Index
10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §1 Z4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des A, geboren 1974, vertreten durch Dr. Peter Lechenauer und Dr. Margrit Swozil, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Hubert-Sattler-Gasse 10, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom 16. Juli 2001, Zl. Fr-91/1/01, betreffend Zurückweisung eines Feststellungsantrages gemäß § 75 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als sich die Zurückweisung des Feststellungsantrages auf das Gebiet der (früheren) Bundesrepublik Jugoslawien (nunmehr: Serbien und Montenegro) bezieht, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Im Übrigen, d.h., soweit sich die Zurückweisung des Feststellungsantrages auf den Kosovo bezieht, wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 21. Oktober 1998 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen der Bundesrepublik Jugoslawien (nunmehr: Serbien und Montenegro), vom 12. Oktober 1998 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 - AsylG abgewiesen und festgestellt, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung "nach der Bundesrep. Jugosl."
gemäß § 8 leg. cit. zulässig sei.
Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Berufung.
Mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 14. April 2000 wurde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 leg. cit. abgewiesen und gemäß § 8 leg. cit. iVm § 57 FrG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die autonome Provinz Kosovo der Bundesrepublik Jugoslawien zulässig sei.
2. In dem gegen den Beschwerdeführer von der Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung (der Erstbehörde) geführten Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung stellte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 19. Juli 2000 an diese Behörde (u.a.) den Antrag, es wolle gemäß § 75 Abs. 1 FrG festgestellt werden, dass seine Abschiebung, Zurückschiebung, Zurückweisung oder sonstige Zurückschaffung "in die BR Jugoslawien, insbesonders in die ehemals autonome Provinz Kosovo gem. § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 des FrG unzulässig ist".
3. Dieser Antrag wurde mit Bescheid der Erstbehörde vom 29. März 2001 gemäß § 75 Abs. 1 FrG als unzulässig zurückgewiesen.
Begründend führte die Erstbehörde im Wesentlichen aus, dass die Behörde eine Feststellung nach § 75 Abs. 1 leg. cit. dann nicht zu treffen habe, wenn insoweit über die Frage der Unzulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat die Entscheidung einer Asylbehörde vorliege oder diese festgestellt habe, dass für den Fremden in einem Drittstaat Schutz vor Verfolgung bestehe. Der Asylantrag des Beschwerdeführers vom 12. Oktober 1998 sei vom unabhängigen Bundesasylsenat gemäß § 7 AsylG rechtskräftig abgewiesen worden, und es sei gleichzeitig festgestellt worden, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers zulässig sei.
4. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg (der belangten Behörde) vom 16. Juli 2001 wurde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen und der erstinstanzliche Bescheid vom 29. März 2001 bestätigt.
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass sich die Berufung des Beschwerdeführers im Wesentlichen in der Wiedergabe des Bescheides des unabhängigen Bundesasylsenates vom 14. April 2000 und in der Wiedergabe von Monatsberichten der Informationsstelle der Deutschen Caritas und Diakonie in Pristina erschöpfe. Zusammenfassend bringe der Beschwerdeführer dann vor, dass seinem Antrag nach § 75 FrG nunmehr ein neuer und wesentlich anderer Sachverhalt zu Grunde läge und daher sein Antrag nicht als unzulässig zurückgewiesen werden könnte.
Mit dem Bescheid vom 14. April 2000 habe der unabhängige Bundesasylsenat zweifelsfrei auch die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die autonome Provinz Kosovo der Bundesrepublik Jugoslawien festgestellt, sodass die Voraussetzungen des zweiten Satzes "der vorstehenden Norm" (offensichtlich gemeint: des § 75 Abs. 1 FrG) gegeben seien. Auf Grund der Berufung des Beschwerdeführers sei zu prüfen gewesen, ob sich seit dieser Feststellung der Asylbehörde vom 14. April 2000 die Situation im Kosovo dergestalt geändert habe, dass nunmehr von einer für ihn neuen, geänderten Situation in der angeführten Region auszugehen sei.
Hiezu seien seitens der belangten Behörde im Rahmen eines ergänzenden Ermittlungsverfahrens Informationen zur aktuellen Lage in der Provinz Kosovo in Form der bei den Asylbehörden in Verwendung stehenden diesbezüglichen "Länderfeststellung" und der Beobachtung der einschlägigen Medienberichte eingeholt worden. Das Ergebnis dieses ergänzenden Ermittlungsverfahrens sei dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers mit Schreiben vom 26. Juni 2001 mit der Aufforderung zur Kenntnis gebracht worden, sich binnen 14 Tagen dazu zu äußern. Eine Stellungnahme sei jedoch bisher nicht eingelangt.
Auf Grund des Ergebnisses des ergänzenden Ermittlungsverfahrens gelange die belangte Behörde zur Ansicht, dass keine relevanten geänderten Umstände in der Provinz Kosovo vorlägen, und auch die in der Berufung angeführten Umstände seien insgesamt nicht geeignet, eine im Vergleich zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung geänderte Situation aufzuzeigen bzw. daraus eine konkrete Bedrohungssituation im Sinn des § 57 FrG für den Beschwerdeführer ableiten zu können.
Die Erstbehörde habe den Antrag des Beschwerdeführers vom 19. Juli 2000 daher zu Recht gemäß § 75 Abs. 1 FrG als unzulässig zurückgewiesen.
5. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aus einem der Gründe des § 42 Abs. 2 VwGG aufzuheben.
6. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die mit "Non-refoulement-Prüfung" überschriebene Bestimmung des § 8 AsylG in der hier maßgeblichen Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 101/2003 hat folgenden Wortlaut:
"Ist ein Asylantrag abzuweisen, so hat die Behörde von Amts wegen bescheidmäßig festzustellen, ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Fremden in den Herkunftsstaat zulässig ist (§ 57 FrG); diese Entscheidung ist mit der Abweisung des Asylantrages zu verbinden."
Die mit "Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat" überschriebene Bestimmung des § 75 Abs. 1 FrG lautet:
"§ 75. (1) Auf Antrag eines Fremden hat die Behörde mit Bescheid festzustellen, ob stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dieser Fremde in einem von ihm bezeichneten Staat gemäß § 57 Abs. 1 oder 2 bedroht ist. Dies gilt nicht, insoweit über die Frage der Unzulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat die Entscheidung einer Asylbehörde vorliegt oder diese festgestellt hat, dass für den Fremden in einem Drittstaat Schutz vor Verfolgung besteht."
Ein bei der Fremdenpolizeibehörde eingebrachter Antrag auf Feststellung nach § 75 Abs. 1 FrG ist somit wegen entschiedener Sache (als unzulässig) zurückzuweisen, wenn insoweit bereits eine Entscheidung der Asylbehörden nach § 8 AsylG vorliegt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. Mai 2003, Zl. 2003/18/0134, mwN). Den Fremdenpolizeibehörden steht jedoch die Kompetenz zur Abänderung eines "negativen" Ausspruches der Asylbehörden nach § 8 AsylG zu, wenn sich der maßgebliche Sachverhalt wesentlich geändert hat, sodass die Entscheidung hinsichtlich des im Bescheid genannten Staates anders zu lauten hat (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 2002, Zl. 2001/01/0256, mwN).
2. Der Verwaltungsgerichtshof hat weiters in seiner u.a. zu § 8 AsylG ergangenen Judikatur ausgeführt, dass die bloße Sachverhaltsannahme, ein Fremder hätte derzeit im Fall seiner Rückkehr in die Provinz Kosovo "keine Lebensgrundlage", zu allgemein sei, um eine Beurteilung vor dem Hintergrund des § 57 Abs. 1 FrG zu ermöglichen. Einerseits sei eine solche Annahme oder Formulierung an sich unscharf und lasse nicht erkennen, welche Aspekte im Einzelnen damit erfasst werden sollten. Sie wäre nur als conclusio aussagekräftig, die die verschiedenen materiellen Gesichtspunkte menschlicher Existenz (Nahrung, Unterkunft, etc.) zusammenfasse. Andererseits jedoch erfordere die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mehrfach betonte Exzeptionalität der Umstände, die vorliegen müssten, um die Außerlandesschaffung eines Fremden im Hinblick auf außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegende Gegebenheiten im Zielstaat in Widerspruch zu Art. 3 EMRK erscheinen zu lassen, eine ganz besonders detaillierte Darstellung der Verhältnisse der betreffenden Person, und zwar sowohl im Zielstaat der Abschiebung als auch in Österreich. (Vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 21. August 2001, Zl. 2000/01/0443, mit weiteren Hinweisen auf die Judikatur des EGMR; ferner in diesem Zusammenhang etwa das hg. Erkenntnis vom 16. Juli 2003, Zl. 2003/01/0059.)
3. Die Beschwerde bringt (u.a.) unter Darstellung der Lebenssituation des Beschwerdeführers vor, dass er derzeit im Kosovo keine Lebensgrundlage und keine Wohnmöglichkeit und auch in naher Zukunft auf Grund der im Kosovo herrschenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse keine Aussicht habe, einer Arbeit nachzugehen. Seine Abschiebung in den Kosovo würde daher eine unmenschliche Behandlung im Sinn des § 57 FrG bzw. eine erniedrigende Behandlung im Sinn des Art. 3 EMRK darstellen, weil er im Fall seiner Abschiebung in den Kosovo dort in eine auswegslose Lage käme. Er würde wahrscheinlich nicht wegen Hungers sterben, weil voraussichtlich internationale Organisationen solche Folgen verhindern wollten. Dem Beschwerdeführer als jungen Menschen sei es jedoch nicht zuzumuten, dass er einer solchen Situation, welche verbunden sei mit Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung und Resignation, im Kreis seiner Familie entgegengehe. Schon bevor es zu einer solchen Situation komme, werde er als junger Mann die Familie verlassen müssen, um in ein anderes Land einzuwandern oder sich einer bewaffneten Truppe, die sich der Durchsetzung politischer Ziele verschrieben habe, oder einer kriminellen Organisation anzuschließen.
4. Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde nicht auf, inwieweit sich für ihn seit der Erlassung des Bescheides des unabhängigen Bundesasylsenates vom 14. April 2000 die Lebenssituation im Kosovo geändert habe. Von daher kann die Auffassung der belangten Behörde, dass keine relevanten geänderten Umstände vorlägen und der Feststellungsantrag des Beschwerdeführers in Bezug auf die Situation im Kosovo zurückzuweisen sei, im Ergebnis nicht als rechtswidrig erkannt werden.
5. Allerdings erweist sich der angefochtene Bescheid aus folgenden Gründen - zum Teil - als rechtswidrig:
Nach der hg. Rechtsprechung handelt es sich beim Kosovo seit der Institutionalisierung der UN-Verwaltung (seit 20. Juni 1999) um einen eigenen Herkunftsstaat im Sinn des § 1 Z. 4 AsylG, der neben den Staat Serbien und Montenegro (früher: Bundesrepublik Jugoslawien), ohne den Kosovo, tritt (vgl. etwa das Erkenntnis vom 19. Mai 2004, Zl. 2001/18/0036).
Im Verwaltungsverfahren hat der Beschwerdeführer gemäß § 75 Abs. 1 FrG den Antrag gestellt, es wolle festgestellt werden, dass seine Abschiebung, Zurückschiebung, Zurückweisung oder sonstige Zurückschaffung "in die BR Jugoslawien, insbesonders in die ehemals autonome Provinz Kosovo gem. § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 des FrG unzulässig ist". Dieser Feststellungsantrag bezieht sich somit nicht nur auf den Kosovo, sondern auch auf das Gebiet der (früheren) Bundesrepublik Jugoslawien (nunmehr: Serbien und Montenegro). Mit dem obzitierten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 14. April 2000 wurde eine Feststellung gemäß § 8 AsylG lediglich in Bezug auf die "autonome Provinz Kosovo der Bundesrepublik Jugoslawien", nicht jedoch in Bezug auf das Gebiet der (früheren) Bundesrepublik Jugoslawien getroffen.
In der Beschwerde macht der Beschwerdeführer u.a. im Rahmen der Ausführungen zu den Beschwerdepunkten geltend, durch den angefochtenen Bescheid in dem Recht, dass sein Feststellungsantrag (hinsichtlich der "BR Jugoslawien, insbesondere in die ehemals autonome Provinz Kosova") nicht wegen entschiedener Sache als unzulässig zurückgewiesen werde, verletzt zu sein.
Da der Feststellungsantrag auch das Gebiet der (früheren) Bundesrepublik Jugoslawien zum Gegenstand hat und mit dem angefochtenen Bescheid zurückgewiesen wurde, verletzte dieser den Beschwerdeführer somit in seinem Recht, dass insoweit über seinen Antrag meritorisch entschieden werde.
6. Der angefochtene Bescheid erweist sich daher in Bezug auf das Gebiet der (früheren) Bundesrepublik Jugoslawien seinem Inhalt nach als rechtswidrig, sodass er insoweit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war. In Bezug auf den Kosovo war die Beschwerde hingegen gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
7. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 15. Dezember 2004
Schlagworte
Besondere Rechtsgebiete Zurückweisung wegen entschiedener SacheEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2001180165.X00Im RIS seit
26.01.2005