RS OGH 2007/4/11 13Os1/07g, 11Os48/07d, 11Os54/07m (11Os55/07h), 14Os90/08d, 13Os83/08t, 11Os51/11a,

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 11.04.2007
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Norm

StGB §28 Abs1

Rechtssatz

Soweit in früherer Rechtsprechung unter dem Begriff des „fortgesetzten Delikts" (nach Maßgabe zuweilen geforderter, indes uneinheitlich gehandhabter weiterer Erfordernisse) mehrere den gleichen Tatbestand (ob versucht oder vollendet) erfüllende, mit einem „Gesamtvorsatz" begangene Handlungen zu einer dem Gesetz nicht bekannten rechtlichen Handlungseinheit mit der Konsequenz zusammengefasst wurden, dass durch die je für sich selbständigen gleichartigen Straftaten doch nur eine einzige strafbare Handlung begründet würde, hat der Oberste Gerichtshof diese Rechtsfigur der Sache nach bereits mit der Bejahung ihrer prozessualen Teilbarkeit durch die Grundsatzentscheidung SSt 56/88 = EvBl 1986/123 aufgegeben. Seither reduziert er deren Bedeutung auf den unverzichtbaren Kernbereich der der Rechtsfigur zugrunde liegenden Vorstellung, den er als tatbestandliche Handlungseinheit bezeichnet. In der Anerkennung des Fortsetzungszusammenhangs bloß nach Maßgabe tatbestandlicher Handlungseinheiten liegt gezielte Ablehnung einer absoluten Sicht des fortgesetzten Delikts und ein Bekenntnis zur deliktsspezifischen Konzeption. Denn der Unterschied zwischen der Rechtsfigur des fortgesetzten Delikts und der tatbestandlichen Handlungseinheit besteht darin, dass die Rechtsfigur des fortgesetzten Delikts aus dem allgemeinen Teil des materiellen Strafrechts abgeleitet wird, die der tatbestandlichen Handlungseinheit aber gleichartige Handlungen nach Maßgabe einzelner Tatbestände zusammenfasst. Die Kriterien einer Zusammenfassung können demnach durchaus deliktsspezifisch verschieden sein, ohne dass daraus das ganze Strafrechtssystem erfassende Widersprüche auftreten. Von einer tatbestandlichen Handlungseinheit spricht man im Anschluss an Jescheck/Weigend5 (711ff) bei einfacher Tatbestandsverwirklichung, also der Erfüllung der Mindestvoraussetzungen des gesetzlichen Tatbestands, insbesondere bei mehraktigen Delikten und Dauerdelikten (tatbestandliche Handlungseinheit im engeren Sinn) und dort, wo es nur um die Intensität der einheitlichen Tatausführung geht (SSt 56/88), demnach bei wiederholter Verwirklichung des gleichen Tatbestands in kurzer zeitlicher Abfolge, also bei nur quantitativer Steigerung (einheitliches Unrecht) und einheitlicher Motivationslage (einheitliche Schuld), auch wenn höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Träger verletzt werden, sowie bei fortlaufender Tatbestandsverwirklichung, also der Annäherung an den tatbestandsmäßigen Erfolg durch mehrere Einzelakte im Fall einheitlicher Tatsituation und gleicher Motivationslage, etwa beim Übergang vom Versuch zur Vollendung oder bei einem Einbruchsdiebstahl in zwei Etappen (tatbestandliche Handlungseinheit im weiteren Sinn).

Entscheidungstexte

  • 13 Os 1/07g
    Entscheidungstext OGH 11.04.2007 13 Os 1/07g
    Verstärkter Senat
  • 11 Os 48/07d
    Entscheidungstext OGH 22.05.2007 11 Os 48/07d
    Vgl auch
  • 11 Os 54/07m
    Entscheidungstext OGH 19.06.2007 11 Os 54/07m
    Auch
  • 14 Os 90/08d
    Entscheidungstext OGH 05.08.2008 14 Os 90/08d
    Auch
  • 13 Os 83/08t
    Entscheidungstext OGH 27.08.2008 13 Os 83/08t
    Vgl; Beisatz: Beitragshandlungen sind hinsichtlich jeder Vereinigung und Organisation als tatbestandliche Handlungseinheit zusammenzufassen. (T1)
  • 11 Os 51/11a
    Entscheidungstext OGH 30.06.2011 11 Os 51/11a
    Vgl auch; Beisatz: Unter wiederholter Verwirklichung des gleichen Tatbestands in kurzer zeitlicher Abfolge, also bei nur quantitativer Steigerung (einheitliches Unrecht) und einheitlicher Motivationslage (einheitliche Schuld) gesetzte rechtswidrige Angriffe sind als tatbestandliche Handlungseinheit mit der Konsequenz nur einmaliger Tatbestandsverwirklichung zusammenzufassen. (T2)
    Beisatz: Sind zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit zusammengefasste gleichartige Handlungen teils vollendet und teils versucht, ist dies im Schuldspruch nicht zum Ausdruck zu bringen. (T3)
    Beisatz: Hier: Ein versuchter neben einem vollendeten schweren Raub nach §§ 142, 143 zweiter Fall, 15 StGB – kein Freispruch, sondern Kassation des Schuld- und Strafausspruchs zum (fälschlich gesondert verurteilten) versuchten schweren Raub. (T4)
  • 15 Os 106/11v
    Entscheidungstext OGH 20.12.2011 15 Os 106/11v
    Vgl auch; Beis wie T3; Beisatz: Hier: Verbrechen der schweren Erpressung nach §§ 144 Abs 1, 145 Abs 2 Z 1 StGB. (T5)
  • 15 Os 117/11m
    Entscheidungstext OGH 14.12.2011 15 Os 117/11m
    Vgl; Beisatz: Mehrere im Rahmen einer tatbestandlichen Handlungseinheit begangene Angriffe stellen eine einzige Tat dar, weshalb mit der bloßen Bekämpfung einzelner Ausführungshandlungen – soweit dadurch die rechtliche Beurteilung nicht tangiert wird – keine für die Schuld- und Subsumtionsfrage entscheidende Tatsache angesprochen wird. (T6)
  • 12 Os 4/12y
    Entscheidungstext OGH 31.01.2012 12 Os 4/12y
    Vgl auch
  • 14 Os 68/14b
    Entscheidungstext OGH 12.08.2014 14 Os 68/14b
    Vgl auch; Beis wie T6
  • 17 Os 30/14m
    Entscheidungstext OGH 13.10.2014 17 Os 30/14m
    Vgl auch; Beisatz: Hier: Tatbestandliche Handlungseinheit in Brüssel und London. (T7)
  • 11 Os 97/14w
    Entscheidungstext OGH 25.11.2014 11 Os 97/14w
    Auch; Beis ähnlich wie T4; Beisatz: Hier: Verfehlte Annahme eines zusätzlichen Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB und eines Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB. (T8)
  • 15 Os 105/14a
    Entscheidungstext OGH 01.10.2014 15 Os 105/14a
    Vgl; Beisatz: Hier: Für die Erfüllung der Grenzmengenqualifikation des § 22a Abs 5 zweiter Fall ADBG 2007 ist ein auf die kontinuierliche Begehung und den daran geknüpften Additionseffekt gerichteter Vorsatz nicht erforderlich (T9)
  • 11 Os 116/14i
    Entscheidungstext OGH 25.11.2014 11 Os 116/14i
    Vgl
  • 15 Os 49/15t
    Entscheidungstext OGH 29.04.2015 15 Os 49/15t
    Vgl; Beisatz: Werden mehrere gegen dasselbe Opfer gerichtete, gleichartige Tathandlungen nach § 207 Abs 1 StGB innerhalb kurzer Zeit nicht aufgrund eines Gesamtvorsatzes sondern aufgrund jeweils gesondert gefasster Willensentschlüsse gesetzt, liegt keine tatbestandliche Handlungseinheit vor. (T10)
  • 12 Os 47/15a
    Entscheidungstext OGH 11.06.2015 12 Os 47/15a
    Vgl
  • 12 Os 146/15k
    Entscheidungstext OGH 07.04.2016 12 Os 146/15k
    Auch; Beis wie T6
  • 11 Os 29/16y
    Entscheidungstext OGH 10.05.2016 11 Os 29/16y
    Auch
  • 11 Os 20/16z
    Entscheidungstext OGH 05.07.2016 11 Os 20/16z
    Auch
  • 12 Os 113/16h
    Entscheidungstext OGH 22.09.2016 12 Os 113/16h
    Vgl
  • 12 Os 114/16f
    Entscheidungstext OGH 17.11.2016 12 Os 114/16f
    Auch; Beis wie T6; Beisatz: Hier: Mehrere Beteiligungshandlungen an einer terroristischen Vereinigung. (T11)
  • 14 Os 108/16p
    Entscheidungstext OGH 24.01.2017 14 Os 108/16p
    Auch; Beisatz: Zum nach § 61 StGB anzuwendenden Recht bei tatbestandlicher Handlungseinheit. (T12)
  • 14 Os 113/16y
    Entscheidungstext OGH 24.01.2017 14 Os 113/16y
    Auch
  • 12 Os 65/16z
    Entscheidungstext OGH 21.03.2017 12 Os 65/16z
    Auch; Beis wie T8
  • 12 Os 123/16d
    Entscheidungstext OGH 06.04.2017 12 Os 123/16d
    Auch
  • 13 Os 129/17w
    Entscheidungstext OGH 06.12.2017 13 Os 129/17w
    Vgl
  • 11 Os 53/18f
    Entscheidungstext OGH 19.06.2018 11 Os 53/18f
    Vgl
  • 14 Os 54/18z
    Entscheidungstext OGH 03.08.2018 14 Os 54/18z
    Auch; Beisatz: Diebstahl eines Wohnungsschlüssels aus einem PKW und nachfolgender Einbruchsdiebstahl in die zugehörige Wohnung mit einheitlichem Willensentschluss. (T13)
  • 11 Os 106/18z
    Entscheidungstext OGH 13.11.2018 11 Os 106/18z
    Auch
  • 12 Os 128/19v
    Entscheidungstext OGH 20.01.2020 12 Os 128/19v
    Vgl
  • 11 Os 9/20p
    Entscheidungstext OGH 23.04.2020 11 Os 9/20p
    Vgl; Beis wie T6
  • 12 Os 39/18d
    Entscheidungstext OGH 09.03.2020 12 Os 39/18d
    Vgl
  • 15 Os 92/19x
    Entscheidungstext OGH 05.06.2020 15 Os 92/19x
    Vgl; Beisatz: Hier: Mehrere Vergehen der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und Abs 2 StGB sowie mehrere Vergehen der Beleidigung nach § 115 Abs 1 StGB. (T14)
    Beisatz: Diese Grundsätze sind auch auf den Entschädigungstatbestand nach § 6 Abs 1 MedienG zu übertragen. (T15)
  • 11 Os 75/20v
    Entscheidungstext OGH 01.09.2020 11 Os 75/20v
    Beisatz: Hier: § 92 Abs 2 StGB. (T16)
  • 14 Os 59/20p
    Entscheidungstext OGH 29.09.2020 14 Os 59/20p
    Vgl
  • 15 Os 99/20b
    Entscheidungstext OGH 04.11.2020 15 Os 99/20b
    Vgl
  • 12 Os 142/20d
    Entscheidungstext OGH 21.01.2021 12 Os 142/20d
    Vgl
  • 14 Ns 78/20m
    Entscheidungstext OGH 14.01.2021 14 Ns 78/20m
    Vgl
  • 11 Os 6/21y
    Entscheidungstext OGH 15.03.2021 11 Os 6/21y
    Vgl
  • 11 Ns 51/21w
    Entscheidungstext OGH 26.07.2021 11 Ns 51/21w
    Vgl; Beisatz: Hier: § 50 Abs 1 Z 2 WaffG. (T17)
  • 11 Os 93/21t
    Entscheidungstext OGH 02.11.2021 11 Os 93/21t
    Vgl
  • 15 Os 85/21w
    Entscheidungstext OGH 20.10.2021 15 Os 85/21w
    Vgl
  • 11 Os 111/21i
    Entscheidungstext OGH 15.12.2021 11 Os 111/21i
    Vgl; Beisatz: Hier: § 3g VG. (T18)
  • 12 Os 17/22z
    Entscheidungstext OGH 31.03.2022 12 Os 17/22z
    Vgl
  • 29 Ds 1/21z
    Entscheidungstext OGH 28.03.2022 29 Ds 1/21z
    Vgl; Beis wie T6; Beisatz: Hier: Mehrere beleidigende Äußerungen innerhalb eines Schriftsatzes. (T18)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2007:RS0122006

Im RIS seit

11.05.2007

Zuletzt aktualisiert am

13.06.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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