TE OGH 1947/2/8 1Ob77/47

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Veröffentlicht am 08.02.1947
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Norm

ABGB §91
Kriegsverbrechergesetz §7
Mietengesetz §19 Abs1
Mietengesetz §19 Abs2 Z3
ZPO §496
ZPO §503 Z2
ZPO §503 Z4

Kopf

SZ 21/16

Spruch

Denunziation durch die Gattin des Mieters wichtiger Kündigungsgrund.

Entscheidung vom 8. Feber 1947, 1 Ob 77/47.

I. Instanz: Bezirksgericht Döbling; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtsachen Wien.

Text

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision gegen das Urteil des Berufungsgerichtes, durch welches das erstrichterliche Urteil abgeändert worden war, Folge und wies die Sache zur neuerlichen Entscheidung an das Revisionsgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Entscheidungsgründe des Obersten Gerichtshofes:

Das Erstgericht hat die Aufkündigung des Bezirksgerichts Döbling, K 140/45, für wirksam erklärt und ist dabei in tatsächlicher Hinsicht von der Feststellung ausgegangen, daß der in der Aufkündigung als Kündigungsgrund geltend gemachte Tatbestand der Erstattung einer Anzeige bei der Gestapo gegen die Klägerin durch die Gattin des Beklagten wegen Radioschwarzhörens durch das Beweisverfahren erwiesen sei. Das Erstgericht erblickte in diesem Sachverhalt den Kündigungsgrund nach § 19, Abs. 2, Z. 3 MietG. im Zusammenhalt mit § 19, Abs. 1 MietG. Die Erstattung der Anzeige wegen verbotenen Abhörens von ausländischen Sendern, infolge derer die Klägerin vom Sondergericht Wien zu achtzehn Monaten Zuchthaus verurteilt wurde, stelle jedenfalls eine Handlungsweise dar, die ... wenn man sie nicht als unsittlich qualifizieren wollte, doch wenigstens eine schwere Einschränkung der persönlichen Freiheit der Klägerin herbeiführte. Nach der Rechtsschutzgütertheorie stehe aber das Rechtsgut der Freiheit zwischen dem des Lebens und dem des Eigentums. Die Handlungsweise der Gattin des Beklagten habe eine so empfindliche Störung des Verhältnisses zwischen Mieter und Vermieter zur Folge gehabt, daß eine Fortsetzung des Mietverhältnisses für den verletzten Vermieter nicht mehr tragbar erscheine. Solche Handlungen habe der Gesetzgeber aber im Kündigungsgrund des § 19, Abs. 2, Z. 3 MietG. zu Kündigunggrunden erklärt. Wenn der Beklagte einwende, daß er infolge seiner außer Streit stehenden Abwesenheit im Kriegsdienste zur Zeit der Tat seiner Gattin außerstande gewesen sei, Abhilfe zu schaffen, das heißt die Anzeige zu verhindern, so sei dies unstichhältig, denn es wäre seine Aufgabe gewesen, schon vor seiner Einrückung und eventuell später brieflich darauf hinzuweisen, daß sie mit den Hausbewohnern Frieden zu halten und unnötige Anzeigen zu unterlassen habe. Eine solche Pflicht leitet das Erstgericht namentlich auch aus der Bestimmung des § 91 ABGB. ab, das eine Pflicht des Ehemannes zur Leitung der Gattin aufstelle, eine Pflicht, der der Beklagte nicht nachgekommen ist.

Der gegen dieses Urteil unter Anrufung der Berufungsgrunde der unrichtigen Beweiswürdigung und Tatsachenfeststellung, sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung ergriffenen Berufung gab das Berufungsgericht Folge. Es änderte das Urteil im Sinne einer Aufhebung der Aufkündigung aus rechtlichen Erwägungen und ohne auf die übrigen Berufungsgrunde einzugehen, aus folgenden Gründen ab. Die Vorschrift des § 19, Abs. 2, Z. 3 MietG. stelle ein grob ungehöriges oder deliktisches Verhalten des Ehegatten des Mieters dem des Mieters selbst nur unter zweifacher Voraussetzung gleich, daß dieser die Möglichkeit einer Abhilfe hatte und von ihr keinen Gebrauch machte. Der Kündigungsgrund liege daher nicht vor, wenn der Mieter infolge Abwesenheit oder aus anderen Gründen außerstande war, Abhilfe zu treffen. Eine ausdehnende Auslegung, so erwünscht sie im Einzelfall auch sein möge, lasse sich bei dem klaren Wortlaut des Gesetzes nicht rechtfertigen. Sie hätte für den abwesenden Mieter, den an dem Verhalten des Familienmitgliedes kein Verschulden treffe, den Verlust der Wohnung zur Folge. Da der Beklagte erst im Oktober 1945 vom Kriegsdienst zurückgekehrt sei und sich zur Zeit der Erstattung der Anzeige gegen die Klägerin im Felde befand, finde § 19, Abs. 2, Z. 3 MietG. auf den Fall keine Anwendung. Es sei aber auch dessen Unterstellung unter § 19, Abs. 1 MietG. nicht zulässig, weil nach herrschender Rechtsprechung dieser generelle Kündigungsgrund in jenen Fällen unanwendbar sei, in denen ein Tatbestand vorliege, der einem der in § 19, Abs. 2 MietG. normierten speziellen Tatbestände zwar ähnlich, aber doch durch das Fehlen eines zum Tatbestand gehörenden Merkmales charakterisiert sei. Im vorliegenden Fall sei wohl der Tatbestand des § 19, Abs. 2, Z. 3 MietG. gegeben, jedoch mit der erwähnten ausdrücklichen Einschränkung. Das richterliche Ermessen in der Beurteilung der Frage, ob der vorliegende Sachverhalt einen wichtigen Kündigunggrund nach § 19, Abs. 1 MietG. bilde, sei darum eingeschränkt.

Die von der Klägerin gegen dieses Urteil aus dem Revisionsgrund des § 503, Z. 4 ZPO. mit dem Antrage auf Wiederherstellung des Urteiles erster Instanz ergriffene Revision ist berechtigt.

Das Berufungsgericht hat, ohne sich mit den ebenfalls geltend gemachten Berufungsgrunden der unrichtigen Beweiswürdigung und Tatsachenfeststellung zu befassen, lediglich aus rechtlichen Erwägungen unter Zugrundelegung des vom Erstrichter festgestellten Tatbestandes die Kündigung aufgehoben. Die von ihm geäußerte und durch eine Reihe von Entscheidungen belegte Rechtsmeinung ist tatsächlich in der Judikatur vertreten und findet vereinzelt auch in der Lehre (vgl. Sternberg, MietG. 292) Billigung. Eine Variante dieser Rechtsmeinung geht dahin, daß der Mangel eines Merkmales des gesetzlichen Tatbestandes durch das Hinzutreten eines anderen, dem fehlenden gleichbedeutenden Merkmales ersetzt werden müsse, damit ein Kündigungsgrund nach § 19, Abs. 1 MietG. angenommen werden können (E. v. 1. April 1930, 4 Ob 151/30; 3. Juni 1931, RZtg. 1931, S. 198; 31. März 1936, ÖRZ. 1936, S. 251; 15. Oktober 1936, JBl. 1937, S. 81; 28. September 1937, JBl. 1938, S. 14; sowie 2. August 1937, Sternberg, Rechtsprechung Nr. 908).

Am weitesten in der Erfassung des richterlichen Ermessens bei der Auslegung und Anwendung der Generalklausel des § 19, Abs. 1 gegenüber den Spezialanwendungsfällen des § 19, Abs. 2 MietG. gehen jene Entscheidungen, in denen ausgesprochen wird, daß als "wichtige Gründe" solche anzusehen sind, die von gleichem Gewicht sind, wie die im Gesetz besonders angeführten Kündigungsgrunde (Handl, Nr. 169, 739; SZ. VI/229; 24. April 1930, GZ. 1930, S. 349; 2. Jänner 1931, GH. 1931, S. 84; 11. Oktober 1932, NotZ. 1933, S. 86; sowie 18. August 1932, Sternberg, Nr. 859). Diese Ansicht wird auch von Swoboda, Kommentar S. 208, geteilt.

Das Erstgericht läßt es zunächst dahingestellt, ob der Tatbestand nicht etwa unter Abs. 2, Ziffer 3 als strafbare Handlung gegen die Sittlichkeit subsumiert werden könne, eine Ansicht, deren Unhaltbarkeit nicht widerlegt zu werden braucht. Im folgenden überwindet es jedoch die in der Fassung des Gesetzes gelegenen Schwierigkeiten, indem es in der Anzeige nach ihrem Gewicht und ihren schweren Folgen für die Bestandgeberin eine den in Z. 3 namentlich genannten Rechtsgüteverletzungen gleichkommende strafbare Handlung erblickt. Außerdem hält es die Möglichkeit einer Abhilfe durch den Gekundigten durch vorherige mündliche oder briefliche Abmahnung gegen unnötige Anzeigen für gegeben und stellt fest, daß eine solche Abmahnung unterblieb und darum auch das im Schlußsatz der Z. 3 aufgestellte Erfordernis hinsichtlich des Hauptmieters verwirklicht worden sei. Es bleibt unklar, ob das Erstgericht sohin den Kündigungsgrund des § 19, Abs. 2, Z. 3 durch ausdehnende Interpretation auf den festgestellten Tatbestand anwendet oder nur § 19, Abs. 1 für gegeben hält. Die Wendung "im Zusammenhalt mit § 19, Abs. 1" läßt das letztere annehmen. Tatsächlich hat die Rechtsprechung versucht, den Kreis des als Kündigungsgrund anzusehenden strafbaren Unrechtes über die in Z. 3 ausdrücklich abgeführten Deliktsgruppen auszudehnen. Übertretungen gegen die Sicherheit der Ehre wurden z.B. als grob ungehöriges Verhalten im Sinn des § 19, Abs. 2, Z. 3 erklärt, besonders wenn durch die Häufigkeit der Tat und ihre Schwere den Mitbewohnern das Wohnen im Hause ernstlich verleidet wird (Handl, Nr. 776, Sternberg, Nr. 965, 967). Ebenso ist ausgesprochen worden, daß bei Unmöglichkeit der Abhilfe der Vermieter sich nicht abstellbare Unzukömmlichkeiten keineswegs dauernd gefallen lassen müsse, sondern daß Fälle, in denen Abhilfe unmöglich, und solche, in denen sie wohl möglich ist, aber unterlassen wurde, einander gleichstehen (Handl, Nr. 227). In diesem Sinn versucht denn auch die Revision zunächst darzutun, daß im vorliegenden Fall nach seiner Natur eine Abhilfe nicht möglich gewesen wäre, auch nicht bei Abwesenheit des Hauptmieters. Allerdings will sie damit nicht etwa die durch ausdehnende Interpretation zu gewinnende Anwendbarkeit des Kündigungsgrundes nach Ziffer 3 dartun, sondern sie im Gegenteil ausschließen.

Indessen läßt sich der vorliegende Fall überhaupt nicht, insbesondere nicht durch ausdehnende Interpretation, aus Ziffer 3 ableiten, weil er von Wortlaut und Sinn dieser Gesetzesstelle nicht gedeckt wird. Vielmehr ist auf die in § 19, Abs. 1 enthaltene Generalklausel und die ihr zugrunde liegende Absicht des Gesetzes zurückgehen und zu diesem Zwecke das Verhältnis dieser Generalklausel zu den Spezialtatbeständen des Abs. 2 zu klären. Der Oberste Gerichtshof schließt sich hier den überzeugenden Ausführungen Klangs in "Generalklausel und Bespielaufzählung", JBl. 1946, Heft 4, S. 63 ff., an. Die in § 19, Abs. 2 aufgestellten Sondertatbestände sind "typisiert" und bringen somit den in Abs. 1 festgelegten allgemeinen Tatbestand des "wichtigen Kündigungsgrundes", bezogen auf einen speziellen Fall, zur Darstellung. Der Gesetzgeber vermag aber naturgemäß nicht alle nur denkbaren Sonderfälle namentlich aufzuzählen. Daraus ergibt sich die Frage, inwieweit solche im Gesetz nicht ausdrücklich normierten Spezialfälle der Generalklausel im Hinblick auf die in Abs. 2 beispielsweise aufgezählten Sonderfälle vom Richter unterstellt werden dürfen.

Die weiter oben gegebene Übersicht über die bei der Auslegung der Tragweite der Generalklausel entstandenen abweichenden Rechtanschauungen zeigt, daß bisher trotz einer fast 25jährigen Geltung des Mietengesetzes in dieser Frage volle Klarheit nicht erzielt werden konnte.

Bei der Vergleichung des zu entscheidenden Falles mit einem der "Beispielsaufzählung" handelt es sich nicht um Analogie, also um Anwendung der Rechtsnorm auf einen Tatbestand, der dem von ihr getroffenen wohl ähnlich, aber mit ihm nicht identisch ist. Vielmehr ist davon auszugehen, daß die in der Beispielsaufzählung gegebenen Typen ohne weitere Prüfung als Anwendungsfälle der Generalklausel anzusehen sind, weil das Gesetz dies ausspricht. In den nicht ausdrücklich vom Gesetz geregelten Fällen bedarf es aber keiner Analogie, sondern der Richter hat nach freiem Ermessen zu prüfen, inwieweit ihnen die gleiche Bedeutung für die Kündigung zukommt wie den vom Gesetz angeführten Beispielen (SZ. IX/61). "Die Anwendung der Generalklausel ist also nicht analoge Rechtsanwendung, sie erspart vielmehr die Analogie" (Klang l.c.). Damit wird aber auch die Anwendung des immer bedenklichen Umkehrschlusses auf solche Fälle, als dem Willen des Gesetzgebers nicht entsprechend, ausgeschlossen.

Nun hat der Erstrichter zutreffend erkannt, daß die Erstattung einer Strafanzeige wegen verbotenen Radiohörens einen Sachverhalt darstellt, der an Bedeutung und Folgenschwere dem im Beispielstatbestand des § 19, Abs. 2, Z. 3 MietG. aufgestellten nahe kommt, ja ihn erreicht. Einem Vermieter kann nicht zugemutet werden, das Bestandverhältnis mit einem Mieter fortzusetzen, dessen Gattin ihn durch eine Gestapoanzeige, die sie entweder selbst erstattet oder auf deren Erstattung sie in dazu geeigneter Form hineingewirkt hat, für anderthalb Jahre ins Gefängnis gebracht hat. Der Erstrichter hat darum in diesem Sachverhalt rechtlich zutreffend einen der Generalklausel des § 19, Abs. 1 zu unterstellenden Fall erkannt. Unerheblich bleibt dabei, ob dieser Sachverhalt außerdem etwa noch in strafrechtlicher Hinsicht den Tatbestand des § 7 KVG. verwirklicht, weil zivilrechtlich schon der vom Erstgericht festgestellte Sachverhalt als Kündigungsgrund vollkommen hinreicht.

Trotzdem war der Oberste Gerichtshof außerstande, den Fall spruchreif zu stellen, weil die Tatsachenfeststellungen und die Beweiswürdigung des Erstgerichtes von der Berufung bekämpft und somit vom Revisionsgericht weder geprüft noch übernommen werden konnten. Das Berufungsgericht, das, ausgehend von einer unrichtigen Rechtauslegung, die Überprüfung der in dieser Richtung geltend gemachten Berufungsgrunde unterlassen hat, hat dadurch das Verfahren nach § 503, Z. 2, § 496, Abs. 1, Z. 3 ZPO. mangelhaft gestaltet. Es war daher das Berufungsurteil aufzuheben und dem Berufungsgericht die Fällung einer neuen Entscheidung unter Bindung an die vom Obersten Gerichtshof geäußerte Rechtsansicht aufzutragen.

Anmerkung

Z21016

Schlagworte

Denunziation als wichtiger Kündigungsgrund, Haftung für das Verhalten derselben durch den abwesenden Hauptmieter, Haftung des abwesenden Hauptmieters für das Verhalten seiner, Familienangehörigen, Hauptmieter Haftung für Familienangehörige, Rechtsschutzgütertheorie, unleidliches Verhalten der Familienangehörigen, Haftung des abwesenden, Hauptmieters, Verhalten unleidliches, Haftung des abwesenden Hauptmieters für die, Familienangehörigen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1947:0010OB00077.47.0208.000

Dokumentnummer

JJT_19470208_OGH0002_0010OB00077_4700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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