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19/05 Menschenrechte;Norm
AVG §67a Abs1 Z2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde 1. des B in R und 2. des M in F, beide vertreten durch Dr. Markus Brandt, Rechtsanwalt in 4780 Schärding, Silberzeile 9, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 19. Juni 2002, Zlen. VwSen-420328/16/Gf/La und VwSen- 420329/17/Gf/La, betreffend § 67a Abs. 1 Z 2 AVG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird im Umfang der Anfechtung (Spruchpunkte II. und IV.) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Nach den Feststellungen im angefochtenen Bescheid wurden die Beschwerdeführer am 21. Februar 2002 "gegen 15.30 Uhr" auf der A 25 im Bereich der Abfahrt Wels-Ost von Sicherheitsorganen in Zivil angehalten, mit Handschellen gefesselt und auf das Wachzimmer der Bundespolizeidirektion Wels verbracht, wo ihnen die Handschellen abgenommen und von wo sie gegen 17.30 Uhr wieder in Freiheit entlassen worden seien.
In Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides sprach die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführer seien durch die Festnahme und zwangsweise Verbringung auf das Wachzimmer "zwischen
15.40 Uhr und 17.30 Uhr ... in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden."
In Spruchpunkt II. entschied die belangte Behörde, hinsichtlich "des weiteren Vorbringens, dass sie durch das Anlegen von Handschellen in ihrem durch Art. 3 MRK gewährleisteten Recht verletzt worden seien, werden die Beschwerden hingegen als unbegründet abgewiesen." In Spruchpunkt III. sprach sie den Beschwerdeführern, in Spruchpunkt IV. dem Land Oberösterreich Kosten zu.
Gegen die Spruchpunkte II. und IV. richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Der angefochtene Bescheid gleicht in Bezug auf die Beschränkung der belangten Behörde auf einen Abspruch über die Verletzung bestimmter subjektiver Rechte einerseits und in Bezug auf die uneingeschränkte Abweisung der Beschwerden hinsichtlich der zumindest bis nach dem Eintreffen auf dem Wachzimmer aufrechterhaltenen Fesselung andererseits in den für die Entscheidung maßgeblichen Einzelheiten dem mit dem hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 2002, Zl. 2001/01/0388, entschiedenen Fall. Die belangte Behörde hatte sich danach in Bezug auf die Fesselung nicht auf die Prüfung zu beschränken, ob die Beschwerdeführer "in ihrem durch Art. 3 MRK gewährleisteten Recht verletzt" worden seien. War die Festnahme und Verbringung der Beschwerdeführer auf das Wachzimmer, wie von der belangten Behörde angenommen, rechtswidrig, so war demnach auch die Fesselung, soweit sie nur mehr diesem Zweck diente, schon deshalb für rechtswidrig zu erklären.
In Bezug auf den ursprünglichen Zweck der Fesselung sind die Ausführungen der belangten Behörde weder ihrem Inhalt noch ihrer Begründung nach verständlich. In der Gegenschrift wird dargelegt, es habe sich um ein "ohnedies nur vorübergehendes, zur Sicherung der Verbringung auf den Posten dienendes Anlegen der Handfesseln" gehandelt. Träfe dies zu, so läge der Fall insgesamt nicht anders als der im Vorerkenntnis behandelte.
Dem gegenüber scheint die belangte Behörde im Bescheid selbst davon ausgegangen zu sein, das Anlegen der Handschellen sei zunächst (gemeint offenbar: in den ersten 10 Minuten der Amtshandlung) unabhängig von einer beabsichtigten Festnahme und Verbringung auf das Wachzimmer erforderlich gewesen.
Das wäre zunächst insofern nicht nachvollziehbar, als die belangte Behörde nicht festgestellt hat, die Beschwerdeführer hätten sich nach dem Anhalten des Fahrzeugs - abgesehen vom Widerspruch des Erstbeschwerdeführers gegen die Aufforderung, sich auf die regennasse Fahrbahn zu legen, dem mit einer Zurücknahme dieser Anordnung Rechnung getragen wurde - der Amtshandlung widersetzt, und nach den Feststellungen der belangten Behörde dessen ungeachtet - und zwar, soweit den Feststellungen entnehmbar, auch noch nach dem Anlegen der Handfesseln - ein Beamter "den Einsatzort mittels seiner über das Dach des Dienstfahrzeuges in Anschlag gebrachten, ebenfalls gesicherten Dienstpistole im Auge behielt". Dass es sowohl einer "in Anschlag gebrachten" Dienstpistole - ohne die Rechtmäßigkeit dieser Vorgangsweise zu beurteilen - als auch noch zusätzlich einer Fesselung bedurft haben könnte, um eine gefahrlose Identitätsfeststellung zu ermöglichen, lässt sich aus den Feststellungen der belangten Behörde über die konkreten Umstände der Amtshandlung nicht ableiten. Dies gilt auch bei Zugrundelegung der Feststellung der belangten Behörde, der Beamte, der die Fahrertüre des vom Erstbeschwerdeführer gelenkten Fahrzeugs geöffnet habe, habe "im Fahrzeug" eine "nicht unmittelbar als solche zu erkennende Gaspistole" gesehen, womit offenbar gemeint ist, es sei nicht unmittelbar erkennbar gewesen, dass es sich "nur" um eine Gaspistole gehandelt habe. Die Fesselung der mit in Anschlag gebrachter Dienstpistole "im Auge behaltenen" Beschwerdeführer erfolgte jeweils zu einem Zeitpunkt, nachdem sie das Fahrzeug verlassen hatten und auf ein im Fahrzeug wahrgenommenes Objekt somit nicht zugreifen konnten.
Die erwähnte Feststellung über die Wahrnehmung einer Pistole im Fahrzeuginneren ist darüber hinaus völlig unzureichend begründet. Sie soll sich - wie alle übrigen Feststellungen der belangten Behörde - "auf die glaubwürdigen, insoweit im Wesentlichen übereinstimmenden Aussagen der in der Verhandlung einvernommenen Parteien und Zeugen" gründen.
Das ist aktenwidrig, weil die Beschwerdeführer in der Verhandlung übereinstimmend angaben, die Gaspistole habe sich in einem Behältnis unter dem Beifahrersitz befunden und sei erst später gefunden worden.
Davon abgesehen hätte sich die belangte Behörde, was gleichfalls nicht geschehen ist, auch mit der Entwicklung der Angaben der einschreitenden Beamten auseinander setzen müssen. In der Meldung vom 27. Februar 2002 kommt die Gaspistole noch nicht vor. Die Fesselung wird mit dem "zweifelhaften" psychischen Zustand der Beschwerdeführer erklärt, was nur in Bezug auf den Erstbeschwerdeführer und dessen nachfolgende ärztliche Untersuchung mit dem Hinweis auf seine Fahrweise und einen "starren Blick" etwas näher erläutert wird. In der Anzeige vom 2. März 2002 heißt es, nach dem Verlassen des Fahrzeugs durch beide Beschwerdeführer sei festgestellt worden, um wen es sich bei ihnen handle, und es sei "auch" festgestellt worden, dass sich im Fahrzeug u.a. eine "Gaspistole" befunden habe. Die "Schließung" sei lediglich zur Verhinderung einer strafbaren Handlung erfolgt, was in Bezug auf den Erstbeschwerdeführer dahingehend ausgeführt wird, auf Grund des Fahrverhaltens und der Angaben bei der Anhaltung habe eine "Selbst- bzw. Gemeingefährdung nicht ausgeschlossen" werden können. In Bezug auf den Zweitbeschwerdeführer heißt es, er habe "Anstalten" gemacht, sich auf die Beamten "zuzubewegen". Ein Zusammenhang zwischen der Fesselung auch nur eines der beiden Beschwerdeführer und der "Gaspistole" wird nicht hergestellt. Von einer Pistole, die zunächst nicht für eine (bloße) Gaspistole gehalten worden sei, ist nicht die Rede. Erst in der Verhandlung vor der belangten Behörde gab einer der Beamten an, die Fesselung des Erstbeschwerdeführers sei "deshalb nötig" gewesen, weil der Beamte schon zu einem Zeitpunkt, als beide Beschwerdeführer noch im Fahrzeug saßen, nämlich "beim Öffnen der Fahrertür auf dem Rücksitz eine Pistole liegen sah". Dem Zweitbeschwerdeführer seien dieser Aussage zufolge - nach dem Eintreffen von Verstärkung - Handfesseln angelegt worden, "damit dieser nicht an die Pistole herankommt". Derselbe Zeuge bestätigte, das dem Erstbeschwerdeführer gehörende Fahrzeug sei nur deshalb von einem Beamten zum Posten gebracht worden, weil der (gefesselte) Zweitbeschwerdeführer keinen Führerschein gehabt habe. Hätte er einen Führerschein gehabt, so wären ihm die Fesseln danach offenbar wieder abgenommen worden.
Für die Annahme, bei der Fesselung der Beschwerdeführer habe die Gaspistole tatsächlich eine Rolle gespielt, bedürfte es unter diesen Umständen einer nicht nur auf die gegenteiligen Angaben der Beschwerdeführer, sondern auch auf das Fehlen derartiger Behauptungen in den anfänglichen Sachverhaltsdarstellungen der Beamten und auf die Frage der inneren Schlüssigkeit der erstmals in der Verhandlung angebotenen Erklärungen Bedacht nehmenden Beweiswürdigung.
In der vorliegenden, die Beschwerde in Bezug auf die Fesselung - bei gleichzeitiger Beschränkung des Prüfungskalküls auf Art. 3 EMRK - undifferenziert abweisenden Form waren Spruchpunkt II. und damit auch Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides aber schon aus den im Vorerkenntnis, auf das gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, dargestellten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das auf den zusätzlichen Ersatz von Umsatzsteuer gerichtete Mehrbegehren findet in diesen Vorschriften keine Deckung.
Wien, am 28. Jänner 2005
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2003010026.X00Im RIS seit
03.03.2005