TE OGH 1948/8/27 2Ob267/48

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Veröffentlicht am 27.08.1948
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Norm

ABGB §863
ABGB §1116a
Mietengesetz §19 Abs2 Z11
ZPO §496

Kopf

SZ 21/122

Spruch

Der Kündigungsgrund nach § 19, Abs. 2, Z. 11 MietG. kann auch nach erfolgter Einantwortung geltend gemacht werden.

Entscheidung vom 27. August 1948, 2 Ob 267/48.

I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Das Erstgericht erklärte die auf § 19, Abs. 2, Z. 11 MietG. gestützte Kündigung für unwirksam, das Berufungsgericht hob das erstrichterliche Urteil unter Rechtskraftvorbehalt auf.

Aus der Begründung des Berufungsgerichtes:

Das Erstgericht hat von der Berufung unangefochten festgestellt, daß die frühere Hauptmieterin der strittigen Wohnung, A. S., am 8. Jänner 1947 gestorben ist und daß ihr Nachlaß am 24. November 1947 dem Beklagten, ihrem Neffen, zur Gänze eingeantwortet worden sei. Das Erstgericht hat die am 27. Jänner 1948 bei Gericht aus dem Gründe des § 19, Abs. 2, Z. 11 MietG. eingebrachte Kündigung für unwirksam erklärt, weil es entsprechend der hg. Entscheidung vom 11. Mai 1948, 43 R 564/31, die Anschauung vertritt, daß eine auf § 19, Abs. 2, Z. 11 MietG. gestützte Kündigung nur gegen die Verlassenschaft selbst, nicht aber gegen die Erben nach der Einantwortung erhoben werden könne.

Die gegen dieses Urteil von der klagenden Partei erhobene Berufung macht unrichtige rechtliche Beurteilung und unrichtige Würdigung des Parteienvorbringens geltend und beantragt die Abänderung des Ersturteiles auf Rechtswirksamerklärung der Kündigung, allenfalls Aufhebung des Urteils und Rückverweisung an die erste Instanz.

Die beklagte Partei hat die Bestätigung des ersten Urteiles begehrt.

Das Berufungsgericht hält die in der voranführten Entscheidung aufscheinende Rechtsmeinung nicht für richtig. Grundsätzlich gehen Rechte aus Bestandverträgen gleich anderen Vermögensrechten auf den Erben über. Kraft ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung (§ 1116a ABGB.) können jedoch Wohnungsmieten, wenn der Mieter stirbt, ohne Rücksicht auf die vereinbarte Dauer sowohl von den Erben wie von dem Vermieter unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist gelöst werden. Schon aus der Bestimmung, daß auch die Erben und nicht nur etwa der ruhende Nachlaß kundigen kann, ergibt sich, daß die Frage der Einantwortung des Nachlasses belanglos für die Frage des Kündigungsrechtes ist, das heißt, daß sowohl der ruhende Nachlaß als auch die Erben des Mieters den Bestandvertrag aufkundigen können, daß aber auch sowohl dem Nachlaß als auch den Erben von seiten des Vermieters der Nachlaß aufgekundigt werden kann.

Dieses ursprünglich von seiten des Vermieters uneingeschränkt bestandene Recht zur Aufkündigung von Wohnungsmieten wurde durch die Mietengesetzgebung dahin eingeschränkt, daß das Kündigungsrecht des Vermieters nicht statthat, wenn eine der in § 19, Abs. 2, Z. 11 MietG. genannten Personen zur Zeit des Todes des Mieters mit diesem in gemeinsamen Haushalt gelegt hat. Durch diese Beschränkung des Kündigungsrechtes nach § 19, Abs. 2, Z. 11 MietG. hat sich aber nichts daran geändert, daß der Vermieter sowohl dem ruhenden Nachlaß als auch dem Erben kundigen kann.

Wenn es auch richtig, daß durch die Einantwortung an Stelle des ruhenden Nachlasses der Erbe getreten ist, so ändert doch die Einantwortung nichts an dem (allerdings beschränkten) Rechte des Vermieters, Wohnungsbestandverträge nach dem Tode des Mieters aufzukundigen, und zwar sowohl gegenüber dem Nachlaß als auch gegenüber dem Erben.

Eine andere Frage ist jedoch, wie lange der Vermieter von diesem Kündigungsrecht Gebrauch machen kann. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in seiner Entscheidung vom 7. Dezember 1926, Ob III 900/26, ZBl. 1927, Nr. 109, ausgesprochen, daß der Vermieter nicht ausnahmslos zum ersten Termin nach dem Tode des Mieters kundigen muß. Anderseits aber widerspricht es dem Wesen einer wichtigen Kündigungsgrundes (so die Entscheidung vom 24. Juni 1930, 4 Ob 288/30, Not.-Ztg. 1931, S. 17) eine Anzahl von Kündigungsterminen, wie im vorliegenden Fall, verstreichen zu lassen, ohne daß sich am Kündigungstatbestand etwas verändert hat. Einerseits ist der Vermieter durchaus nicht gezwungen, den ersten Kündigungstermin nach dem Tode des Mieters zum Anlaß einer Aufkündigung zu nehmen. Dies vom Vermieter zu verlangen, würde in manchen Fällen eine unbillige Härte darstellen, weil der Vermieter oft bis zum nächsten Kündigungstermin von den Tatsachen, die ihm eine Kündigungsmöglichkeit geben, noch keine Kenntnis haben wird. Anderseits kann aber der Vermieter auch nicht in Kenntnis der Tatsache, daß der Hauptmieter gestorben ist und dem Personenkreis des § 19, Abs. 2, Z. 11 MietG. angehörige Personen nicht vorhanden sind, die Kündigung ohne zwingenden Grund ungebührlich lange hinausschieben. Ist nämlich der Vermieter in Kenntnis der Tatsache, daß ein dem genannten Personenkreis nicht angehöriger Erbe die Wohnung weiter benützt und nimmt er von diesem den Zins an, so könnte dies unter Umständen als stillschweigender (§ 863 ABGB.) Verzicht auf die Geltendmachung des Kündigungsgrundes nach § 19, Abs. 2, Z. 11 MietG. in diesem Falle angesehen werden und könnte dann nur mehr aus anderen wichtigen Gründen gekundigt werden.

Das Erstgericht hat aber Beweiserhebungen und Feststellungen über diese dem Berufungsgericht als wesentlich erscheinenden Umstände vollständig unterlassen. Das Urteil war daher nach § 496, Z. 3 ZPO. aufzuheben und an die erste Instanz zur Ergänzung des Beweisverfahrens und zur neuerlichen Urteilsfällung zurück zu verweisen. Das Erstgericht wird demnach festzustellen haben, wann der Vermieter von dem Tode der Maria S. und dem Umstand, daß der bei ihr wohnhafte Beklagte ihr Neffe ist, Kenntnis erlangt hat und ob aus seinem Verhalten nach Kenntnisnahme dieser Tatsachen auf einen stillschweigenden Verzicht des ihm zustehenden Kündigungsrechtes geschlossen werden kann.

Der Oberste Gerichtshof bestätigte den Aufhebungsbeschluß.

Rechtliche Beurteilung

Begründung:

Die im Rekurs vertretene Ansicht, daß der Kündigungsgrund nach § 19, Abs. 2, Z. 11 MietG. nicht mehr geltend gemacht werden kann, sobald der Nachlaß eingeantwortet ist, ist rechtsirrig. Sie würde dazu führen, daß der Vermieter des Kündigungsgrundes dann verlustig würde, wenn die Abhandlung mit Beschleunigung durchgeführt und der Nachlaß eingeantwortet wird, ehe der Vermieter von dem Tode des bisherigen Mieters erfahren hat. Schon aus dieser Erwägung folgt, daß die im Rekurs vertretene Absicht abgelehnt werden muß.

Die Einantwortung des Nachlasses ist nur für die Bezeichnung des Kündigungsgegners von Bedeutung; vor der Einantwortung muß die Kündigung gegen den ruhenden Nachlaß, nach erfolgter Einantwortung gegen den Erben gerichtet werden.

Im übrigen genügt es, auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Beschlusses zu verweisen, in der hervorgehoben wird, daß der Kündigungsgrund der Ziffer 11 dann nicht mit Erfolg geltend gemacht werden kann, wenn aus dem Verhalten des Vermieters geschlossen werden muß, daß er auf die Geltendmachung dieses Kündigungsgrundes verzichtet hat.

Anmerkung

Z21122

Schlagworte

Einantwortung verhindert nicht Geltendmachung des Kündigungsgrundes, nach § 19, Abs. 2, Z. 11 MietG., Erbe kann auch nach Einantwortung nach § 19, Abs. 2, Z. 11 MietG., gekundigt werden, Tod des bisherigen Mieters, Kündigung nach § 19, Abs. 2, Z. 11 MietG., auch nach Einantwortung zulässig

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1948:0020OB00267.48.0827.000

Dokumentnummer

JJT_19480827_OGH0002_0020OB00267_4800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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