TE OGH 1948/11/10 1Ob171/48

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Veröffentlicht am 10.11.1948
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Norm

ABGB §509
ABGB §511
ABGB §1120
Mietengesetz §19 Abs1
Mietengesetz §19 Abs2 Z9
Mietengesetz §19 Abs2 Z9a
Mietengesetz §19 Abs2 Z9b
ZPO §503 Z2

Kopf

SZ 21/152

Spruch

Liegt die Auflösung des Bestandvertrages zwar im öffentlichen Interesse, berührt sie aber nicht erheblich die Interessensphäre des privaten Vermieters, so liegt kein wichtiger Kündigungsgrund nach § 19, Abs. 1 MietG. vor.

Mit der Begründung des Fruchtgenusses tritt der Fruchtnießer im Sinne des § 1120 ABGB. in bestehende Bestandverträge ein. Er kann aber die Rechte aus dem Bestandverhältnisse an einen Dritten, so auch an den Eigentümer der Liegenschaft abtreten.

Entscheidung vom 10. November 1948, 1 Ob 171/48.

I. Instanz: Bezirksgericht Judenburg; II. Instanz: Kreisgericht Leoben.

Text

Die beiden Klägerinnen haben dem Beklagtem die von ihm gemieteten Räumlichkeiten mit der Begründung aufgekundigt, daß dem Beklagten diese Lokalitäten nur zum Betriebe des Tabakhauptverlages in J. vermietet worden seien, daß der Beklagte den Tabakhauptverlag, weil er ihm entzogen worden sei, in den Bestandräumlichkeiten nicht mehr betreiben könne und es auch im öffentlichen Interesse gelegen sei, daß die Räumlichkeiten dem nunmehrigen Tabakhauptverleger Th. H. von ... den Klägerinnen überlassen würden, da andere geeignete Lokalitäten in J. nicht aufzutreiben seien.

Das Erstgericht hat die Aufkündigung mit der Begründung für rechtswirksam erklärt, daß andere, in gleicher Weise für den verlag geeignete Räume in J. nicht zur Verfügung stunden und es daher im öffentlichen Interesse gelegen sei, daß die Bestandräumlichkeiten, nachdem dem Beklagten der Tabakhauptverlag entzogen worden sei, für den neuen Tabakhauptverleger H. freigemacht werden.

Das Berufungsgericht hat mit dem angefochtenen Urteile der Berufung des Beklagten Folge gegeben und in Abänderung des angefochtenen Urteiles die Aufkündigung mit der Begründung für unwirksam erklärt, aus dem durchgeführten Beweisverfahren ergebe sich, daß sich in Judenburg ohne weiteres Lokale zur Unterbringung des Tabakhauptverlages ausfindig machen ließen, daß zwar zu ihrer Anpassung an die Betriebserfordernisse mehr oder minder große Kapitalinvestitionen erforderlich seien, daß sich der neue Tabakhauptverleger H. diese begreiflicherweise ersparen wolle und es daher nur in seinem Privatinteresse, nicht aber im öffentlichen Interesse gelegen sei, daß H. gerade die gekundigten Räumlichkeiten bekomme, was jedoch keinen wichtigen Kündigungsgrund im Sinne des Mietengesetzes darstelle.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerinnen Folge und hob das Urteil des Berufungsgerichtes auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Oberste Gerichtshof kann die Meinung nicht teilen, daß ein öffentliches Interesse daran, daß der neue Tabakhauptverleger die gekundigten Räumlichkeiten bekommt, allein als wichtiger Kündigungsgrund im Sinn des § 19, Abs. 1 MietG. anzusehen ist; denn im Sinne des § 19 MietG. muß es sich um Gründe handeln, die für den Vermieter wichtig sind. Wäre der Vermieter Staat, Gemeinde, eine öffentliche Körperschaft, ein Verein, dessen Zweck die Wahrung öffentlicher Interessen ist, oder dergleichen, so könnte er zur Wahrung der öffentlichen Interesses einen Bestandvertrag aufkundigen (vergleiche § 19, Abs. 2, Z. 9, 9 a, 9 b MietG.). Ist der Vermieter jedoch eine Privatperson, so kann er ein Bestandverhältnis nur aus solchen Gründen aufkundigen, die seine Interessensphäre erheblich berühren. Allerdings wird ein Tatbestand solcher Art um so eher als wichtiger Kündigungsgrund anzusehen sein, wenn die Zulässigkeit der Ankündigung auch im öffentlichen Interesse gelegen ist (vergleiche Swoboda, Kommentar zum Mietengesetz, S. 208). Die Revisionswerberinnen haben sich aber keineswegs nur darauf berufen, daß die Aufkündigung im öffentlichem Interesse gelegen sei, sondern haben in erster Linie behauptet, daß dem Beklagten die Räumlichkeiten nur zum Betrieb des Tabakhauptverlages vermietet worden seien und daß der Beklagte den Verlag nicht mehr betreiben könne. Nur zur Unterstützung haben sie noch darauf hingewiesen, daß die Aufkündigung auch im öffentlichen Interesse gelegen sei. Das Berufungsgericht hätte sich daher auf jeden Fall in erster Linie mit der Frage befassen müssen, ob dem Beklagten die Lokalitäten nur zum Betriebe des Tabakhauptverlages vermietet worden sind und ob der Umstand, daß der Beklagte diesen nicht mehr betreiben kann, einen wichtigen Kündigungsgrund im Sinne des § 19, Abs. 1 MietG. darstellt, bei dessen Wertung dann auch zu berücksichtigen gewesen wäre, ob die Aufkündigung einem öffentlichen Interesse entspricht. Die Frage des öffentlichen Interesses kann daher im vorliegenden Falle nur dann von Bedeutung sein, wenn die erstere Frage zu bejahen wäre. Daß dem Beklagten der Verlag entzogen wurde, ist ja unbestritten, aus welchen Gründen dies geschehen ist, erscheint dagegen völlig bedeutungslos. Ebenfalls irrelevant ist es, daß der neue Hauptverleger ein Interesse daran hat, die gekundigten Räumlichkeiten mieten zu können. Vielmehr ist allein entscheidend, ob ein für die Klägerinnen wichtiger Grund vorlag, das Bestandverhältnis zur Auflösung zu bringen. Darin, daß das Berufungsgericht nur die Frage des öffentlichen Interesses geprüft hat, liegt ein wesentlicher Verfahrensmangel im Sinne des § 503, Z. 2 ZPO., weil die entscheidende Frage, ob der Umstand, daß der Beklagte den Tabakhauptverlag nicht mehr betreiben kann, für die Klägerinnen einen wichtigen Kündigunggrund im Sinne des § 19 Abs. 1 MietG. darstellt, vom Berufungsgericht überhaupt nicht erörtert wurde. Dieser Mangel muß zur Aufhebung des angefochtenen Urteiles führen.

Der vom Beklagten in der Revisionsbeantwortung neuerlich behauptete Mangel der Aktivlegitimation der Klägerinnen kann noch nicht eine Bestätigung des angefochtenen Urteiles rechtfertigen, wenn gleich die nachträgliche Zustimmung des Fruchtnießers zur Prozeßführung der Klägerinnen den allfälligen Mangel der Legitimation allein nicht beseitigen könnte. Dem Fruchtnießer steht gemäß § 509 ABGB. das Recht zu, die fremde Sache mit Schonung der Substanz ohne alle Einschränkung zu genießen. Er hat daher auch das Recht, die Liegenschaft zu vermieten und zu verpachten. Da er gemäß § 511 ABGB. ein Recht auf alle Nutzungen der Sache hat, steht ihm auch der Anspruch auf den Miet- oder Pachtzins für die zur Zeit der Begründung des Nießbrauches in Bestand gegebene Liegenschaft zu und muß in analoger Anwendung des § 1120 ABGB. angenommen werden, daß er an Stelle des Liegenschaftseigentümers in das Bestandverhältnis eintritt (vgl. hiezu Ehrenzweig, System des allgemeinen österr. Privatrechtes II/1, S. 418; Klang, Kommentar zum ABGB., 1. Auflage, I/2, S. 402 f., III. S. 92). Mit der Einräumung des Fruchtgenußrechtes hat daher der Vater der Klägerinnen allein das Recht erlangt, das Bestandverhältnis aufzukundigen. Der Liegenschaftseigentümer kann aber seine Rechte aus dem Bestandverhältnis abtreten (GlUNF. 4953, vgl. SZ. VI/114). Das gleiche muß auch für den Fruchtnießer gelten. Eine dahingehende, vor der Aufkündigung abgeschlossene Vereinbarung behaupten jedoch offenbar die Klägerinnen.

Anmerkung

Z21152

Schlagworte

Abtretung von Rechten aus dem Bestandverhältnis durch Fruchtnießer, Aktivlegitimation des Fruchtnießers zur Kündigung, Auflösung öffentliches Interesse an der - eines Bestandvertrages, Bestandvertrag öffentliches Interesse an der Auflösung eines B., Fruchtnießer, Eintritt in bestehende Bestandverträge, Interesse öffentliches, an der Auflösung eines Bestandvertrages, Klagslegitimation, aktive, des Fruchtnießers gegen Bestandnehmer, öffentliches Interesse an der Auflösung eines Bestandvertrages kein, wichtiger Kündigungsgrund

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1948:0010OB00171.48.1110.000

Dokumentnummer

JJT_19481110_OGH0002_0010OB00171_4800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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