belangte Behörde in ihren rechtlichen Erwägungen (lediglich) aus, die Beschwerdeführerin habe "keine staatliche oder staatlich initiierte oder geduldete Verfolgung bzw. Verfolgungsgefahr, oder eine Verfolgung durch Private, wobei der Staat nicht willens oder fähig ist, diese hintanzuhalten, aus asylrelevanten (nämlich in der taxativen Aufzählung in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten) Gründen behauptet". Auf Grund ihrer Zugehörigkeit zur albanisch-moslemischen Mehrheitsbevölkerung im Kosovo ergebe sich nach dem hg. Erkenntnis vom 16. Juli 2003, Zl. 2003/01/0059, eine solche auch nicht aus der allgemeinen aktuellen Lage im Kosovo.

Zu § 8 AsylG führte die belangte Behörde aus, im vorliegenden Fall habe der Onkel der Beschwerdeführerin - den traditionellen Gepflogenheiten im Kosovo entsprechend - nach dem frühen Verlust ihres Vaters diese gemeinsam mit ihrer Mutter und ihren jüngeren Geschwistern aufgenommen. Nachdem jedoch die Verehelichung der Beschwerdeführerin mit einem Montenegriner - wiederum durchaus in Entsprechung der traditionellen Gepflogenheiten im Kosovo - nicht die Billigung des nunmehr als männliches Familienoberhaupt fungierenden Onkels gefunden habe, sei die Beschwerdeführerin von ihrem Onkel wohl weiter verpflegt, jedoch aber eingesperrt und geschlagen worden. Diese Vorgangsweise stelle eine unmenschliche Behandlung im Lichte des Art. 3 EMRK dar. Außerhalb dieses (durch ihren feindlich gesinnten Onkel repräsentierten) Familienverbandes komme der Berufungswerberin jedoch als allein stehender Frau im Kosovo keine Existenzgrundlage zu, sodass im vorliegenden Fall ein Refoulement-Verbot auszusprechen gewesen sei.

Über die gegen Spruchpunkt I dieses Bescheides erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die belangte Behörde hat ihre Entscheidung zunächst zu § 7 AsylG im Ergebnis darauf gestützt, die Beschwerdeführerin habe keine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen behauptet, sowie weiters eine solche aus der allgemeinen aktuellen Lage im Kosovo für die Beschwerdeführerin als Angehörige der albanischmoslemischen Mehrheitsbevölkerung verneint.

Die belangte Behörde hat sich aber nicht auf nachvollziehbare Weise mit der von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Verfolgung von privater Seite unter dem Gesichtspunkt der Asylrelevanz auseinandergesetzt. Das völlige Fehlen näherer Ausführungen zu diesem Thema in der Begründung des angefochtenen Bescheidteils bedeutet angesichts des Umstandes, dass im vorliegenden Fall mehrere Konventionsgründe in Betracht zu ziehen wären (Geschlecht und Familienzugehörigkeit jeweils unter dem Gesichtspunkt der "sozialen Gruppe", sowie auch - wie von der Beschwerde aufgezeigt -

Nationalität und allenfalls politische Gesinnung), einen Begründungsmangel, der einer inhaltlichen Kontrolle der angefochtenen Entscheidung in diesem Punkt entgegensteht.

Der angefochtene Bescheidausspruch war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 30. November 2004

Schlagworte

Allgemein Begründung Begründungsmangel Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2003010504.X00

Im RIS seit

24.12.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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