TE Vwgh Erkenntnis 2004/12/21 2004/21/0145

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Veröffentlicht am 21.12.2004
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
82/02 Gesundheitsrecht allgemein;

Norm

AsylG 1997 §21 Abs1 Z1;
AsylG 1997 §21 Abs1 Z2;
AsylG 1997 §21 Abs1;
AsylG 1997 §42 Abs6;
FrG 1997 §61 Abs1;
FrG 1997 §61;
FrG 1997 §62;
FrG 1997 §63;
SMG 1997 §28 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerde des D, vertreten durch Dr. Florian Keschmann, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Dr. Karl Lueger-Ring 10, gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 29. Jänner 2004, Zl. III- 1154527/FrB-04, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid ordnete die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen senegalesischen Staatsangehörigen, gemäß § 61 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 36 FrG, des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 33 FrG und der Abschiebung (§ 56 FrG) an. Sie sprach aus, dass die Rechtsfolgen dieses Bescheides nach der Entlassung aus der Gerichtshaft eintreten.

Zur Begründung verwies die belangte Behörde darauf, dass sich der Beschwerdeführer deswegen derzeit nicht bloß kurzfristig in Haft befinde, weil er am 13. Jänner 2004 wegen Übertretung des SMG festgenommen und in die Justizanstalt Josefstadt eingeliefert worden sei. Der Beschwerdeführer sei im Oktober 2003 nach Österreich eingereist und habe "um Asyl angesucht". Er sei verheiratet und habe Sorgepflichten für zwei (offenbar im Ausland aufhältige) Kinder. In Österreich bestünden weder familiäre noch berufliche Bindungen. Er sei an einer "Obdachlosenadresse" gemeldet und verfüge über keine Barmittel. Es "wurde festgestellt, dass … unter Ihrer angegebenen Identität … kein Asylverfahren aufscheint". Im Fall einer Entlassung bestehe die Gefahr, dass sich der Beschwerdeführer "dem Verfahren" entziehen könnte. Sein Verhalten lasse klar erkennen, dass er nicht gewillt sei, österreichische Rechtsvorschriften einzuhalten. Nach Abwägung der maßgeblichen öffentlichen Interessen gegen die privaten Interessen würden die öffentlichen Interessen erheblich schwerer ins Gewicht fallen, zumal der Beschwerdeführer keinerlei private oder persönliche Bindungen zum Bundesgebiet habe. Die Anwendung gelinderer Mittel sei auszuschließen gewesen, weil auf Grund seines bisherigen Verhaltens die Annahme gerechtfertigt sei, dass er sich dem weiteren fremdenpolizeilichen Verfahren entziehen werde und der Zweck der Schubhaft (mit gelinderen Mitteln) somit nicht erreicht werden könne.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 61 Abs. 1 FrG können Fremde festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern. Über Fremde, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, darf Schubhaft nur verhängt werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie würden sich dem Verfahren entziehen.

Eine Unzulässigkeit der Schubhaft leitet der Beschwerdeführer daraus ab, dass er sich im maßgeblichen Zeitpunkt erst in Untersuchungshaft befunden habe und zu seinen Gunsten die Unschuldsvermutung gemäß Art. 6 Abs. 2 EMRK zu gelten habe. Es habe demnach kein berechtigter Grund dafür bestanden, dass ein Aufenthaltsverbot gegen ihn zu erlassen sein werde.

Diesem Vorbringen ist entgegenzuhalten, dass nach der ständigen hg. Rechtsprechung die Anordnung der Schubhaft nicht die Gewissheit voraussetzt, dass ein Aufenthaltsverbot verhängt werde, sondern dass hiefür bereits die berechtigte Annahme einer solchen Möglichkeit ausreicht (vgl. etwa das Erkenntnis vom 23. November 2001, Zl. 2001/02/0230). Ausgehend vom aktenkundigen Verdacht der Begehung des Deliktes nach § 28 Suchtmittelgesetz - nach dem Grundtatbestand des Abs. 1 ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen, wer den bestehenden Vorschriften zuwider ein Suchtgift in einer großen Menge mit dem Vorsatz erwirbt oder besitzt, dass es in Verkehr gesetzt werde - durfte die belangte Behörde ihrer Entscheidung die Möglichkeit der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zu Grunde legen.

Das Vorliegen eines Sicherungsgrundes bestreitet der Beschwerdeführer mit dem Hinweis, dass er zwar "im Wesentlichen mittellos" sei, aber an seiner Meldeadresse karitativ unterstützt werde. Entgegen seiner Ansicht ist deshalb aber weder ein Sicherungsgrund zu verneinen noch die Anwendung gelinderer Mittel in Betracht zu ziehen, bleibt doch unbestritten, dass der Beschwerdeführer neben seiner Mittellosigkeit auch obdachlos ist und keine erkennbare soziale Integration aufzuweisen hat. Es bestehen somit keine Bedenken gegen die behördliche Ansicht, dass im Fall der Entlassung aus der Untersuchungshaft bzw. Strafhaft die Gefahr bestehe, dass sich der Beschwerdeführer dem behördlichen Zugriff entziehen werde.

Soweit der Beschwerdeführer Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 - AsylG in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 101/2003 zitiert, geht er von einer falschen Rechtslage aus. Die novellierten Bestimmungen sind nämlich gemäß § 42 Abs. 6 AsylG grundsätzlich erst mit 1. Mai 2004 in Kraft getreten. Der angefochtene Bescheid wurde jedoch bereits am 23. Februar 2004 zugestellt und somit zu diesem Zeitpunkt erlassen.

Dennoch kommt der Beschwerde Berechtigung zu:

Für die Zulässigkeit der vorliegenden Schubhaftanordnung unter dem Gesichtspunkt "Asylverfahren" ist § 21 Abs. 1 AsylG in der Fassung vor der genannten Novelle maßgeblich, demzufolge auf Asylwerber das Fremdengesetz grundsätzlich insgesamt Anwendung findet, unter anderem die §§ 61 bis 63 FrG jedoch nicht auf Asylwerber mit vorläufiger Aufenthaltsberechtigung, sofern sie den Antrag außerhalb einer Vorführung persönlich beim Bundesasylamt eingebracht oder den Antrag anlässlich der Grenzkontrolle oder anlässlich eines von ihnen sonst mit einer Sicherheitsbehörde oder einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes aufgenommenen Kontaktes gestellt haben.

Der angefochtene Bescheid enthält in diesem Zusammenhang lediglich die widersprüchliche Begründung, dass der Beschwerdeführer einen Asylantrag gestellt habe, jedoch ein Asylverfahren (gemeint: im Asylwerberinformationssystem - AIS) nicht aufscheine.

Gemäß seinen Angaben vor dem Bundesasylamt vom 25. November 2003 ist der Beschwerdeführer illegal mit einem Reisebus in Österreich eingereist; nach dem Akteninhalt hat er den Asylantrag persönlich eingebracht.

Der belangten Behörde ist vorzuwerfen, dass sie keine eindeutigen Feststellungen getroffen hat, die eine Überprüfung ermöglichen würden, ob die Schubhaft in Beachtung des § 21 Abs. 1 AsylG in zulässiger Weise angeordnet wurde. Sollte dem Beschwerdeführer bereits im maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides eine Bescheinigung über die Zuerkennung der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung ausgehändigt (zu diesem Erfordernis vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. März 1999, Zl. 98/02/0309) worden sein und läge als zweite Voraussetzung einer der (alternativen) Tatbestände des § 21 Abs. 1 Z 1 oder 2 leg. cit. vor, erwiese sich die Schubhaft als unzulässig. Sollte die Asylbehörde lediglich mit der Aushändigung der genannten Bescheinigung in Verzug gewesen sein, dürfe dies freilich auch nicht zum Nachteil des Fremden ausschlagen und es wäre die Anordnung der Schubhaft als nicht im Sinn des Gesetzes gelegen zu werten (vgl. zu diesem Ermessensgesichtspunkt in Ansehung des § 21 Abs. 1 AsylG das - ein auf § 36 Abs. 2 Z 7 FrG gestütztes Aufenthaltsverbot betreffende - hg. Erkenntnis vom 4. Juli 2000, Zl. 2000/21/0033; vgl. auch VfSlg. Nr. 15.684).

Die belangte Behörde hat somit den angefochtenen Bescheid mit einem relevanten Verfahrensmangel belastet, weshalb dieser Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 21. Dezember 2004

Schlagworte

Verfahrensbestimmungen AllgemeinBesondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2004210145.X00

Im RIS seit

01.03.2005

Zuletzt aktualisiert am

07.12.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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