TE OGH 1949/1/12 1Ob243/48

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Veröffentlicht am 12.01.1949
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Norm

Versicherungsvertragsgesetz §2
Versicherungsvertragsgesetz §7

Kopf

SZ 22/3

Spruch

Rückwärtsversicherung, wenn der Antrag erst nach Eintritt des Versicherungsfalles angenommen worden ist.

Entscheidung vom 12. Jänner 1949, 1 Ob 243/48.

I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Es ist unbestritten, daß der Kläger am 25. März 1945 den Antrag auf Abschluß einer Reisegepäckversicherung über 50.000 RM, betreffend den Transport von Hausrat für die Strecke K. - St. G. gestellt hat, welche Versicherung am 28. März 1945 in Wirksamkeit treten und bis zum Eintreffen der Sendung am Bestimmungsort St. G. gelten sollte. Mit Brief vom 14. August 1945 hat die beklagte Versicherungsgesellschaft mitgeteilt: "Wir ....... bestätigen Ihren uns am 25. März 1945 eingereichten Antrag auf Transportversicherung, betreffend Hausrat in der Höhe von 50.000 RM und erklären hiemit seine rechtsverbindliche Annahme vom 28. März 1945, 12 Uhr mittags an".

Die Klage auf Verurteilung der Beklagten auf Zahlung von 15.360 S - weil von den 14 aufgegebenen Kolli beim Einlangen in Sch. am 18. April 1945 das Fehlen von drei Handkoffern und einer Kiste festgestellt wurde -, hat das Erstgericht abgewiesen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge.

Beide Untergerichte beurteilten die hier in Frage kommende Transportversicherung als eine Rückwärtsversicherung im Sinne des § 2 VersVG., die mit dem Schreiben vom 14. August 1945 an diesem Tage abgeschlossen wurde; der Beginn der Haftung war am 28. März 1945 eingetreten. Da nach den Angaben der Klage der Kläger am 14. August 1945 bereits in Kenntnis des eingetretenen Schadens sich befunden hat, war nach Ansicht beider Untergerichte gemäß § 2 Abs. 2 VersVG. die beklagte Versicherungsgesellschaft von der Verpflichtung zur Leistung frei.

Die Revision des Klägers blieb ohne Erfolg.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Gleich seinem Vorbringen in der Berufungsschrift will der Revisionswerber den Abschluß des Versicherungsvertrages nicht erst in der Erklärung der Annahme des Versicherungsantrages mit dem erwähnten Schreiben vom 14. August 1948 sehen, sondern er geht davon aus, daß der Abschluß des Versicherungsvertrages am 28. März 1945 und nicht am 14. August 1945 erfolgt ist. Deshalb lehnt der Revisionswerber überhaupt die Annahme einer Rückwärtsversicherung ab. Zu dieser unrichtigen Rechtsansicht gelangt der Revisionswerber aber nur dadurch, daß er die Begriffe "Versicherungsabschluß" und "Beginn der Versicherung" verwechselt. Der Versicherungsvertrag kommt wie jedes andere Schuldverhältnis des bürgerlichen Rechtes dadurch zustande, daß ein vom Versicherungswerber auf Abschluß des Vertrages gestellter Antrag vom Versicherer angenommen wird (Fromm, "Versicherungsvertrag", 1941, S. 152). Das Berufungsgericht hat daher mit Recht in diesem Punkte auf den Wortlaut des Briefes vom 14. August 1945 verwiesen. Mit dem Ausdruck "Beginn der Versicherung" (§ 7 VersVG.) meint das Versicherungsvertragsgesetz den Haftungsbeginn, der auch von der Lehre als materieller Versicherungsbeginn bezeichnet wird. Es ist der Zeitpunkt, von dem an der Versicherer die den Gegenstand des Versicherungsvertrages bildende Gefahr trägt. Daneben spricht man noch überdies von einem "technischen" Beginn der Versicherung und bezeichnet hiemit jenen Zeitpunkt, von dem ab die Prämie zu bezahlen ist. Der Revisionswerber übersieht, daß die Zeitpunkte für das Zustandekommen des Vertrages, für den Beginn der Haftung und schließlich für den Beginn der Prämienzahlung nicht zusammenfallen müssen. In der Regel liegen der Haftungsbeginn und der Beginn der Beitragszahlung nach dem Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. Eine Abweichung von diesem Grundsatze gibt die Möglichkeit des Abschlusses einer Rückwärtsversicherung nach § 2 VersVG. Hier wird der Haftungsbeginn auf einen vor dem Vertragsabschluß, gegebenenfalls auch schon vor der Antragstellung liegenden Zeitpunkt gewissermaßen zurückverlegt. Die Versicherung nach § 2 VersVG, ist nicht nur eine reine Rückwärtsversicherung, sondern sie ist auch verbunden mit einer auf die Zukunft gerichteten Versicherung. Diese Grundsätze finden ihre ausführliche Darstellung in Bruck, "Das Privatversicherungsrecht (System) ", 1930, S. 53, 387, 232. Bei richtiger Auseinanderhaltung dieser Rechtsbegriffe ergibt sich für den vorliegenden Fall, daß es sich um eine Rückwärtsversicherung mit der rechtlichen Folge des Freiwerdens des Versicherers nach Abs. 2 des § 2 VersVG. handelt.

Die Untergerichte haben daher nicht nur den mehrfach erwähnten Brief vom 14. August 1945 richtig ausgelegt, sondern auch den vorliegenden Versicherungsfall richtig rechtlich beurteilt.

Die Revision versucht zu Unrecht, das Schreiben der beklagten Versicherungsgesellschaft vom 14. August 1945 als eine "vorläufige Deckungszusage" zu bezeichnen, d. h. als eine Einrichtung, die das Privatversicherungsrecht in den Fällen kennt, in denen in einem Schadensversicherungszweig von dem Versicherer schon vor Abschluß des eigentlichen Versicherungsvertrages deshalb Versicherungsschutz gewährt wird, weil über den Abschluß des Vertrages soweit Einigung erzielt ist, daß der künftige Abschluß zwar in Aussicht genommen werden kann, der endgültige Abschluß aber noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird (Fromm, ebd., S. 153, 154, und Bruck, ebd., S. 172). Hiemit ist jedoch für den Revisionswerber als Versicherungsnehmer nichts gewonnen, weil es nach seinen eigenen Behauptungen dann erst recht zum Abschluß einer Rückwärtsversicherung gekommen wäre. Der Kläger hat auch auf den Brief der Beklagten vom 14. August 1945, der den Abschluß des Versicherungsvertrages zum Gegenstand hat, nicht etwa den Zeitpunkt und den Inhalt der Annahmeerklärung beanständet; er hat erst am 17. November 1945 Schadenersatz vom Versicherer verlangt. Es ist auch im vorliegenden Falle rechtlich bedeutungslos, ob der Versicherungsnehmer, dem am 27. April 1945 die restlichen zehn Kolli ausgefolgt wurden, von dem Verlust der Gepäckstücke bereits am letztgenannten Tage oder, wie er in der Revision angibt, erst am 5. Juni 1945 Kenntnis hatte.

Auch die weitere Rechtsansicht des Revisionswerbers, der in dem Umstande, daß sich die beklagte Versicherungsgesellschaft nach dem 14. August 1945, u. zw. nach Verständigung vom Eintritte des Versicherungsfalles, mit dem Versicherungsnehmer in Unterhandlungen über die Schadenshöhe eingelassen hat, einen stillschweigenden Verzicht auf die Geltendmachung des § 2 Abs. 2 VersVG. erblickt, geht deshalb fehl, weil die Folgen nach dieser Gesetzesstelle schon dadurch eintraten, daß der Versicherungsnehmer im Zeitpunkte des Zustandekommens des Vertrages weiß, daß der Versicherungsfall schon eingetreten ist. Hiedurch allein wird der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei. Diese Bestimmung des Abs. 2 ist nach ihrem Wortlaute absolut zwingend.

Wenn die Revision meint, es sei unbillig, daß der Kläger die Versicherungssumme deshalb nicht erhalten soll, weil die beklagte Versicherungsgesellschaft erst am 14. August 1945, also nach Monaten, die Annahme des Versicherungsantrages erklärt hat, so ist hierauf dem Revisionswerber nur zu erwidern, daß es in seinem Belieben gestanden wäre, sich vor dem 14. August 1945 - außerhalb der Bindefrist - zu erklären, er halte sich mit Rücksicht auf den Zeitpunkt seines Antrages (25. März 1945) nicht mehr an seinen Antrag gebunden. Gerade aber der Revisionswerber will an dem Vertrage festhalten, weshalb er den Abschluß des Versicherungsvertrages auf einen früheren Zeitpunkt als den 14. August 1945 verlegen will, nämlich auf den 25. März 1945 oder 28. März 1945.

Anmerkung

Z22003

Schlagworte

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European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1949:0010OB00243.48.0112.000

Dokumentnummer

JJT_19490112_OGH0002_0010OB00243_4800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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