Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §68 Abs1 impl;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des B in W, geboren 1968, vertreten durch Burghofer & Pacher Rechtsanwälte GmbH in 1060 Wien, Köstlergasse 1/30, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 10. August 2004, Zl. SD 783/04, betreffend Versagung eines Reisepasses und Entziehung von Reisepässen, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 10. August 2004 hat die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (die belangte Behörde) den Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung eines zweiten Reisepasses gemäß § 14 Abs. 1 Z. 3 lit. f iVm § 10 Passgesetz 1992 (PassG), BGBl. Nr. 839, abgewiesen und die dem Beschwerdeführer ausgestellten Reisepässe mit den Nr. B 0471989 (gültig von 1. September 1997 bis 30. August 2007) und Y 0398431 (gültig von 1. September 1995 bis 1. September 2000) gemäß § 15 Abs. 1 iVm § 14 Abs. 1 Z. 3 lit. f und § 10 PassG entzogen.
Der Beschwerdeführer bestreite nicht, vom Landesgericht Belfort in Frankreich nach Durchführung einer öffentlichen Verhandlung am 28. November 2001 wegen "unerlaubter Einfuhr von Suchtgiften - Handel, unerlaubtem Suchtgifttransport, unerlaubtem Suchtgiftbesitz sowie wegen unerlaubter Ausfuhr von Suchtgiften - Handel" zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 42 Monaten rechtskräftig verurteilt worden zu sein. Aus den Entscheidungsgründen dieses Urteils und dem sonstigen Akteninhalt sei ersichtlich, dass der Beschwerdeführer im Mai 2000 in dem von ihm gelenkten Lkw neben Lebensmitteln und KFZ-Bestandteilen auch 956 kg Cannabisharz in Frankreich transportiert habe. Das Gericht sei auch zu dem Ergebnis gekommen, dass der Beschwerdeführer diese besonders große Menge an Cannabisharz nach Frankreich eingeführt habe. Darum sei über ihn auch eine hohe Zollstrafe verhängt worden.
In der Berufung habe der Beschwerdeführer geltend gemacht, dass das französische Urteil gemessen an der österreichischen Rechtsordnung mit zahlreichen Nichtigkeitsgründen behaftet wäre, zumal es keine Begründung aufwiese. Damit verkenne der Beschwerdeführer, dass auch nach der österreichischen Rechtsordnung in bestimmten Fällen verkürzte Urteilausfertigungen ohne umfangreiche Begründung zulässig seien. Bei dem französischen Urteil handle es sich um ein in einem kontradiktorischen Verfahren nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung erlassenes Urteil eines Mitgliedstaates der Europäischen Union.
Den Ausführungen des Beschwerdeführers, er wäre nicht davon in Kenntnis gewesen, Suchtmittel zu transportieren, stünden die in dem angeführten Urteil getroffenen gerichtlichen Feststellungen entgegen. Es wäre dem Beschwerdeführer frei gestanden, in dem Art. 6 EMRK entsprechenden Verfahren vor dem französischen Gericht die Rechtsmittelinstanz anzurufen und die für das gegenständliche Passentziehungsverfahren maßgeblichen gerichtlichen Feststellungen zu bekämpfen.
Suchtgiftdelikten wohne - unabhängig davon, ob der Täter selbst süchtig sei - eine große Wiederholungsgefahr inne. Der vom Beschwerdeführer zu verantwortende grenzüberschreitende Transport von nahezu einer Tonne Cannabisharz sei im Nahebereich der organisierten Kriminalität anzusiedeln. Im Hinblick auf das besonders hohe Ausmaß der vom Gericht verhängten Strafe und die besonders große Suchtmittelmenge seien die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Z. 3 lit. f PassG gegeben. Auch unter Berücksichtigung einer gewissen Läuterung durch die Strafhaft sei die seit der Straftat verstrichene Zeit zu kurz, um eine für den Beschwerdeführer günstige Prognose zu erstellen.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, der Sache nach inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. Der Beschwerdeführer macht unter anderem geltend, dass entgegen der Ansicht der belangten Behörde keine Bindung an das ausländische Strafurteil bestehe. Die Behörde hätte zu überprüfen gehabt, unter welchen Umständen das Urteil in Frankreich zu Stande gekommen sei und ob der Schuldspruch seinem Inhalt nach tatsächlich richtig sei. Der Beschwerdeführer habe sowohl in der Berufung als auch im erstinstanzlichen Verfahren wiederholt darauf hingewiesen, dass das Urteil unter Umständen zu Stande gekommen sei, die nach der österreichischen Rechtsordnung nicht möglich gewesen wären. Das Urteil sei unschlüssig und unbegründet. Die Behörde hätte selbst zu entscheiden gehabt, ob der Beschwerdeführer die strafbare Handlung tatsächlich begangen habe oder nicht. Dazu wäre es unbedingt notwendig gewesen, den Beschwerdeführer zu den Vorfällen in Frankreich zu vernehmen, was die belangte Behörde jedoch trotz diesbezüglicher Antragstellung unterlassen habe.
1.2. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg:
Der Beschwerdeführer hat im Verwaltungsverfahren u. a. vorgebracht, er habe als Lkw-Fahrer einen Transport von Spanien nach Frankreich durchgeführt. Der Lkw sei mit Kartoffeln und KFZ-Bestandteilen beladen gewesen. Diese Art der Ladung habe sich auch eindeutig aus den Frachtbriefen ergeben. Der Beschwerdeführer habe keine Möglichkeit gehabt, die Verpackung der Ladung zu öffnen und den Inhalt zu kontrollieren. Bei einer anlässlich einer Anhaltung in Frankreich erfolgten Kontrolle sei bei der Durchsuchung des Lkw das Cannabisharz vorgefunden worden, von dessen Existenz der Beschwerdeführer bis dahin nichts gewusst habe.
Die belangte Behörde vertrat die Ansicht, dass diesem Vorbringen des Beschwerdeführers die Feststellungen des französischen Strafurteiles entgegen stünden. Dem Beschwerdeführer wäre es frei gestanden, diese für das gegenständliche Verfahren maßgeblichen Feststellungen durch Einbringung eines Rechtsmittels gegen das Urteil zu bekämpfen.
Damit vertrat sie im Ergebnis die Ansicht, es stehe auf Grund der rechtskräftigen Verurteilung in Frankreich bindend fest, dass der Beschwerdeführer die Tat (Transport von nahezu einer Tonne Cannabisharz) rechtswidrig und schuldhaft begangen habe.
Diese - inländischen Verurteilungen zukommende (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 2000, Zl. 2000/18/0133) - Bindungswirkung besteht bei ausländischen Urteilen jedoch nur, wenn sie kraft staatsvertraglicher Regelung im Inland entweder anerkannt oder vollstreckt werden können und wenn ihnen auch nach dem Recht des Staates, in dem die Verurteilung erfolgte, die Wirkung zukommt, dass sich ein rechtskräftig Verurteilter in einem nachfolgenden Verfahren nicht darauf berufen kann, die Tat nicht begangen zu haben. Eine österreichische Verwaltungsbehörde kann nämlich nicht in größerem Umfang an die materielle Rechtskraft eines französischen Strafurteils gebunden sein als eine französische Verwaltungsbehörde. (Vgl. das die Bindung von Zivilgerichten an eine strafgerichtliche Verurteilung betreffende, wegen der insofern gleichgelagerten Problematik auch hier maßgebliche Urteil des OGH vom 19. Mai 1998, 1 Ob 73/98m.)
Das Europäische Übereinkommen über die internationale Geltung von Strafurteilen, BGBl. Nr. 249/1980, das gemäß Art. 3 die Vollstreckung von Sanktionen, die in einem anderen Vertragsstaat verhängt worden und dort vollstreckbar sind, ermöglicht, ist im Verhältnis zu Frankreich nicht anwendbar, weil Frankreich diesem Übereinkommen nicht beigetreten ist.
Das Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen , BGBl Nr. 524/1986, dem Frankreich beigetreten ist, sieht nicht die generelle Anerkennung oder Vollstreckbarkeit ausländischer Strafurteile in Österreich, sondern nur die Möglichkeit vor, unter bestimmten Voraussetzungen eine in einem anderen Staat gegen einen Österreicher verhängte Strafe in Österreich zu verbüßen (vgl. das bereits zitierte Urteil des OGH, 1 Ob 73/98m).
Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 11. Dezember 2003, Zl. 2002/21/0087, ausgeführt hat, stellen weder das Schengener Durchführungsübereinkommen, BGBl. III Nr. 90/1997, noch das Übereinkommen über das Verbot der doppelten Strafverfolgung, BGBl. III Nr. 1/2000, einen Anerkennungs- oder Vollstreckungsvertrag dar.
Da somit kein entsprechender Anerkennungs- oder Vollstreckungsvertrag besteht, war die belangte Behörde entgegen ihrer Ansicht an die spruchgemäßen Feststellungen des französischen Strafurteiles nicht gebunden. In Verkennung dieser Rechtslage hat sie es unterlassen, auf das Vorbringen des Beschwerdeführers, er habe die Straftat nicht rechtswidrig und schuldhaft begangen, einzugehen.
2. Auf Grund der dargestellten Verkennung der Rechtslage durch die belangte Behörde war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
3. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47ff VwGG iVm der Verordnung, BGBl. II Nr. 333/2003.
4. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Wien, am 18. Jänner 2005
Schlagworte
Verwaltungsrecht Internationales Rechtsbeziehungen zum Ausland VwRallg12Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der BehördeIndividuelle Normen und Parteienrechte Bindung der Verwaltungsbehörden an gerichtliche Entscheidungen VwRallg9/4European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2004180301.X00Im RIS seit
16.02.2005Zuletzt aktualisiert am
25.01.2013