TE OGH 1948/6/9 1Ob165/48

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Veröffentlicht am 09.06.1948
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Norm

Mietengesetz §19 Abs2 Z5
Mietengesetz §19 Abs2 Z6
Mietengesetz §19 Abs2 Z12
ZPO §503 Z2
ZPO §503 Z4

Kopf

SZ 21/100

Spruch

Eigenbedarf im Sinne des § 19, Abs. 2, Z. 6 MietG. liegt auch dann vor, wenn der Kundigende sein Wohnbedürfnis nicht unmittelbar, sondern durch mehrfachen Tausch (Ringtausch) befriedigen will.

Entsprechende Ersatzwohnung gemäß § 19, Abs. 2, Z. 6 MietG.

Entscheidung vom 9. Juni 1948, 1 Ob 165/48.

I. Instanz: Bezirksgericht Steyr; II. Instanz: Kreisgericht Steyr.

Text

Die Kläger kundigten der Beklagten die Wohnung, die sie in ihrem Hause gegen vierzehntägige Aufkündigung gemietet hatte, für den 31. Mai 1947 unter Anrufung des Kündigungsgrundes nach § 19, Abs. 2, Z. 6 MietG. und Anbot einer Ersatzwohnung im gleichen Hause und Stockwerk sowie mit der Zusicherung der Einleitung von fließenden Wasser auf.

Das Erstgericht erklärte nach Durchführung eines Beweisverfahrens einschließlich eines Augenscheines die Aufkündigung für wirksam, indem es sowohl dringlichen Eigenbedarf der Kläger, sei es auch nur in mittelbarer Form, als auch die Angemessenheit des angebotenen Ersatzes bejahte und die Einwendung der Beklagten, der Eigenbedarf sei selbstverschuldet, als unbegrundet abwies.

Der auf unrichtige rechtliche Beurteilung gegrundeten Berufung der Beklagten gab das Berufungsgericht Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, daß es sie Aufkündigung für unwirksam erklärte. Es schloß sich der Rechtsansicht der Berufung an, ein bloß mittelbarer, also die aufgekundigten Räume nicht zur sofortigen Befriedigung des Wohnungsbedürfnisses der kundigenden Partei dienender, sondern auf dem Umwege über einen weiteren Wohnungstausch diese in den Besitz weiterer benötigter Räume setzender Eigenbedarf entspreche nicht dem Wortlaut und Sinn des § 19, Abs. 2, Z. 5, 6 MietG. und stelle eine unzulässige ausdehnende Interpretation dar. Die Kläger wollten die gekundigten Wohnräume in Wahrheit zur Unterbringung der Partei H. verwenden, die ihnen darum besser zusagenden Wohnräume zur Verfügung stelle. Die Beklagte wiederum solle in einer leerstehenden Ersatzwohnung untergebracht werden. Der auch vom Berufungsgericht nicht verkannte Bedarf der Kläger sei daher kein dringender Eigenbedarf im Sinn des angerufenen Gesetzes. Das Berufungsgericht fand aber auch, wiederum unter Übernahme der unangefochtenen Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes, die angebotene Ersatzwohnung nicht entsprechend. Nicht nur habe sie um einen Wohnraum weniger als die gekundigte Wohnung, auch ihr Flächenraum,

u. zw. sowohl hinsichtlich der gesamten Räume, als auch, wenn der Wohnraum und die Küche mit den entsprechenden räumen der gekundigten Wohnung verglichen werde, sei sehr wesentlich, u. zw., nahezu um die Hälfte, geringer. Auch die ebenfalls vom Erstgericht festgestellte Notwendigkeit, einen Teil ihrer Möbel zu veräußern oder anderswo einzustellen, sei entgegen der Ansicht des Erstgerichtes als erheblicher Nachteil zu beurteilen und lasse den Ersatz als nicht entsprechend erscheinen. Dazu komme, daß die Beklagte durch den Wegfall eines Raumes verhindert werde, aus dessen Untervermietung ein zusätzliches Einkommen zu ziehen. Auch wenn schon bisher die Wohnung der Beklagten im Sinne des Wohnungsanforderungsgesetzes als unterbelegt anzusehen wäre und eine Anforderung des überzähligen Raumes hätte erfolgen könne, so haben dennoch auf das Verhältnis der Parteien zueinander nicht die bezüglichen Vorschriften des Wohnungsanforderungsgesetzes Anwendung zu finden. Es sei auch nicht hinreichend,daß die Gekundigte durch die Zuweisung der angebotenen Ersatzwohnung immerhin noch ein Obdach und hinreichenden Wohnraum habe, denn es komme bei der Beurteilung der Angemessenheit des Ersatzes auf das Verhältnis der beiden Wohnungen zueinander an. Das bestehende Mißverhältnis bestimme das Berufungsgericht auszusprechen, daß die angebotene Ersatzwohnung nicht entsprechend im Sinne des § 19, Abs. 2, Z. 6 MietG. sei.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei Folge und änderte das Urteil des Berufungsgerichtes dahin ab, daß das erstgerichtliche Urteil wiederhergestellt wird.

Rechtliche Beurteilung

Entscheidungsgründe:

Die klägerische Revision ruft die Revisionsgrunde nach § 503, Z. 2 und 4 ZPO. mit dem Antrage auf Wiederherstellung des Ersturteiles und Aufhebung (gemeint offenbar Abänderung) des Urteiles der Berufungsinstanz an.

Der Revisionsgrund des § 503, Z. 2 ZPO. ist freilich ganz vergriffen, ganz abgesehen davon, daß der diesem Gründe entsprechende Sachantrag auf Aufhebung des Urteils und Rückverweisung der Sache an die zweite oder erste Instanz nicht gestellt wurde. Der angerufene Revisionsgrund würde voraussetzen, daß zur Klärung des Sachverhaltes wichtige Beweisanträge abgelehnt wurden oder das Berufungsgericht von den durch die Ergebnisse der Berufungsverhandlung nicht berichtigten Tatsachenfeststellungender ersten Instanz ohne Beweiswiederholung abgegangen ist oder nicht alle Ergebnisse des Beweisverfahrens verwertet hat. Nichts derlei ist geschehen, ja das Berufungsgericht erklärt ausdrücklich, die unangefochten gebliebenen Tatsachenfeststellungen der ersten Instanz zu übernehmen. In der hier allein bekämpften Frage der Angemessenheit des Ersatzes übernimmt die zweite Instanz ausdrücklich die Feststellungen des Erstgerichtes über die Zahl der Räume und die vergleichsweise Größe (Flächenraum, Anordnung und Beschaffenheit) beider Wohnungen, die gegenwärtig vorhandenen Möbel der Beklagten und die Notwendigkeit, einen Teil davon zu veräußern oder einzustellen, weil für sie in der Ersatzwohnung kein Platz vorhanden ist. Es leitet nur andere rechtliche Schlußfolgerungen aus ihnen ab als das Erstgericht. Die Frage der Angemessenheit einer Ersatzwohnung ist eben eine quaestion mixta, da sie sowohl tatsächliche, für den Obersten Gerichtshof bindende Feststellungen, als auch rechtliche Schlußfolgerungen in sich schließt, Werturteile, die ihrerseits unter den Begriff der rechtlichen Beurteilung fallen und darum mit dem Revisionsgrund des § 503, Z. 4 ZPO. angegriffen werden können (vgl. Entsch. 21. Mai 1924, SZ. VI/196). Das Berufungsgericht war gewiß berechtigt, in rechtlicher Beziehung die Frage der Angemessenheit auf der vom Erstgericht festgestellten tatsächlichen Unterlage abweichend von diesem zu beurteilen, und dasselbe gilt von der Revisionsinstanz. Die Revision behauptet, das Berufungsgericht habe sich bei dieser rechtlichen Beurteilung lediglich von dem mechanischen äußerlichen Moment des Flächenraumes leiten lassen, ohne sich um die sonstigen Feststellungen des Erstgerichtes zu kümmern. Diese Behauptung ist offenbar aktenwidrig, da das Berufungsgericht auch die Frage der Möbelunterbringung und - letzteres allerdings unter Beachtung einer Neuerung in der Berufungsschrift - jene der Untervermietung des zweiten Raumes in den Kreis seiner Erwägungen einbezogen hat. Damit hat es aber alle rechtlichen wichtigen Momente berücksichtigt. Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit liegt demnach nicht vor und was unter diesem Gesichtspunkt allenfalls belangreich vorgebracht wird, gehört unter den ebenfalls angerufenen Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung.

Der Oberste Gerichtshof vermag sich der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes hinsichtlich der Frage des sogenannten mittelbaren Eigenbedarfes nicht anzuschließen.

Es wird davon auszugehen sein, daß der Zweck der Aufkündigung darin besteht, einem als berechtigt und dringlich von beiden Unterinstanzen angesehenen Wohnungsbedürfnisse der Kläger abzuhelfen. Ob dieser Zweck, wie dies gewöhnlich geschieht, dadurch erreicht wird, daß der Kundigende die aufgekundigten Wohnräume selbst heranzieht, oder ob der Erfolg, weil dies im direkten Wege nicht möglich ist, auf Umwegen durch einen sogenannten Ringtausch herbeigeführt wird, ist gleichgültig. Der Bedarf, dessen Befriedigung durch die Kündigung angestrebt wird, ist eben letzten Endes doch nur ein solcher der klagenden Partei selbst, so daß der Hinweis auf die scharfe Umgrenzung des Personenkreises, für den Eigenbedarf geltend gemacht werden kann, ebenso versagt, wie die auf den vorliegenden Fall nicht passende Entscheidung SZ. IV/99. jene Erwägungen, welche die Kläger bestimmt haben, zu diesem Umweg zu greifen und die das Erstgericht in seiner Entscheidung genau schildert, sind begrundet und gerechtfertigt und der an sich gegebene Bedarf kann eben zweckmäßigerweise nur mittebar durch den sogenannten Ringtausch verwirklicht werden. Welche von mehreren Mietparteien aber gekundigt werden soll, um den Kündigungsgrund des Eigenbedarfes zu befriedigen, steht im Ermessen des kundigenden Hauseigentümers. Anders wäre es zu entscheiden, wenn die Familie H., der die Wohnung der Beklagten gegen dem zugewendet werden soll, daß sie ihre eigenen, an die klägerische Wohnung angrenzenden Räume den Klägern überläßt, Untermieter wären, denen nach § 19, Abs. 2, Z. 12 MietG. unter wesentlich erleichterten Bedingungen gekundigt werden könnte. Allein das Erstgericht hat unangefochten festgestellt, daß H. nicht Untermieter, sondern Hauptmieter ist. Der Oberste Gerichtshof billigt darum die Rechtsansicht des Erstgerichtes, daß dringender Eigenbedarf der Kläger gegeben ist.

Es war somit nur noch zu prüfen, ob die angebotene Ersatzwohnung als entsprechender Ersatz anzusehen ist, wobei die rechtliche Beurteilung allein den Gegenstand der Prüfung durch das Revisionsgericht bilden kann.

Auch hier vermag sich der Oberste Gerichtshof der allzu engen Auslegung dieses Begriffes durch das Berufungsgericht nicht anzuschließen. Weder die geringere Anzahl von Wohnräumen, noch die total und im einzelnen wesentlich geringere Bodenfläche der Ersatzräume, noch auch der Umstand, daß die Gekundigte einen teil ihrer Möbel nicht wird mitnehmen können, sondern veräußern oder einstellen muß, nehmen der Ersatzwohnung den Charakter eines entsprechenden Ersatzes. Wohl soll eine Art von Ausgleich zwischen den beiderseitigen Interessen hergestellt werden, ohne daß freilich, wie die Beklagte in ihrer Berufungsschrift meint, eine förmliche Interessenabwägung vorgeschrieben wäre, die das Gesetz nicht bei diesem, sondern nur beim Kündigungsgrund des § 19, Abs. 2, Z. 5 MietG. kennt. Allein die Mietengesetznovelle 1929 hat durch die Änderung des Wortlautes dieser Bestimmung und dadurch, daß sie bei Wohnräumen nur mehr einen "entsprechenden", nicht mehr einen nach Lage und Beschaffenheit angemessenen Ersatz fordert, zu erkennen gegeben, daß es nicht Gleichwertigkeit fordert, sondern nur, daß die Räume nach Beschaffenheit und Größe usw. ungefähr dem entsprechen, was der Mieter unter Berücksichtigung seiner Verhältnisse und der gegenwärtigen Wohnungsnot billigerweise fordern kann (Swoboda, S. 240). Es spricht darum weder die geringere Fläche, noch der Umstand, daß der Gekundigte nicht für alle seine zum Teil überflüssigen Möbel Unterkunft findet, gegen die Angemessenheit der Ersatzräume, sofern diese hinreichen, um die berechtigten Bedürfnisse des Mieters zu decken. Die Gekundigte als alleinstehende alte Frau vermag mit den ihr als Ersatz angebotenen, im gleichen Stockwerk gelegenen, ordentlichen Räumen das Auslangen zu finden, auch wenn sie kleiner und in mancher Hinsicht beschränkter sind als die gekundigten Räume. Auf die Möglichkeit einer Unter- Vermietung kann nicht Bedacht genommen werden, weil eine solche im Verfahren erster Instanz überhaupt nicht geltend gemacht wurde, sondern erst als Neuerung in der Berufungsschrift. Aber selbst hier mußte die Beklagte zugeben, daß sie mindestens derzeit nicht untervermietet habe, was sich ja auch schon aus der im Protokoll über den Lokalaugenschein ersichtlichen, mehr als dürftigen Möblierung des zweiten Raumes und nicht minder aus dem Inhalt des von ihr vorgelegten Armutszeugnisses ergibt. Die bloße abstrakte Möglichkeit einer Untervermietung zur Erzielung von Nebeneinkünften kann aber keinen hinreichenden Grund zur Ablehnung der sonst entsprechenden Ersatzwohnung bilden. Es mag richtig sein, daß die Küche in dieser Wohnung eng und zur Aufstellung des ganzen erforderlichen Küchenmobiliars ungeeignet ist. Darin liegt ein gewisser Nachteil, der aber nicht bedeutend genug ist, um eine Nichteignung der Ersatzwohnung zu begrunden. Die teilweise Veräußerung oder Einstellung des für die Klägerin selbst unter den gegebenen Verhältnissen zu zahlreichen und aus früherer Zeit stammenden, von ihr nicht durchwegs benötigten Mobiliars kann ebenfalls noch nicht als empfindlicher Nachteil gewertet werden, da die Ersatzwohnung immerhin ausreicht, um das wichtigste an Mobiliar unterzubringen.

Es mag zugegeben werden, daß es sich um einen Grenzfall handelt und daß gelegentlich, namentlich in den ersten Zeiten des Mietengesetzes, auch abweichende Entscheidungen zu verzeichnen waren. Die heute weit größere Wohnungsnot zwingt aber zur Einschränkung und solange ein berechtigter und dringlicher Eigenbedarf ohne Verletzung wesentlicher Interessen des Gekundigten durch Zuweisung einer brauchbaren Ersatzwohnung befriedigt werden kann, geht es nicht an, allzu strenge Anforderungen an den Begriff der Angemessenheit zu stellen.

Anmerkung

Z21100

Schlagworte

Eigenbedarf, Ersatzwohnung, Ersatzwohnung, Tausch (Ringtausch) von Wohnungen bei Eigenbedarfskündigung, Wohnungstausch (Ringtausch), Eigenbedarf

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1948:0010OB00165.48.0609.000

Dokumentnummer

JJT_19480609_OGH0002_0010OB00165_4800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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