Index
L72006 Beschaffung Vergabe Steiermark;Norm
BVergG 2002 §100 Abs4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Stöberl, Dr. Rigler, Dr. Bayjones und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Weiss, über die Beschwerde der Steiermärkischen Krankenanstaltengesellschaft mbH in Graz, vertreten durch Dr. Georg-Christian Gass und Dr. Alexander M. Sutter, Rechtsanwälte in 8010 Graz, Zimmerplatzgasse 1, gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 30. April 2004, GZ. UVS 443.7-2/2004-9, betreffend Nichtigerklärung einer Zuschlagsentscheidung (mitbeteiligte Partei: Ing. A. GesmbH in S, vertreten durch Kleinszig-Puswald-Wolf-Kassin, Rechtsanwälte in 9300 St. Veit/Glan, Unterer Platz 11), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Land Steiermark und der Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von je EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem hier allein gegenständlichen Spruchpunkt I. des Bescheides vom 30. April 2004 hat der unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark in der Vergabesache "Zubau Landeskrankenhaus Judenburg-Knittelfeld Gew. 56 Fassade, T 5-K08/301590" über Antrag der Mitbeteiligten die Entscheidung der Beschwerdeführerin, den Zuschlag dem Unternehmen H. zu erteilen, für nichtig erklärt.
In der Begründung dieser Entscheidung führte die belangte Behörde - soweit hier wesentlich - aus, dass den vier Bietern am 2. März 2004 die beabsichtigte Zuschlagserteilung an das Unternehmen H. bekannt gegeben worden sei. Die Mitbeteiligte habe den Nachprüfungsantrag vom 9. März 2004 im Wesentlichen damit begründet, dass bei der Angebotseröffnung die Angaben der Bieter zu den Zuschlagskriterien Leistungsfrist und Verlängerung der Mängelvermutungsfrist nicht verlesen worden wären. Dadurch wäre eine zum Bietersturz führende Manipulation ermöglicht worden.
Die Beschwerdeführerin habe dagegen vorgebracht, dass durch die Verlesung derartiger Angaben, die für die Bewertung des Angebots relevant wären, Geschäftsgeheimnisse offenkundig würden. Eine Manipulation könnte durch Kennzeichnung der Angebote samt Beilagen verhindert werden. Bei den im Gesetz genannten "wesentlichen Erklärungen" eines Bieters handelte es sich um solche, die etwa in Begleitschreiben enthalten wären.
Gemäß § 88 Abs. 5 Z. 3 Bundesvergabegesetz 2002 - BVergG, BGBl. I Nr. 99, seien aus den Angeboten u.a. wesentliche Vorbehalte und Erklärungen der Bieter vorzulesen. Vorliegend seien als Zuschlagskriterien der Preis mit 70 %, die Liefer- bzw. Fertigstellungsfristen mit 20 % und die Verlängerung der Mängelvermutungsfrist mit 10 % festgelegt worden. Daher handle es sich bei den Angaben der Bieter zur Leistungsfrist und zur Verlängerung der Mängelvermutungsfrist jedenfalls um wesentliche Erklärungen, die zu verlesen seien. Dabei handle es sich um zahlenmäßige Angaben, die dem Zuschlagskriterium Preis glichen. Um eine Nachvollziehbarkeit der Zuschlagsentscheidung zu gewährleisten, wäre die Verlesung dieser Angaben notwendig gewesen. Der vorliegende Fall sei ein gutes Beispiel dafür, warum die Verlesung derartiger Angebotsbestandteile notwendig sei. Die Mitbeteiligte sei beim Zuschlagskriterium Preis am besten gelegen. Die Zuschlagsentscheidung zu Gunsten des Unternehmens H. wäre nur bei Verlesung der Bieterangaben zu den weiteren Zuschlagskriterien nachvollziehbar gewesen.
Aus dem Akteninhalt ergibt sich dazu, dass die Angebote der Mitbeteiligten und des Unternehmens H. beim Kriterium Liefer- bzw. Fertigstellungsfristen nicht auseinander lagen und daher gleich bewertet wurden. Die Mitbeteiligte hat keine Verlängerung der Mängelvermutungsfrist angeboten, während das Unternehmen H. diese Frist auf 20 Monate verlängert hat, was zu einer besseren, insgesamt den Ausschlag gebenden Bewertung geführt hat.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde und die mitbeteiligte Partei erstatteten je eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerdeführerin bringt - soweit hier wesentlich - vor, dass gemäß § 88 Abs. 5 BVergG die Preise und allfällige wesentliche Vorbehalte und Erklärungen der Bieter zu verlesen seien. Hingegen seien nicht alle für die Angebotsbewertung maßgeblichen Angaben zu verlesen. Bei den im Gesetz genannten wesentlichen Erklärungen und Vorbehalten handle es sich um solche, die nicht im Angebot selbst, sondern in Begleitschreiben hiezu enthalten seien und Abweichungen von den Ausschreibungsunterlagen zum Inhalt hätten. Beim Anbot einer längeren Mängelvermutungsfrist handle es sich jedoch vorliegend nicht um eine von den Ausschreibungsbedingungen abweichende Erklärung. Diese sei daher nicht zu verlesen. Es sei nicht gefordert, dass die Bieter im Zug der Angebotseröffnung bereits die Zuschlagsentscheidung objektiv nachvollziehen könnten. Überdies habe sich die belangte Behörde nicht mit der Relevanz der von ihr angenommenen Rechtswidrigkeit für den Ausgang des Verfahrens auseinandergesetzt. Wären die Angaben der Bieter zu den Zuschlagskriterien Leistungsfrist und Verlängerung der Mängelvermutungsfrist verlesen worden, so hätte sich bei der Bewertung der Angebote keine andere Reihenfolge ergeben. Die Mitbeteiligte sei bei der Eröffnung der Angebote gar nicht anwesend gewesen. Sie habe daher die Unterlassung von Verlesungen auch nicht gerügt und könne sich daher nicht darauf berufen.
Die §§ 83 und 88 BVergG lauten auszugsweise:
"§ 83. (1) Jedes Angebot muss insbesondere enthalten:
...
6. sonstige für die Beurteilung des Angebotes geforderte oder vom Bieter für notwendig erachtete Erläuterungen, besondere Erklärungen oder Vorbehalte; ...
§ 88. ...
(5) Aus den Angeboten - auch Alternativangeboten - sind folgende Angaben vorzulesen und in der Niederschrift festzuhalten:
1.
Name und Geschäftssitz des Bieters;
2.
der Gesamtpreis oder der Angebotspreis mit Angabe des Ausmaßes allfälliger Nachlässe und Aufschläge und, wenn die Vergabe in Teilen oder für die ganze Leistung oder für die Teile derselben Varianten vorgesehen waren, auch die Teilgesamtpreise oder Teilangebotspreise sowie die Variantenangebotspreise;
3. wesentliche Vorbehalte und Erklärungen der Bieter.
Aus Schreiben der Bieter, mit welchen einzelne Preise oder der Gesamtpreis des Angebots abgeändert werden, dürfen nur die geänderten einzelnen Einheits- oder Positionspreise sowie der geänderte Gesamtpreis oder Angebotspreis bekannt gegeben werden. Andere Angaben dürfen den Bietern nicht zur Kenntnis gebracht werden. Wenn auf Grund der Vielzahl der Preise eine Verlesung derselben untunlich wäre, so sind den Bietern, die dies beantragen, die Preise binnen zwei Arbeitstagen nachweislich bekannt zu geben."
Dass es sich bei den gemäß § 88 Abs. 5 BVergG bei der Angebotseröffnung zu verlesenden Teilen der Angebote um eine taxative Aufzählung handelt, ergibt sich aus dem vorletzten Satz dieser Bestimmung, wonach andere Angaben den Bietern (bei der Angebotseröffnung) nicht zur Kenntnis gebracht werden dürfen.
Im vorliegenden Fall ist die Frage zu klären, ob aus den Angeboten die Liefer- bzw. Fertigstellungsfrist und die allenfalls enthaltene Verlängerung der Mängelvermutungsfrist, wobei es sich jeweils um Zuschlagskriterien handelt, zu verlesen waren. Da es sich bei diesen Angebotsbestandteilen nicht um Angebotspreise handelt, käme nur eine Subsumtion unter § 88 Abs. 5 Z. 3 BVergG "wesentliche Vorbehalte und Erklärungen der Bieter" in Betracht.
Was unter dieser Wendung zu verstehen ist, wird weder im Gesetz noch in den Erläuterungen konkretisiert. Das Bundesvergabegesetz 1997, BGBl. I Nr. 56, normierte diesbezüglich in § 46 Abs. 4, dass hinsichtlich der Öffnung der Angebote durch Verordnung die Bestimmungen der ÖNorm A 2050 für bindend zu erklären sind. Eine gleichlautende Regelung enthielt das Steiermärkische Vergabegesetz 1998, LGBl. Nr. 74, in § 44 Abs. 4. Die genannte ÖNorm lautet in ihrem Punkt 4.2.6 (auszugsweise):
"Aus den Angeboten - auch Alternativangeboten - sind vorzulesen:
Name und Geschäftssitz des Bieters, der Gesamtpreis (ohne Umsatzsteuer) oder der Angebotspreis (mit USt) unter Berücksichtigung allfälliger Nachlässe und Aufschläge mit Angabe ihres Ausmaßes und, wenn die Vergabe in Teilen vorgesehen war, auch die Preise dieser Teile; wesentliche Vorbehalte und Erklärungen der Bieter (3.2.5).
..."
Die der geltenden Rechtslage entsprechende Wendung "wesentliche Vorbehalte und Erklärungen der Bieter" war somit durch den in Klammer nachgestellten Hinweis auf Punkt 3.2.5 der ÖNorm näher erläutert. Nach dem in diesem Zusammenhang ausschließlich in Betracht kommenden Abs. 7 erster Halbsatz des Punktes 3.2.5 der ÖNorm A2050 muss jedes Angebot "sonstige für die Beurteilung des Angebotes geforderte und/oder vom Bieter für notwendig erachtete Erläuterungen, besondere Erklärungen und/oder Vorbehalte; ..." enthalten. Diese Regelung entspricht dem geltenden § 83 Abs. 1 Z. 6 erster Halbsatz BVergG. Da keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass diesbezüglich durch das BVergG eine inhaltliche Änderung bewirkt werden sollte, wird auch die Wendung "wesentliche Vorbehalte und Erklärungen der Bieter" in § 88 Abs. 5 Z. 3 BVergG durch den in § 83 Abs. 1 Z. 6 leg. cit. normierten notwendigen Inhalt von Angeboten näher erläutert. Nach dieser Norm haben Angebote "sonstige" (neben den in den Z. 4 und 5 genannten Preisen) "Erläuterungen, besondere Erklärungen und Vorbehalte" zu enthalten, die "für die Beurteilung des Angebotes" von Bedeutung sind. Ist aber - wie im vorliegenden Fall - neben dem Preis die Leistungsfrist und die allenfalls angebotene Verlängerung der Mängelvermutungsfrist als Zuschlagskriterium festgelegt, so handelt es sich bei den diesbezüglichen Angaben in den Angeboten zweifellos um besondere für die Beurteilung des Angebots bedeutsame Erklärungen und somit um wesentliche Erklärungen der Bieter, die gemäß § 88 Abs. 5 Z. 3 BVergG bei der Angebotseröffnung zu verlesen sind, wobei die Verlesung auch im Hinweis auf den Umstand, dass ein Bieter keine Verlängerung der Mängelvermutungsfrist angeboten hat, bestehen kann.
Bei den angebotenen Liefer- bzw. Fertigstellungsfristen und allfälligen Verlängerungen der Mängelvermutungsfrist handelt es sich um bloße Zeitangaben. Für die Verlesung dieser Angaben ist die Preisgabe von umfangreichen Teilen des Angebots nicht erforderlich. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte - solche werden auch in der Beschwerde nicht behauptet - bestand für die belangte Behörde daher keine Veranlassung, davon auszugehen, dass es sich hiebei um Angaben handelt, deren Bekanntgabe öffentlichen Interessen oder berechtigten Geschäftsinteressen von Unternehmen widerspricht oder dem freien und lauteren Wettbewerb schadet, und die daher nicht gemäß § 100 Abs. 4 BVergG einem unterlegenen Bieter - und somit auch nicht allen Bietern bei der Angebotseröffnung - bekannt gegeben werden dürfen.
Die gesetzlich vorgesehenen Verlesungen anlässlich der Angebotseröffnung dienen nicht nur der Transparenz des Vergabeverfahrens, sondern haben auch "präventive Wirkung hinsichtlich der Manipulation der Angebote" (vgl. Hahnl, Bundesvergabegesetz 2002, S. 459, K.4 zu § 88). Werden Teile des Angebots in gesetzwidriger Weise nicht verlesen, so ist die gemäß § 14 Abs. 1 des Steiermärkischen Vergabe-Nachprüfungsgesetzes, LGBl. Nr 43/2003, geforderte Relevanz der Rechtswidrigkeit für den Ausgang des Vergabeverfahrens entgegen der Beschwerdemeinung nicht erst dann gegeben, wenn eine Manipulation (etwa durch nachträgliche Änderung des Angebots) vorliegt. In einem solchen Fall wäre eine Nichtigerklärung ohnehin schon auf Grund dieser Manipulation - die jedenfalls den Vergabegrundsätzen gemäß § 21 BVergG widerspricht - möglich. Vielmehr ist die Relevanz bereits dann gegeben, wenn durch die Unterlassung der Verlesung eine Manipulation in einem für den Ausgang des Vergabeverfahrens wesentlichen Bereich ermöglicht bzw. erleichtert würde. Gerade dies ist hier der Fall, wäre doch die Mitbeteiligte bei ausschließlicher Berücksichtigung des (verlesenen) Zuschlagskriteriums Preis Bestbieter gewesen. Die insgesamt bessere Bewertung des Unternehmens H. beruht auf dem nicht verlesenen Zuschlagskriterium Verlängerung der Mängelvermutungsfrist.
Der - unstrittige - Umstand, dass die Mitbeteiligte bei der Angebotseröffnung nicht anwesend war, kann nicht dazu führen, dass nicht verlesene Angaben aus den Angeboten als verlesen gelten.
Soweit die Beschwerdeführerin vorbringt, die belangte Behörde hätte zu prüfen gehabt, ob das Angebot der Mitbeteiligten auszuscheiden gewesen wäre, vermag sie schon deshalb keinen relevanten Verfahrensmangel aufzuzeigen, weil sie nicht vorbringt, dass und aus welchem Grund die Mitbeteiligte auszuscheiden gewesen wäre.
Schließlich vermag die Beschwerdeführerin mit dem nicht näher konkretisierten Vorbringen, bei einer Verhandlung wäre "eine weitere Klärung des Sachverhaltes durch mündliche Erörterung" herbeigeführt worden, die Relevanz der Unterlassung einer Verhandlung durch die belangte Behörde nicht darzutun.
Aus den dargestellten Gründen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 21. Dezember 2004
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2004040100.X00Im RIS seit
31.01.2005Zuletzt aktualisiert am
07.10.2008