TE Vfgh Beschluss 2001/3/14 B1224/00

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.03.2001
beobachten
merken

Index

10 Verfassungsrecht
10/07 Verfassungsgerichtshof, Verwaltungsgerichtshof

Norm

VfGG §85 Abs2 / Allg

Leitsatz

Keine Stattgabe des Antrags auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung betreffend Löschung von Daten aus dem Namensverzeichnis des ADV-E-Registers des Bundesministeriums für Justiz; keine Kompetenz des Verfassungsgerichtshofes zur Erlassung einer einstweiligen Verfügung

Spruch

Dem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung wird keine Folge gegeben.

Begründung

Begründung:

I. 1. Mit Schreiben vom 10. Mai 1999 beantragte der Einschreiter beim Bezirksgericht für Zivilrechtssachen Graz die Löschung seines Namens samt beigefügter Geschäftszahl aus dem Namensverzeichnis des ADV-E-Registers des Bundesministeriums für Justiz, und zwar mit der Begründung, dass die diesbezügliche Eintragung geeignet sei, den Eindruck eines gegen den Einschreiter anhängigen Exekutionsverfahrens zu vermitteln, was aber unrichtig sei.

Das Bezirksgericht Graz wies diesen Antrag mit Beschluss vom 25. Mai 1999 wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurück. Begründend führte das Gericht im Wesentlichen dazu aus, dass eine Löschung schon aus technischen Gründen vollständig der Ingerenz der Gerichte entzogen sei, zuständig sei vielmehr das Bundesministerium für Justiz.

2. In der Folge erhob der Einschreiter Beschwerde an die Datenschutzkommission, in welcher er geltend machte, dass das Aufscheinen seines Namens nebst Geschäftszahl eines seinerzeit gegen ihn geführten Exekutionsverfahrens den Anschein erwecke, dass es sich um ein anhängiges Verfahren handle. Er behauptete weiters mit näherer Begründung die Verletzung in seinen Rechten gemäß §1 DSG 1978 und gemäß Art8 EMRK sowie in den durch die EG-Datenschutzrichtlinie eingeräumten Ansprüchen.

3. Mit Bescheid der Datenschutzkommission vom 14. April 2000 wurde diese Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass "Betroffene im Kontext des ADV-E-Registers keine Auskunfts-, Löschungs- und Richtigstellungsrechte besitzen."

4. Gegen diesen Bescheid wendet sich die zu B1224/00 protokollierte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes sowie einer verfassungswidrigen Verordnung behauptet wird.

5. Mit nachträglich eingebrachtem Schriftsatz stellt der Einschreiter nunmehr darüber hinaus einen Antrag auf einstweilige Anordnung zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts.

Begründend wird dazu ausgeführt:

"Potacs, Die Europäische Union und die Gerichtsbarkeit des öffentlichen Rechts, Gutachten ÖJT 2000, 83 erläutert, daß der VfGH einstweilige Anordnungen erlassen kann und muß, um dem Gemeinschaftsrecht Rechnung zur tragen und zur effektiven Geltung zu verhelfen.

Gemäß Art12 litb RL 95/46/EG garantieren ... die Mitgliedstaaten jedem Betroffenen das Recht auf Löschung von Daten, deren Verarbeitung nicht den Bestimmungen der Richtlinie entspricht. Nicht der Richtlinie entspricht es gemäß Art6 Abs1 litd, wenn sachlich unrichtige Daten verarbeitet werden oder gemäß Art6 Abs1 lite, wenn Daten weiterhin verarbeitet werden, länger als es erforderlich ist.

Die allgemeine Verpflichtung zur Erlassung von einstweiligen Anordnungen ergibt sich direkt aus dem Gemeinschaftsrecht... Die Anordnung hat analog zu §85 Abs2 VfGG zu erfolgen ...

Eine Entscheidung der DSK zugunsten des Beschwerdeführer würde bewirken, daß der Bundesminister für Justiz die Löschung der inkriminierenden Daten vorzunehmen hat. Genau dies erwartet der Beschwerdeführer, daß vom VfGH nunmehr angeordnet wird. Verzögert sich die Löschung weiterhin, wäre der Löschungsanspruch des Beschwerdeführers, der seit November 1997 besteht, praktisch negiert, weil es jahrelang nicht gelingt, die Löschung tatsächlich zu bewirken.

Wie Potacs ausführt, wäre dazu grundsätzlich eine vorläufige Beurteilung der Rechtsfragen im Hauptverfahren vorzunehmen. Konkret müßte der VfGH sich wohl die Frage stellen, ob er gemäß Art12 litb RL 95/46/EG, wonach der Mitgliedstaat dem Betroffenen die Löschung rechtswidriger Daten garantiert, einen Löschungsanspruch des Beschwerdeführers mit hoher Wahrscheinlichkeit als für gerechtfertigt vermutet. Weiters stellt sich die Frage, ob das Interesse des BMJ an der Nichtlöschung die Löschungsinteresse des Beschwerdeführers überwiegt. Dies kann ohne Zweifel verneint werden. Es ist nicht ersichtlich, worin ein gerechtfertigtes Interesse des BMJ liegen könnte, daß völlig veraltete Daten, die nur zu Mißverständnissen und Rufschädigung des Beschwerdeführers führen können, in einer öffentlich zugänglich Datenbank verbleiben. Es wäre im übrigen recht interessant zu wissen, ob das BMJ überhaupt selbst technisch in der Lage ist die Daten zu löschen und auf welchem Weg man die Gerichte künftig zur Löschung ermächtigen könnte.

Zusätzlich kann auf Art14 der RL 95/46/EG hingewiesen werden, der gemäß der Anmerkung zur Regierungsvorlage 1613 XX. GP in §28 DSG 2000 umgesetzt wurde. Art14 verleiht dem Betroffenen das zweifellos unmittelbar anwendbare Recht jederzeit aus überwiegend, schutzwürdigen Interessen die Löschung aus einer öffentlichen Datenbank zu verlangen. Die Mitgliedstaaten haben gemäß Art14 RL 9546/EG '... das Recht der Betroffenen auf Widerspruch anzuerkennen'.

Durch den Bezug auf Art14 RL erübrigt sich im Grunde jede Abwägung zwischen den Interessen des BMJ und denen des Beschwerdeführers, weil sich der Beschwerdeführer unmittelbar darauf berufen kann, daß das BMJ sein Widerspruchsrecht, das ebenso durch einstweilige Anordnung gesichert werden kann, anzuerkennen hat.

...

Entsprechend der vorstehenden Ausführungen möge der Verfassungsgerichtshof anordnen:

       Der Bundesminister für Justiz hat binnen 14 Tagen ab

Zustellung der Anordnung dafür Sorge zu tragen, daß der Eintrag

betreffend den Beschwerdeführer ... in die §73a EO-Datenbank im

Zusammenhang mit dem Verfahren ... bis zum rechtskräftigen Abschluß

des Verfahrens ... beim VfGH samt allfälligem Gesetzprüfungsverfahren

und Folgeverfahren vor der Datenschutzkommission und Rechtsmittel dagegen, nicht mehr abrufbar ist.

Falls die belangte Behörde oder der BMJ gegen die einstweilige Anordnung Widerspruch erhebt und der VfGH den Antrag auf einstweilige Anordnung nicht für berechtigt ansieht, wird die Anberaumung einer mündlichen Anhörung vor der endgültigen Abweisung beantragt."

II. Zum Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung hat der Verfassungsgerichtshof erwogen:

1. Weder die Bundesverfassung noch eine andere Verfassungsbestimmung, noch auch das VerfGG oder die im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof nach §35 VerfGG sinngemäß anzuwendenden Bestimmungen der Zivilprozeßordnung und des Einführungsgesetzes zur Zivilprozeßordnung enthalten eine Regelung, die die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zur Erlassung einer vom Einschreiter begehrten einstweiligen Verfügung begründen könnten.

Der Einschreiter meint aber, dass aus dem Gemeinschaftsrecht unmittelbar eine Verpflichtung des Verfassungsgerichtshofes abzuleiten sei, den Rechtsschutz zu gewährleisten, der sich für den Einzelnen aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts ergebe.

Im vorliegenden Fall kann jedoch dahingestellt bleiben, ob aus den gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen an die Effektivität des Schutzes von Rechten, die sich aus dem Gemeinschaftsrecht ergeben, eine Verpflichtung des Verfassungsgerichtshofes zur Erlassung einstweiliger Anordnungen abzuleiten ist, obwohl eine gesetzliche Ermächtigung zur Setzung entsprechender Akte eines Provisorialrechtsschutzes nicht vorhanden ist; eine Frage, die im Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der schon zitierten Rechtssache Factortame letztlich offen bleibt (vgl. auch den Beschluß VfSlg. 15.057/1997). Denn selbst unter der Annahme, dass der Verfassungsgerichtshof zur Erlassung entsprechender einstweiliger Anordnungen zur Sicherung von gemeinschaftsrechtlich begründeten Rechtspositionen auch ohne innerstaatliche gesetzliche Kompetenzzuweisung allein kraft Gemeinschaftsrechts berufen sein sollte, würde es im vorliegenden Fall an einer hiefür wesentlichen Voraussetzung für die Erlassung einer einstweiligen Anordnung des vom Einschreiter begehrten Inhalts fehlen:

Im vorliegenden Verfahren geht es nämlich nicht um die (vorläufige) Sicherung eines sich für den Einschreiter aus der unmittelbaren Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts ergebenden Rechtes (worauf es nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache Factortame ankommt), sondern um die Sicherung von verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten und die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der angewendeten generellen Rechtsnormen. Hiefür kann - von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmefällen abgesehen - aber aus dem Gemeinschaftsrecht keine Kompetenz zur Erlassung einstweiliger Verfügungen durch den Verfassungsgerichtshof abgeleitet werden.

Der hier vorliegende Fall unterscheidet sich insoferne nicht von jenen, die mit Beschlüssen des Verfassungsgerichtshofes vom 6. April 2000 B508/00 und vom 11. Oktober 2000 B1564/00 in dem Sinne entschieden wurden, dass den Anträgen auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung durch den Verfassungsgerichtshof keine Folge gegeben wurde.

2. Da somit die Voraussetzungen für die Erlassung einer einstweiligen Verfügung durch den Verfassungsgerichtshof nicht vorliegen, war dem darauf abzielenden Antrag keine Folge zu geben, was gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nicht öffentlicher Sitzung beschlossen werden konnte.

Schlagworte

Datenschutz, EU-Recht, Rechtsschutz, VfGH / Verfügung einstweilige

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2001:B1224.2000

Dokumentnummer

JFT_09989686_00B01224_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten