Norm
Gerichtsorganisationsgesetz §89Kopf
SZ 21/48
Spruch
§§ 64, 520 ZPO. Wird ein Rekurs beim Bezirksgericht des Wohnsitzes gemäß § 520, Abs. 1, ZPO. zu Protokoll gegeben, so ist seine Rechtzeitigkeit nach dem Zeitpunkte der Protokollaufnahme und nicht nach jenem des Einlangens des Protokolls beim Prozeß-(Exekutions-)Gericht zu beurteilen.
Entscheidung vom 15. Oktober 1947, 1 Ob 702/47.
I. Instanz: Bezirksgericht Schrems; II. Instanz: Kreisgericht Krems.
Text
Das Erstgericht bewilligte die von der betreibenden Partei beantragte Exekution durch Lohnpfändung nur teilweise. Der angefochtene Beschluß war am 10. Juni 1947 an die Parteien abgefertigt worden. Ein Zustellausweis liegt wohl nicht ein, doch ist nach der Sachlage die Behauptung des Rekurswerbers, der Beschluß sei ihm am 12. Juni 1947 zugestellt worden, durchaus glaubhaft.
Am 16. Juni 1947 erschien der gesetzliche Vertreter der betreibenden Partei beim Bezirksgericht seines Wohnsitzes (Waidhofen) und gab den Rekurs zu Protokoll. Der Protokollarrekurs wurde von diesem Gericht am 17. Juni 1947 dem Bezirksgericht Schrems als Exekutionsbewilligungs- und Exekutionsgericht abgetreten und langte laut Eingangsvermerk bei letzterem am 23. Juni 1947 ein.
Das Rekursgericht verwarf den Rekurs als verspätet. Es begrundete diese Entscheidung damit, daß der Rekurs der armen Partei nicht beim Bezirksgericht ihres Wohnsitzes, sondern beim Exekutionsgericht hätte angebracht werden sollen. Insofern er bei ersterem angebracht wurde, gelte er als schriftlicher Rekurs, der mit der Unterschrift eines Anwaltes versehen sein müsse und für den als Zeitpunkt des Einlangens jener Tag maßgebend sei, an dem er beim Bezirksgericht Schrems einlangte. Dies sei aber am 23. Juni 1947, also am 11. Tage der Rekursfrist geschehen, die am 12. Juni 1947 begann. Es lasse sich nicht feststellen, wann der Rekurs vom Wohnsitzgericht zur Post gegeben wurde, wiewohl nicht anzunehmen sei, daß das Gerichtsstück von Waidhofen bis Schrems 3 Tage gebraucht haben sollte. Als rechtzeitig könnte der Rekurs jedoch nur gelten, wenn er am letzten Fristtag zur Post gegeben worden wäre, was nach dem Gesagten nicht anzunehmen sei.
Der Oberste Gerichtshof gab dem von der betreibenden Partei ergriffenen Revisionsrekurs Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Wiewohl das Gesetz den hier erörterten Fall nicht ausdrücklich regelt, kann doch kein Zweifel darüber bestehen, daß er in § 90, Abs. 2 GOG. in Verbindung mit § 64, Z. 4 ZPO. bereits seine Lösung gefunden hat. Darnach ist eine arme Partei, die einen sogenannten Distanzprozeß führen muß, in mehrfacher Richtung begünstigt. Sie kann die Klage beim Bezirksgericht ihres Wohnsitzes (oder sonstigen Aufenthaltes) zu Protokoll geben und begehren, daß dieses Protokoll dem Prozeßgericht übersendet werde und von diesem ihr zur unentgeltlichen Wahrung ihrer Rechte bei der mündlichen Verhandlung ein Vertreter bestellt werde.
Sie kann ferner, wenn sie gegen ein bezirksgerichtliches Urteil Berufung ergreifen will, ohne daß zu ihrer Vertretung ein Anwalt bestellt wäre, falls § 465, Abs. 2 ZPO. unanwendbar ist, weil am Standort des Prozeßgerichtes zwei oder mehrere Anwälte ihren Sitz haben, die Bestellung eines Beamten des Gerichtes oder der Staatsanwaltschaft zur Abfassung der Berufungsschrift begehren (§ 90, Abs. 1 GOG.).
Diese Vorschrift ist von der Rechtssprechung unter Heranziehung des § 90 Abs. 2 GOG. und des § 64 Z. 4 ZPO. für den Fall des Distanzprozesses dahin ausgelegt worden, daß für die Zulässigkeit einer Protokollarberufung nicht die Zahl der am Standort des Wohnsitzgerichtes, sondern jene der am Standort des Prozeßgerichtes ansässigen Anwälte maßgebend sei. Demgemäß hat der JMErl. vom 3. Februar 1933, JABl. Nr. 7, über die Erhebung der Berufung und Anbringung von Protokollarklagen durch arme, nicht im Sprengel des Prozeßgerichtes wohnende Parteien als Richtschnur empfohlen, daß die Berufung vom Wohnsitzgericht zu Protokoll genommen werden könne, wenn am Standort des Prozeßgerichtes nicht wenigstens zwei Anwälte ansässig sind. Auf die Zahl der Anwälte am Standort des Wohnsitzgerichtes kommt es dann nicht an. Treffen obige Voraussetzungen jedoch für das Prozeßgericht nicht zu, so beschränkt sich die Tätigkeit des Wohnsitzgerichtes auf die Ausnahme eines Protokollantrages der armen Partei auf Bestellung eines Armenvertreters zur Verfassung und Überreichung der Berufungsschrift und einer Information für diesen.
In jenen Fällen, in denen das Wohnsitzgericht zur Aufnahme der Berufung zu gerichtlichem Protokoll gemäß § 465, Abs. 2 ZPO., § 90, Abs. 2 GOG. berechtigt ist, gilt aber die bei ihm zu Protokoll gegebene Berufung so, als wäre sie unmittelbar beim Prozeßgericht zu Protokoll gegeben worden. Sie ist darum rechtzeitig, wenn sie innerhalb der Berufungsfrist beim Wohnsitzgericht zu Protokoll gegeben wurde. Darauf, wann dieses Protokoll beim Prozeßgerichte einlangte, kommt es nicht an. Denn die arme Partei kann einerseits keinen Einfluß auf die Absendung des Protokolles nehmen, anderseits wäre die ihr durch Ermöglichung der Protokollarberufung beim Wohnsitzgericht gewährte Erleichterung der Rechtsverfolgung oder Verteidigung entwertet, wenn zur Wahrung der Rechtsmittelfrist außer der rechtzeitigen Protokollarerklärung noch weitere Handlungen der Partei oder Verfügungen des Rechtshilfegerichtes erforderlich wären, von denen das Gesetz nichts weiß.
Der Oberste Gerichtshof hat dann auch in der Entscheidung SpR. 18, SZ. VII/291, den Rechtsatz formuliert, daß es zur Wahrung der Rechtsmittelfrist in diesen Fällen erforderlich und genügend sei, wenn die Berufung am letzten Fristtag beim Wohnsitzgericht zu Protokoll erklärt werde.
Vom Rekurs spricht das Gesetz nicht, doch ergibt die Gleichheit des Gesetzesgrundes, daß diese Vorschriften sinngemäß und unter Brücksichtigung des § 520, Abs. 1 ZPO. auch auf dieses Rechtsmittel anzuwenden sind. Der wesentliche Unterschied liegt nur darin, daß im bezirksgerichtlichen Verfahren nach § 520 ZPO. jede Partei, nicht nur die arme Partei, die nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten ist, Rekurse mündlich zu Protokoll anbringen kann. Diese Voraussetzung trifft aber im vorliegenden Fall zu, da ein Anwalt für die betreibende Partei nicht eingeschritten und von der Bevollmächtigung eines Anwaltes durch sie auch aus dem Akte nichts zu entnehmen ist.
Daraus ergibt sich, daß die Ansicht des Rekursgerichtes, die Abringung des Rekurses zu gerichtlichem Protokoll beim Wohnsitzgericht sei unstatthaft gewesen, irrig ist. Darum können auch die Bestimmungen des § 89 GOG., an welche das Rekursgericht offenbar denkt, hier keine Anwendung finden, da die betreibende Partei ihr Rekursrecht durch Anbringung des Rekurses innerhalb offener Frist beim Wohnsitzgericht gewahrt hat, ohne daß es noch darauf ankäme, wann dieses Protokoll beim Exekutionsgericht einlangt.
Der Revisionsrekurs ist darum begrundet, wenn auch seine Ausführungen betreffend die Zahl der am Sitz des Exekutionsgerichtes ansässigen Anwälte im Hinblick auf § 520 ZPO. gegenstandslos sind.
Anmerkung
Z21048Schlagworte
Armenrecht, Protokollarrekurs, Protokollarrekurs Rechtzeitigkeit, Rechtsmittelfrist Wahrung bei Protokollarrekurs, Rekursfrist Wahrung bei ProtokollarrekursEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1947:0010OB00702.47.1015.000Dokumentnummer
JJT_19471015_OGH0002_0010OB00702_4700000_000