TE Vwgh Erkenntnis 2005/2/17 2005/18/0041

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Veröffentlicht am 17.02.2005
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Index

E2D Assoziierung Türkei;
E2D E02401013;
E2D E05204000;
E2D E11401020;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

ARB1/80 Art6;
ARB1/80 Art7;
ARB1/80 Art8;
ARB1/80 Art9;
FrG 1997 §6 Abs1 Z3;
FrG 1997 §6 Abs1 Z4;
FrG 1997 §6 Abs3;
FrG 1997 §6 Abs5;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde der Ü, (geboren 1964), in W, vertreten durch Dr. Lennart Binder, LL.M., Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 29. Dezember 2004, Zl. SD 1696/04, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 29. Dezember 2004 wurde die Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsangehörige, gemäß § 33 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ausgewiesen.

Die Beschwerdeführerin sei im Jänner 2003 mit einem von der österreichischen Botschaft in Ankara ausgestellten, bis 24. April 2003 gültigen Sichtvermerk gemeinsam mit ihren Kindern in das Bundesgebiet eingereist. Sie sei aber nach Ablauf des Sichtvermerks nicht wieder ausgereist, sondern habe - so wie ihre Kinder - ihren Aufenthalt in Österreich unrechtmäßig fortgesetzt. Am 22. April 2003 habe sie die Erteilung eines Aufenthaltstitels beantragt, der mit zweitinstanzlichem Bescheid vom 2. August 2004 rechtskräftig abgewiesen worden sei. Solcherart könne kein Zweifel bestehen, dass die Voraussetzungen zur Erlassung der Ausweisung - vorbehaltlich der Bestimmungen des § 37 Abs. 1 FrG - im Grund des § 33 Abs. 1 leg. cit. gegeben gewesen seien.

Die Beschwerdeführerin sei nach der Aktenlage verheiratet und für drei Kinder sorgepflichtig, die jedoch ebenfalls unrechtmäßig in Österreich aufhältig seien. Zwar sei angesichts dieser Umstände von einem mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin auszugehen, dieser Eingriff sei jedoch zulässig, weil er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens - dringend geboten sei. Gerade den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein besonders hoher Stellenwert zu. Gegen dieses Interesse verstoße der nicht bloß kurzfristige Aufenthalt von Fremden im Anschluss an einen Sichtvermerk gravierend. Unter den gegebenen Umständen sei die Beschwerdeführerin auch rechtens nicht in der Lage, ihren Aufenthalt vom Inland aus zu legalisieren. Ferner seien keine Gründe ersichtlich gewesen, die einer gemeinsamen Ausreise der Beschwerdeführerin mit ihren Kindern zwingend entgegenstehen würden. Solcherart könne kein Zweifel bestehen, dass sich die Erlassung der Ausweisung als dringend geboten und sohin zulässig iSd § 37 Abs. 1 FrG erweise.

Mangels sonstiger, besonders zugunsten der Beschwerdeführerin sprechender Umstände habe die belangte Behörde keine Veranlassung dazu gesehen, von der Erlassung der Ausweisung im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand zu nehmen. Dass ihr Ehemann "bereits das Staatsbürgerschaftsverfahren eingeleitet hat", stelle solche besonderen Umstände nicht dar, sei es doch mit einem geregelten Fremdenwesen unvereinbar, einem bereits längere Zeit unrechtmäßig in Österreich aufhältigen Fremden den Weiterverbleib im Bundesgebiet solange zu gewähren, bis dieser zu einem ungewissen Zeitpunkt in der Zukunft möglicherweise begünstigter Drittstaatsangehöriger werde.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, allenfalls Rechtswidrigkeit infolge von Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Beschwerdeführerin wendet sich nicht gegen die Ausführungen im angefochtenen Bescheid, dass sie im Jänner 2003 nach Österreich eingereist sei, nach Ablauf des ihr erteilten, bis 24. April 2003 gültigen Sichtvermerks das Bundesgebiet aber nicht verlassen habe, und der von ihr beantragte Aufenthaltstitel mit Bescheid vom 2. August 2004 rechtskräftig abgewiesen worden sei. Von daher begegnet die (unbekämpfte) Auffassung der belangten Behörde, dass im Beschwerdefall der Tatbestand des § 33 Abs. 1 FrG verwirklicht sei, keinem Einwand.

2.1. Die Beschwerde bringt indes vor, dass "die Rechtschutzgarantien der Art. 8 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25.2.1964 auf türkische Staatsangehörige anzuwenden" seien, denen, wie der Beschwerdeführerin, als Familienangehörigen die Rechtstellung nach Art. 6 und Art. 7 des Beschlusses des durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der EWG und der Türkei errichteten Assoziationsrates vom 18. August 1980, Nr. 1/80, über die Entwicklung der Assoziation (ARB) zukomme. Der vorliegende Ausweisungsbescheid sei rechtswidrig, weil es keine gerichtsunabhängige Instanz gebe, die ihn überprüfen habe können.

2.2. Zunächst enthält die Beschwerde kein Vorbringen dazu, dass die Beschwerdeführerin dem in Art. 6 ARB näher umschriebenen Personenkreis unselbständiger Erwerbstätiger angehören würde. Anhaltspunkte für eine solche Zugehörigkeit ergeben sich auch nicht aus dem angefochtenen Bescheid. Die Beschwerdeführerin bringt weiters nicht vor, dass sie alle Voraussetzungen des Art. 7 ARB erfüllen würde. Nach den insoweit unstrittigen Feststellungen ist die Beschwerdeführerin im Jänner 2003 mit einem von einer österreichischen Vertretungsbehörde ausgestellten bis 24. April 2003 gültigen Sichtvermerk eingereist. Handelte es sich bei diesem Sichtvermerk - wofür das besagte Ende seiner Geltungsdauer spricht - um ein Reisevisum (Visum für den kurzfristigen Aufenthalt, Visum C, vgl. § 6 Abs. 1 Z. 3 FrG), erfüllt die Beschwerdeführerin auf dem Boden der hg. Rechtsprechung schon deshalb nicht alle Voraussetzungen des Art. 7 ARB, weil die Erteilung eines Reisevisums keine Genehmigung iSd Art. 7 ARB darstellt, zu dem dem regulären inländischen Arbeitsmarkt angehörenden Ehegatten zu ziehen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22. Jänner 2002, Zl. 2001/18/0263). Sollte es sich bei diesem Sichtvermerk aber um ein Aufenthaltsvisum (Visum für den längerfristigen Aufenthalt, Visum D, vgl. § 6 Abs. 1 Z. 4 FrG) gehandelt haben, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Aufenthaltsvisa berechtigen zu einem drei Monate, nicht jedoch sechs Monate übersteigenden Aufenthalt in Österreich (§ 6 Abs. 5 letzter Satz iVm Abs. 3 erster Satz FrG; vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 2004, Zl. 2004/21/0029). Ferner wird ein Aufenthaltsvisum (wie sich aus den ErlRV 685 BlgNR 20. GP, 58, ergibt) für dieselben Zwecke wie das Reisevisum - somit für Besuchs- und Geschäftsreisen erteilt. Angesichts der genannten zeitlichen Begrenzung eines Aufenthaltsvisums und seiner in der Ermöglichung von Besuchs- und Geschäftsreisen gelegenen Zielsetzung kann damit aber auch in der Erteilung eines solchen Visums keine Genehmigung im Sinn des Art. 7 ARB erblickt werden. Da somit der ARB für die Beschwerdeführerin nicht zum Tragen kommt, geht ihr darauf gestütztes Vorbringen betreffend die Rechtschutzgarantien der Art. 8 und 9 der genannten Richtlinie fehl.

3.1. In der Beschwerde wird ferner (erkennbar) die Auffassung vertreten, dass der angefochtene Bescheid dem § 37 Abs. 1 FrG zuwider laufe. Die Beschwerdeführerin sei Ehefrau eines türkischen Staatsbürgers, der seit 20 Jahren in den österreichischen Arbeitsmarkt integriert sei und bereits um Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft eingereicht habe. Sie lebe in Österreich zusammen mit ihrem Ehemann und ihren vier Kindern.

3.2. Mit diesem Vorbringen ist für die Beschwerde nichts gewonnen. Die belangte Behörde hat unter Zugrundelegung der Dauer des Aufenthalts und der familiären Bindungen der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet zutreffend einen mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in ihr Privat- und Familienleben angenommen. Ebenso zutreffend hat sie aber - auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens, dass die Beschwerdeführerin für vier Kinder sorge - die Auffassung vertreten, dass den persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin an einem weiteren Verbleib in Österreich keine solche Bedeutung zukomme, dass ihre Ausweisung nicht dringend geboten wäre. Das im gegebenen Zusammenhang maßgebliche öffentliche Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften durch den Normadressaten weist aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) einen hohen Stellenwert auf (vgl. aus der ständigen hg. Rechtsprechung etwa das Erkenntnis vom 19. Mai 2004, Zl. 2004/18/0105). Dieses maßgebliche öffentliche Interesse hat die Beschwerdeführerin, die sich lediglich während der Dauer des ihr erteilten Sichtvermerks bis zum 24. April 2003 rechtmäßig in Österreich aufhielt, durch ihren daran anschließenden unrechtmäßigen Aufenthalt von etwa 20 Monaten bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheids gravierend beeinträchtigt. Ferner werden die familiären Interessen der Beschwerdeführerin am Verbleib in Österreich maßgeblich dadurch relativiert, dass sich auch (unstrittig) die mit ihr eingereisten Kinder unrechtmäßig in Österreich aufhalten, zumal sich weder dem angefochtenen Bescheid noch der Beschwerde Anhaltspunkte dafür entnehmen lassen, dass die Beschwerdeführerin von ihren Kindern nicht ins Ausland begleitet werden könnte. Schließlich ist festzuhalten, dass der langjährige Aufenthalt ihres Ehemannes und dessen Berufstätigkeit in Österreich von der belangten Behörde ohnehin ausreichend berücksichtigt wurden und fallbezogen ein aus Art. 8 EMRK ableitbarer Anspruch auf Familiennachzug auf dem Boden der hg. Rechtsprechung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 2004, Zl. 2004/21/0195) nicht in Betracht kommt. Der vorliegende Fall unterscheidet sich von dem im eben zitierten Erkenntnis ausgesprochenen vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mit Urteil vom 21. Dezember 2001 (Beschwerde Nr. 31465/96) entschiedenen Fall Sen gegen die Niederlande in sachverhaltsmäßiger Hinsicht entscheidend insofern, als sich die Beschwerdeführerin - so wie ihre Kinder - erst etwas weniger als zwei Jahre in Österreich - mit folglich noch nicht ausgeprägter Integration - aufhält und sich lediglich der Ehemann der Beschwerdeführerin - somit nur ein Familienmitglied - schon seit längerem in Österreich befindet. Es bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte für Hindernisse zur Führung eines gemeinsamen Familienlebens im Heimatstaat der Beschwerdeführerin und es ist auch nicht ersichtlich, dass für den Ehemann der Beschwerdeführerin und (wie schon erwähnt) für ihre Kindern eine (gemeinsame) Rückkehr in den Heimatstaat unzumutbar wäre, zumal aus dem vorgebrachten Umstand, dass der Ehemann die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft beantragt hat, nicht abgeleitet werden kann, dass eine solche Verleihung tatsächlich erfolgen werde.

4. Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

5. Bei diesem Ergebnis erübrigte sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Wien, am 17. Februar 2005

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2005180041.X00

Im RIS seit

15.03.2005

Zuletzt aktualisiert am

23.12.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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