Norm
ABGB §1450Kopf
SZ 21/166
Spruch
Der Grundsatz, daß Kündigungsgrunde ehestens geltend zu machen sind, wird durch das Bundesgesetz vom 2. Juli 1947, BGBl. Nr. 193 (Fristengesetz), nicht durchbrochen.
Entscheidung vom 8. Dezember 1948, 3 Ob 426/48.
I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Der Kläger kundigte der Beklagten die von dieser in seinem Hause gemietete Wohnung mit der Begründung auf, daß die Wohnung seit Juni 1947 zur Gänze an die Schwester der Beklagten untervermietet sei, bis November 1941 als Hausbesorgerwohnung verwendet wurde und nunmehr dringend für eine solche benötigt werde.
Das Prozeßgericht erkannte die Kündigung für rechtwirksam. Es stellte fest, daß der Kläger die Hausbesorgerwohnung ihrem widmungsgemäßen Zweck entzogen und weitervermietet, somit den Bedarf nach einer Hausbesorgerwohnung selbst verschuldet habe, daß die Beklagte die Wohnung ihrer Schwester überlassen habe und selbst ausgezogen sei, der Kündigungsgrund nach § 19, Abs. 2, Z. 10 MietG. aber innerhalb der Frist des § 19, Abs. 4 MietG. geltend gemacht werden müsse, was der Kläger unterlassen habe. Hingegen sei der Kündigungsgrund nach § 19 Abs. 1 MietG. gegeben, weil keine Untervermietung im technischen Sinne, sondern eine Übertragung der Mietrechte vorliege, was als wichtiger Kündigungsgrund im Sinne des § 19, Abs. 1 MietG. anzusehen sei.
Das Berufungsgericht hob diese Urteil auf, verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Urteilsfällung an das Erstgericht zurück und sprach gemäß § 519, Z. 3 ZPO. aus, daß das Verfahren erst nach Rechtskraft seiner Entscheidung fortzusetzen sei. Es stellte sich auf den Standpunkt, daß nicht der Kündigungsgrund des § 19, Abs. 1, sondern der des § 19, Abs. 2, Z. 10 MietG. vorliege, da unter Weitervermietung im Sinne dieser Gesetzesstelle auch die Überlassung eines Mietgegenstandes an einen anderen zu verstehen sei, wenn von der im zweiten Satz dieser Gesetzesstelle enthaltenen Aufnahme ein Tatbestandsmerkmal, hier die Dauer des gemeinsamen Haushaltes, fehle. Wenn diese Überlassung den Kündigungstatbestand nach § 19, Abs. 2, Z. 10 MietG. nicht herstelle, so sei eine Unterstellung unter den Tatbestand des § 19, Abs. 1 MietG. ausgeschlossen. Nun habe der Erstrichter übersehen, daß die Frist des § 19, Abs. 4 MietG. zu den Fristen zähle, deren Ablauf nach § 1
des Bundesgesetzes vom 2. Juli 1947, BGBl. Nr. 193, in der Fassung
des Bundesgesetzes vom 2. Juni 1948, BGBl. Nr. 129, der Geltendmachung des davon betroffenen Rechtes bis 30. Juni 1949 nicht entgegenstehe. Im Hinblick auf den allgemeinen Grundsatz, daß von einem Kündigungsgrund mit hinreichender Raschheit Gebrauch gemacht werden müsse, um ihn als wichtig beurteilen zu können, welcher Grundsatz durch das Fristengesetz nicht berührt werde, sei die Feststellung notwendig, wann der Kläger von der tatsächlichen gänzlichen Überlassung der Wohnung Kenntnis erhalten habe, und ob die Begleitumstände und das Verhalten des Klägers die Annahme der Beklagten rechtfertigen, daß ihr der Kündigungsgrund nachgesehen worden sei.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der klagenden Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Begründung:
Die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß nicht der Kündigunggrund des § 19, Abs. 1, sondern der des § 19, Abs. 2, Z. 10 MietG. vorliege,
ist unangefochten geblieben. Im übrigen ist nach der ständigen Rechtsprechung auch bei wichtigen Kündigungsgrunden im Sinne des § 19, Abs. 1 MietG., die auf einem dem des § 19, Abs. 2, Z. 10 MietG. ähnlichen oder gleichwertigen Tatbestande beruhen, auf die Bestimmung des § 19, Abs. 4 MietG. Bedacht zu nehmen (SZ. XII/313 = Gerichtshalle 1931, S. 56 u. a. m.).
Es ist dem Berufungsgericht beizupflichten, daß ein wichtiger Kündigungsgrund sobald als möglich, jedenfalls ohne unnötige Verzögerung geltend zu machen ist, was insbesondere für den Kündigunggrund des § 19, Abs. 2, Z. 10 MietG. gilt, wie sich aus der Bestimmung des § 19, Abs. 4 MietG. ergibt. Wenn auch durch die Gesetze vom 2. Juli 1947, BGBl. Nr. 193, und vom 2. Juni 1948, BGBl. Nr. 129, sämtliche nach dem 31. Dezember 1945 abgelaufene materiellrechtlichen Fristen, somit auch die des § 19, Abs. 4 MietG., bis zum 30. Juni 1949 verlängert wurden, so steht dies dem erwähnten Grundsatz, wonach wichtige Kündigungsgrunde ohne unnötigen Aufschub geltend gemacht werden müssen, weil sonst angenommen wird, daß auf die Geltendmachung des Kündigungsgrundes verzichtet wurde, nicht entgegen. Die Bestimmung des § 1 des Fristengesetzes hat nur insoweit einen Einfluß, als der Kündigungsgrund des § 19, Abs. 2, Z. 10 MietG. auch nach Ablauf der Frist des § 19, Abs. 4 MietG. geltend gemacht werden kann, sofern die rechtzeitige Geltendmachung des Kündigungsgrundes durch besondere Umstände unmöglich gemacht oder doch erheblich erschwert wurde. Da gemäß § 1450 ABGB. eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen den Ablauf einer Frist des materiellen Rechtes nicht möglich ist, mußten auch solche Umstände, die die rechtzeitige Geltendmachung des Kündigungsanspruches verhinderten, nach dem bisherigen Stande der Gesetzgebung dennoch zum Verlust des Kündigungsrechtes führen. Da durch die gegenwärtigen Verhältnisse zahlreiche Hindernisse und Erschwerungen für eine rechtzeitige Geltendmachung von Forderungen oder Rechten verursacht wurden, erschien es notwendig, die gerichtliche Geltendmachung von Rechten auch nach Ablauf der Frist noch bis zum 30. Juni 1949 zuzulassen, und dies war der Grund zur Erlassung des Fristengesetzes (siehe auch die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage, 385 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates). Keineswegs sollte aber durch das Fristengesetz der von Lehre und Rechtsprechung zum Ausdruck gebrachte Grundsatz, daß wichtige Kündigungsgrunde durch verspätete Geltendmachung verschwiegen werden können, weil ihnen dies die Bedeutung eines wichtigen Kündigungsgrundes benimmt (so Ob. II 633/25, Handl. II, Nr. 740; Klang, JBl. 1926, S. 206, u. a. m.), durchbrochen werden. Dies gilt um so mehr für die Frist des § 19, Abs. 4 MietG., welche Bestimmung von der Auffassung ausgeht, daß ein Vermieter, der trotz Kenntnis des entscheidenden Sachverhaltes mit der Kündigung längere Zeit zuwartet, zu erkennen gibt, daß er sich in seinen wesentlichen Interessen nicht verletzt erachte (Swoboda, S. 247, und die dort bezogene Rechtsprechung). Es liegt daher in der Feststellung des Berufungsgerichtes, daß bei der Beurteilung der rechtzeitigen Geltendmachung des Kündigungsgrundes einerseits auf die Bestimmungen des Fristengesetzes, anderseits aber auch darauf Bedacht zu nehmen ist, ob der Vermieter den Kündigungsgrund ohne unnötige Verzögerung geltend gemacht hat, kein Widerspruch.
Das Berufungsgericht ist daher im Recht, wenn es im Hinblick auf die mangelhafte Sachverhaltsfeststellung dem Prozeßgericht sowohl Erörterungen über den Zeitpunkt der vollständigen Kenntnisnahme des Kündigungstatbestandes durch den Kläger, als auch Feststellungen über die Gründe, aus denen der Kläger die Kündigung erst nach Ablauf der Frist des § 19, Abs. 4 MietG. eingebracht hat, aufträgt.
Anmerkung
Z21166Schlagworte
Fristengesetz, keine Durchbrechung des Grundsatzes der ehesten Geltendmachung von Kündigungsgrunden Kündigungsgrund (siehe Inhaltsübersicht d) bei § 19, MietG. oder unter Spezialschlagwörtern) trotz FristenG. ehestens geltend zu machen Verjährte-Rechte-Gesetz kein Einfluß auf Geltendmachung von KündigungsgrundenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1948:0030OB00426.48.1208.000Dokumentnummer
JJT_19481208_OGH0002_0030OB00426_4800000_000