Kopf
SZ 21/19
Spruch
Der Zwangsverwalter ist nicht berechtigt, sich bei der Ausübung seines Amtes, soweit entscheidende Verfügungen zu treffen sind, vertreten zu lassen.
Entscheidung vom 20. Februar 1947, 1 Ob 92/47.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Die Tochter des Zwangsverwalters eines Hauses, der seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort verlassen hat, ohne das Exekutionsgericht hievon zu verständigen, hat während der Abwesenheit ihres Vaters eine im verwalteten Hause befindliche Wohnung vermietet. Nach der Aufhebung der Zwangverwaltung begehrten die Hauseigentümer die Feststellung, daß der Mietvertrag nichtig sei.
Das Prozeßgericht hat das Klagebegehren abgewiesen. Das Berufungsgericht hat das Urteil des Prozeßgerichtes bestätigt. Der Oberste Gerichtshof hat der Revision der Hauseigentümer Folge gegeben und die Nichtigkeit des Mietvertrages festgestellt.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Das Revisionsgericht vertritt gleich dem Berufungsgerichte die Rechtsansicht, daß der Zwangsverwalter nicht befugt ist, sich bei der Besorgung der ihm vom Gericht übertragenen Aufgaben, soweit sie mit einer die verpflichtete Partei bindenden Entscheidung im Zusammenhang stehen, vertreten zu lassen. Er übt sein Amt im Interesse aller Beteiligten kraft öffentlich-rechtlichen Auftrages aus. Der Charakter seines Amtes, zu dem nur hervorragend geeignete, in besonderen Listen verzeichnete Personen bestellt werden, verpflichtet ihn, die Verwaltung persönlich zu führen und die erforderlichen Maßnahmen nach sorgfältigster Prüfung selbst zu treffen. Ist er an der Ausübung seines Amtes behindert, muß er dies dem Exekutionsgericht anzeigen, das daraufhin einen anderen Verwalter zu bestellen hat. Ist aber, wie zur Zeit des Vertragsabschlusses, die Tätigkeit der Gerichte stillgelegt und gleichzeitig eine Behinderung des Zwangsverwalters eingetreten, können solche Geschäfte, die die persönliche Mitwirkung des Zwangsverwalters bedingen, nicht abgeschlossen werden. Es ist denkbar, daß der Zwangsverwalter die Durchführung eines von ihm bereits abgeschlossenen Rechtsgeschäftes im Falle seiner Behinderung von einem Gehilfen besorgen läßt; es ist aber nicht zulässig, daß entscheidende Beschlüsse von einem anderen als dem bestellten Zwangsverwalter gefaßt werden. Würde ihm das Recht zugebilligt, erst nachträglich zu den in seiner Abwesenheit getroffenen Verfügungen Stellung zu nehmen, würde bis dahin ein schwebender Zustand ein treten und wäre auch für die aus den Verfügungen Berechtigten nichts gewonnen, weil sie dann eben so lange zuwarten müssen, bis der Zwangsverwalter selbst eine Erklärung abgibt.
Da demnach der Mietvertrag vom 22. Mai 1945 ohne Mitwirkung des Zwangsverwalters zustande gekommen ist, konnte eine gültige Vermietung an den Beklagen nicht erfolgen.
Anmerkung
Z21019 1Ob92.47Schlagworte
Stellvertretung für Zwangsverwalter, Zwangsverwalter, keine Stellvertretung bei entscheidenden VerfügungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1947:0010OB00092.47.0220.000Dokumentnummer
JJT_19470220_OGH0002_0010OB00092_4700000_000