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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
ASVG §227a;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der M in P, vertreten durch Dr. Heinrich Vana, Rechtsanwalt in 1020 Wien, Taborstraße 10/2, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 6. Mai 2003, Zl. MA 15-II R 12/03, betreffend Begünstigung gemäß §§ 500 ff ASVG (mitbeteiligte Partei:
Pensionsversicherungsanstalt in 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Nach dem mit der Aktenlage und den Gründen des angefochtenen Bescheides übereinstimmenden Vorbringen in der Beschwerde wurde die Beschwerdeführerin im Jahr 1936 in Wien als Tochter jüdischer Eltern geboren. Im September 1942 wurde die Mutter verhaftet. Die Beschwerdeführerin wurde gemeinsam mit ihrer Mutter in ein Lager verbracht, wo sie 1944 befreit wurde. Im Jahre 1948, nach vier Jahren in Lagern für "displaced persons", kam die Beschwerdeführerin nach Israel. Sie hat am 28. August 1961, am 11. Mai 1965 und am 27. Juni 1971 Kinder geboren. Mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom 29. Oktober 2002 wurde die Beschwerdeführerin für berechtigt erklärt, für die Zeit der Auswanderung vom 20. Jänner 1951 bis 31. Dezember 1965 gemäß § 502 Abs. 4 in Verbindung mit § 502 Abs. 6 ASVG Beiträge zu entrichten. Die beitragsfreie Anerkennung dieser Zeiten wurde abgelehnt. Gleichzeitig wurden die Zeiten des Besuches einer mittleren oder höheren Schule oder einer Hochschule im Ausland von November 1953 bis Juni 1954, von November 1954 bis Juni 1955, von November 1955 bis Juni 1956, von Oktober 1957 bis Jänner 1958, von März 1958 bis Juni 1958, von Oktober 1958 bis Jänner 1959, von März 1959 bis März 1960 gemäß § 502 Abs. 7 in Verbindung mit § 227 Abs. 1 Z. 1 bzw. § 228 Abs. 1 Z. 3 ASVG als Ersatzzeit anerkannt, sofern zumindest ein Beitrag für die Zeit der Auswanderung nachentrichtet wird. Eine weiter reichende Begünstigung wurde abgelehnt.
Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde der Einspruch der Beschwerdeführerin gegen diesen Bescheid abgewiesen. Hinsichtlich der - vor dem Verwaltungsgerichtshof allein strittigen - Zeit ihrer Kindererziehung führte die belangte Behörde aus, dass die §§ 500 ff ASVG keine begünstigte Anrechnung von Ersatzzeiten für die Kindererziehung gemäß § 227a ASVG vorsehen würden.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der im Wesentlichen geltend gemacht wurde, dass der Gesetzgeber dadurch, dass er keine begünstigte Anrechnung für die Zeiten der Kindererziehung gemäß § 227a ASVG vorsehe, zwischen der Kindererziehung im Inland und der Kindererziehung im Ausland durch Vertriebene unsachlich differenziere.
Der Verfassungsgerichtshof hat die Behandlung dieser Beschwerde mit Beschluss vom 23. September 2003, B 1024/03, abgelehnt und sie mit weiterem Beschluss vom 27. Oktober 2003 dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
In ihrer vor dem Verwaltungsgerichtshof erstatteten Beschwerdeergänzung erachtet sich die Beschwerdeführerin als in ihrem Recht auf "richtige Berechnung der Pensionszeiten" verletzt. Sie reklamiert die Anrechnung der Zeiten für Kindererziehung gemäß § 227a ASVG im Rahmen der Begünstigung gemäß §§ 500 ff ASVG und regt an, der Verwaltungsgerichtshof möge an den Verfassungsgerichtshof den Antrag auf "Aufhebung der §§ 500 und 502 in Verbindung mit § 227a des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG)" in der maßgebenden Fassung "wegen Verfassungswidrigkeit" stellen.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Die Pensionsversicherungsanstalt hat sich am Beschwerdeverfahren nicht beteiligt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 502 Abs. 4 ASVG können Personen, die in der in § 500 angeführten Zeit aus einem der dort angeführten Gründe ausgewandert sind und die vorher in der Zeit seit dem 1. Juli 1927 Beitragszeiten gemäß § 226 oder Ersatzzeiten gemäß § 228 oder 229 oder Zeiten nach dem Auslandsrenten-Übernahmegesetz zurückgelegt haben, für die Zeiten der Auswanderung, längstens aber für die Zeit bis 31. März 1959, Beiträge nachentrichten.
Gemäß § 502 Abs. 6 ASVG gelten die Abs. 1 und 4 auch für Personen, die vor der Haft, Strafe, Anhaltung, Arbeitslosigkeit, Ausbürgerung oder Auswanderung aus Gründen, auf die der (die) Betreffende keinen Einfluss hatte, keine Beitragszeiten gemäß § 226 oder Ersatzzeiten gemäß §§ 228 und 229 zurückgelegt haben, sofern der (die) Betreffende am 12. März 1938 seinen (ihren) Wohnsitz im Gebiet der Republik Österreich hatte und, in den Fällen des Abs. 4, spätestens am 12. März 1938 geboren wurde. Eine solche Nachentrichtung, soweit sie für Zeiten der Auswanderung erfolgt, ist unbeschadet des Abs. 1 letzter Satz frühestens für Zeiten nach der Vollendung des 15. Lebensjahres der in Betracht kommenden Person zulässig.
Diese Fassung erhielt § 502 Abs. 6 ASVG durch Art. 2 Z. 1 des Bundesgesetzes über die Einrichtung eines Allgemeinen Entschädigungsfonds für Opfer des Nationalsozialismus und über Restitutionsmaßnahmen (Entschädigungsfondsgesetz) sowie zur Änderung des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes und des Opferfürsorgegesetzes, BGBl. I Nr. 12/2001; sie ist gemäß § 592 Abs. 1 ASVG in der Fassung des Artikel I des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 41/2002 am 1. März 2002 in Kraft getreten.
Gemäß der Verfassungsbestimmung des § 592 Abs. 2 ASVG in der Fassung des Art. 2 der Bundesgesetze BGBl. I Nr. 12/2001 und Nr. 99/2001 ist § 502 Abs. 4 leg. cit. für Personen, die erst auf Grund des § 502 Abs. 6 ASVG in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 12/2001 Beiträge für die Zeit der Auswanderung nachentrichten können, mit der Maßgabe anzuwenden, dass auch für die Zeit nach dem 31. März 1959 Beiträge für insgesamt höchstens 180 Versicherungsmonate nachentrichtet werden können.
Die Beschwerdeführerin verkennt nicht, dass die §§ 500 ff ASVG eine Anrechnung von Kindererziehungszeiten im Sinne des § 227a ASVG für Kindererziehung im Ausland grundsätzlich nicht vorsehen. Sie vertritt aber die Auffassung, dass eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes vorliege, weshalb die belangte Behörde bei richtiger rechtlicher Beurteilung zu dem Schluss hätte kommen müssen, dass die begünstigte Erwerbung von Anwartschaften und Ansprüchen auch Kindererziehungszeiten umfasse. Ferner vertritt die Beschwerdeführerin die Auffassung, dass die Differenzierung hinsichtlich Ersatzzeiten für Zeiten der Kindererziehung nach dem 31. Dezember 1995 mit dem Gleichheitssatz im Widerspruch stehe.
Der Verwaltungsgerichtshof vermag diese Auffassung nicht zu teilen.
Die Bestimmungen der §§ 500 ff ASVG zielen darauf ab, Versicherungszeiten für jene Zeiträume anzurechnen, in denen verfolgungsbedingt wegen Haft, Strafe, Anhaltung, Arbeitslosigkeit, Ausbürgerung oder Auswanderung in Österreich keine Versicherungszeiten erworben werden konnten. Dabei stellt das Gesetz nicht auf einen hypothetischen Kausalverlauf ab, ob und welche Versicherungszeiten bei Unterbleiben der Verfolgung in Österreich tatsächlich erworben worden wären; das Gesetz sieht vielmehr nach Maßgabe der Begünstigungstatbestände jeweils eine pauschalierte Anrechnung von Beitrags- oder Ersatzzeiten für die jeweilige Zeit der Verfolgung, insbesondere auch für die Zeit der Auswanderung vor. Dem Gesetz liegt insoweit die Vermutung zu Grunde, dass bei Unterbleiben der Verfolgung entsprechende Versicherungszeiten erworben worden wären.
In einem solchen System kann es von vornherein keine teleologische Lücke darstellen, wenn der Gesetzgeber die Anrechnung von Zeiten der Kindererziehung im Inland gemäß § 227a ASVG nicht auch auf Personen erstreckt hat, die sich während des Zeitraums der Kindererziehung aus Gründen, die in der Verfolgung im Sinne des § 500 ASVG ihren Ausgang genommen haben, im Ausland aufhalten. § 227a ASVG hat nämlich insoweit eine gleichartige (Ersatz-)Funktion, als auch nach dieser Bestimmung Zeiten als Versicherungszeiten angerechnet werden, während derer die betreffende Person am Erwerb von Versicherungszeiten (hier: aus Gründen der Kindererziehung) gehindert wurde. Soweit der Gesetzgeber das Fehlen von Versicherungszeiten aus Gründen der Verfolgung ohnehin ausgleicht, bedarf es keines weiteren Ausgleichs. Soweit er das nicht vorsieht, besteht kein Unterschied zu anderen Personen, die im Ausland ihren Wohnsitz haben: Die Anrechnung von Versicherungszeiten gemäß § 227a ASVG würde auf Grund des in der Sozialversicherung geltenden Territorialitätsprinzips in jedem Fall eine Gleichstellungsanordnung durch ein internationales Abkommen voraussetzen und darüber wurde überdies nicht im Verwaltungsverfahren, sondern im Leistungsverfahren zu entscheiden sein.
An diesem Ergebnis ändert auch § 502 Abs. 7 ASVG nichts.
Diese Bestimmung hat zwei Zielsetzungen: Sie stellt sicher, dass aus Gründen der Verfolgung abgebrochene Schuljahre als vollendet gelten (sodass daran der Begünstigungstatbestand im Sinne des § 502 Abs. 4 anknüpfen kann), und stellt ausländische Schul- und Hochschulbesuche den inländischen Schulbesuchen gleich. Diese Gleichstellung hat zwar auch Bedeutung für das Leistungsrecht (und nicht nur für die Anknüpfung des Begünstigungstatbestandes der Auswanderung). Sie liegt aber insoweit im rechtspolitischen Ermessen des Gesetzgebers. Daraus sind unter dem Aspekt des Gleichheitsatzes keine weiteren Folgerungen abzuleiten, insbesondere nicht in der von der Beschwerdeführerin angestrebten Weise.
Die Beschwerdeergänzung lässt im Übrigen eine nähere Begründung für die Behauptung, eine Differenzierung bei den Kindererziehungszeiten, wie sie die belangte Behörde vornehme, sei unsachlich, vermissen. Aus dem (in der Beschwerde hervorgehobenen) Umstand, dass die Begünstigungsbestimmungen der §§ 500 ff ASVG (wie aus den Dokumenten der Historikerkommission abgeleitet wird) den Zweck hätten, verlorene Pensionsversicherungszeiten begünstigt angerechnet zu bekommen, um dadurch überhaupt in den Genuss einer Pension zu gelangen, lässt sich dies jedenfalls nicht ableiten, wobei noch darauf hinzuweisen ist, dass § 592 Abs. 2 ASVG gerade aus diesem Grund die Nachentrichtung von Beiträgen für die Zeit nach dem 31. März 1959 bis zum Höchstausmaß von insgesamt 180 Versicherungsmonaten für jene Personen, die dies aus Altersgründen für die Herstellung der Wartezeit auf eine österreichische Pensionsleistung benötigen, zulässt.
Wenn der Gesetzgeber für darüber hinausgehende Zeiträume keine weitere Anrechnung von Versicherungszeiten aus Gründen der §§ 500 ff ASVG vorsieht und im Übrigen Zeiten der Kindererziehung gemäß § 227a ASVG nur insoweit als Versicherungszeiten anrechnet, als die Kindererziehung im Inland stattfindet (oder allenfalls eine Gleichstellung durch zwischenstaatliche Abkommen vorliegt), so begegnet dies keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Für eine Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof im Sinne der Anregung der Beschwerdeführerin besteht daher kein Anlass.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 22. Dezember 2004
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2003080227.X00Im RIS seit
27.01.2005