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L65003 Jagd Wild Niederösterreich;Norm
AVG §52;Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn): 2002/03/0114 E 17. Dezember 2004 2002/03/0115 E 31. Jänner 2005Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Berger und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Beschwerde des AS in A, vertreten durch Mag. Dr. Rudolf Gürtler, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Seilergasse 3, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 27. Februar 2002, Zl. Senat-MI-01-0065, betreffend eine Übertretung des NÖ JagdG 1974, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Mistelbach vom 31. Oktober 2001wurde der Beschwerdeführer für schuldig erkannt, er habe am 15. September 2000, gegen 5.30 Uhr, an einer näher bezeichneten Örtlichkeit im Genossenschaftsjagdgebiet A "bei nicht ausreichendem Büchsenlicht auf einen Rothirsch geschossen, wodurch ein sicheres Ansprechen des Wildes zu diesem Zeitpunkt nicht gewährleistet war, und somit nicht in einer als weidgerecht anerkannten Weise die Jagd ausgeübt und gegen die Weidgerechtigkeit verstoßen". Er habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 135 Abs. 1 Z 25 in Verbindung mit § 2 Abs. 2 NÖ JagdG 1974 begangen und es wurde über ihn gemäß § 135 Abs. 2 leg. cit. eine Geldstrafe in der Höhe von S 5.000,-- (EUR 363,36) (Ersatzfreiheitsstrafe: 5 Tage) verhängt.
Begründend verwies die Bezirkshauptmannschaft zunächst auf ein "Gutachten" der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG), in dem festgehalten sei, dass der astronomische Sonnenaufgang am 15. September 2000 gegen 6.31 Uhr (MESZ) gewesen sei; "zur Tatzeit um 5.30 Uhr hatte die bürgerliche Dämmerung noch nicht begonnen und es war daher noch nachtdunkel". Der jagdfachliche Amtssachverständige habe in seinem Gutachten festgestellt:
"Oberstes Gebot bei der Jagdausübung sollte für jeden Jäger sein, die Schussabgabe auf ein zu erlegendes Stück nur dann durchzuführen, wenn dieses einerseits mit absoluter Sicherheit angesprochen werden kann und darüber hinaus ausreichende Sichtverhältnisse für eine gesicherte Schussabgabe gegeben sind. Die jagdrechtliche Bestimmung, dass die Schussabgabe auf Rotwild innerhalb von 90 Minuten vor bzw. nach Sonnenauf/untergang vorgenommen werden kann, gewährt im Sinne einer weidgerechten Ausübung der Jagd sicherlich nicht die Abgabe eines Schusses, wenn bereits innerhalb dieser Zeit unzureichende Sicht- bzw. Lichtverhältnisse gegeben sind. Laut zitierter Aussage der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik hatte zum Zeitpunkt der Schussabgabe im Bereich A die bürgerliche Dämmerung noch nicht begonnen und war es noch nachtdunkel.
Dies bedeutet, dass die Sichtverhältnisse für ein absolut sicheres Ansprechen sowie eine den Intentionen der Weidgerechtigkeit entsprechende sichere Schussabgabe offensichtlich nicht gegeben war(en). Unter anderem spricht dafür auch die Tatsache, dass der Schuss so ungenau erfolgt sei, dass der Hirsch trotz entsprechender Nachsuche erst 3 Tage nach Schussabgabe zu Stande gebracht werden konnte. Unabhängig davon wird aus jagdfachlicher Sicht festgestellt, dass die Schussabgabe zu einem Zeitpunkt stattgefunden hat, wo es in diesem Bereich nachtdunkel war.
Unter diesen Voraussetzungen kann der Vorgang des Ansprechens sowie der Schussabgabe nicht als absolut sicher bezeichnet werden. Eine Schussabgabe hätte in diesem Fall unterbleiben müssen. Die Intentionen der Weidgerechtigkeit gemäß § 2 NÖ Jagdgesetz wurden somit verletzt.
Dass die Sichtverhältnisse im gegenständlichen Fall ganz offensichtlich nicht ausreichend genug waren, bestätigt auch die Tatsache, dass Sie nicht einmal nach dem Schuss mit eindeutiger Sicherheit feststellen konnten, ob der Hirsch im Anschuss liegt oder nicht. Dies ergibt sich eindeutig aus der Aussage von Ihnen beim GP G, wonach Sie nach Abgabe des Schusses das Fernglas nahmen und sich öfter vergewissert haben, dass der Hirsch am Anschuss liegen geblieben ist. Nach einiger Zeit des Wartens, bis zum vermeintlichen Verenden des Hirschen gingen Sie zum Anschuss und fanden den Hirsch jedoch nicht mehr vor. Offensichtlich waren nicht einmal während der vergangenen Zeit zwischen Schussabgabe und Aufsuchen des Anschusses die Sichtverhältnisse ausreichend genug gewesen, um eindeutig feststellen zu können, ob der Hirsch liegt oder geflüchtet ist."
Zur Stellungnahme des Beschwerdeführers zu diesem Gutachten - in dieser hat der Beschwerdeführer u.a. ausgeführt, dass die Sicht einwandfrei gewesen und bei "keiner Einschränkung der horizontalen Sicht und einer Temperatur von + 13 Grad C das Ansprechen eines Stückes Schalenwild auf eine Entfernung von 100 Meter mit Feldstecher und Spektiv jederzeit klar und deutlich möglich" gewesen sei, sodass genügend Schusslicht für die Abgabe eines Schusses geherrscht habe; die im "astronomischen Befund" genannten Begriffe der "bürgerlichen Dämmerung" und Nachtdunkelheit hätten mit der Jagd und der Frage eines ausreichenden Schusslichtes nichts zu tun; er habe vor der Schussabgabe vier Stück Rotwild "in Anblick bekommen", habe auch den Hirsch "als nach den Bestimmungen über die Abschussplanung 'noch freien' Rothirschen richtig qualifiziert" und diesen "bei gutem Schusslicht 'breit stehend' geschossen, was der Schusskanal bezeugte" - führte die Strafbehörde erster Instanz aus, diese Stellungnahme habe die Richtigkeit und Schlüssigkeit der Ausführungen des Jagdsachverständigen nicht in Zweifel zu ziehen vermocht.
Der Beschwerdeführer erhob gegen das erstinstanzliche Straferkenntnis Berufung. Er brachte darin unter Verweis auf seine Stellungnahme im Verfahren erster Instanz u.a. vor, er habe die "90 Minuten-Regelung" des NÖ JagdG eingehalten und es sei zum Tatzeitpunkt ein Ansprechen mit einem Fernglas bzw. Zielfernrohr leicht möglich gewesen. Die Behörde erster Instanz habe zu Unrecht nicht festgestellt, dass Schusslicht geherrscht habe. Der Vorwurf, die Sicht sei "ganz offensichtlich" nicht ausreichend gewesen, sei falsch. Wenn die Bestimmungen zur Weidgerechtigkeit so ausgelegt würden, dass jeder nicht sofort tödliche Schuss als "Schuss ohne Sicht", "Schuss ohne Ansprechen" oder "Schuss ohne Identifikation des Ziels" gewertet würde, "wäre eine gesetzmäßige Ausübung der Jagd gar nicht möglich, denn bei jedem Schuss kann ... (es) passieren, dass das Wildstück nicht sofort im Feuer liegt (trotz eines guten Treffers) und es nicht zu Stande gebracht werden kann (trotz eines ordnungsgemäßen Treffers)".
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Berufung - ohne Durchführung einer Berufungsverhandlung - abgewiesen. Auf Grund des Ermittlungsverfahrens der Jagdbehörde erster Instanz, der Stellungnahmen des Beschwerdeführers sowie dessen Berufungsausführungen stehe fest, dass der Beschwerdeführer die ihm angelastete Verwaltungsübertretung begangen habe. Der jagdfachliche Sachverständige habe unter Berücksichtigung des meteorologischen Gutachtens festgestellt, dass zur Tatzeit keine ausreichenden Sichtverhältnisse für eine gesicherte Schussabgabe vorhanden gewesen seien. Ein Schuss bei unzureichenden Lichtverhältnissen habe auch dann zu unterbleiben, wenn die Frist zur Schussabgabe nach dem Jagdgesetz eingehalten werde. Da die Abgabe des Schusses "somit ... ohne absolut sicheres und 100 %iges Ansprechen stattgefunden hat", sei die Berufung abzuweisen gewesen. "Im Übrigen", insbesondere in Bezug auf die Strafzumessung, werde auf die Begründung des Bescheides der Behörde erster Instanz verwiesen.
Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Gemäß § 135 Abs. 1 Z 25 NÖ Jagdgesetz 1974, LGBl. 6500-14 (JG), begeht, wenn die Tat nicht einen Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet, eine Verwaltungsübertretung, wer "einem in diesem Gesetz oder auf Grund dieses Gesetzes verfügten sonstigen Verbot oder Gebot zuwiderhandelt".
§ 2 Abs. 2 JG bestimmt:
"Die Jagd ist in einer allgemein als weidgerecht anerkannten Weise und unter Beobachtung der Grundsätze einer geordneten Jagdwirtschaft auszuüben."
§ 95 JG ("Verbote sachlicher Art") verbietet gemäß Abs. 1 Z 3 dieser Bestimmung:
"die Ausübung der Jagd zur Nachtzeit, das ist die Zeit von 90 Minuten nach Sonnenuntergang bis 90 Minuten vor Sonnenaufgang; ausgenommen von diesem Verbot ist die Jagd auf Schwarz- und Raubwild, den Auer- und Birkhahn, Wildgänse, Wildenten und Schnepfen".
Der Beschwerdeführer macht unter anderem geltend, der Amtssachverständige und die belangte Behörde hätten es unterlassen die bei der Schussabgabe herrschenden konkreten Lichtverhältnisse und die "eingesetzte Optik, und zwar Fernrohr und Zielfernrohr" zu prüfen. Mit der eingesetzten Jagdoptik habe unter den im Beschwerdefall gegebenen Verhältnissen das Rotwild durchaus weidgerecht angesprochen und geschossen werden können. Der Beschwerdeführer habe vom Beobachten und Ansprechen des Wildes, das schon um 5.00 Uhr erfolgt sei, bis zur Schussabgabe um 5.30 Uhr eine halbe Stunde "in durchaus verantwortungsvoller und weidgerechter Weise zugewartet". Im Gutachten der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik seien "keine Einschränkungen der horizontalen Sicht durch Dunst oder Nebel" festgestellt worden. Die vom Amtssachverständigen aus diesem Gutachten übernommenen Begriffe "bürgerliche Dämmerung" und "nachtdunkel" seien dem NÖ JG "und der jagdlichen Terminologie generell fremd".
Mit diesem Vorbringen zeigt der Beschwerdeführer einen wesentlichen Mangel des dem angefochtenen Bescheid zu Grunde liegenden Gutachtens auf.
Nach § 95 Abs. 1 Z 3 JG ist die Ausübung der Jagd von 90 Minuten nach Sonnenuntergang bis 90 Minuten vor Sonnenaufgang generell verboten. Auch eine nach § 95 Abs. 1 Z 3 JG nicht ausdrücklich verbotene Schussabgabe kann infolge des Gebotes des § 2 Abs. 2 JG, die Jagd in einer allgemein als weidgerecht anerkannten Weise auszuüben, unzulässig sein, weil - wie der Sachverständige unwidersprochen ausgeführt hat - eine weidgerechte Jagdausübung ausreichende Sichtverhältnisse für eine gesicherte Schussabgabe erfordert. Um eine gemäß § 135 Abs. 1 Z 25 JG strafbare Zuwiderhandlung gegen das Gebot der weidgerechten Jagdausübung annehmen zu können, sind in einem solchen Fall aber Feststellungen über die konkreten Sichtverhältnisse und über die unter diesen Sichtverhältnissen geeignete Optik erforderlich. Zutreffend zeigt der Beschwerdeführer auf, dass allein aus dem Befund der ZAMG, wonach zum Zeitpunkt der Schussabgabe die bürgerliche Dämmerung noch nicht begonnen hatte (laut Brockhaus in 15 Bänden (1997) III 117 f. ist "bürgerliche Dämmerung" die "Zeit, während der man ohne künstliche Beleuchtung noch lesen kann; die Sonne steht dann höchstens 6,5 Grad unter dem Horizont"), noch nicht geschlossen werden kann, dass eine weidgerechte Ausübung der Jagd zu einem früheren - noch innerhalb der nach § 95 Abs. 1 Z 3 JG zulässigen Tageszeit - gelegenen Zeitpunkt nicht möglich wäre. Dem Befund der ZAMG konnten im Hinblick auf die darin als "mäßig bis stark bewölkt" beschriebene Wetterlage (wobei "keine Einschränkung der horizontalen Sicht durch Dunst oder Nebel" gegeben gewesen sei) auch keine Anhaltspunkte für Sichtverhältnisse entnommen werden, die eine Auseinandersetzung mit der vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten "Jagdoptik" entbehrlich erscheinen ließen. Dass die Sichtverhältnisse für eine allgemein als weidgerecht anerkannte sichere Schussabgabe "offensichtlich" nicht gegeben gewesen seien, kann daher nicht gesagt werden. Auch die vom Sachverständigen darüber hinaus angeführten Umstände (der Schuss sei so ungenau erfolgt, dass eine dreitägige Nachsuche nach dem verletzten Wild erforderlich gewesen sei, und der Beschwerdeführer habe nach der Schussabgabe auch unter Verwendung eines Fernglases nicht eindeutig feststellen können, ob der Hirsch liege oder geflüchtet sei) sind für sich nicht geeignet, die Schlussfolgerungen des Gutachtens zu tragen.
Der Beschwerdeführer hat die die Schlüssigkeit des Gutachtens beeinträchtigenden Mängel in seiner Berufung aufgezeigt und darüber hinaus auch weiteres Vorbringen erstattet (u.a. zu den tatsächlich gegebenen Sichtverhältnissen, die ihm eine 30-minütige Beobachtung des Wildes vor Abgabe des Schusses erlaubt hätten, sowie zur Art des Treffers und den daraus nach seiner Auffassung zu ziehenden Schlüssen). Im vorliegenden Fall konnte die belangte Behörde daher nicht davon ausgehen, dass eine mündliche Berufungsverhandlung im Sinne des § 67d Abs. 1 AVG nicht erforderlich gewesen wäre.
Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde bei Vermeidung der aufgezeigten Verfahrensmängel zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 17. Dezember 2004
Schlagworte
"zu einem anderen Bescheid" Besondere Rechtsgebiete Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung Besonderes FachgebietEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2002030113.X00Im RIS seit
27.01.2005