TE Vfgh Erkenntnis 2001/6/12 G159/00 ua

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.06.2001
beobachten
merken

Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/02 Kraftfahrgesetz 1967, Führerscheingesetz

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
FührerscheinG §37 Abs5
VStG §21

Leitsatz

Gleichheitswidrigkeit des Ausschlusses des Absehens von der Strafe bei geringfügigem Verschulden des Beschuldigten und unbedeutenden Folgen der Übertretung gemäß VStG für Verwaltungsübertretungen nach dem FührerscheinG

Spruch

Die Wortfolge "§21 und" in §37 Abs5 des Bundesgesetzes über den Führerschein (Führerscheingesetz - FSG), BGBl. I 1997/120 idF BGBl. I 1998/2, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B1385/00 eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde gegen einen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 7. August 2000 anhängig, mit dem der Beschwerdeführer gemäß §37a FSG zu einer Geld- bzw. Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt wurde, weil er gegen §14 Abs8 FSG verstoßen hatte.

Aus Anlaß der Beratung dieser Beschwerde beschloß der Verfassungsgerichtshof am 28. November 2000, von Amts wegen ein Verfahren gemäß Art140 Abs1 B-VG zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge "§21 und" in §37 Abs5 des Bundesgesetzes über den Führerschein (Führerscheingesetz - FSG), BGBl. I 1997/120 idF BGBl. I 1998/2, einzuleiten.

2. §37 Abs5 FSG lautet:

"(5) Bei einer Verwaltungsübertretung nach Abs3 Z2 und 3, nach Abs4, sowie nach §37a finden die Bestimmungen der §§21 und 50 VStG, BGBl. Nr. 52/1991, keine Anwendung."

3. Der Verfassungsgerichtshof legte seine Bedenken gegen die in Prüfung genommene Gesetzesbestimmung im Einleitungsbeschluß folgendermaßen dar:

"2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 15. März 2000, G211/98 und G108/99, die Wortfolge '§21 und' in §100 Abs5 StVO 1960, BGBl. 1960/159 idF BGBl. I 1998/92, als verfassungswidrig aufgehoben. Dazu haben ihn folgende Erwägungen veranlaßt:

Mit dem zitierten Erkenntnis VfSlg. 14973/1997 hat der Verfassungsgerichtshof die Zahl '20' in §100 Abs5 StVO 1960 und damit den in §100 Abs5 StVO 1960 normierten Ausschluß des außerordentlichen Strafmilderungsrechts nach §20 VStG infolge Unsachlichkeit der dadurch bewirkten Verschärfung der Strafdrohung für Verwaltungsdelikte im Vergleich zu gerichtlich zu ahndenden Delikten als im Widerspruch zum Gleichheitsgrundsatz gesehen und als verfassungswidrig aufgehoben. Begründend führte der Verfassungsgerichtshof unter anderem aus:

'Der Verfassungsgerichtshof hat sowohl aus Art91 Abs2 und 3 B-VG als auch wegen des aus dem Gleichheitssatz abzuleitenden verfassungsrechtlichen Sachlichkeitsgebots verfassungsrechtliche Grenzen des für die Ahndung von Übertretungen durch Verwaltungsbehörden vom Gesetzgeber anzuordnenden Strafrahmens festgestellt. In ständiger Judikatur (VfSlg. 12151/1989, bekräftigt mit VfSlg. 12282/1990, 12389/1990, 12471/1990, 12546/1990, 12547/1990, 12920/1991 sowie vor allem VfSlg. 14361/1995 u.a.) hat er die Auffassung vertreten, daß ein vom Gesetzgeber als besonders sozialschädlich bewertetes und demgemäß mit schwerwiegender (Geld-)Strafe bedrohtes Verhalten verfassungsrechtlich der Strafgerichtsbarkeit vorbehalten ist. Gleichzeitig betrachtete der Gerichtshof eine das Strafausmaß betreffende gesetzliche Regelung als gleichheitswidrig, die ein extremes Mißverhältnis zwischen dem Gewicht der strafbaren Handlung und der Sanktion aufweist, weil derartige Strafdrohungen 'mit den hergebrachten, der Rechtsordnung immanenten Zwecken der Verwaltungsstrafe nicht mehr vereinbar sind' (VfSlg. 12151/1989).

Der im Hinblick auf die geschilderte Judikatur (vgl. auch VfSlg. 8017/1977) notwendige Vergleich der Strafbemessungsvorschriften des Gerichts- mit dem Verwaltungsstrafrecht zeigt, daß dem Gerichtsstrafrecht (vgl. §41 StGB) ein Ausschluß der 'Außerordentlichen Strafmilderung', soweit diese durch gesetzliche Festlegung einer Untergrenze des Strafrahmens überhaupt in Betracht kommt, ausnahmslos unbekannt ist.

...

Die Regelung des §100 Abs5 StVO 1960, derzufolge bei allen mit einer Strafuntergrenze bedrohten, nach der StVO 1960 zu ahndenden Verwaltungsübertretungen das außerordentliche Milderungsrecht nach §20 VStG entfällt, bedeutet so eine erhebliche Verschärfung der Strafdrohung für den Bereich der genannten Verwaltungsdelikte im Vergleich zum Gerichtsstrafrecht, die ein extremes Mißverhältnis der jeweiligen Strafdrohungen im Gerichts- und im Verwaltungsstrafrecht entstehen läßt. Dieser Ausschluß des außerordentlichen Milderungsrechts ist also an sich bereits mit den geschilderten Anforderungen an die Sachlichkeit der Regelung der von Verwaltungsbehörden im Verhältnis zu den von Gerichten zu verhängenden Strafen nicht zu vereinbaren.

Der in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zur 19. StVO-Novelle (1580 BlgNR, XVIII. GP, S 35) genannte spezial- und generalpräventive Zweck des §100 Abs5 StVO 1960, - soll doch den Verwaltungsübertretungen nach §99 Abs1 StVO 1960 ein 'besonders große(r) Unrechtsgehalt' innewohnen und an der Vermeidung von Alkoholdelikten auch im Hinblick auf die österreichische Unfallstatistik im Interesse der Verkehrssicherheit eine besondere Notwendigkeit bestehen, wie die Bundesregierung in ihrer Äußerung dartut, - wird durch den Ausschluß des außerordentlichen Milderungsrechtes gemäß §20 VStG nicht erreicht: Findet doch dieser Unrechtsgehalt in der abstrakten Höhe der gesetzlichen Strafdrohung seinen Ausdruck, nicht aber im - an sich bereits unsachlichen (vgl. in diese Richtung schon VfSlg.14381/1995) - Verbot der Berücksichtigung selbst beträchtlich überwiegender Milderungsgründe bei der konkreten Strafbemessung. Trotz des vom Gesetzgeber wahrgenommenen besonderen Unrechtsgehalts von Alkoholdelikten ist ... von der Sache her nicht einzusehen, daß ein beträchtliches Überwiegen der Milderungsgründe über die Erschwerungsgründe bei der Ahndung der in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand begangenen Verkehrsdelikte vom Gericht bei seiner Strafbemessung wahrgenommen werden muß, bei einer entsprechenden Verwaltungsübertretung (nach §99 Abs1 lita StVO 1960) hingegen selbst ein beträchtliches Überwiegen der Milderungs- gegenüber den Erschwerungsgründen gemäß §100 Abs5 StVO 1960 für die Verwaltungsbehörde unbeachtlich ist.'

Ist dem in diesem Erkenntnis zitierten §20 VStG im gerichtlichen Strafrecht die Bestimmung des §41 StGB vergleichbar, so enthält das gerichtliche Strafrecht als dem §21 VStG korrelierende Norm die Bestimmung des §42 StGB.

Die Bundesregierung hat in ihrer Äußerung nichts vorgebracht, was ein Abgehen von der im Erkenntnis VfSlg. 14973/1997 ausgesprochenen Rechtsansicht für die vorliegenden Gesetzesprüfungsanträge rechtfertigen könnte.

Der durch die Wortfolge '§21 und' in §100 Abs5 StVO 1960 bewirkte Ausschluß des Absehens von der Strafe bei geringfügigem Verschulden des Beschuldigten und unbedeutenden Folgen der Übertretung nach §21 VStG widerspricht sohin dem Gleichheitsgrundsatz. Die genannte Wortfolge ist als verfassungswidrig aufzuheben.

2.2. Der Verfassungsgerichtshof hegt auf Grund des zitierten Erkenntnisses vom 15. März 2000 und der dort auszugsweise wiedergegebenen Judikatur auch bezüglich des Ausschlusses der Möglichkeit des Absehens von der Strafe gemäß §21 VStG durch die Wortfolge '§21 und' in §37 Abs5 Führerscheingesetz das Bedenken, daß die in Prüfung gezogene Wortfolge dem Gleichheitsgrundsatz widerspricht."

4. Beim Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich sind zwei Berufungsverfahren gegen Bescheide anhängig, mit denen die Berufungswerber gemäß §37 Abs3 Z2 FSG zu Geld- bzw. Ersatzfreiheitsstrafen verurteilt wurden.

Aus Anlaß dieser Berufungsverfahren stellte der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Oberösterreich - unter Bezugnahme auf die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 14973/1997 und VfGH 15.3.2000, G211/98 und G108/99, sowie auf den Prüfungsbeschluß des Verfassungsgerichtshofes vom 28. November 2000 - gemäß Art129a Abs3 iVm. Art89 Abs2 und Art140 Abs1 B-VG die Anträge, die Wortfolge "§21 und" in §37 Abs5 FSG als verfassungswidrig aufzuheben. Diese Anträge wurden beim Verfassungsgerichtshof zu den Zahlen G57/01 und G73/01 protokolliert. Ihnen liegen die Verwaltungsstrafverfahren mit den Geschäftszahlen VwSen-107419/3/Ki/Bk und VwSen-107385/2/SR/Ri zugrunde.

5. Beim Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Vorarlberg ist ein Berufungsverfahren zu Z1-0687/00/E1 gegen einen Bescheid anhängig, mit dem die Berufungswerberin gemäß §37 Abs4 FSG zu einer Geld- bzw. Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt wurde.

Aus Anlaß dieses Berufungsverfahrens stellte der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Vorarlberg den auf Art140 Abs1 B-VG gestützten Antrag, die Wortfolge "§21 und" in §37 Abs5 FSG als verfassungswidrig aufzuheben. Dieser Antrag wurde beim Verfassungsgerichtshof zu G75/01 protokolliert.

6. Beim Unabhängigen Verwaltungssenat Wien sind zwei Berufungsverfahren gegen Bescheide anhängig, mit denen die Berufungswerber wegen der Übertretung nach §14 Abs8 FSG gemäß §37a FSG bzw. wegen der Übertretung nach §1 Abs3 FSG gemäß §37 Abs4 Z1 iVm. §37 Abs5 FSG zu Geld- bzw. Ersatzfreiheitsstrafen verurteilt wurden.

Aus Anlaß dieser Berufungsverfahren stellte der Unabhängige Verwaltungssenat Wien - unter Bezugnahme auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 15. März 2000, G211/98 und G108/99, sowie auf den Prüfungsbeschluß des Verfassungsgerichtshofes vom 28. November 2000 - gemäß Art129a Abs3 iVm. Art89 Abs2 und Art140 Abs1 B-VG die Anträge, die Wortfolge "§21 und" in §37 Abs5 FSG als verfassungswidrig aufzuheben. Diese Anträge wurden beim Verfassungsgerichtshof zu den Zahlen G138/01 und G141/01 protokolliert. Ihnen liegen die Verwaltungsstrafverfahren mit den Geschäftszahlen UVS-03/P/14/7442/2000/4 und UVS-03/P/10/1629/2001/6 zugrunde.

7. Die Bundesregierung erstattete im Gesetzesprüfungsverfahren keine Äußerung.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat die Verordnungsprüfungsverfahren gemäß §35 Abs1 VerfGG 1953 iVm. §187 ZPO zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und über sie erwogen:

1. Die Gesetzesprüfungsverfahren sind zulässig.

Es haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, die gegen die vorläufige Annahme des Verfassungsgerichtshofes über die Zulässigkeit der Beschwerde B1385/00 und die Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Gesetzesbestimmung sprechen würden.

Es ist auch nichts hervorgekommen, was daran zweifeln ließe, daß die antragstellenden Unabhängigen Verwaltungssenate die in Prüfung genommene Gesetzesbestimmung in den bei ihnen anhängigen Berufungsverfahren anzuwenden hätten.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, sind die Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

2. Die im Prüfungsbeschluß geäußerten Bedenken treffen zu.

Im Gesetzesprüfungsverfahren ist nichts hervorgekommen, was ein Abgehen von der im Prüfungsbeschluß und den Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 14973/1997 und VfGH 15. März 2000, G211/98 und G108/99, vertretenen Rechtsansicht rechtfertigen könnte.

Der Verfassungsgerichtshof bleibt daher bei seiner in den genannten Erkenntnissen bezüglich des Ausschlusses der Anwendung des §21 VStG in §100 Abs5 StVO 1960 ausgesprochenen Auffassung, daß der durch die Wortfolge "§21 und" in §37 Abs5 FSG bewirkte Ausschluß des Absehens von der Strafe bei geringfügigem Verschulden des Beschuldigten und unbedeutenden Folgen der Übertretung nach §21 VStG dem Gleichheitsgrundsatz widerspricht.

Die genannte Wortfolge ist daher als verfassungswidrig aufzuheben.

3. Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art140

Abs6 B-VG.

4. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 15. März 2000, G211/98 und G108/99, dem Ersuchen der Bundesregierung entsprechend, für das Inkrafttreten der Aufhebung eine Frist bis 31. Dezember 2000 bestimmt, um allenfalls erforderliche legistische Vorkehrungen zu ermöglichen. Im vorliegenden Verfahren hat die Bundesregierung kein solches Ersuchen gestellt, eine Fristsetzung schien daher entbehrlich.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Kraftfahrrecht, Lenkerberechtigung, Strafen, Verwaltungsstrafrecht, Strafbemessung, Lenkberechtigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2001:G159.2000

Dokumentnummer

JFT_09989388_00G00159_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten