TE Vwgh Erkenntnis 2005/1/27 2003/11/0165

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Veröffentlicht am 27.01.2005
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/02 Führerscheingesetz;

Norm

AVG §37;
AVG §38;
FSG 1997 §24 Abs1 Z1;
FSG 1997 §26 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Gall, Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde der A in S, vertreten durch Dr. Reinhard Ratschiller, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Imbergstraße 22, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Salzburg vom 4. April 2003, Zl. 20504- 14/2004/5-2003, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung, Lenkverbot und Anordnung begleitender Maßnahmen, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund ist schuldig, der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Tamsweg vom 11. Dezember 2001 sprach diese gegenüber der Beschwerdeführerin Folgendes aus:

"1. Gemäß § 24 (1) Ziff. 1 iVm § 7 (1) des Führerscheingesetzes (FSG) i.d.g.F. wird Frau A ... die Lenkberechtigung für die Klasse B, beurkundet mit Führerschein der Bezirkshauptmannschaft Tamsweg, LNr. 9500399, ausgestellt am 11.9.1995, für die Dauer von 12 Monaten entzogen (§ 25 Abs. 1 FSG).

Für den gleichen Zeitraum wird der Genannten gemäß § 32 (1) Ziff. 1 iVm § 7 FSG das Lenken von Motorfahrrädern und vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugen verboten.

Die Entzugszeit beginnt mit dem Tag der Abnahme des Führerscheins, das ist vom 19.7.2002 bis einschließlich 19.7.2003.

2. Gleichzeitig wird gemäß § 3 (2) FSG ausgesprochen, dass bis zum Ablauf der Entzugszeit eine neue Lenkberechtigung nicht erteilt werden darf.

3. Gemäß § 26 (8) FSG werden Sie aufgefordert, vor Ablauf der Entzugszeit ein von einem Amtsarzt erstelltes Gutachten im Sinne des § 24 (4) FSG über die gesundheitliche Eignung (gemäß § 8 FSG) beizubringen.

4. Gemäß § 26 (5) FSG endet die Entzugszeit jedenfalls nicht vor Beibringung des unter Punkt 3. angeordneten amtsärztlichen Gutachtens.

5. Gemäß § 26 (8) FSG wird als begleitende Maßnahme angeordnet, dass sich die Obgenannte einer Nachschulung (Einstellungs- und Verhaltenstraining für alkoholauffällige Lenker) bei einer hiezu gemäß § 36 (2) Ziff. 1 FSG ermächtigten Stelle zu unterziehen hat. Die Anmeldung zur Nachschulung hat vom Betroffenen selbst zu erfolgen!

6. Gemäß § 25 (3) FSG endet die Entzugszeit jedenfalls nicht vor Absolvierung der Nachschulung.

7. Gemäß § 64 (2) Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz i. d.g.F. (AVG) wird einer gegen diesen Bescheid allfällig eingebrachten Berufung die aufschiebende Wirkung aberkannt."

Die Erstbehörde ging in der Begründung ihres Bescheides davon aus, dass die Beschwerdeführerin am 19. Juli 2002 einen Pkw in einem vermutlich durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt und in der Folge sich nach Aufforderung durch ein besonders geschultes und von der Behörde dazu ermächtigtes Organ geweigert habe, ihre Atemluft auf Alkoholgehalt untersuchen zu lassen. Sie habe bei der Atemluftalkoholkontrolle sechsmal die Möglichkeit gehabt, ein gültiges Ergebnis zustande zu bringen, dies sei ihr jedoch nicht gelungen.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 4. April 2003 gab der Landeshauptmann von Salzburg der dagegen erhobenen Berufung der Beschwerdeführerin teilweise Folge und sprach Folgendes aus:

"Der Berufung wird zu Spruchpunkt 1., 2. und 3 gemäß §§ 24 Abs. 1 Z. 1, 25 Abs. 1, 26 Abs. 2 und 32 Abs. 1 Z. 1 FSG iVm § 7 Abs. 3 Z. 1 FSG teilweise Folge gegeben und die Dauer des Entzuges der Lenkberechtigung und des Lenkverbotes auf zehn Monate herabgesetzt, sodass sie mit 19.5.2003 enden.

Weiters wird ausgesprochen, dass sich die Verfügungen unter den Spruchpunkten 3., 4., 5. und 6. auf § 24 Abs. 3 FSG gründen."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Für den Beschwerdefall sind folgende Bestimmungen des Führerscheingesetzes - FSG von Bedeutung:

"Dauer der Entziehung

§ 25.

(1) Bei der Entziehung ist auch auszusprechen, für welchen Zeitraum die Lenkberechtigung entzogen wird. Dieser ist auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens festzusetzen. ...

(3) Bei einer Entziehung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit (§ 7) ist eine Entziehungsdauer von mindestens drei Monaten festzusetzen.

...

Sonderfälle der Entziehung

§ 26.

...

(2) Wird beim Lenken eines Kraftfahrzeuges erstmalig eine Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 StVO 1960 begangen, so ist die Lenkberechtigung für die Dauer von mindestens vier Monaten zu entziehen.

..."

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Frage, ob ein Alkoholdelikt begangen wurde, im Verfahren zur Entziehung der Lenkerberechtigung eine Vorfrage im Sinn des § 38 AVG dar, welche die Kraftfahrbehörde selbständig zu beurteilen hat, wenn keine rechtskräftige Entscheidung der zuständigen Verwaltungsstrafbehörde vorliegt (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 23. April 2002, Zl. 2000/11/0025). Im gegenständlichen Fall war diese Voraussetzung erfüllt, weshalb die belangte Behörde berechtigt war, diese Vorfrage selbständig zu beurteilen, was sie auch getan hat.

Die belangte Behörde hat jedoch verkannt, dass die Beurteilung, ob die Beschwerdeführerin ein Alkoholdelikt begangen hat, auf Grund eines vollständigen und mängelfreien Ermittlungsverfahrens zu erfolgen hat. Die Behörde hat in einem solchen Fall die vom Betreffenden zu seiner Entlastung angebotenen Beweise zu beachten und sämtliche erforderliche Ermittlungen selbst zu führen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 11. April 2000, Zl. 99/11/0289). Darüber hinaus ist zu beachten, dass die freie Beweiswürdigung (§ 45 Abs. 2 AVG) erst nach vollständiger Beweiserhebung einsetzt. Die Würdigung eines Beweises auf seine Glaubwürdigkeit setzt die Aufnahme des Beweises voraus. Eine vorgreifende Beweiswürdigung, die darin besteht, dass der Wert eines Beweises abstrakt (im Vorhinein) beurteilt wird, ist unzulässig. Beweisanträge dürfen nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen (Beweisthema) als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel - ohne unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung - untauglich ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. November 2001, Zl. 2001/11/0271, mwN).

Die belangte Behörde führte in der Begründung des angefochtenen Bescheides aus, es stehe unbestritten fest, dass die Beschwerdeführerin vor Antritt der gegenständlichen Fahrt, die zum Verkehrsunfall geführt hat, Alkohol konsumiert habe und dass sie den gegenständlichen Verkehrsunfall auch verschuldet habe, weil sie sich durch ihr Handy, das sich in ihrer Tasche befunden habe, die am Boden des Beifahrerplatzes gestanden sei, ablenken habe lassen. Aus den vom Vertreter der Beschwerdeführerin zur Verfügung gestellten Unterlagen aus dem Gerichtsakt werde auch deutlich, dass der Zweitbeteiligte eine Verletzung erlitten habe, nämlich laut Gutachten des Dr. G vom 30.1.2003 eine Zerrung der Halswirbelsäule.

Wie sich "nun nach der Aktenlage" weiters ergebe, sei trotz mehrmaliger Versuche keine ordnungsgemäße Alkomatmessung zustande gekommen, weil ein solches Ergebnis jedenfalls zwei gültige Messungen voraussetzte. Bei der Verantwortung der Beschwerdeführerin sei auffallend, dass sie am Ort des Verkehrsunfalles lediglich eingestanden habe, ein Glas Prosecco getrunken zu haben, und erst anlässlich ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Unfallkommando am 24.7.2002 auch davon gesprochen habe, noch einen Viertelliter Weißwein getrunken zu haben. Weiters wolle sie über die Handhabung des Alkomattestgerätes nicht entsprechend aufgeklärt worden sein. Dem gegenüber habe der Meldungsleger im gerichtlichen Strafverfahren als Zeuge ausgesagt, dass sie vor dem Test aufgeklärt worden sei, wie dieser Test funktioniere, und ihr dieser auch während des Tests mehrmals erklärt worden sei. Sie sei darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass es einer Verweigerung gleichkomme, wenn sie kein gültiges Messergebnis zustande bringe. Weiters habe der Zeuge ausgesagt, dass die zweite Messung von der Beschwerdeführerin immer vereitelt worden sei, "sie blies daneben oder spielte mit der Zunge am Mundstück herum. Gemäß der ersten Messung wären 0,9 oder 1,0 %o herausgekommen. Das wurde ihr auch mitgeteilt. Bei der ersten Messung war der Messwert 0,5". Jeweils der erste Versuch sei "gegangen", der zweite nicht. Jeder Abschnitt bestehe aus einem ersten und einem zweiten Mal Blasen, wenn die zweite Messung nicht funktioniere, sei das Ergebnis ungültig. Beim allerersten Abschnitt habe auch der erste Blasversuch nicht funktioniert. Über Befragen durch den Verteidiger habe der Zeuge dann in der Hauptverhandlung vom 5. November 2002 weiters angegeben:

"Ja, es gibt einen ersten und einen zweiten Blasversuch, dann kommt der Streifen heraus. Warum auf dem ersten Streifen steht:

'Blasvolumen zu klein' und auf allen anderen nicht mehr, sondern lediglich 'Probe nicht verwertbar' kann ich nicht sagen. Die Beschuldigte hat jedenfalls irgendwie zu wenig geblasen."

Die belangte Behörde hat sich mit dieser Darstellung begnügt und den Widerspruch, der sich aus der Aussage des Meldungslegers zu den Angaben der Beschwerdeführerin in der Berufung ergab, einerseits und dessen weiteren Bemerkungen, die Beschwerdeführerin habe die zweite Messung "vereitelt", indem sie "daneben geblasen" habe, und mit den bei den Messversuchen von der Beschwerdeführerin jeweils erzielten, aus dem Messstreifen hervorgehenden erheblichen Blasvolumina und Blaszeiten andererseits nicht aufgeklärt. Die Beschwerdeführerin hatte nämlich schon in ihrer Berufung darauf hingewiesen, dass sie im Hinblick auf ein zustande gekommenes Messergebnis "im Bereich von höchstens 0,42 mg/l" keinesfalls eine Verweigerung des Tests riskieren wollte; sie habe auch Blasvolumina bis zu 2,6 l bei Blaszeiten bis zu 6,5 Sekunden erreicht und es sei kein Anhaltspunkt gegeben, dass sie etwas getan oder unterlassen habe, aus dem eine Verweigerung des Tests hätte resultieren können. Dass die belangte Behörde dem lediglich die Aussage des Meldungslegers entgegensetzte, der letztlich nur darauf hinweisen konnte, die Beschwerdeführerin habe "irgendwie zu wenig geblasen" - was sich mit den ausgedruckten Ergebnissen nicht in Einklang bringen lässt -, kann nicht als Ergebnis einer schlüssigen Beweiswürdigung angesehen werden. Da in diesem Zusammenhang die Frage, ob bzw. allenfalls wie der Meldungsleger die Beschwerdeführerin über den Test belehrt hat, strittig ist, hätte die belangte Behörde im Einzelnen feststellen müssen, wie er sie belehrte, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass diese Belehrung falsch war, bzw. allenfalls klären müssen, ob sich die Beschwerdeführerin den Anweisungen des Meldungslegers entsprechend verhielt. Ferner ist zu berücksichtigen, dass sich die Beschwerdeführerin zum Beweis ihrer Einwände in der Stellungnahme vom 4. November 2002 - unter anderem - auf die Einvernahme des Zeugen Michael L. berief und vorbrachte, er sei in der Folge auch beim Alkomattest anwesend gewesen. Damit ist der Zeuge zu einem relevanten Thema namhaft gemacht worden und es hätte die belangte Behörde dieses Beweismittel nicht als unerheblich abtun dürfen. Insoweit die belangte Behörde behauptet, die Beschwerdeführerin habe ihre Beweismittel in der Berufung "relativiert", ist dem zu entgegnen, dass die Beschwerdeführerin diesbezüglich ausdrücklich erklärt hat, die Beweisanträge nicht fallen zu lassen, wenngleich sie der Auffassung sei, dass die Berufung schon auf Grund des bisher Dargelegten begründet sei. Dies konnte für die belangte Behörde rechtens keinen Grund bilden, das Ermittlungsverfahren nicht weiter fortzuführen.

Da der Sachverhalt somit in wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf und die belangte Behörde Verfahrensvorschriften verletzt hat, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte gelangten können, hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit belastet.

Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, dass die belangte Behörde - ausgehend von ihren Annahmen - unter Bedachtnahme auf § 26 Abs. 2 FSG auch nicht schlüssig begründet hat, wie sie zur Annahme einer Dauer der Verkehrsunzuverlässigkeit der Beschwerdeführerin von 10 Monaten gelangt ist. Es ist zwar im Rahmen der Wertung grundsätzlich die Verwerflichkeit des Alkoholdeliktes und der Umstand zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführerin durch eine grobe Unachtsamkeit einen Verkehrsunfall verschuldete. Andererseits ist jedoch zu beachten, dass die Beschwerdeführerin unbescholten war und offensichtlich auch nach der Tat nicht weiter straffällig wurde. Weitere Elemente einer Wertung, die sich nachteilig für die Beschwerdeführerin auswirken könnten, hat die belangte Behörde nicht festgestellt - dass der Unfallgegner der Beschwerdeführerin verletzt wurde, hatte hier außer Betracht zu bleiben. Unter diesen Voraussetzungen

ist jedoch der von der belangte Behörde angenommene Zeitraum von 10 Monaten erheblich zu lang.

Aus den dargelegten Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 27. Jänner 2005

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Rechtsmittelverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2003110165.X00

Im RIS seit

02.03.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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