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50 GewerberechtNorm
B-VG Art140 Abs1 / PräjudizialitätLeitsatz
Zurückweisung eines Gesetzesprüfungsantrags des Obersten Gerichtshofes mangels Präjudizialität infolge der zwischenzeitigen Aufhebung der angefochtenen gewerberechtlichen Bestimmung betreffend das Feilbieten bestimmter Waren im Umherziehen aufgrund eines Urteils des Europäischen Gerichtshofes; keine Anwendung der früheren Rechtslage auch bei einer KostenentscheidungSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung:
I. Beim Obersten Gerichtshof ist eine Revision gegen ein vom Oberlandesgericht Innsbruck bestätigtes Urteil des Landesgerichtes Innsbruck anhängig, mit dem - dem Begehren der klagenden Partei folgend - die beklagte Partei schuldig erkannt wurde, "es im geschäftlichen Verkehr zu unterlassen, Lebensmittel, insbesondere Tiefkühlwaren im Umherziehen und entgegen dem §53a GewO feilzubieten, solange sie nicht in dem Verwaltungsbezirk, in dem sie das Feilbieten im Umherziehen ausübt oder in einer an diesen Verwaltungsbezirk angrenzenden Gemeinde das Lebensmittelhändlergewerbe in einer ortsfesten Betriebsstätte ausübt", die klagende Partei zur Urteilsveröffentlichung im näher umschriebenen Umfang ermächtigt sowie die beklagte Partei zur Zahlung der Prozeßkosten verhalten wurde.
a) Aus Anlaß dieser Revisionssache legte der Oberste Gerichtshof zunächst dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob Art30 EG-Vertrag (nunmehr: Art28 EG) einer Regelung wie die des §53a Abs2 GewO 1994 entgegenstehe.
Mit Urteil vom 13. Jänner 2000, Rs. C-254/98, erkannte der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften für Recht:
"Artikel 30 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG) steht nationalen Vorschriften entgegen, nach denen Bäcker, Fleischer und Lebensmittelhändler nur dann in einem bestimmten Verwaltungsgebiet, wie etwa einem österreichischen Verwaltungsbezirk, Waren im Umherziehen feilbieten dürfen, wenn sie das betreffende Gewerbe auch in einer in diesem Verwaltungsgebiet oder einer angrenzenden Gemeinde belegenen ortsfesten Betriebsstätte ausüben, in der sie die im Umherziehen feilgebotenen Waren ebenfalls feilhalten."
b) Sodann stellte der Oberste Gerichtshof - nunmehr unter Hinweis auf den seinem Verfahren zugrundeliegenden "rein innerösterreichischen Sachverhalt" - beim Verfassungsgerichtshof den vorliegenden, auf Art89 Abs2 iVm Art140 B-VG gestützten Antrag, §53a Abs2 GewO 1994 wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz "unter dem Gesichtspunkt der Inländerdiskriminierung" als verfassungswidrig aufzuheben.
c) Mit BG BGBl. I 88/2000 wurde diese Bestimmung mit Wirksamkeit 11. August 2000 (ersatzlos) aufgehoben.
d) Über Einladung des Verfassungsgerichtshofs zur Frage Stellung zu nehmen, ob und bejahendenfalls aus welchen Gründen der Oberste Gerichtshof die angefochtene, mittlerweile vom Gesetzgeber aufgehobene Bestimmung bei seiner Entscheidung (weiterhin) anzuwenden hat, führte er unter Aufrechterhaltung seines Antrages aus (Beschluß vom 30. Jänner 2001):
"Der Oberste Gerichtshof hat die angefochtene Bestimmung trotz ihrer Aufhebung im Anlassverfahren 4 Ob 22/00i weiterhin anzuwenden.
Zwar fällt nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes mit Aufhebung der genannten Bestimmung die Beschwer der Rechtsmittelwerberin weg, den Unterlassungstitel zu bekämpfen, da ein künftiger Verstoß dagegen (und damit eine Exekutionsführung auf Grund dieses Titels) nicht mehr möglich ist. Da das Rechtsmittel aber noch vor der Gesetzesänderung eingebracht worden ist, kommt die Bestimmung des §50 Abs2 ZPO zur Anwendung, wonach bei der Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens der nachträgliche Wegfall des Rechtsschutzinteresses nicht zu berücksichtigen ist. Für die Kostenentscheidung muss daher der Erfolg des Rechtsmittels hypothetisch nachvollzogen werden (Fucik in Rechberger, ZPO2 §50 Rz 2; JBl 1993, 255; ARD 4935/27/98 = infas 1998, 111 uva; zuletzt 4 Ob 152/99b). §273 ZPO ist nicht anzuwenden, weil die Entscheidung hier nicht von einer Klärung von Tatsachen abhängt (§50 Abs2 zweiter Halbsatz ZPO)."
II. Der Antrag erweist sich als unzulässig:
Der Verfassungsgerichtshof ist zwar nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf jedoch ein Antrag iS des Art140 B-VG bzw. des Art139 B-VG dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, daß die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlaßfall bildet (zB VfSlg. 9811/1983, 10.296/1984, 11.565/1987, 12.189/1989).
Dies ist hier nach Aufhebung der angefochtenen Gesetzesbestimmung kraft BG BGBl. I 88/2000 der Fall:
Auch der Oberste Gerichtshof bestreitet in seiner Stellungnahme vom 30. Jänner 2001 nicht, daß er bei seiner Entscheidung über die anhängige Revision wegen der vom Gesetzgeber (mit BG BGBl. I 88/2000) bewirkten Aufhebung des §53a Abs2 GewO 1994 diese, von ihm beim Verfassungsgerichtshof angefochtene Norm nicht mehr anzuwenden hat. Denn Rechtsänderungen, die nach dem Urteil des Berufungsgerichts bis zur Entscheidung des Revisionsgerichts erfolgen, sind von diesem jedenfalls zu berücksichtigen (Fasching, Lehrbuch des österreichischen Zivilprozeßrechts², 1990, Rz 1927; OGH 25.10.1996, Z1 Ob 2362/96a).
Wenn aber der Oberste Gerichtshof bei Entscheidung über die Revision die aufgehobene Bestimmung des §53a Abs2 GewO 1994 nicht mehr anzuwenden hat, so ist es auch ausgeschlossen, daß bei seiner Kostenentscheidung gemäß §50 Abs2 ZPO die frühere Rechtslage im Sinne des Art89 Abs3 iVm Art140 Abs1 B-VG zur Anwendung gelangt. Da für den Obersten Gerichtshof aber die vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften bejahte Frage, ob Art28 EG einer Regelung wie der des §53a Abs2 GewO 1994 entgegensteht (vgl. oben I.a)), prozeßbestimmend war (- weil anders die Voraussetzungen für die Einleitung eines diesbezüglichen Vorabentscheidungsverfahrens nach Art234 EG gefehlt hätten -), steht nichts einer Kostenentscheidung entgegen, bei der der Oberste Gerichtshof unter Berücksichtigung des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften die Prozeßchancen des Rechtsmittelwerbers in sinngemäßer Anwendung des §50 Abs2 zweiter Halbsatz ZPO nach freier Überzeugung beurteilt. Keineswegs darf hingegen die Bestimmung des §50 Abs2 ZPO derart verstanden werden, daß für die Kostenentscheidung die Anwendbarkeit der vom Gesetzgeber bereits aufgehobenen Bestimmung des §53a Abs2 GewO 1994 perpetuiert wird.
Der Oberste Gerichtshof hat daher mangels anderes anordnender Übergangsvorschriften §53a Abs2 GewO 1994 im Sinne des §62 Abs4 VerfGG nicht mehr anzuwenden. Da seine Zurückziehung nicht erfolgte, ist der Antrag mangels der auch im Zeitpunkt der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes noch erforderlichen Präjudizialität der zur Aufhebung beantragten Norm als unzulässig zurückzuweisen.
Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
EU-Recht, Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes, Gewerberecht, Gewerbeberechtigung, VfGH / Präjudizialität, Zivilprozeß, ProzeßkostenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2001:G27.2000Dokumentnummer
JFT_09989686_00G00027_00