TE Vwgh Erkenntnis 2004/11/30 2002/18/0036

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Veröffentlicht am 30.11.2004
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Index

E1E;
E3L E05100000;
E3L E05204020;
E3L E20100000;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
19/05 Menschenrechte;
41/01 Sicherheitsrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
59/04 EU - EWR;
82/02 Gesundheitsrecht allgemein;

Norm

11992E008A EGV Art8a Abs1;
12002E018 EG Art18;
31964L0221 Koordinierung-RL EWGVArt56 ordre public Art3 Abs1;
31968L0360 Aufhebungs-RL Aufenthaltsbeschränkungen Arbeitnehmer Art2;
31990L0364 Aufenthaltsrecht-RL Art1 Abs1;
31990L0364 Aufenthaltsrecht-RL Art1 Abs2;
31990L0364 Aufenthaltsrecht-RL Art2 Abs2;
B-VG Art130 Abs2;
MRK Art6;
PaßG 1992 §14 Abs1 Z3 litf;
PaßG 1992 §14 Abs1;
PaßG 1992 §15 Abs1;
PaßG 1992 §19 Abs2;
SMG 1997 §28 Abs6;
SPG 1991 §35;
SPG 1991 §35a;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des P, geboren 1972, vertreten durch Mag. Dr. Ingrid Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rotenturmstraße 19/1/1, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 23. August 2001, Zl. SD 245/01, betreffend Entziehung eines Reisepasses sowie Versagung eines Reisepasses und eines Personalausweises, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 23. August 2001 wurden dem Beschwerdeführer gemäß § 15 Abs. 1 iVm § 14 Abs. 1 Z. 3 lit. f des Passgesetzes 1992 (PassG), BGBl. Nr. 839, idF der Passgesetz-Novelle 1995, BGBl. Nr. 507, der ihm am 30. Mai 1990 ausgestellte Reisepass Nr. U 0707328 entzogen sowie gemäß § 19 Abs. 2 iVm § 14 Abs. 1 Z. 3 lit. f PassG die Ausstellung eines Reisepasses und eines Personalausweises versagt.

Der Beschwerdeführer sei am 25. August 1998 in Deutschland von einer Polizeistreife im Besitz von über 400 Gramm Kokain betreten worden. Nach den Feststellungen des deutschen Strafgerichtes, das ihn zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt habe, sei er angesichts seiner Schulden der Versuchung des "schnellen Geldes" erlegen und habe sich bereit erklärt, die genannten Suchtmittel als Drogenkurier von Frankreich nach Wien zu bringen.

Somit habe der Beschwerdeführer seinen Reisepass bereits einmal iSd § 14 Abs. 1 Z. 3 lit. f PassG dazu zu verwenden versucht, um entgegen den bestehenden Vorschriften Suchtgift in einer großen Menge einzuführen. Der Umstand, dass ihm letztlich die Tatausführung - die Einfuhr des Suchtgiftes nach Österreich - infolge seiner Anhaltung durch die deutsche Polizei nicht geglückt sei, vermöge sein verwerfliches Fehlverhalten nicht zu relativieren. Suchtgiftdelikten hafte nicht nur eine außerordentliche Gefährlichkeit, sondern auch eine überaus hohe Wiederholungsgefahr an. Sohin sei die Annahme gerechtfertigt, der Beschwerdeführer werde seinen Reisepass dazu benützen, um Suchtgift in einer großen Menge einzuführen, auszuführen oder in Verkehr zu setzen. Der seit Begehung seiner Straftat verstrichene Zeitraum sei zu kurz, um angesichts der hohen Wiederholungsgefahr einen Wegfall der Annahme iSd § 14 Abs. 1 Z. 3 lit. f PassG zu bewirken. Der Beschwerdeführer könne ein Wohlverhalten in der Dauer von lediglich sechzehn Monaten geltend machen, weil er sich bis 18. April 2000 in Strafhaft befunden habe.

Da die in § 14 Abs. 1 Z. 3 lit. f PassG genannte Annahme gerechtfertigt sei, sei nicht nur die beantragte Ausstellung eines Reisepasses und eines Personalausweises zu versagen, sondern auch der bereits abgelaufene Reisepass zu entziehen. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers komme der belangten Behörde hierbei kein Ermessen zu. Bei Vorliegen eines Passversagungsgrundes sei die Behörde verpflichtet, die Ausstellung eines Reisepasses oder Personalausweises zu versagen bzw. die Entziehung des Reisepasses auszusprechen. Auf persönliche oder wirtschaftliche Interessen des Betroffenen sei dabei nicht Rücksicht zu nehmen. Das gesamte auf die persönlichen Lebensverhältnisse des Beschwerdeführers abgestellte Vorbringen gehe daher ins Leere.

2. Gegen diesen Bescheid richtete der Beschwerdeführer zunächst eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der diese nach Ablehnung ihrer Behandlung dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat (Beschluss vom 27. November 2001, B 1364/01). Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren machte der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend und beantragte, den Bescheid aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 14 Abs. 1 PassG ist u.a. die Ausstellung eines Reisepasses zu versagen, wenn (Z. 3) Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Passwerber den Reisepass benützen will, um (lit. f) entgegen den bestehenden Vorschriften Suchtgift in einer großen Menge zu erzeugen, einzuführen, auszuführen oder in Verkehr zu setzen.

Nach § 15 Abs. 1 PassG ist ein Reisepass, dessen Gültigkeitsdauer nicht länger als fünf Jahre abgelaufen ist, zu entziehen, wenn nachträglich Tatsachen bekannt werden oder eintreten, die die Versagung der Ausstellung des Reisepasses rechtfertigen.

Nach § 19 Abs. 2 PassG sind auf die Entziehung von Personalausweisen die diesbezüglichen, die gewöhnlichen Reisepässe betreffenden Bestimmungen dieses Bundesgesetzes einschließlich der §§ 9 Abs. 7 und 15 Abs. 5 mit der Maßgabe anzuwenden, dass Entziehungsverfahren auf gültige Personalausweise beschränkt sind.

2. Entgegen den Ausführungen in der Beschwerde ist der belangten Behörde bei der Entscheidung über das Vorliegen eines Passversagungsgrundes kein Ermessen eingeräumt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 18. September 2001, Zl. 2001/18/0169). Der Beschwerdeführer bestreitet weder die rechtskräftige Verurteilung nach dem deutschen Betäubungsmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren und drei Monaten noch die dieser Verurteilung zu Grunde liegende strafbare Handlung. Unbestritten ist insbesondere, dass der Beschwerdeführer versuchte, 400 Gramm Kokain nach Österreich einzuführen. Dabei handelt es sich um Suchtgift in einer großen Menge iSd § 28 Abs. 6 SMG. Wenn die belangte Behörde im Hinblick auf die versuchte Einfuhr von Suchtmitteln in einer großen Menge unter Berücksichtigung des Erfahrungswissens, dass gerade bei Suchtgiftdelikten die Wiederholungsgefahr besonders groß ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 28. Jänner 2003, Zl. 2002/18/0240, mwH), zu dem Ergebnis gekommen ist, dass Tatsachen die Annahme rechtfertigten, der Beschwerdeführer wolle seinen Reisepass und seinen Personalausweis dazu benützen, Suchtgift in einer großen Menge einzuführen, auszuführen oder in Verkehr zu setzen, so kann dies nicht als rechtswidrig erkannt werden. Zum vorgebrachten Wohlverhalten des Beschwerdeführers seit der genannten Verurteilung ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die im Strafvollzug verbrachten Zeiten bei der Beurteilung des Wohlverhaltens außer Betracht zu bleiben haben (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 24. Juli 2002, Zl. 99/18/0260). Im Übrigen ist der seit der Enthaftung am 18. April 2000 verstrichene Zeitraum von nur etwa 16 Monaten bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides - auch angesichts des schwer wiegenden Fehlverhaltens des Beschwerdeführers - zu kurz, um auf einen Wegfall oder auch nur eine entscheidende Minderung der Gefahr weiterer derartiger Straftaten schließen zu können. Von "reiner Willkür" der belangten Behörde kann in diesem Zusammenhang keine Rede sein. Dem weiteren Vorwurf, die belangte Behörde verstoße mit dieser Annahme gegen den Grundsatz der Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 EMRK, ist entgegen zu halten, dass vorliegend nicht über eine strafrechtliche Anklage im Sinne des Art. 6 EMRK entschieden worden ist (vgl. hiezu das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 4. Oktober 1999, VfSlg. Nr. 15.587). Die Entziehung bzw. Versagung eines Passes und eines Personalausweises stellt eine administrativ-rechtliche Maßnahme zum Schutz der öffentlichen Ordnung dar (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 16. Dezember 2003, Zl. 2003/18/0136).

3. 1. Die Beschwerde bringt vor, dass der Beschwerdeführer als österreichischer Staatsbürger gemäß Art. 18 EG Bewegungs- und Aufenthaltsfreiheit genieße. Mangels eines Reisedokumentes sei er gezwungen, "unfreiwillig im österreichischen Bundesgebiet zu verbleiben". Im Licht des Art. 18 EG hätte die belangte Behörde von der Erlassung des angefochtenen Bescheides Abstand nehmen müssen.

3. 2. Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 16. Dezember 2003, Zl. 2003/18/0136, ausgesprochen, dass die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechtes (Art. 8a Abs. 1 EG, Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie des Rates vom 25. Februar 1964, 64/221/EWG, Art. 2 der Richtlinie des Rates vom 15. Oktober 1968, 68/360/EWG, und Art. 1 Abs. 1 und 2 und Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie des Rates vom 28. Juni 1990, 90/364/EWG) die Entziehung des für einen Inländer ausgestellten Reisepasses und die damit verbundene Einschränkung der Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union jedenfalls dann zulassen, wenn es sich hiebei um eine Maßnahme zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit handelt, wobei bei Maßnahmen zur Wahrung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ausschließlich das persönliche Verhalten der in Betracht kommenden Einzelperson ausschlaggebend sein darf.

Vorliegend hat der Beschwerdeführer durch seinen Versuch, eine große Menge Suchtmittel in das Bundesgebiet einzuführen, das Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit sowie der Volksgesundheit gravierend verletzt. Da dieses Verhalten - wie dargetan - den Schluss rechtfertigt, er werde als Inhaber eines Reisepasses und eines Personalausweises auch in Zukunft gegen diese öffentlichen Interessen verstoßen, ist der angefochtene Bescheid auch aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht unbedenklich.

4. Die von der Beschwerde im verwaltungsgerichtlichen Verfahren aufgeworfene Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der gegenständlichen Maßnahmen in Bezug auf eine mögliche Verletzung des Rechtes auf Freiheit der Erwerbstätigkeit war bereits Gegenstand der in dieser Angelegenheit an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Beschwerde, sodass insoweit auf den zitierten Ablehnungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofes verwiesen wird. Bei der Versagung eines Reisepasses kann im Übrigen nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes keine Rücksicht auf die persönlichen und wirtschaftlichen Interessen des Betroffenen genommen werden (vgl. etwa das Erkenntnis vom 27. Jänner 2004, Zl. 2003/18/0155). Dies gilt im Grund des § 15 Abs. 1 PassG in gleicher Weise für die Passentziehung.

5. Wenn der Beschwerdeführer schließlich vorbringt, er könne ohne Reisepass und ohne Personalausweis seiner Mitwirkungspflicht bei der Feststellung seiner Identität gemäß § 35 SPG nicht nachkommen, so ist ihm zu erwidern, dass die Identitätsfeststellung nicht nur anhand eines Reisedokumentes, sondern etwa auch anhand eines Identitätsausweises gemäß § 35a SPG erfolgen kann.

6. Die Beschwerde war sohin gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

7. Der Spruch über den Aufwandsersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 30. November 2004

Schlagworte

Ermessen VwRallg8

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2002180036.X00

Im RIS seit

22.03.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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