TE Vwgh Erkenntnis 2005/1/28 2002/01/0464

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Veröffentlicht am 28.01.2005
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

AVG §37;
AVG §56;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
B-VG Art130 Abs2;
StbG 1985 §11 idF 1998/I/124;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde des S in T, vertreten durch Dr. Peter Banwinkler, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Dinghoferstraße 21, gegen den Bescheid des Oberösterreichischen Landesregierung vom 11. Juni 2002, Zl. Gem(Stb)-409821/12-2002- Gru/Si, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Oberösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 11. Juni 2002 wies die Oberösterreichische Landesregierung das Ansuchen des Beschwerdeführers auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß den §§ 10 und 11 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) ab. Diese Entscheidung begründete sie im Wesentlichen damit, der Beschwerdeführer sei anerkannter Flüchtling, und er habe seinen Hauptwohnsitz seit Oktober 1992 in Österreich. Im Strafregister scheine keine gerichtliche Vorstrafe hinsichtlich des Beschwerdeführers auf; er verdiene bei einer näher bezeichneten Firma "S 10.200,51 netto". Mit einem Bescheid der Bundespolizeidirektion Linz vom 10. Jänner 2000 sei über ihn ein Waffenverbot ausgesprochen worden; nach Mitteilung des Gendarmeriepostens T werde dieses Verbot zumindest bis 28. Mai 2003 aufrecht bleiben. Der Gendarmerieposten T habe über Anzeige der Lebensgefährtin am 3. Jänner 2000 gegen den Beschwerdeführer ein Betretungsverbot hinsichtlich einer näher bezeichneten Wohnung in T ausgesprochen. Aus der eingeholten Verwaltungsvorstrafenliste vom 6. März 2001 ergebe sich, dass über den Beschwerdeführer im Zeitraum 22. Oktober 1996 bis 20. November 2000 insgesamt 25 Verwaltungsstrafen wegen "Übertretungen des Kraftfahrgesetzes, der Straßenverkehrsordnung und auch des Meldegesetzes" verhängt worden seien. Zu den Übertretungen der Straßenverkehrsordnung sei anzumerken, dass der Beschwerdeführer mit einem Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 30. September 1997 wegen Übertretung des § 4 StVO (Fahrerflucht) bestraft worden sei; zudem seien vier (jeweils mit Aktenzahl und Entscheidungsdatum genannte) Bestrafungen wegen Übertretungen des § 52 StVO (Überholverbot) hervorzuheben. Es liege auch eine "gehäufte Anzahl von Bestrafungen wegen Übertretung des § 43 Abs. 4 (Verstoß gegen die Abmeldungsvorschriften) vor". Ungeachtet der als gegeben erachteten Verleihungsvoraussetzungen nach § 10 StbG komme die belangte Behörde zu dem Schluss, dass dem Antrag des Beschwerdeführers aufgrund von Rücksichten auf das allgemeine Wohl und die öffentlichen Interessen sowie sein Integrationsausmaß nicht stattgegeben werden könne. Bei ihrer Ermessensentscheidung bewerte sie "insbesondere das vom Staatsbürgerschaftswerber gesetzte Verhalten im Straßenverkehr als negativ". Die wiederholten Verstöße gegen Schutznormen betreffend den Straßenverkehr würden negative Rückschlüsse auf sein Persönlichkeitsbild erlauben. Im Rahmen einer Interessenabwägung seien das allgemeine Wohl und das öffentliche Interesse an einer Versagung der Verleihung als überwiegend gegenüber dem Verleihungsinteresse des Beschwerdeführers anzusehen. Er lebe zwar schon fast zehn Jahre in Österreich, und er stelle auch keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit dar, er habe aber eine "Vielzahl von Übertretungen" gesetzt. Zu seinem Integrationsausmaß sei auszuführen, dass es nicht den durchschnittlichen Gepflogenheiten in Österreich entspreche, dass "im Zuge partnerschaftlicher Konflikte ein Einschreiten der Gendarmerie notwendig wird". Auch gehöre "der Besuch eines Bordells (der Beschwerdeführer hatte im Zuge einer niederschriftlichen Vernehmung im Zusammenhang mit der Verhängung des erwähnten Betretungsverbotes angegeben, 'Und zwar war ich mit ihm in einem Puff in Linz') (insbesondere dann, wenn ohnehin schon Schulden in sechsstelliger Höhe vorliegen) nicht zu den allgemein erwartbaren Verhaltensmustern". Im Zuge der Ermessensübung sei schließlich auch das bestehende Waffenverbot einer Verleihung der Staatsbürgerschaft hinderlich.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde, zu der die belangte Behörde eine Gegenschrift erstattete, hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die belangte Behörde ging ungeachtet der aus den Verwaltungsakten ersichtlichen Hinweise auf das Vorliegen des Tatbestandes nach § 10 Abs. 1 Z. 4 StbG davon aus, dass der Verleihung der Staatsbürgerschaft an den Beschwerdeführer nach § 10 Abs. 1 StbG kein Verleihungshindernis entgegenstehe, sie das ihr bei Vorliegen aller Verleihungsvoraussetzungen eingeräumte Ermessen im Hinblick auf § 11 StbG jedoch nicht zu seinen Gunsten üben könne.

§ 11 StbG hat seit der Staatsbürgerschaftsnovelle 1998, BGBl. I Nr. 124, folgenden Wortlaut:

"Die Behörde hat sich unter Bedachtnahme auf das Gesamtverhalten des Fremden bei der Ausübung des ihr in § 10 eingeräumten freien Ermessens von Rücksichten auf das allgemeine Wohl, die öffentlichen Interessen und das Ausmaß der Integration des Fremden leiten zu lassen."

Wie die Erläuterungen der Regierungsvorlage zur Staatsbürgerschaftsgesetznovelle 1998 (1283 BlgNR 20. GP 5 und 9) festhalten, sollte - u.a. durch die Neufassung des § 11 StbG - die Integration des Fremden als das für die Verleihung der Staatsbürgerschaft maßgebliche Kriterium verankert werden, sodass die Staatsbürgerschaftsbehörde bei ihrer Entscheidung nach § 11 StbG vor allem die Integration des Fremden und deren Ausmaß zu beachten hat (vgl. zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom 16. April 2004, Zl. 2003/01/0429).

Die Behörde kann die Begehung strafbarer Handlungen (strafgerichtliche Verurteilungen oder Verwaltungsstrafen) im Rahmen der Ermessensübung gemäß § 11 StbG berücksichtigen und als Grund für die Ablehnung des Antrages heranziehen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 2004, Zl. 2002/01/0600, und die darin angegebene Judikatur).

Die Ermessensübung hätte es aber erfordert, die den Verwaltungsstrafen zu Grunde liegenden Taten (maßgebliche Tathandlungen, nähere Umstände und Zeitpunkte der jeweiligen Tatbegehung) zu ermitteln und danach festzustellen. Solche Feststellungen hat die belangte Behörde allerdings nicht getroffen. Es kann daher nicht beurteilt werden, ob die von der belangten Behörde aus verhängten Verwaltungsstrafen gezogene Schlussfolgerung bzw. die Rückschlüsse auf das Charakterbild des Beschwerdeführers zutreffen. In diesem Zusammenhang hätte die belangte Behörde auch darauf eingehen müssen, dass Taten grundsätzlich dann weniger Gewicht haben, wenn sie weiter zurückliegen, und dass der Zeitraum des Wohlverhaltens nach einer Straftat zu beachten ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Jänner 2004, Zl. 2002/01/0296).

Schon aus diesem Grund ist die Ermessensübung der belangten Behörde mangelhaft.

Bei der Beurteilung nach § 11 StbG kommt es auf den Stand des Integrationsprozesses im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides an (vgl. das hg. Erkenntnis vom 7. Oktober 2003, Zl. 2002/01/0168). Die belangte Behörde hat allerdings zur Integration des Beschwerdeführers keine hinreichenden Feststellungen getroffen. Die insoweit schlagwortartig herangezogenen Sachverhalte (partnerschaftliche Konflikte mit Einschreiten der Gendarmerie, Besuch eines Bordells trotz hoher Schulden, Waffenverbot) sind für sich genommen für die (persönliche und berufliche) Integration des Beschwerdeführers nicht aussagekräftig (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 7. Oktober 2003, Zl. 2002/01/0156). Im angefochtenen Bescheid wurde zudem nicht dargestellt, welche - unter Berücksichtigung der näheren Umstände dieser Vorfälle - Erwägungen (Folgerungen) die belangte Behörde zu dem Ergebnis kommen ließen, dass deshalb die ausreichende Integration des Beschwerdeführers zu verneinen sei, weshalb ihre Ermessensübung, in deren Rahmen überdies nicht berücksichtigt wurde, dass der Beschwerdeführer anerkannter Flüchtling ist (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 24. August 2004, Zl. 2004/01/0127), auch von daher in der vorliegenden Form nicht dem Gesetz entspricht.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 28. Jänner 2005

Schlagworte

Begründung von Ermessensentscheidungen Ermessen besondere Rechtsgebiete Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Ermessen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2002010464.X00

Im RIS seit

23.03.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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