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97 VergabewesenNorm
B-VG Art83 AbsLeitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Zurückweisung von Anträgen auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung und auf Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung nach bereits abgeschlossenem Vertrag; kein Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht; keine Vorlagepflicht der belangten BehördeSpruch
Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde richtet sich gegen einen Bescheid des Bundesvergabeamtes (BVA) vom 12. Jänner 1999, mit welchem einerseits die Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung und auf Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde zurückgewiesen (Spruchpunkte I. und II.) und andererseits die Entscheidung über den Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Vergabe des Lieferauftrages betreffend Diesellokomotiven einer näher bezeichneten Leistungsklasse durch die Österreichischen Bundesbahnen dem Hauptverfahren vorbehalten werden
(Spruchpunkt III.). Über den zuletzt genannten Antrag wurde nach der Aktenlage mit Bescheid vom 22. März 1999 abweislich entschieden.
Die beschwerdeführende Partei erachtet sich in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides. Sie meint, es sei "unzulässig", daß im nationalen Recht keine Möglichkeit der Bekämpfung der Zuschlagsentscheidung gegeben sei und führt aus, daß es zumindest eine "auslegungsbedürftige Vorfrage zur Entscheidung durch den EuGH" darstelle, ob eine solche Möglichkeit gegeben sein müsse. Das BVA hätte daher - gestützt auf die Sektoren-Rechtsmittel-Richtlinie 92/13/EWG und die gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes - den gestellten Anträgen stattgeben bzw. zumindest eine Vorabentscheidung beim EuGH einholen müssen.
2. a) Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor. Von der Erstattung einer Gegenschrift wurde unter Hinweis auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid Abstand genommen. In diesem heißt es auszugsweise:
"... Die Antragstellerin hat nach eigenen Angaben noch am 26. November 1998, dem Tag der angegebenen Zuschlagserteilung vom Zuschlag Kenntnis erlangt, der Antrag ist bei der Geschäftsführung des Bundesvergabeamtes am 7. Jänner 1999 und somit rechtzeitig iS des §115 Abs4 BVergG eingelangt. ...
Die Antragstellerin begehrt ... die Erlassung einer
einstweiligen Verfügung und ... die Nichtigerklärung des Zuschlags
und beruft sich dabei auf gemeinschaftsrechtliche Erwägungen. Ohne
auf das inhaltliche Vorbringen der Antragstellerin einzugehen, ist
ihr in diesem Zusammenhang jedoch die jüngste Judikatur des EuGH,
insbesondere die Entscheidung Rs C-54/96, Dorsch Consult (Slg 1997,
I-4961), Rs C-776/97, Tögel, und C-111/97 Evobus Austria (beide noch
nicht in der Sammlung) entgegenzuhalten, wonach die Regelung der
Zuständigkeiten der nationalen Gerichte Sache der Mitgliedstaaten
ist. Das Bundesvergabeamt könnte diesen Anträgen gestützt auf
Gemeinschaftsrecht also nur dann stattgeben, wenn es nach nationalem
Recht dafür zuständig ist. In seiner jüngsten Judikatur hat sich der
Verfassungsgerichtshof dazu durchgerungen, die Zuständigkeiten des
Bundesvergabeamtes als Sonderbehörde eng auszulegen (Erkenntnis des
Verfassungsgerichtshofes vom 25. Juni 1998, Zl. B3949/96-10). Aus
diesem Erkenntnis leuchet ein sehr enges und formales Verständnis des
Gerichtshofes bezüglich der Kompetenzen des Bundesvergabeamtes
hervor. ... (Es) zeigt, daß der Verfassungsgerichtshof von der
Notwendigkeit einer ausdrücklichen gesetzlichen
Zuständigkeitszuweisung für die Durchführung von
Nachprüfungsverfahren durch das Bundesvergabeamt ausgeht.
Demgegenüber besteht nach der Auffassung des Gerichtshofes im Wege des §1 JN eine subsidiäre Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte. Dies hat insbesondere für alle Maßnahmen zu gelten, die sich gegen bereits geschlossene Verträge richten.
Das BVergG beschränkt in §113 Abs2 die Zuständigkeit des Bundesvergabeamtes zur Erlassung einstweiliger Verfügungen und zur Nichtigerklärung von Entscheidungen des Auftraggebers auf den Zeitraum vor Zuschlagserteilung. Nach der Zuschlagserteilung ist das Bundesvergabeamt gemäß §113 Abs3 nur mehr zuständig ..., festzustellen, ob der Zuschlag wegen eines Verstoßes gegen das BVergG und die hiezu ergangenen Verordnungen nicht dem Bestbieter erteilt wurde, was die Antragstellerin im Übrigen ohnehin beantragt hat. Da somit das Bundesvergabeamt nach nationalem Recht nicht zuständig ist, ist auch eine Vorabentscheidung des EuGH für sein Verfahren - das ja zunächst die Prüfung der eigenen Zuständigkeit beinhalten muß - nicht entscheidungserheblich. Zuständig nach nationalem Recht sind nach Auffassung des VfGH die ordentlichen Gerichte."
b) Die am Verfahren beteiligte auftraggebende Gesellschaft erstatte eine Äußerung.
II. Über die Beschwerde wurde erwogen:
1. Das BVA ist eine nach Art133 Z4 B-VG eingerichtete Verwaltungsbehörde. Ihre Entscheidungen unterliegen nach §99 Abs1 letzter Satz BVergG 1997 nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungsweg. Der administrative Instanzenzug ist also ausgeschöpft. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.
2. Sie ist aber nicht begründet.
a) Nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes verletzt ein Bescheid das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter unter anderem dann, wenn eine als Gericht iSd Art234 EG zu qualifizierende Verwaltungsbehörde entgegen der Anordnung des Art234 Abs3 EG eine - wie vom Beschwerdeführer behauptet - vorlagepflichtige Frage der Interpretation des Gemeinschaftsrechts dem Europäischen Gerichtshof nicht zur Vorabentscheidung vorgelegt hat, wobei nicht nur eine grobe, sondern jede Verletzung der Vorlagepflicht zu dieser Konsequenz führt (vgl. VfSlg. 14.390/1995, 14.889/1997), aber auch dann, wenn die bescheiderlassende Verwaltungsbehörde in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie eine Sachentscheidung zu Unrecht verweigert (vgl. VfSlg. 12.125/1989).
b) Wie sich aus dem - freilich erst nach Erlassung des hier bekämpften Bescheides - ergangenen (vom BVA selbst aus Anlaß eines anderen Verfahrens initiierten) Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 28. Oktober 1999, Rs C-81/98, Alcatel Austria AG ua., Slg. 1999, I-7671, ergibt, ist Art2 Abs1 lita und b iVm Abs6 UAbs2 der sogenannten Rechtsmittel-Richtlinie 89/665/EWG, ABl. 1989 L 395, 33,
"... dahin auszulegen, daß die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die dem Vertragsschluß vorangehende Entscheidung des Auftraggebers darüber, mit welchem Bieter eines Vergabeverfahrens er den Vertrag schließt, in jedem Fall einem Nachprüfungsverfahren zugänglich zu machen, in dem der Antragsteller unabhängig von der Möglichkeit, nach dem Vertragsschluß Schadenersatz zu erlangen, die Aufhebung der Entscheidung erwirken kann, wenn die Voraussetzungen hierfür erfüllt sind";
"... nicht (aber) dahin auszulegen, daß die für die Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge zuständigen Nachprüfungsinstanzen der Mitgliedstaaten ungeachtet des Fehlens einer Zuschlagsentscheidung, deren Aufhebung im Rahmen einer Nachprüfung beantragt werden könnte, zur Nachprüfung unter den in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen befugt sind."
Wenn - so der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in Rz 48 f. dieser Entscheidung - die Erteilung des Zuschlags und der Abschluß des Vertrages in der Praxis zusammenfallen, fehle in einem solchen System ein öffentlich-rechtlicher Akt, der den Beteiligten zur Kenntnis gelangen und im Rahmen einer Nachprüfung aufgehoben werden könnte, wie es Art2 Abs1 litb der Rechtsmittel-Richtlinie vorsehe. In einer solchen Situation, in der zweifelhaft ist, ob die nationalen Gerichte in der Lage sind, den Bürgern im Bereich der Vergabe öffentlicher Aufträge einen Rechtsbehelf zuzuerkennen, der den Anforderungen der Rechtsmittel-Richtlinie, insbesondere ihres Art2 Abs1 lita und b, entspricht, können die Betroffenen, wenn die nationalen Bestimmungen nicht in einer mit der Richtlinie zu vereinbarenden Art und Weise ausgelegt werden können, nach dem geeigneten Verfahren des nationalen Rechts Ersatz der Schäden verlangen, die ihnen dadurch entstanden sind, daß die Richtlinie nicht innerhalb der vorgesehenen Frist umgesetzt worden ist.
Dies gilt angesichts des weitgehend identen Wortlautes des Art2 Abs1 iVm Abs6 der im gegenständlichen Verfahren maßgeblichen sogenannten Sektoren-Rechtsmittel-Richtlinie, ABl. 1992 L 76, 14, mutatis mutandis auch hier.
Wenn auch das BVA im Zeitpunkt seiner Entscheidung als vorlagepflichtiges Gericht iSd Art234 Abs3 EG verpflichtet gewesen wäre, eine Vorabentscheidung über jene Frage einzuholen, die es dem Europäischen Gerichtshof in jenem Verfahren vorgelegt hat, das zur eben beschriebenen Entscheidung in der Rs Alcatel Austria AG geführt hat, so ist doch nunmehr die von der Beschwerde relevierte Rechtsfrage durch den Europäischen Gerichtshof verbindlich geklärt. Eine Aufhebung des Bescheides wegen Verletzung der Vorlagepflicht kommt daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr in Betracht.
c) Die belangte Behörde hat ihre Zuständigkeit aber auch nicht in gesetzwidriger Weise abgelehnt.
Wie sich aus dem Beschwerdevorbringen selbst, aber auch aufgrund der Aktenlage ergibt, war im vorliegenden Vergabeverfahren im Zeitpunkt der Anrufung des BVA der Zuschlag einem Mitbewerber bereits erteilt worden, sodaß davon auszugehen ist, daß zu diesem Zeitpunkt der Vertrag bereits abgeschlossen gewesen ist.
Angesichts dessen hat das BVA die Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung und auf Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Denn §113 Abs2 BVergG räumt dem BVA die Zuständigkeit, einstweilige Verfügungen zu erlassen und (Zuschlags-)Entscheidungen des Auftraggebers für nichtig zu erklären, nur vor Zuschlagserteilung, also vor Abschluß des Vertrages ein, und auch das Gemeinschaftsrecht verlangt - wie sich aus der unter b) referierten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes ergibt - keine andere Interpretation. Auch ist dem BVA nicht entgegenzutreten, wenn es die Entscheidung über den Antrag auf Feststellung, daß der Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt wurde, einem Verfahren gemäß §113 Abs3 leg.cit. vorbehalten hat.
d) Da das Verfahren auch nicht ergeben hat, daß die beschwerdeführende Gesellschaft in von ihr nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt wurde, war die Beschwerde abzuweisen.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
EU-Recht Richtlinie, Vergabewesen, VfGH / PrüfungsmaßstabEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2001:B301.1999Dokumentnummer
JFT_09989389_99B00301_00