TE Vwgh Erkenntnis 2004/12/15 2002/18/0010

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Veröffentlicht am 15.12.2004
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §1 Z4;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs2;
FrG 1997 §75 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des M, geboren 1965, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 14. Dezember 2001, Zl. St 016/01, betreffend Feststellung gemäß § 75 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 14. Dezember 2001 wurde auf Grund des Antrages des Beschwerdeführers, eines jugoslawischen Staatsangehörigen, vom 23. April 1998 gemäß § 75 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, festgestellt, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer in der Bundesrepublik Jugoslawien gemäß § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei. Seine Abschiebung in die Bundesrepublik Jugoslawien sei somit zulässig.

Im Asylverfahren habe der Beschwerdeführer ausgeführt, dass er im Jahr 1990 an mehreren Demonstrationen teilgenommen habe. Er sei danach von der Polizei festgenommen und während der Anhaltung von Polizisten geschlagen worden. Er habe damals auch erfahren, dass nachts in die Klassenzimmer der albanischen Schulen Nervengas gesprüht worden sei, sodass Kinder vorübergehend gelähmt gewesen seien. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am 23. April 1998 habe er seinen Antrag nach § 75 Abs. 1 FrG damit begründet, dass er in Jugoslawien zwar nicht vorbestraft sei, jedoch von der serbischen Polizei wegen der Teilnahme an diesen Demonstrationen noch immer gesucht werde. Er befürchte bei seiner Rückkehr grundlos eingesperrt oder gar ermordet zu werden. In seiner Berufung vom 29. Jänner 2001 habe der Beschwerdeführer u.a. auf die fehlende innerstaatliche Fluchtalternative sowie auf die partielle radioaktive Verstrahlung des Kosovo hingewiesen.

Mit Schreiben vom 3. September 2001 sei dem Beschwerdeführer ein Auszug aus einem aktuellen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 2. Juli 2001 übermittelt worden, wonach die internationale Schutztruppe im Kosovo die Situation weitgehend unter Kontrolle habe. Der Beschwerdeführer habe in seiner Stellungnahme vom 29. Oktober 2001 ausgeführt, sein Vorbringen dennoch vollinhaltlich aufrecht zu erhalten. Auf Grund der aktuellen Situation im Kosovo könne man ein Gefährdungspotenzial nicht restlos ausschließen. Die gespannte Lage in Mazedonien und das Machtspiel fremder Kräfte im Kosovo würden dazu beitragen, dass eine einzelne Privatperson, die sich jahrelang im Ausland aufgehalten habe, bei ihrer Rückkehr mit massiven Bedrohungen und Beschränkungen im Sinn der §§ 57 und 75 FrG zu rechnen hätte. Zuletzt habe der Beschwerdeführer den Antrag gestellt, die belangte Behörde möge einen aktuellen Situationsbericht über den Kosovo und das Gefährdungspotenzial für aus dem Ausland zurückkehrende Kosovo-Albaner erstellen.

Die belangte Behörde schloss sich in ihrer weiteren Begründung "vollinhaltlich" den Ausführungen des erstinstanzlichen Bescheides vom 9. Jänner 2001 an. Darin hat die Bundespolizeidirektion Linz u.a. Folgendes ausgeführt:

"Was nun ihre Befürchtung betrifft, bei Ihrer Rückkehr in Ihr Heimatland von der serbischen Polizei verhaftet und in einem Gefängnis inhaftiert zu werden, so muss hier ausgeführt werden, dass dies in Ihrem Fall nicht möglich ist. Dies deshalb, da Ihnen in Ihrem Heimatland eine innerstaatliche Fluchtalternative offen steht - nämlich die Provinz Kosovo. ... An dieser Stelle muss festgehalten werden, dass eine allfällige Abschiebung Ihrer Person nicht nach Belgrad oder in den Bereich außerhalb der Provinz Kosovo erfolgt, sondern nur in die Provinz Kosovo (Pristina)."

Zusammenfassend drohe dem Beschwerdeführer mangels Aktualität weder aus der genannten Teilnahme an "Demonstrationen noch aus anderen Gründen bei seiner Rückkehr eine Gefährdung/Bedrohung im Sinn des § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG". Dem Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 2. Juli 2001 zufolge würden der vollständige Abzug der serbischen Verbände im Zusammenwirken mit der militärischen Präsenz der KFOR und der Zeitdauer des UN-Sicherheitsratsmandates ab dem Zeitpunkt 20. Juni 1999 eine weitere asylrelevante Verfolgung der Angehörigen der albanischen Volksgruppe im Kosovo durch "Serbien" bzw. die Bundesrepublik Jugoslawien "als nachhaltig unwahrscheinlich erscheinen". Demnach bestehe für den Beschwerdeführer - zumindest beschränkt auf den Kosovo - eine innerstaatliche Fluchtalternative.

Vor diesem Hintergrund habe man auch von der Erstellung eines aktuellen Situationsberichtes über den Kosovo und über das Gefährdungspotenzial für zurückkehrende Kosovo-Albaner Abstand nehmen können.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 75 FrG das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung des Fremden in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten Bedrohung im Sinn des § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch im Verfahren nach § 75 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Fremden in diesen Staat zu beurteilen.

2. Die Beschwerde wendet sich gegen die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative und bringt vor, die belangte Behörde beschränke sich auf die schlichte Behauptung, dass eine solche zur Verfügung stünde. Sie habe keinerlei Feststellungen dazu getroffen. Eine inländische Fluchtalternative würde voraussetzen, dass der Betroffene nicht in eine ausweglose (unzumutbare) Lage gelange.

In seiner asylrechtlichen Judikatur hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass es sich beim Kosovo seit Institutionalisierung der UN-Verwaltung (seit 20. Juni 1999) um einen eigenen Herkunftsstaat im Sinn des § 1 Z. 4 AsylG handelt, der neben den Staat Serbien und Montenegro (früher: Bundesrepublik Jugoslawien), ohne den Kosovo, tritt. Davon wird insbesondere auch im Zusammenhang mit der Non-Refoulement-Prüfung nach § 8 AsylG ausgegangen. Das zieht als Konsequenz ua. nach sich, dass Aussprüche nach § 8 AsylG, die die "Bundesrepublik Jugoslawien" erfassen, sich jedoch inhaltlich auf die Beurteilung der Situation im Kosovo beschränken, mit Rechtswidrigkeit behaftet sind (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 19. Mai 2004, Zl. 2001/18/0036).

Die belangte Behörde hat sich inhaltlich nicht mit der Situation in der Bundesrepublik Jugoslawien befasst. Mit der Frage, ob der Beschwerdeführer Gefahr läuft, bei seiner Rückkehr in sein Heimatland (allgemein wegen seiner Eigenschaft als Kosovo-Albaner) von der serbischen Polizei verhaftet und inhaftiert zu werden (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 8. September 1999, Zl. 99/01/0126 und Zl. 98/01/0126), hat sich die belangte Behörde - ebenso wie die Erstbehörde - nicht auseinander gesetzt, weil beide auf Grund der angenommenen inneren Fluchtalternative im Kosovo eine Gefährdung des Beschwerdeführers in Jugoslawien (mit dem Kosovo) ausgeschlossen haben.

Angesichts dessen, dass sich die Entscheidung nach § 75 Abs. 1 FrG als das fremdenpolizeiliche Gegenstück zur Entscheidung der Asylbehörden nach § 8 AsylG darstellt, erweist sich die Nichtbehandlung der Verhältnisse im Gebiet der Bundesrepublik Jugoslawien (ohne den Kosovo) nach dem Gesagten als verfehlt und verletzt den Beschwerdeführer in Rechten, weil der Spruch des bekämpften Bescheides - anders als in der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides angekündigt - seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung auch in ein Gebiet der Bundesrepublik Jugoslawien außerhalb des Kosovo ermöglicht, ohne dass insoweit eine inhaltliche Prüfung der Zulässigkeit einer solchen Maßnahme stattgefunden hätte (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis Zl. 2001/18/0036).

3. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 15. Dezember 2004

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2002180010.X00

Im RIS seit

25.01.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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