Norm
Versicherungsvertragsgesetz §16Kopf
SZ 22/9
Spruch
Nach der ärztlichen Untersuchung vor der Annahme des Antrages auf Abschluß eines Lebensversicherungsvertrages auftretende erhebliche Erkrankungen sind dem Versicherer unverzüglich anzuzeigen, widrigenfalls der Versicherer, auch wenn er inzwischen den Antrag angenommen hat und der Versicherungsschein eingelöst worden ist, leistungsfrei ist, wenn der Versicherungsfall später als einen Monat nach dem Zeitpunkt eintritt, in dem ihm die Anzeige hätte zugehen sollen.
Entscheidung vom 19. Jänner 1949, 1 Ob 231/48.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Sämtliche Instanzen wiesen das Begehren auf Auszahlung einer Lebensversicherung ab.
Rechtliche Beurteilung
Entscheidungsgründe des Obersten Gerichtshofes:
Nach den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes hat der Gatte der Klägerin am 4. Oktober 1942 den Versicherungsantrag gestellt. Am 19. Oktober 1942 hat der Arzt einen Darmkatarrh festgestellt. Derselbe Arzt hat zwei Tage später, am 21. Oktober 1942, für die beklagte Partei die vertrauensärztliche Untersuchung vorgenommen und das vertrauensärztliche Zeugnis "Erklärung II" abgegeben und darin die Frage nach "sonstigen Magen- und Darmstörungen" verneinend beantwortet. Der Gatte der Klägerin befand sich an diesem Tage völlig beschwerdefrei. Mitte November 1942 begab er sich wieder in die ärztliche Behandlung desselben Arztes und wurde am 7. Dezember 1942 röntgenisiert, wobei Magengeschwüre festgestellt wurden. Der Befund wurde ihm von diesem Arzte am 12. Dezember 1942 mitgeteilt. Er machte bis 3. Jänner 1943 eine Injektionskur mit, kam anfangs März 1943 ins Spital nach Salzburg, wurde sofort operiert; es wurde Krebs festgestellt. Am 26. März 1943 wurde er in Wien neuerlich operiert und starb drei Tage später an Lungenentzundung. Am 5. Februar 1943 löste der Gatte der Klägerin den Versicherungsschein ein. Die beklagte Versicherungsgesellschaft hat die Auszahlung der Versicherungssumme unter Berufung darauf, daß der Gatte der Klägerin seine Erkrankung, die ein erhebliches Gefahrenmoment sei, nicht angezeigt habe, abgelehnt.
Beide Untergerichte haben die Abweisung des Klagebegehrens unter Berufung auf die Bestimmungen der §§ 16 und 18 VersVG. begrundet. Sie sind hiebei davon ausgegangen, daß die Bindefrist erst mit 5. Februar 1943 zu Ende gegangen sei und daß innerhalb dieser Zeit die erwähnte Anzeige hätte erstattet werden müssen, damit die beklagte Partei nicht leistungsfrei werde.
Die auf die Z. 2 und 4 des § 503 ZPO. gestützte Revision ist nicht begrundet.
Den erstgenannten Revisionsgrund erblickt die Revisionswerberin darin, daß ihrem Gatten die vertrauensärztliche Erklärung II nicht zur Kenntnis gebracht worden sei und die beiden Untergerichte diese Feststellung ausdrücklich unterlassen hätten. Es wäre daher notwendig, diese Feststellung nachzutragen. Im übrigen macht die Revision diesen Revisionsgrund nach ihren Ausführungen "nur vorsorglich" geltend; sie führt hingegen den Revisionsgrund der Z. 4 ausführlich dahin aus, daß die Bindefrist nicht mit 5. Februar 1943 zu Ende gegangen sei, sondern bereits mit 19. Dezember 1942. Da somit - nach den Feststellungen der Untergerichte - der Gatte der Klägerin erst am 12. Dezember 1942 das Ergebnis des Röntgenbefundes erfahren habe, sei, wenn er bis 19. Dezember 1942 nicht die Anzeige von der Erkrankung erstattete, diese Anzeige nicht verschuldetermaßen unterlassen worden. Hiezu komme, so meint die Revisionswerberin, daß sich die Verpflichtung der Anzeigeerstattung auf § 7 der "Allgemeinen Versicherungsbedingungen" grunde, die der Gatte der Klägerin nicht vor dem 5. Februar 1943 erhalten habe, woraus wieder folge, daß er nicht zur Anzeigeerstattung verpflichtet gewesen sei, jedenfalls aber nicht behauptet werden könne, daß er verschuldetermaßen die Anzeige von seiner Erkrankung während der Bindefrist unterlassen habe. Hinsichtlich des Ablaufes der Bindefrist mit 19. Dezember 1942 beruft sich die Revision auf das Zugeständnis der beklagten Partei in der Klagebeantwortung.
Die Ausführungen der Revision sind rechtlich verfehlt. Sie übersieht, daß - gleichgültig, wann immer die Bindefrist zu Ende gegangen ist - der Versicherungsnehmer nach den Bestimmungen des VersVG. verpflichtet war, bis zur Einlösung des Versicherungsscheines seine Erkrankung dem Versicherer bekanntzugeben, weil nach den Bestimmungen der §§ 27, 28 und 29a VersVG. bei unterlassener Anzeige der Versicherer von der Leistung frei wird. Mit der Bindefrist hat die Frage des Freiwerdens von der Leistung nichts zu tun.
Wenn die Revisionswerberin sich darauf beruft, daß die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB.) dem Versicherungsnehmer erst mit Übersendung der Polizze, also mit 5. Februar 1943, bekanntgegeben wurden und daß deshalb vorher eine Verpflichtung zur Anzeige der Gefahrerhöhung nicht bestanden habe, so übersieht sie, daß sämtliche Antragsformulare die Unterwerfung unter die AVB. enthalten und daß durch die Unterzeichnung des Antragscheines die Bindung an die AVB. eintritt und somit der Antragsteller sich den AVB. auch ohne Kenntnisnahme derselben unterworfen hat. Davon abgesehen ist § 7 der AVB. mit § 16 VersVG. gleichlautend, und es besteht schon nach dem Inhalte der letztgenannten Gesetzesstelle in Verbindung mit § 18 VersVG. die Verpflichtung zur Anzeige.
Es mag dahingestellt bleiben, ob der Versicherungsnehmer bei der vertrauensärztlichen Untersuchung am 21. Oktober 1942 bereits verpflichtet war, den am 19. Oktober 1942 festgestellten Darmkatarrh deshalb anzugeben, weil außer nach einem Darmgeschwür auch nach einer "sonstigen Darmstörung" im Formular "Erklärung II" gefragt war und weil in der Regel dort, wo der Versicherer ausdrückliche Fragen gestellt hat, diese im Zweifel ohne weiteres als erheblich zu gelten haben (§ 16 Abs. 1 Satz 3 VersVG.). Diese Frage, bei der man auch der Ansicht Roellis, I, S. 88, beipflichten könnte, daß Gesundheitsstörungen, die allgemein als vorübergehend gelten (Kopfschmerzen, Magenschmerzen, Schmerzen an einzelnen Gliedern usw.), nur dann eine Verneinung der Frage fordern würden, wenn sie als Symptome eines schwereren Leidens aufgefaßt werden müßten, braucht deshalb nicht näher geprüft werden, weil das Klagebegehren aus anderen Gründen nicht gerechtfertigt ist.
Der wesentliche Irrtum der Revision liegt darin, daß sie der Meinung Ausdruck gibt, daß nach Ablauf der Bindefrist von zwei Monaten, also auch vor Beginn der Haftung des Versicherers, d. h. vor Einlösung des Versicherungsscheines und vor Zahlung der Prämie, der Versicherungsnehmer nicht mehr verpflichtet wäre, die Erhöhung der Gefahr zu melden. Diese unrichtige Rechtsansicht der Revision verstößt gegen den wichtigen versicherungsrechtlichen Grundsatz, daß auch eine erst nach der ärztlichen Untersuchung, aber vor der Annahme des Antrages auftretende Erkrankung noch anzuzeigen ist (Jaeger bei Roelli, III, S. 490). Dazu kommt, daß nach der Novellierung des deutschen VersVG. (zwecks Anpassung an die Bestimmungen des österr. VersVG.) - nunmehr auch in Österreich - § 29a VersVG. die Anzeigepflicht ausdrücklich mit der Wirkung des § 28 Abs. 1 VersVG. normiert. In der Lebensversicherung gilt als Gefahrerhöhung nur eine solche Änderung der Gefahrumstände, welche nach ausdrücklicher Vereinbarung als Gefahrerhöhung angesehen werden sollen (§ 164 VersVG.). Nach den AVB. gilt jede erhebliche Erkrankung oder Verletzung zwischen Antragstellung und Annahme des Antrages als Erhöhung der Gefahr. Auf Gefahrerhöhungen zwischen Antragstellung und Annahme des Antrages ist, wie bereits ausgeführt, § 29a VersVG. anwendbar. Der Versicherer hat daher das Kündigungsrecht nach § 27 VersVG. und das Leistungsverweigerungsrecht nach § 28 Abs. 1 VersVG., wenn der Versicherungsfall einen Monat nach dem Zeitpunkt eintritt, in welchem ihm die Anzeige hätte zugehen müssen. Da der Versicherungsnehmer am 12. Dezember 1942 - nach der Röntgenuntersuchung vom 7. Dezember 1942 - von seiner Krankheit (Magengeschwüre) erfahren hat, so mußte er unverzüglich (§ 27 Abs. 2 VersVG.) Anzeige erstatten. Die Unterlassung der Anzeige hat zur Folge, daß die Versicherungsanstalt seit Mitte Jänner 1948 haftungsfrei ist, auch wenn sie vorher den Antrag angenommen haben sollte. Der Antrag wurde übrigens erst am 5. Februar 1943 in Unkenntnis der Erkrankung des Versicherungsnehmers, weil dieser jede Verständigung unterlassen hat, angenommen. Da der Versicherungsnehmer erst nach Mitte Jänner 1943, nämlich im März 1943 gestorben und die Versicherungsanstalt bei Stellung des Begehrens auf Auszahlung der Versicherungssumme die Leistung abgelehnt hat, so ist die Beklagte nicht zur Zahlung verpflichtet.
Die Revision erweist sich daher in jeder Weise als unbegrundet, weshalb ihr nicht Folge zu geben war.
Anmerkung
Z22009Schlagworte
Anzeigepflicht für Gefahrerhöhung bei Lebensversicherung, Gefahrerhöhung bei Lebensversicherung, Anzeigepflicht, Lebensversicherung, Anzeigepflicht für Gefahrenerhöhung, Leistungsfreiheit des Versicherers bei verschwiegener Gefahrerhöhung, Versicherung, Anzeigepflicht für Gefahrenerhöhung, Versicherung Bedeutung der Fragen im Antragsformular, Versicherung Beginn der Haftung, BindefristEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1949:0010OB00231.48.0119.000Dokumentnummer
JJT_19490119_OGH0002_0010OB00231_4800000_000