Norm
ABGB §6Kopf
SZ 21/83
Spruch
Die fünfjährige Verwendung als stimmführender Rat beim Verwaltungsgerichtshof gewährt die in § 6, Abs. 1 RAO. vorgesehene Begünstigung, soferne das betreffende Mitglied des Verwaltungsgerichtshofes die Befähigung zum Richteramte besitzt.
Die fünfjährige Wartezeit gemäß § 6, Abs. 1 RAO. gilt für die stimmführenden Mitglieder des Obersten Gerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes nicht.
Entscheidung vom 1. April 1948, Nr 2/48.
I. Instanz: Ausschuß der Rechtsanwaltskammer in Wien; II. Instanz:
Berufungssenat der Rechtsanwaltskammer in Wien.
Text
Der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer und der Berufungssenat dieser Kammer haben die Eintragung eines ehemaligen Rates des Verwaltungsgerichtshofes in die Liste der Rechtsanwälte mit dem Sitze in Wien abgelehnt.
Der Oberste Gerichtshof hat der Berufung des Eintragungswerbers stattgegeben und seine Eintragung in die Rechtsanwaltsliste der Rechtsanwaltskammer in Wien bewilligt.
Rechtliche Beurteilung
Begründung:
Bei der Entscheidung über die vorliegende Berufung handelt es sich im wesentlichen um zwei Fragen. Die erste Frage geht dahin, ob die fünfjährige Verwendung als stimmführender Rat beim Verwaltungsgerichtshofe die Begünstigung des § 6 RAO. gewährt.
Der Oberste Gerichtshof hat diese Frage mit der in das Spruchrepertorium unter Nummer 5 eingetragenen Entscheidung vom 16. Dezember 1919, R I 173/19, SZ. I/95, bejaht.
Der Oberste Gerichtshof hält an der in dieser Entscheidung ausgesprochenen Rechtsanschauung fest und findet in teilweiser Abänderung und Ergänzung ihrer Begründung nur noch darauf hinzuweisen, daß die fragliche Bestimmung der Rechtsanwaltsordnung ihrer Natur nach nur solchen ehemaligen Mitgliedern des Verwaltungsgerichtshofes zugute kommen kann, welche die Befähigung zum Richteramte besitzen. Denn die Bestimmung des § 6 RAO. setzt nach ihrem klaren Wortlaut "stimmführender Rat bei einem Gerichtshofe" voraus, daß der betreffende Anwärter auf den Rechtsanwaltsberuf alle jene Erfordernisse erfüllt hat, die nach § 4 des Gerichtsorganisationsgesetzes zur Erlangung des Richteramtes notwendig sind.
Bei dieser Auslegung des § 6 RAO. fallen auch jene Bedenken weg, die Ernst Lohsing in seinem Werke "Österreichisches Anwaltsrecht", S. 56 ff., gegen die oben erwähnte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes anführt.
Die zweite maßgebende Frage ist die, ob der dermaligen Eintragung des Eintragungswerbers die mit Art. X, Punkt 4 der Achten Gerichtsentlastungsnovelle dem § 6, Abs. 1 RAO. angefügte Bestimmung entgegensteht, daß die Eintragung für einen innerhalb "des Gerichtshofsprengels der letzten Verwendung gelegenen Ort" erst nach Ablauf von 5 Jahren nach der Enthebung vom richterlichen Dienst zulässig sei. Der Eintragungswerber ist der Ansicht, daß der Dienst beim Reichverwaltungsgericht nicht als richterlicher Dienst im Sinne der angeführten Bestimmung des § 6 RAO. anzusehen sei, er daher die fünfjährige Wartefrist längst zurückgelegt habe, da sein Dienst als Rat des Bundesgerichtshofes mit der Besetzung Österreichs im Jahre 1938 sein Ende fand.
Dieser Meinung vermag sich der Oberste Gerichtshof nicht anzuschließen. Mit der Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich gab es in Österreich überhaupt keine österreichischen Gerichte mehr, sondern sämtliche in Österreich bestehenden Gerichtsstellen sind deutsche Gerichte geworden, wobei ihre Gerichtsverfassung und ihre Zuständigkeitsbestimmungen - man denke nur an die Sondergerichte, an die Senate der Oberlandesgerichte für Hochverrats- und Landesverratssachen und an die wiederholt geänderten Bestimmungen über den Rechtsmittelzug - Abänderungen erfahren haben. Daher kann auch der in Österreich bestehende Außensenat des Reichsverwaltungsgerichtes nicht anders als die in Österreich tätigen übrigen Gerichte beurteilt werden. Es war ebensowenig ein österreichisches Gericht wie die sonstigen Gerichte in Österreich, aber gleich diesen ein inländisches Gericht und kein ausländisches.
Daher muß die Tätigkeit bei diesem Außensenat einer richterlichen Tätigkeit bei einem sonstigen Gerichte in Österreich gleichgehalten werden.
Die Entscheidung über die Berufung ist demnach von der Auslegung abhängig, die der Bestimmung des § 6, Abs. 1 RAO. gegeben wird. Die fragliche Bestimmung lautet:
"Die 5jährige Verwendung als stimmführender Rat bei einem Gerichtshof im Geltungsgebiete dieses Gesetzes ersetzt die Erfordernisse des Doktorates, der Praxis und der Rechtsanwaltsprüfung. Jedoch ist binnen 5 Jahren nach Enthebung vom richterlichen Dienste die Eintragung für einen innerhalb des Gerichtshofsprengels der letzten Verwendung gelegenen Ort zu verweigern."
Mit Rücksicht auf diesen Wortlaut ist zunächst die Frage zu lösen, ob unter "Gerichtshofsprengel" der Sprengel des Gerichtshofes zu verstehen ist, bei dem der Eintragungswerber die vorgeschriebene Verwendung als stimmführender Rat zurückgelegt hat, oder ob darunter der Sprengel des Gerichtshofes I. Instanz zu verstehen sei, innerhalb dessen der Ort der letzten Verwendung gelegen ist.
Schließt man sich der letztangeführten Auslegung an, so würde der zweite Satz der angeführten Gesetzesstelle bedeuten, daß der stimmführende Rat eines Gerichtshofes fünf Jahre nach der Enthebung von seiner Verwendung von der Eintragung als Rechtsanwalt für alle Orte des Sprengels des Gerichtshofes I. Instanz ausgeschlossen ist, innerhalb dessen sein letzter Verwendungsort liegt. Es käme daher nicht darauf an, ob er bei einem Gerichtshof I., II. Instanz oder bei dem Obersten Gerichtshof oder dem Verwaltungsgerichtshof verwendet worden ist, sondern die Ausschließungsbestimmung würde sich nur auf den Sprengel des Gerichtshofes I. Instanz der letzten Verwendung beziehen.
Für diese Auslegung könnte immerhin geltend gemacht werden, daß jene engeren örtlichen Bindungen, welche Bedenken gegen die Eintragung eines Richters sofort nach seinem Übertritt in den Ruhestand begrunden können, am Orte seiner letzten Verwendung und in dessen Umgebung naturgemäß reger sein werden als in anderen Teilen des Staatsgebietes.
Trotzdem aber vermochte sich der Oberste Gerichtshof dieser Auslegung nicht anzuschließen. Sie stunde nämlich mit der Bedeutung der Worte der fraglichen Gesetzesbestimmung in ihrem Zusammenhang nicht im Einklang und würde daher der Auslegungsregel des § 6 ABGB. widersprechen. § 6, Abs. 1 RAO. spricht im ersten Satz von einem "Gerichtshof", im zweiten Satz von einem "Gerichtshofsprengel". Aus diesem Zusammenhang ergibt sich, daß unter Gerichtshofsprengel nur der Sprengel des Gerichtshofes gemeint sein kann, bei dem der Eintragungswerber als stimmführender Rat in Verwendung stand.
Die Annahme, daß unter Gerichtshofsprengel der Sprengel des Gerichtshofes I. Instanz des letzten Verwendungsortes zu verstehen sei, findet in dem Wortlaute des Gesetzes keine ausreichende Stütze und kann auch aus der klaren Absicht des Gesetzgebers nicht erschlossen werden.
Der Oberste Gerichtshof gelangte sonach zur Ansicht, daß dem stimmführenden Rat eines Gerichtshofes die Eintragung als Rechtsanwalt im Sprengel dieses Gerichtshofes erst nach Ablauf von fünf Jahren von seiner Enthebung vom richterlichen Dienst zu bewilligen sei.
Diese Bestimmung kann aber aus nachstehenden Erwägungen auf die stimmführenden Räte des Verwaltungsgerichtshofes sowie des Obersten Gerichtshofes nicht angewendet werden.
Der Begriff des "Gerichtshofsprengels" ist wesentlich mit dem Begriff der örtlichen Zuständigkeit verbunden und setzt daher voraus, daß das Tätigkeitsgebiet des betreffenden Gerichtshofes nicht das ganze Staatsgebiet umfaßt, das heißt, daß mehrere gleichartige Gerichtshöfe im Staatsgebiet bestehen, deren Sprengel durch die Gerichtseinteilung bestimmt und deren örtliche Zuständigkeit durch die Jurisdiktionsnorm geregelt ist.
Bei dem Verwaltungsgerichtshof und dem Obersten Gerichtshof kann man aber, da sich ihre Wirksamkeit auf das ganze Staatsgebiet erstreckt, von einem Sprengel in diesem Sinne überhaupt nicht sprechen. Man kann auch nicht behaupten, daß hier Staatsgebiet und Sprengel zusammenfallen, weil der Begriff des Sprengels, wie bereits dargelegt, das Nebeneinanderbestehen gleichartiger Gerichtstypen im selben Staatsgebiet voraussetzt.
Unter diesen Umständen ist die fragliche Ausschlußbestimmung auf die stimmführenden Mitglieder der Obersten Gerichtshöfe (Verwaltungsgerichtshof und Oberster Gerichtshof) nicht anwendbar.
Dies entspricht aber auch dem Zweck dieser Bestimmung, wie er in den Erläuterungen zur Achten Gerichtsentlastungsnovelle (vgl. "Achte Gerichtsentlastungsnovelle, herausgegeben von Dr. Rudolf Hermann", S. 18) dargelegt ist. Hienach handelt es sich bei der fraglichen Bestimmung darum zu verhüten, daß ein Richter des Ruhestandes an seinem letzten Amtssitze oder doch innerhalb des Gerichtshofsprengels seines letzten Dienstortes seine Tätigkeit als Anwalt beginnen dürfe, womit der Anschein verbunden sein könnte, daß er frühere persönliche Beziehungen zum Gerichte auszunützen imstande sei.
Dieses Bedenken fällt selbstverständlich weg, wenn die Tätigkeit eines Gerichtshofes sich auf das ganze Staatsgebiet erstreckt, weil hier jene näheren Beziehungen, die sich aus der örtlichen Nähe des ehemaligen Dienstortes und des nunmehrigen Sitzes als Anwalt ergeben, regelmäßig nicht vorhanden sind.
Abgesehen davon, daß bei den höchsten Gerichtshöfen schon nach der Art ihrer Tätigkeit nähere persönliche Berührungen zwischen den Mitgliedern dieser Gerichtshöfe einerseits und den Parteien und ihren Vertretern anderseits nicht vorkommen, so schließt schon der Umfang des Staatsgebietes persönliche Beziehungen jener Art, wie sie bei der Schaffung der öfter erwähnten Ausschlußbestimmungen dem Gesetzgeber vorschwebten, praktisch aus.
Anmerkung
Z21083Schlagworte
Eintragung in die Rechtsanwaltsliste, Gerichtshofsprengel, Begriff (§ 6, Abs. 1 RAO.), Rechtsanwaltsliste, Eintragung in die R., Wartezeit gemäß § 6, Abs. 1 RAO. nicht für Richter des Obersten, Gerichtshofes und des VerwaltungsgerichtshofesEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1948:0000NR00002.48.0401.000Dokumentnummer
JJT_19480401_OGH0002_0000NR00002_4800000_000