TE OGH 1947/4/12 1Ob244/47

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Veröffentlicht am 12.04.1947
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Norm

Ehegesetz §55
Ehegesetz §61
ZPO §503 Z4

Kopf

SZ 21/28

Spruch

Der Widerspruch des schuldlosen Ehegatten schließt die vom Schuldigen angestrebte Scheidung nach § 55 Ehegesetz grundsätzlich aus.

Entscheidung vom 12. April 1947, 1 Ob 244/47.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Das Prozeßgericht hat das auf § 55 Ehegesetz gestützte Klagebegehren abgewiesen; es hat einerseits eine tiefgreifende unheilbare Zerrüttung der Ehe nicht angenommen und anderseits den Widerspruch der Beklagten für berechtigt und beachtlich erklärt.

Das Berufungsgericht hat die Ehe der Streitteile geschieden und gemäß § 61, Abs. 2 Ehegesetz ausgesprochen, daß den Kläger ein Verschulden treffe; es ist nach einer ergänzungsweisen Vernehmung der Parteien zur Überzeugung gelangt, daß die Ehe unheilbar zerrüttet sei, und hat dem Widerspruch der Beklagten, dessen Berechtigung anerkannt geblieben ist, die Beachtlichkeit versagt.

Der Oberste Gerichtshof hat das erstgerichtliche Urteil wiederhergestellt.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Revisionsgericht schließt sich der Auffassung des Berufungsgerichtes an, daß die Ehe tiefgreifend und unheilbar zerrüttet ist. Für die Frage der Zerrüttung der Ehe ist es ohne Belang, daß die Beklagte zu einer Versöhnung und Fortsetzung der Ehe bereit ist. Die Feststellung, daß die häusliche Gemeinschaft der Streitteile vor mehr als drei Jahren wegen der ehewidrigen Beziehungen des Klägers zu M. P. aufgehoben und seither nicht aufgenommen worden ist, und die Tatsache, daß der Kläger, der eine Aussage über seine derzeitigen Beziehungen zu M. P. verweigert, nunmehr die Scheidung der Ehe anstrebt, rechtfertigen die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft zwischen den Streitteilen nicht mehr zu erwarten ist. Hingegen kann das Revisionsgericht unter Zugrundelegung der übrigen Feststellungen der Vorgerichte dem Berufungsgericht nicht beipflichten, daß die Aufrechterhaltung der Ehe sittlich nicht gerechtfertigt sei. Das Revisionsgericht hält an seiner bisherigen, auch im angefochtenen Urteil bezogenen Rechtssprechung fest, daß nach § 55, Abs. 2 Ehegesetz der Widerspruch des schuldlosen Eheteils die vom Schuldigen angestrebte Scheidung grundsätzlich ausschließt und daß nur in ganz besonderen Ausnahmsfällen, wenn nämlich das Beharren auf dem Fortbestand der zerrütteten Ehe sittenwidrig ist, dieser Grundsatz durchbrochen werden darf.

Nach den Feststellungen der Vorgerichte hat sich die Beklagte während der 34jährigen Dauer der Ehe, in der sie zwei Kinder, die heute bereits erwachsen sind, geboren hat, schwere Verfehlungen nicht zuschulden kommen lassen. Der Kläger hat im Mai 1943 das Verlangen der Beklagten, seine Beziehungen zu M. P. zu lösen, abgelehnt und freiwillig die eheliche Wohnung verlassen. Nachdem er eine Scheidungsklage, in der er schwere Eheverfehlungen der Beklagten behauptet hatte, eingebracht und die Beklagte hierauf mit einer Privatklage gegen M. P. erwidert hatte, ist nach außergerichtlichen Verhandlungen am 24. Juni 1943 ein Übereinkommen zwischen den Streitteilen geschlossen worden, das die Rückziehung beider Klagen zur Folge hatte. Die Beklagte hat in diesem Übereinkommen erklärt, dagegen keine Einwendung zu erheben, daß der Kläger regelmäßigen gesellschaftlichen Verkehr mit M. P. unterhalte; der Kläger wieder hat sich hierin u. a. zu bestimmten Unterhaltsleistungen an die Beklagte und die in ihrem Haushalt gebliebenen Kindern verpflichtet. Er hat vor Einbringung der gegenständlichen Klage die Beklagte von seiner Scheidungsabsicht verständigt, ihr für den Fall, daß sie der Scheidung nicht widerspreche, die Erfüllung seiner bisherigen Verpflichtungen zugesagt und sie ersucht, hiezu Stellung zu nehmen. Die Beklagte hat von ihm zunächst eine Präzisierung seiner Vorschläge in vermögensrechtlicher Hinsicht begehrt und nach deren Bekanntgabe angeregt, daß der Kläger den Kindern sein Haus in S. unter Vorbehalt seines lebenslänglichen Fruchtgenuß- und Verwaltungsrechts schenkungsweise überlassen solle. Der ausdrücklich als unverbindlich bezeichnete Gegenvorschlag der Beklagten für die vom Kläger angestrebte glatte Erledigung ist von diesem nicht angenommen worden.

Das Berufungsgericht hat daraus, daß die Beklagte bereits im Jahr 1943 dem Kläger die Fortsetzung seines Verkehrs mit M. P. gestattet und sich im Jahr 1946 zunächst in Verhandlungen mit ihm über vermögensrechtliche Fragen eingelassen hat, geschlossen, daß sie den Willen zu einer Wiederherstellung der ehelichen Gemeinschaft aufgegeben oder zumindest in die zweite Linie gestellt habe und daß daher die Aufrechterhaltung der Ehe sittlich nicht gerechtfertigt sei. Da es sich bei diesem Schluß nicht um eine dem Revisionsverfahren entzogene Beweiswürdigung, sondern um eine rechtliche Beurteilung des Verhaltens der Beklagten handelt, ist eine Bekämpfung aus dem Revisionsgrund des § 503, Z. 4 ZPO. zulässig.

Das Revisionsgericht ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes nicht in der Lage, das Verhalten der Beklagten in den Jahren 1943 und 1946 als ein dem Wesen der Ehe widersprechendes zu beurteilen. Wenn sie die Fortsetzung eines auf gesellschaftliche Formen beschränkten Verkehrs des Klägers mit M. P. geduldet hat, hat sie wohl nur einem Wunsch des Klägers entsprochen und sich dadurch keineswegs einen Verzicht auf den Kläger zu erkennen gegeben, dem sie in einer weitaus wirkungsvolleren Weise, nämlich durch die Einbringung einer Scheidungsklage, die dem Kläger jedenfalls wünschenswerter gewesen wäre, hätte Ausdruck verleihen können. Ebensowenig läßt aber ihre im Jahr 1946 mit dem Klägergeführte Korrespondenz, die von ihm eingeleitet worden ist, darauf schließen, daß ihr nur oder zumindest in erster Linie darum zu tun gewesen sei, für sich und ihre Kinder vermögensrechtliche Vorteile zu erzielen. Da sich der damals 60jährige Kläger nach 34jähriger Ehe um die Zustimmung der 64jährigen schuldlosen Beklagten zu der von ihm begehrten Scheidung beworben hat, erscheint ihr Verlangen nach einer Klärung und Sicherung ihrer und ihrer zwei Kinder Zukunft durchaus verständlich. Abgesehen davon, daß ihre Vorschläge ausdrücklich unverbindlich gewesen sind, könnte sich auch ein allfällig erklärtes Einverständnis zur Scheidung bei einer Erfüllung ihrer Bedingungen nicht zu ihrem Nachteil auswirken, wenn sie sich nach einer Ablehnung ihrer Vorschläge der Scheidung widersetzte; ihr ursprüngliches Einverständnis könnte nur als ein dem Kläger bewiesenes Entgegenkommen gewertet werden und für ihn Rechte gegen eine späteren Widerspruch nicht begrunden. Nach der Ansicht des Revisionsgerichtes kann daher unter den gegebenen Verhältnissen nicht angenommen werden, daß das Verhalten der Beklagten der Aufrechterhaltung der Ehe aus sittlichen Gründen entgegenstunde.

Da somit besondere Gründe für die Unbeachtlichkeit des berechtigten Widerspruches der Beklagten nicht vorliegen, war der Revision Folge zu geben und das Urteil des Prozeßgerichtes wiederherzustellen.

Anmerkung

Z21028

Schlagworte

Ehescheidung nach § 55 EheG., Beachtlichkeit des Widerspruches, Scheidung nach § 55 EheG., Widerspruch, Widerspruch nach § 55, Abs. 2 EheG., Beachtlichkeit, Zerrüttung der Ehe, Beachtlichkeit des Widerspruches nach § 55, Abs. 2, EheG.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1947:0010OB00244.47.0412.000

Dokumentnummer

JJT_19470412_OGH0002_0010OB00244_4700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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