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72 Wissenschaft, HochschulenNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Verletzung im Gleichheitsrecht durch bescheidmäßige Verpflichtung des Beschwerdeführers zur Rückzahlung ausbezahlter Studienbeihilfe wegen Annahme des Ruhens des Anspruches infolge denkunmöglicher Heranziehung der Einheitswertgrenze des Arbeitslosenversicherungsgesetzes für Einkünfte aus der LandwirtschaftSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Kultur) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit S 29.500,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Beschwerdeführer bezog ab September 1999 Studienbeihilfe. Ab 1. Jänner 2000 schloss er mit seinen Eltern einen Pachtvertrag über deren landwirtschaftlichen Betrieb mit einem Einheitswert von S 245.000,-. Aus der "Erklärung über einheitlich und gesondert festzustellende Einkünfte nichtbuchführender Land- und Forstwirte für 1999" ergibt sich ein Einkommen aus diesem Betrieb von
S 0,-.
Der im Instanzenzug ergangene angefochtene Bescheid bestätigt die Verpflichtung des Beschwerdeführers gemäß §51 Abs1 Z3 Studienförderungsgesetz 1992, BGBl. Nr. 305 idF BGBl. I Nr. 23/1999 (in der Folge StudFG), S 6.640,- an Studienbeihilfe, die ihm während des Ruhens des Anspruchs ab 1. Jänner 2000 gemäß §49 Abs3 StudFG ausbezahlt wurden, zurückzuzahlen.
2. Die belangte Behörde begründet den angefochtenen Bescheid insbesondere damit, dass die Berücksichtigung der (einkommensteuerlichen) Gewinnermittlungsmethode bei pauschalierten land- und forstwirtschaftlichen Betrieben für die Interpretation des §49 Abs3 StudFG nicht der Intention des Gesetzes entsprechen würde. Die Intention des Gesetzes sei nicht nur an der Einkommenshöhe, sondern auch an dem mit der Berufstätigkeit verbundenen Tätigkeitsaufwand orientiert. Deshalb ziehe die belangte Behörde zur Interpretation des §49 Abs3 StudFG im Zusammenhang mit Einkünften eines Landwirts anstelle des steuerrechtlichen Einkommens eine andere sozialversicherungsrechtliche Bestimmung heran, die die gleiche Funktion habe wie die - primär auf nicht selbständige Einkünfte abzielende - Geringfügigkeitsgrenze und sich explizit auf Landwirte beziehe, nämlich §12 Arbeitslosenversicherungsgesetz. Diese Bestimmung nenne bei der Definition der Arbeitslosigkeit und damit des Anspruchs auf Arbeitslosengeld nicht nur die Geringfügigkeitsgrenze des ASVG, sondern auch für Personen, die einen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb führen, eine Grenze für die Höhe des Einheitswertes, und zwar S 60.000,-. Das vom nunmehrigen Beschwerdeführer bezogene Einkommen ab Jänner 2000 entspreche letztlich einer Tätigkeit, welche zum Ruhen des Anspruches auf Studienbeihilfe führe. Auch die Vereinbarung im Pachtvertrag, das Pachtobjekt selbst ordnungsgemäß zu bewirtschaften, deute letztlich in diese Richtung.
3. Der Beschwerdeführer behauptet die Verletzung im Recht auf Gleichheit durch den angefochtenen Bescheid. Das Abstellen auf eine "maßgebliche Einheitswertgrenze" von S 60.000,- sei weder durch den Wortlaut, noch durch die Intention des StudFG gedeckt und stelle eine rein willkürliche Vorgangsweise dar. Voraussetzung für die Gewährung einer Studienbeihilfe sei die soziale Bedürftigkeit, welche durch die Berücksichtigung des Einkommens zu beurteilen sei. Die tatsächlichen Einkommensverhältnisse würden von der belangten Behörde jedoch überhaupt nicht geprüft bzw. berücksichtigt. Die analoge Anwendung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes sei völlig verfehlt. Das AlVG verfolge eine völlig andere Intention. Im StudFG bestehe keine zu schließende Lücke. Insbesondere aus dem in §8 StudFG ("Einkommen im Sinne dieses Bundesgesetzes") verwiesenen §2 Abs2 iVm §21 EStG ergebe sich, dass nicht auf den Einheitswert, sondern auf "Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft" (im einkommensteuerlichen Sinn) abzustellen sei. Willkür liege im völligen Unterlassen eines Ermittlungsverfahrens zur konkreten Einkommenssituation des Beschwerdeführers. Das Parteiengehör sei verletzt mangels Möglichkeit des Beschwerdeführers zur Darlegung der tatsächlichen sozialen Situation.
4. Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen und insbesondere ausführt:
"Die von §49 festgelegten Gründe für das Ruhen sind drei Bereichen zuzuordnen: überwiegende Behinderung am Studium durch allgemein studienfremde Tätigkeiten, Behinderung durch Berufstätigkeit im Ausmaß von mehr als einer Halbbeschäftigung, Bezug von Einkünften zusätzlich zur Studienbeihilfe über einem bestimmten Betrag.
Zweck dieser Bestimmung ist es, einen Anreiz zur Studien- und Prüfungstätigkeit zu geben und nach Möglichkeit andere Tätigkeiten, die den Studienfortgang beeinträchtigen, hintanzuhalten. Mehrmalige Änderungen des §49 zielten darauf ab, dieses System möglichst lückenlos zu gestalten. Das Ruhen ist somit auch als ein Äquivalent für die Vollabdeckung der studentischen Aufwendungen zu sehen. Aus dem Gesamtzusammenhang des Studienförderungsgesetzes ergibt sich, dass der Gesetzgeber jede etwas aufwendigere Tätigkeit neben dem Studium und dem Bezug einer Beihilfe sanktionieren wollte. Die unterste Grenze der zulässigen Beschäftigung ist auf dem Niveau der geringfügigen Beschäftigung angesiedelt.
Der entsprechende Betrag gemäß §5 Abs2 ASVG belief sich zum Zeitpunkt des Ruhens im Jahr 2000 auf monatlich S 3.977,-
(geringfügiges Beschäftigungsverhältnis).
Damit wurde vom Gesetzgeber jener Betrag als Auslöser für das Ruhen der Studienbeihilfe gewählt, der auch für andere Sozialleistungen als Obergrenze gilt (Familienbeihilfe, Arbeitslosengeld). Beim Bezug von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit ist die Zurechnung des monatlichen Einkommens vergleichsweise einfach. Schwierigkeiten ergeben sich bei anderen Einkunftsarten, insbesondere bei Formen selbständiger Tätigkeit. Dazu zählt auch das Einkommen aus Land- und Forstwirtschaft.
Es existieren keinerlei Möglichkeiten der Berechnung, wie die Höhe eines pauschalierten Jahreseinkommens aus Land- und Forstwirtschaft einem monatlichen Einkommen zuzuordnen wäre. Daher knüpfte die belangte Behörde bei ihrer Entscheidung über die Frage des Ruhens infolge der Bewirtschaftung eines land- und forstwirtschaftlichen Mittelbetriebes und entsprechender Einkünfte aus land- und forstwirtschaftlichen Tätigkeiten an eine vergleichbare sozialgesetzliche Regelung an, welche die geringfügige Beschäftigung bei der Führung eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes mit einem Einheitswert von nicht mehr als S 60.000,- gleichsteht (§12 Abs6 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes).
Es ist der Beschwerde zwar insoferne zuzustimmen, als ein Verweis auf diese Bestimmung des AlVG sich nicht im Studienförderungsgesetz findet. Auf Grund der gleichen Zielsetzung, nämlich dem Ruhen von Sozialansprüchen infolge eines zu hohen Einkommens, erscheint die in §12 Abs6 AIVG vorgenommene Gleichsetzung in den Auswirkungen bei der Führung eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes über einer bestimmten Größe mit einem Einkommen über einer bestimmten Höhe im Sinne des Gesetzes als entsprechend.
Die Beschwerdeschrift macht geltend, dass nicht die tatsächlichen Einkünfte anläßlich der Bescheiderlassung ermittelt worden sei.
Hiezu ist festzustellen, dass sich auf Grund der Eigenheiten des Betriebes einer land- und forstwirtschaftlichen Fläche die tatsächlichen Einkünfte, sofern keine entsprechende Buchhaltung geführt wird, Pauschalierung festgesetzt werden. Diese Pauschalierung würde bei einer monatlichen Zurechnung im Hinblick auf die Geringfügigkeitsgrenze zur Unvollziehbarkeit der Bestimmung des §49 Abs4 StudFG führen. Es liefe dies auf eine faktische Bevorzugung von land- und forstwirtschaftlichen Einkünften hinaus, die sachlich nicht gerechtfertigt wäre. Die analoge Heranziehung einer sozialrechtlichen Regelung aus einem inhaltlich verwandten Bereich kann diese Lücke schließen und ermöglicht eine gleichheitskonforme Vollziehung des §49 Abs4 StudFG im Hinblick auf Einkünfte aus land- und forstwirtschaftlicher Tätigkeit parallel zum Bezug einer Studienbeihilfe.
Eine gleichheitswidrige - weil
willkürliche - Entscheidung liegt daher nach Ansicht der belangten Behörden nicht vor."
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. §51 Abs1 Z3 StudFG lautet:
"§51. (1) Studierende haben zurückzuzahlen:
(...)
3. Studienbeihilfenbeträge, die nach dem Eintritt eines gesetzlichen Erlöschensgrundes oder während des Ruhens des Anspruches ausbezahlt wurden; (...)
§49 Abs3 StudFG lautet:
(3) Der Anspruch ruht während der Monate, in denen Studierende Leistungen nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977, BGBl. Nr. 609, nach dem Karenzurlaubsgeldgesetz, BGBl. Nr. 395/1974, dem Karenzgeldgesetz, BGBl. I Nr. 139/1997, nach dem Arbeitsmarktservicegesetz - AMSG, BGBl. Nr. 313/1994, nach dem Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz - AVRAG, BGBl. Nr. 459/1993, Krankengelder oder Einkünfte aus Berufstätigkeit beziehen, die den Betrag gemäß §5 Abs2 litc ASVG übersteigen, ausgenommen hievon sind Einkünfte aus den in §8 Abs4 genannten Tätigkeiten.
§5 Abs2 ASVG lautet:
(2) Ein Beschäftigungsverhältnis gilt als geringfügig, wenn es
1. für eine kürzere Zeit als einen Kalendermonat vereinbart ist und für einen Arbeitstag im Durchschnitt ein Entgelt von höchstens 287 S, insgesamt jedoch von höchstens 3 740 S gebührt oder
2. für mindestens einen Kalendermonat oder auf unbestimmte Zeit vereinbart ist und im Kalendermonat kein höheres Entgelt als 3 740 S gebührt. (...)"
Die von der belangten Behörde zur Interpretation des §49 Abs3 StudFG herangezogene Bestimmung des §12 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977, BGBl. Nr. 609, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 148/1998, lautet auszugsweise:
"§12. (1) Arbeitslos ist, wer nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine neue Beschäftigung gefunden hat.
(...)
Als arbeitslos im Sinne der Abs1 gilt insbesondere nicht:
a) wer in einem Dienstverhältnis steht;
b) wer selbständig erwerbstätig ist;
(...)
(6) Als arbeitslos gilt jedoch,
a) wer aus einer oder mehreren Beschäftigungen ein Entgelt erzielt, das die im §5 Abs2 ASVG angeführten Beträge nicht übersteigt
(...);
b) wer einen land(forst)wirtschaftlichen Betrieb auf eigene Rechnung und Gefahr führt, dessen Einheitswert 60 000 S nicht übersteigt; (...)"
2. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (zB VfSlg. 10.413/1985, 11.682/1988, 14.449/1996) etwa dann vor, wenn die Behörde bei der Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat. Ein willkürliches Verhalten kann der Behörde unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn der Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht, aber auch bei einem Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt (zB VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung; VfSlg. 10.338/1985, 11.213/1987).
Die Heranziehung des §12 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 durch die belangte Behörde, um ein Ruhen des Anspruches auf Studienbeihilfe gemäß §49 Abs3 StudFG zu begründen, könnte allenfalls dann als denkmöglich erscheinen, wenn die Regelung des §49 Abs3 StudFG eine Lücke aufwiese hinsichtlich des Ruhens des Anspruchs auf Studienbeihilfe in Folge der Erzielung von Einkünften durch Tätigkeiten in der Land- und Forstwirtschaft, die einkommensteuerlich durch Pauschalierung ermittelt werden. Dies ist jedoch nicht der Fall: Gemäß §49 Abs3 StudFG ruht der Anspruch auf Studienbeihilfe während der Monate, in denen Einkünfte aus Berufstätigkeit bezogen werden, die den Betrag übersteigen, der in §5 ASVG genannt wird. Wenn die belangte Behörde an die "Berufstätigkeit in der Land- und Forstwirtschaft" das Ruhen des Anspruches auf Studienbeihilfe knüpfen will, so hätte sie entweder den Einkommensbegriff des §8 StudFG heranziehen oder auf eigenständige Weise die Höhe der Einkünfte aus der Berufstätigkeit ermitteln müssen. §8 Abs1 iVm §10 Z1 bzw. 2 StudFG enthalten nämlich eine ausdrückliche Regelung der Frage, was als Einkommen im Sinne dieses Bundesgesetzes gilt, wenn Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft erzielt werden, die einkommensteuerlich nach Durchschnittssätzen ermittelt werden.
§8 und §10 StudFG lauten auszugsweise:
"§8. (1) Einkommen im Sinne dieses Bundesgesetzes ist
1. das Einkommen gemäß §2 Abs2
des Einkommensteuergesetzes 1988 (EStG 1988), BGBl. Nr. 400, in der jeweils geltenden Fassung zuzüglich (...)
3. des
Pauschalierungsausgleichs gemäß §10.
§10. Gewinne, die nach Durchschnittssätzen (§17 EStG 1988) ermittelt werden, sind zu erhöhen. Die Erhöhung beträgt
1. bei Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft 10% des Einheitswertes des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens,
2. bei Einkünften aus Land und Forstwirtschaft, für die keine Veranlagung erfolgt, weitere 10% des Einheitswertes des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens, (...)."
Neben dem Abstellen auf diese Definition des "Einkommens" zur Ermittlung der "Einkünfte" käme denkmöglicher Weise auch eine autonome Ermittlung eines Betrages von "Einkünften" in Betracht, der mit dem Betrag gemäß §5 Abs2 litc ASVG zu vergleichen wäre.
Indem die Behörde allerdings die Einheitswertgrenze des §12 AlVG analog heranzieht, verkennt sie jedenfalls die Rechtslage; daher steht ihr Bescheid in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch. Außerdem hat die Behörde, gemessen an dieser Rechtslage, in einem wesentlichen Punkt die Ermittlungstätigkeit unterlassen, weil sie nicht erhoben hat, ob bei der Ermittlung der Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft eine Veranlagung erfolgt ist oder nicht.
3. Da die belangte Behörde Willkür geübt hat, hat sie den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt. Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben.
4. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG 1953. Im zugesprochenen Betrag sind S 4.500,- an Umsatzsteuer und S 2.500,- an Eingabegebühr enthalten.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Hochschulen, StudienbeihilfenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2001:B2167.2000Dokumentnummer
JFT_09989389_00B02167_00