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19/05 Menschenrechte;Norm
FrG 1997 §35 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des V in L, geboren 1981, vertreten durch Mag. Markus Hager, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Graben 18/3, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 6. Juli 2004, Zl. St 124/04, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 41,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 6. Juli 2004 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina, gemäß "§ 36 Abs. 1 und 2 Zi. 1, 37, 39 und 48 Abs. 1" Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.
Der Beschwerdeführer befinde sich seit Sommer 1992 im Bundesgebiet und lebe mit seinen Eltern sowie mit seiner Schwester im Familienverband.
Am 11. November 2003 sei der Beschwerdeführer wegen des Vergehens gemäß § 27 Abs. 1 erster, zweiter und sechster Fall und Abs. 2 Z. 1 Suchtmittelgesetz (SMG) zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Nach dem Spruch dieses Urteils habe der Beschwerdeführer zwischen Jänner und 22. Oktober 2001 gemeinsam mit Mittätern insgesamt 60 Gramm Cannabis-Produkte zum Eigenkonsum erworben, zwischen August und Ende Oktober 2001 den Brüdern W. unbekannte Mengen Marihuana überlassen, im September und Oktober 2001 mit anderen drei Marihuana-Zigaretten konsumiert, zwischen Juni 2001 und Jänner 2002 zumindest 15 Gramm Cannabiskraut zum Eigenkonsum erworben, im Sommer 2001 vier bis fünf Gramm Cannabiskraut an K. verkauft, im Sommer 2001 zweimal unbekannte Mengen Cannabiskraut dem K. überlassen, zwischen Juni 2001 und Jänner 2002 unbekannte Mengen Cannabisharz und Cannabiskraut mit anderen konsumiert, im September oder Oktober 2002 100 bis 150 Gramm Speed und 50 Stück Ecstasytabletten erworben, im selben Zeitraum 200 bis 300 Gramm Marihuana an O. verkauft und im Herbst 2002 an O. unbekannte Mengen Kokain verkauft. In vier Fällen habe der Beschwerdeführer als Volljähriger Minderjährigen, die mehr als zwei Jahre jünger als er gewesen seien, den Gebrauch eines Suchtgiftes ermöglicht.
Am 24. Februar 2004 sei der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens gemäß § 28 Abs. 2 vierter Fall SMG und des Vergehens gemäß § 27 Abs. 1 erster und zweiter Fall leg. cit. zu einer Zusatzstrafe von 15 Monaten, davon 10 Monate unter bedingter Strafnachsicht, rechtskräftig verurteilt worden. Diesem Urteil liege zu Grunde, dass der Beschwerdeführer in der Zeit von Sommer oder Herbst 2002 bis Mai 2003 teilweise in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit Mittätern den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift in einer großen Menge, nämlich 1.800 Stück Ecstasytabletten und 500 Gramm Cannabiskraut teils in Verkehr gesetzt und teils in Verkehr zu setzen versucht habe. Der Beschwerdeführer habe dieses Suchtgift an teils bekannte und teils unbekannte Personen in der Absicht verkauft, sich durch die wiederkehrende Begehung derartiger strafbarer Handlungen zumindest teilweise den Eigenkonsum zu finanzieren, wobei der Beschwerdeführer selbst an Suchtmittel gewöhnt gewesen sei und die Tat vorwiegend deshalb begangen habe, um sich für den Eigengebrauch Suchtmittel zu verschaffen. Darüber hinaus habe er von Juni bis August 2003 eine nicht näher bekannte Menge an Ecstasytabletten und Marihuana erworben und besessen.
Da sich der Beschwerdeführer im Zeitpunkt des Beginns seines strafbaren Verhaltens noch nicht zehn Jahre im Bundesgebiet aufgehalten habe und er erst im Alter von elf Jahren nach Österreich eingereist sei, sei - entgegen den Berufungsausführungen - keiner der Aufenthaltsverbot-Verbotsgründe gemäß § 38 FrG erfüllt.
Im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität, insbesondere des Suchtgifthandels, sei die Erlassung eines Aufenthaltsverbots auch bei ansonsten voller sozialer Integration des Fremden dringend geboten. Ein rigoroses Vorgehen gegen Suchtgiftdelikte in jeder Form sei erforderlich, um die durch diese Kriminalität bewirken Schäden für die Gesellschaft hintanzuhalten. Anlässlich der besorgniserregenden Wachstumsraten arte die Suchtgiftkriminalität immer mehr zu einem gesellschaftlichen Destabilisierungsfaktor aus. Im Hinblick auf den Schutz der Gesellschaft, vor allem der Jugendlichen, die diesen Gefahren vermehrt ausgesetzt sein, seien fremdenpolizeiliche Maßnahmen gegen Suchtgifttäter dringend erforderlich, zumal die Wiederholungsgefahr bei dieser Art der Kriminalität besonders hoch sei.
Der Beschwerdeführer sei im Sommer 1992 im Alter von elf Jahren nach Österreich einreist und lebe mit seinen Eltern und seiner Schwester in Haushaltsgemeinschaft. Er habe hier die Volksschule, die Hauptschule und die Polytechnische Schule absolviert und eine Lehre als Autolackierer erfolgreich abgeschlossen. Mit Ausnahme von kurzzeitigen Unterbrechungen sei er ständig in einem aufrechten Dienstverhältnis gestanden. Auf Grund dieser Umstände sei dem Beschwerdeführer ein nicht unbedeutendes Maß an Integration zuzugestehen. Diese Integration werde jedoch in ihrer sozialen Komponente durch die Straftaten entscheidend gemindert. Der Beschwerdeführer habe Minderjährigen den Gebrauch von Suchtgift ermöglicht. Er sei trotz eines anhängigen Strafverfahrens neuerlich straffällig geworden, wobei er sogar eine große Suchtgiftmenge in Verkehr gesetzt habe.
Dem Hinweis in der Berufung auf die bedingte Nachsicht eines Teils der verhängten Freiheitsstrafe sei entgegenzuhalten, dass die Fremdenpolizeibehörde das Fehlverhalten eigenständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts zu beurteilen habe.
Auf Grund der dargestellten Umstände sei nicht nur die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt, sondern das Aufenthaltsverbot auch zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen (Verhinderung strafbarer Handlungen, Schutz der Gesundheit, Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens) dringend geboten und daher im Grund des § 37 Abs. 1 FrG zulässig.
Da für den weiteren Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet keine positive Verhaltensprognose erstellt werden könne, wögen die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbots wesentlich schwerer als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers. Das Aufenthaltsverbot sei daher auch im Grund des § 37 Abs. 2 FrG zulässig.
2. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser Gerichtshof lehnte die Behandlung der Beschwerde ab und trat die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab (Beschluss vom 4. Oktober 2004, B 1077/04).
Vor dem Verwaltungsgerichtshof beantragt der Beschwerdeführer die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Zunächst sei festgehalten, dass sich aus dem gesamten Akteninhalt kein Anhaltspunkt dafür ergibt, dass der Beschwerdeführer EWR-Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ist. Beim Zitat von § 48 Abs. 1 FrG im Spruch des angefochtenen Bescheides handelt es sich daher um eine offenbare Unrichtigkeit.
2. Im Hinblick auf die unstrittigen rechtskräftigen Verurteilungen des Beschwerdeführers, die im Verhältnis der §§ 31 und 40 StGB zueinander stehen und daher als Einheit zu werten sind, bestehen keine Bedenken gegen die - nicht bekämpfte - Ansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG verwirklicht sei.
3. Der Beschwerdeführer hat ab Jänner 2001 in zahlreichen Fällen Suchtmittel erworben, konsumiert und weitergegeben bzw. verkauft, wobei er in vier Fällen als selbst Großjähriger und mehr als zwei Jahre Älterer Minderjährigen den Gebrauch eines Suchtgiftes ermöglicht hat. Dieses strafbare Verhalten hat der Beschwerdeführer fortgesetzt, obwohl gegen ihn bereits ein Strafverfahren anhängig war, von dem er auch gewusst hat (Vernehmung des Beschwerdeführers durch die Gendarmerie am 22. Oktober 2001 und Hausdurchsuchung am selben Tag). Er hat sein strafbares Verhalten sogar noch insofern erheblich gesteigert, als er eine gemäß § 28 Abs. 6 SMG unter Bedachtnahme u.a. auf die Eignung, Gewöhnung hervorzurufen und in großem Ausmaß eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen herbeizuführen, festzusetzende "große Menge" Ecstasytabletten und Cannabiskraut verkauft bzw. zu verkaufen versucht hat, um sich durch die wiederkehrende Begehung derartiger strafbarer Handlungen den Eigenkonsum zu finanzieren. Die Intensität seiner strafbaren Handlungen hat sich auch dadurch weiter gesteigert, dass er zunächst vorwiegend Marihuana erworben und konsumiert hat, während er in der Folge auch Speed, Ecstasy und Kokain erworben bzw. verkauft hat. Die Suchtgiftdelikten erfahrungsgemäß innewohnende Wiederholungsgefahr hat sich beim Beschwerdeführer durch den langen Deliktszeitraum, die große Zahl der Tathandlungen und die Intensivierung des strafbaren Verhaltens trotz anhängigen Strafverfahrens sehr deutlich manifestiert.
Soweit der Beschwerdeführer die bedingte Nachsicht eines Teiles der Strafe ins Treffen führt, ist ihm - mit der belangten Behörde - zu entgegnen, dass die Fremdenpolizeibehörde die Frage der Zulässigkeit eines Aufenthaltsverbots unabhängig von den die teilbedingte Nachsicht der Strafe begründenden Erwägungen des Gerichts und ausschließlich aus dem Blickwinkel des Fremdengesetzes zu beurteilen hat, wobei sich schon aus § 36 Abs. 2 Z. 1 zweiter Fall FrG ergibt, dass auch eine zum Teil bedingt nachgesehene Strafe ein Aufenthaltsverbots rechtfertigen kann (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 10. September 2003, Zl. 2003/18/0156).
Angesichts der dargestellten Steigerung des kriminellen Verhaltens des Beschwerdeführers über einen längeren Zeitraum ist das - nicht näher konkretisierte - Beschwerdevorbringen, der Beschwerdeführer nehme Termine bei einer Suchtgiftberatungsstelle wahr, nicht geeignet, die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefährdung öffentlicher Interessen als in relevantem Ausmaß gemindert anzusehen.
Nach dem Gesagten kann die Ansicht der belangten Behörde, die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme sei gerechtfertigt, nicht als rechtswidrig erkannt werden.
4. Bei der Interessenabwägung gemäß § 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG hat die belangte Behörde dem Beschwerdeführer den inländischen Aufenthalt seit Sommer 1992, also seit etwa 12 Jahren, die Haushaltsgemeinschaft mit den Eltern und der Schwester, den Schulbesuch, die abgeschlossene Lehre und die nahezu durchgehende Berufstätigkeit zugute gehalten. Zu Recht hat sie die soziale Komponente der Integration des Beschwerdeführers als durch die Straftaten gemindert beurteilt. Der Umstand, dass sich der Beschwerdeführer zu Beginn seines strafbaren Verhaltens bereits fast zehn Jahre im Bundesgebiet aufgehalten hat, nach welchem Zeitraum die Verhängung eines Aufenthaltsverbots gemäß §§ 38 Abs. 1 Z. 2 iVm 35 Abs. 3 und gemäß § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG nicht mehr zulässig wäre, verleiht der Aufenthaltsdauer kein zusätzliches Gewicht.
Den insgesamt dennoch sehr gewichtigen persönlichen Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet steht die Gefährdung öffentlicher Interessen durch die Straftaten gegenüber. Auf Grund der großen Sozialschädlichkeit von Suchtgiftdelikten begegnet die Ansicht der belangte Behörde, dass das Aufenthaltsverbot zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen (Verhinderung strafbarer Handlungen, Schutz der Gesundheit) dringend geboten sei (§ 37 Abs. 1 FrG) und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung (§ 37 Abs. 2 leg. cit.), keinen Bedenken.
Der Beschwerdehinweis auf die Fälle Stettner gegen Österreich und Gümüskaya gegen Österreich, in denen jeweils die Europäische Kommission für Menschenrechte eine Beschwerde für zulässig erklärt hat, ist nicht zielführend, sind doch die genannten Fälle mit dem vorliegenden nicht vergleichbar. Herr Stettner kam bereits im Alter von zwei Jahren nach Österreich und befand sich im Zeitpunkt seiner Straftat bereits 18 Jahre im Bundesgebiet. Die Brüder Gümüskaya haben seit ihrer Geburt in Österreich gelebt, lediglich einer hat fünf Jahre im Ausland verbracht.
5. Da sich die Beschwerde somit als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
6. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 17. Februar 2005
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2004180340.X00Im RIS seit
23.03.2005