TE Vwgh Erkenntnis 2005/1/25 2004/02/0293

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Veröffentlicht am 25.01.2005
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
60/02 Arbeitnehmerschutz;

Norm

ArbIG 1993 §23 Abs1;
ASchG 1994 §118 Abs3;
AVG §37;
AVG §66 Abs4;
BArbSchV 1994 §7 Abs4;
VStG §22 Abs1;
VStG §5 Abs1;
VStG §5 Abs2;
VStG §9 Abs2;
VStG §9 Abs3;
VStG §9;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Holeschofsky und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schlegel-Lanz, über die Beschwerde des HD in Wien, vertreten durch Mag. Christian Grasl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Gluckgasse 2, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 5. Juli 2004, Zl. UVS- 07/S/4/7114/2003/13, betreffend Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Auf Grund der Beschwerde und des mit ihr vorgelegten angefochtenen Bescheides steht folgender Sachverhalt fest:

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 5. Juli 2004 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe als handelsrechtlicher Geschäftsführer und somit zur Vertretung nach außen Berufener der D GmbH zu verantworten, dass diese Gesellschaft mit Sitz in W am 8. Oktober 2002 auf der Baustelle in W, zwei namentlich genannte Arbeitnehmer auf dem Dachgesimse (Absturzhöhe ca. 24 m, Neigung ca. 2 Grad ) beschäftigt habe, ohne dass diese mit Sicherheitsgeschirr, einschließlich der dazugehörigen Ausrüstung wie Sicherheitsseile, Seilkürzer, Falldämpfer sicher angeseilt gewesen seien.

Er habe zwei Übertretungen gemäß § 118 Abs. 2 (richtig wohl: Abs. 3) des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes (AschG) iVm § 7 Abs. 4 der Bauarbeiterschutzverordnung (BauV) begangen. Es wurden zwei Geldstrafen in der Höhe von jeweils EUR 1.050,-- (im Nichteinbringungsfall Ersatzfreiheitsstrafen von jeweils drei Tagen) verhängt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer rügt, es sei gemäß § 9 Abs. 2 VStG ein verantwortlicher Beauftragter bestellt gewesen. Die belangte Behörde hat dazu festgestellt, dass keine Bestellungsurkunde beim Arbeitsinspektorat eingelangt sei. Dies lässt der Beschwerdeführer unwidersprochen, bringt aber vor, er habe sich auf Grund der Auskunft seines "ehemaligen Rechtsvertreters", dass die Bestellung "generell auch ohne schriftliche Übersendung an das AI" (= Arbeitsinspektorat) rechtswirksam sei, in einem "jedenfalls entschuldbaren Rechtsirrtum" befunden.

Gemäß § 23 Abs. 1 des Arbeitsinspektionsgesetzes (ArbIG) wird die Bestellung von verantwortlichen Beauftragten gemäß § 9 Abs. 2 und 3 VStG für die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften und für die Einhaltung dieses Bundesgesetzes erst rechtswirksam, nachdem beim zuständigen Arbeitsinspektorat eine schriftliche Mitteilung über die Bestellung samt einem Nachweis der Zustimmung des/der Bestellten eingelangt ist.

Da keine Bestellungsurkunde beim Arbeitsinspektorat eingelangt ist, trat eine rechtswirksame Übertragung der Verantwortlichkeit nicht ein.

Nach § 5 Abs. 2 VStG entschuldigt die Unkenntnis der Verwaltungsvorschrift, der der Täter zuwidergehandelt hat, nur dann, wenn sie erwiesenermaßen unverschuldet ist und der Täter das Unerlaubte seines Verhaltens ohne Kenntnis der Verwaltungsvorschrift nicht einsehen konnte.

Unkenntnis eines Gesetzes kann nur dann als unverschuldet angesehen werden, wenn jemandem die Verwaltungsvorschrift trotz Anwendung der nach seinen Verhältnissen erforderlichen Sorgfalt unbekannt geblieben ist. Wer ein Gewerbe betreibt, ist verpflichtet, sich vor der Ausübung über die das Gewerbe betreffenden Vorschriften zu unterrichten. Dabei ist auch eine irrige Gesetzesauslegung, hervorgerufen durch eine dem Wortsinn der zu kennenden Norm entgegenstehende Auskunft eines Rechtsanwaltes, ein Rechtsirrtum, die den Beschuldigten nicht zu entschuldigen vermag, wenn nach seinem ganzen Verhalten nicht angenommen werden kann, dass sie unverschuldet war und dass er das Unerlaubte seines Verhaltens nicht einsehen konnte. Es besteht daher für den Arbeitgeber grundsätzlich die Verpflichtung, sich u. a. auch mit den gesetzlichen Vorschriften betreffend den Arbeitnehmerschutz laufend vertraut zu machen. Nach dem klaren Wortlaut des § 23 Abs. 1 ArbIG bedurfte es gar keiner Auskunft des (ehemaligen) Rechtsfreundes. Hätte der Beschwerdeführer aber dennoch über den Inhalt der Verwaltungsvorschrift Zweifel gehabt, dann wäre er verpflichtet gewesen, hierüber bei der zuständigen Behörde Auskunft einzuholen; wenn er dies unterlässt, so vermag ihn die Unkenntnis dieser Vorschrift nicht von seiner Schuld - hier: sich mangels rechtswirksamer Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten selbst um die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften zu kümmern - zu befreien. Auf die Auskunft seines (ehemaligen) Rechtsfreundes allein durfte sich der Beschwerdeführer jedenfalls nicht verlassen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 1998, Zl. 96/09/0311).

Der Beschwerdeführer rügt sodann als "unzulässige Doppelbestrafung" und "Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot", die belangte Behörde habe anstatt der von der Behörde erster Instanz verhängten Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) nun zwei Geldstrafen (Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt.

Die Behörde erster Instanz hatte den Beschwerdeführer wegen der Außerachtlassung arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen hinsichtlich zweier beschäftigter Arbeitnehmer für schuldig erkannt, aber nur eine "Gesamtstrafe" verhängt. Die belangte Behörde stellte dies durch Halbierung der "Gesamtgeldstrafe" und Aufteilung in zwei gleich hohe Strafen richtig, ohne dadurch die Höhe der von der Behörde erster Instanz verhängten "Gesamtgeldstrafe" zu überschreiten. Die Ersatzfreiheitsstrafen wurden von der belangten Behörde herabgesetzt (von einer "Gesamtersatzfreiheitsstrafe" von zwei Wochen auf zwei Ersatzfreiheitsstrafen in der Höhe von jeweils drei Tagen).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegen dann, wenn Rechtsvorschriften, die dem gesundheitlichen Schutz der Arbeitnehmer dienen, in Ansehung mehrerer Arbeitnehmer verletzt werden, auch mehrere Übertretungen vor (vgl. zB. das hg. Erkenntnis vom 13. Jänner 1994, Zl. 91/19/0200).

Es liegt weder eine "Doppelbestrafung" noch ein Verstoß gegen das Verbot der "reformatio in peius" vor, wenn die Berufungsbehörde in Abänderung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses richtigerweise für zwei Verwaltungsübertretungen zwei Strafen statt einer "Gesamtstrafe" verhängt, soferne die Summe der beiden Strafen - wie hier - die Höhe der "Gesamtstrafe" nicht übersteigt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 1995, Zl. 94/02/0383).

Sodann bringt der Beschwerdeführer vor, auf Grund des von ihm vorgebrachten Kontrollsystems sei ihm entgegen der Ansicht der belangten Behörde kein Verschulden vorzuwerfen, weshalb er "nicht zu bestrafen" gewesen wäre "bzw. hätte auf Grund des Sachverhaltes jedenfalls § 21 VStG zu Anwendung gelangen müssen bzw. hätte die Strafe weit niedriger angesetzt werden müssen."

Das vom Beschwerdeführer behauptete Kontrollsystem entspricht - wie die belangte Behörde richtig ausführt - de facto jenem, das auch dem den Beschwerdeführer betreffenden hg. Erkenntnis vom 19. Oktober 2001, Zl. 2000/02/0228, zu Grunde lag und vom Verwaltungsgerichtshof als ungeeignet angesehen wurde. Auf die diesbezüglichen Ausführungen im genannten Erkenntnis wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen. Der Beschwerdeführer ist darüber hinaus noch - mit der belangten Behörde - darauf hinzuweisen, dass sich dieses Kontrollsystem schon deshalb als ungeeignet darstellt, weil - wie der in der mündlichen Verhandlung vernommene Zeuge St unwidersprochen ausgeführt hat - dieser Zeuge selbst an der gegenständlichen Baustelle "des Öfteren" nicht angeseilt gewesen sei, jedoch keine firmeninterne Ermahnung erhalten habe, weil er dabei von niemandem wahrgenommen worden sei. Ist es aber möglich, dass Arbeitnehmer "des Öfteren" ungesichert arbeiten, ohne dass dies trotz des eingerichteten "Kontrollsystems" überhaupt bemerkt wird, so kann jedenfalls nicht von einem wirksamen Kontrollsystem, das die Einhaltung der (arbeitnehmerschutzrechtlichen) Vorschriften mit gutem Grund erwarten lässt, ausgegangen werden. Soweit der Beschwerdeführer aber vorbringt, es sei ihm als alleinigem Geschäftsführer eines größeren Unternehmens gar nicht möglich, "jede Eventualität auf jeder Baustelle jeden Tag zu überprüfen", so wird er auf die (von ihm nicht genützte) Möglichkeit der Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten gemäß § 9 Abs. 2 VStG (iVm § 23 Abs. 1 ArbIG) verwiesen. Der Verwaltungsgerichtshof kann auch keinen Grund erkennen, dass die belangte Behörde § 21 VStG hätte anwenden oder eine geringere Strafe verhängen müssen; vielmehr sind die verhängten Strafen sogar als milde zu bezeichnen, weil dem Beschwerdeführer bereits durch das zitierte hg. Erkenntnis vom 15. Oktober 2001 die Unzulänglichkeit seines Kontrollsystems vor Augen gehalten wurde.

Bereits der Inhalt der Beschwerde lässt erkennen, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, weshalb die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen war.

Wien, am 25. Jänner 2005

Schlagworte

Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Besondere Rechtsprobleme VerwaltungsstrafrechtRechtliche Wertung fehlerhafter Berufungsentscheidungen Rechtsverletzung durch solche EntscheidungenVerantwortung für Handeln anderer Personen Besondere Rechtsgebiete Arbeitsrecht ArbeiterschutzUmfang der Abänderungsbefugnis Reformatio in peiusBesondere verfahrensrechtliche Aufgaben der Berufungsbehörde Spruch des BerufungsbescheidesSachverhalt Sachverhaltsfeststellung Mitwirkungspflicht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2004020293.X00

Im RIS seit

10.03.2005

Zuletzt aktualisiert am

16.04.2014
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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