TE OGH 1949/1/26 1Ob20/49

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Veröffentlicht am 26.01.1949
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Norm

Nationalsozialistengesetz XIV. Hptstk Ab III Z8
Verbotsgesetz 1947 §4
Verbotsgesetz 1947 §13
Wohnungsanforderungsgesetz §10
ZPO §496

Kopf

SZ 22/12

Spruch

Eine nach dem Inkrafttreten der Kundmachung des provisorischen Bürgermeisters von Wien vom 19. April 1945 erfolgte Einweisung durch einen Bezirksbürgermeister (Magistratisches Bezirksamt) in eine Wohnung führt, wenn sie nicht nachträglich vom Magistrate (Zentralstelle) genehmigt wurde, nicht die privatrechtlichen Wirkungen im Sinne des XIV. Hauptstückes, III. Abschnitt, Z. 8 des Nationalsozialistengesetzes herbei.

Entscheidung vom 26. Jänner 1949, 1 Ob 20/49.

I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Der Kläger begehrt die Räumung der von der Beklagten benützten Räumlichkeiten im Hause Wien, III., K.-gasse 11, bestehend aus einem Geschäftslokal, einer Küche und zwei Kabinetten, indem er ausführt, er sei ungekundigter Hauptmieter der strittigen Räumlichkeiten, die der Beklagte ohne Rechtstitel benütze.

Die Beklagte bestritt das Klagevorbringen und wendete u. a. ein, die gegenständlichen Räumlichkeiten seien ihr - mit Lokalzuweisung des Bezirksvorstehers für den III. Bezirk vom 9. Mai 1945 - zugewiesen worden.

Das Erstgericht hat der Klage stattgegeben.

Das Gericht zweiter Instanz hat der Berufung der Beklagten Folge gegeben, das angefochtene Urteil gemäß § 496 Z. 2 und 3 ZPO. aufgehoben und die Sache zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen, wobei ausgesprochen wurde, daß das Verfahren in erster Instanz erst nach eingetretener Rechtskraft dieses Beschlusses fortzusetzen sei.

Das Berufungsgericht schloß sich der Annahme des Erstgerichtes an, daß der Bestandvertrag des Klägers nicht aufgelöst worden sei. Das Berufungsgericht führt sohin weiter aus, daß für den Fall, als der Nachweis für das Mietrecht der Beklagten nicht erbracht werden könnte, die rechtliche Bedeutung der von der Beklagten eingewendeten Einweisung zu erörtern bleibe, die vom Erstgericht aber nicht erschöpfend beurteilt wurde. Das Berufungsgericht vertritt hiebei den Standpunkt, die gegenständliche Einweisung vom 9. Mai 1945 laute ausdrücklich auf Lokalzuweisung. Nur hinsichtlich der Wohnungen aber habe die öffentliche Kundmachung des provisorischen Bürgermeisters vom 19. April 1945 im Punkte 5 die Zuständigkeit zur Erlassung vorläufiger Einweisungen für die Zeit ab 20. April 1945 dahin abgegrenzt, daß sich das Wohnungsamt die Vergebung vorbehalte. Die Bezirksbürgermeister seien daher nur in Angelegenheiten der Wohnungseinweisungen für die in Frage kommende Zeit absolut unzuständig gewesen, nicht aber auch für Einweisungen in Geschäftsräume. Die durch den Bezirksbürgermeister erlassene Einweisung vom 9. Mai 1945 sei daher zufolge der genannten Kundmachung des provisorischen Bürgermeisters vom 19. April 1945 kein absolut nichtiger Verwaltungsakt. Dies sei auch aus dem Gründe nicht der Fall, daß der Verwaltungsakt über eine der Zuständigkeit des damaligen Bezirksbürgermeisters entzogene Materie oder ohne gesetzliche Grundlage ergangen sei. Denn von dem damaligen allgemeinen Wirkungskreise des Bezirksbürgermeisters könne eine als Verwaltungsangelegenheit behandelte Einweisung in einen Geschäftsraum nicht ausgenommen werden und die gesetzliche Grundlage eines Verwaltungsaktes könne nicht vom Gerichte, sondern nur im Verwaltungswege geprüft werden. Das Berufungsgericht verweist ferner noch darauf, daß die Beklagte selbst behauptet habe, einen Berichtigungsantrag bezüglich dieses Verwaltungsaktes eingebracht zu haben, in dem sie selbst den Standpunkt einnimmt, daß die Einweisung überhaupt nicht in ein Geschäftslokal, sondern in eine Wohnung erfolgt sei, da die dem Geschäftslokal angeschlossenen Wohnräume, nämlich eine Küche und zwei Kabinette, räumlich und ihrer Bedeutung nach überwiegen und ihr auch in Behandlung der zugewiesenen Räume als Wohnung die Benützungsbewilligung für die in der Wohnung des Klägers befindlichen Möbel erteilt worden sei, worüber auch der Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 50, vom 4. Februar 1947 vorgelegt worden sei.

Das Berufungsgericht führt in rechtlicher Beziehung hiezu aus, daß in dem Falle, als sich durch die Entscheidung der Verwaltungsbehörde ergeben würde, daß die vorliegende Einweisung tatsächlich eine Einweisung in eine Wohnung sei und diese Wohnungseinweisung nicht ratihabiert wurde, sie als solche, wie der Erstrichter annimmt, zufolge der Kundmachung vom 19. April 1945 als absolut nichtiger Verwaltungsakt dem Begehren des Klägers nicht entgegenstehen würde. Wäre aber die Einweisung, wie ihr Wortlaut ergebe, eine Einweisung in das Geschäftslokal, so wäre zu erörtern und zu prüfen, ob die als Nebenräume außer Streit gestellten Räume ihrer Größe und wirtschaftlichen Bedeutung nach auch tatsächlich nur als Nebenräume eine wirtschaftliche Einheit mit dem Geschäftslokale bilden und damit das Schicksal der Hauptsache zu teilen haben oder ob ihnen unabhängig von dem Geschäftslokal eine selbständige Bedeutung zukomme und sie daher von der Einweisung nicht berührt werden.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der klagenden Partei Folge, hob den zweitinstanzlichen Beschluß auf und trug dem Berufungsgerichte die neuerliche Entscheidung auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Eine spezielle gesetzliche Regelung für Anforderungen von Geschäftsräumen ist für die Zeit nach dem Zusammenbruche der nationalsozialistischen Herrschaft in Österreich im Jahre 1945 erst durch das Gesetz vom 22. August 1945, StGBl. Nr. 138, betreffend die Anforderung und Vergebung von Wohn- und Geschäftsräumen (Wohnungsanforderungsgesetz), erfolgt, das die einschlägige Materie im § 10 behandelt.

Die von den Untergerichten bezogene Kundmachung des provisorischen Bürgermeisters vom 19. April 1945 wurde, wie sich aus ihrem und aus dem Texte der Zweiten Anordnung zur Wohnraumlenkung des provisorischen Bürgermeisters vom 25. April 1945 sowie der Entstehungsgeschichte dieser Verlautbarungen ergibt, erlassen, um dem rechtlosen Zustande, der auf dem so überaus wichtigen Gebiete des Wohnungswesens in seiner Gesamtheit nach dem Zusammenbruche der Reichsverwaltung sowie infolge der durch die Besatzungsbehörde verfügten Aufhebung aller aus der nationalsozialistischen Zeit stammenden Normen eingerissen war, ein Ende zu setzen.

Hier - wie es die Untergerichte taten - eine Unterscheidung zwischen Wohnräumen und Geschäftsräumen, welch letztere ja nur eine räumliche Unterlage für die Berufstätigkeit der Bevölkerung bilden, unterstellen zu wollen, verbietet wohl schon der Grundgedanke und der Zweck dieser bloß vorläufigen Regelung; wenn sich die Kundmachung vom 19. April 1945 auch ihrem Wortlaute nach allerdings nur auf Wohnungen bezieht, ergibt sich doch aus der in Ergänzung der ersten Anordnung erlassenen zweiten Anordnung zur Wohnraumlenkung des provisorischen Bürgermeisters vom 25. April 1945, die im Punkt 3 auch Geschäftsräume behandelt und aus dem offenbaren Zusammenhange, in dem diese beiden Anordnungen stehen, daß in dieser Übergangszeit eine Unterscheidung zwischen Wohnungen und Geschäftsräumlichkeiten grundsätzlich nicht ins Auge gefaßt und beabsichtigt war. Hiezu tritt im vorliegenden Falle noch die Erwägung, daß ja die in Frage kommenden Räume offensichtlich eine jener in österreichischen Städten ortsüblichen Kombinationen von Wohn- und Geschäftsräumen darstellen, wo der Wohnraum als solcher das primäre Element bildet, mit dem ein Raum für die Ausübung der beruflichen, bzw. gewerblichen Tätigkeit des Wohnungsinhabers nur sekundär aus Zweckmäßigkeitsgrunden verbunden ist.

Es liegt somit im gegenständlichen Falle eine durch den Bürgermeister für den III. Bezirk, somit eine lokale Bezirksstelle, erfolgte verwaltungsbehördliche Einweisung vor, die ihrem Sinne und Zwecke nach unter die Kundmachung des provisorischen Bürgermeisters vom 19. April 1945 fällt.

In der grundsätzlichen Frage, welche Bedeutung der Kundmachung des provisorischen Bürgermeisters vom 19. April 1945 zukommt, hat der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 17. März 1948, 1 Ob 92/48, ausgesprochen, daß die nach dem 19. April 1945 von lokalen Bezirksstellen vorgenommenen Wohnungseinweisungen als von einer unzuständigen Behörde getroffen anzusehen sind. An dieser Auffassung hat der Oberste Gerichtshof seither in ständiger Rechtsprechung festgehalten.

Der Verfassungsgerichtshof, wie auch der Verwaltungsgerichtshof, haben in einer Reihe von Entscheidungen jüngsten Datums ausgesprochen, es könne von einer Unzuständigkeit keine Rede sein, wenn ein magistratisches Bezirksamt in einer Sache entscheidet, die in die Zuständigkeit des Magistrates fällt. Die magistratischen Bezirksämter seien Dienststellen des Magistrates und die Frage, welche Dienststelle im Einzelfalle die dem Magistrate zukommenden Aufgaben versieht, sei nicht eine Frage der Zuständigkeit des Magistrates, sondern betreffe lediglich die innere Gliederung dieser Behörde.

Unter der Voraussetzung normaler Verhältnisse und normalen Funktionierens des Behördenapparates kann auch nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes daraus keine Unzuständigkeit abgeleitet werden, daß von einer Außenstelle des Magistrates eine Entscheidung gefällt wird, die nach den für die Geschäftsbehandlung bestehenden Vorschriften vom Magistrat selbst zu treffen gewesen wäre.

Diese Voraussetzung war aber nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes in jenem Zeitabschnitt nicht gegeben, in dem der provisorische Bürgermeister als ein von der Besatzungsmacht eingesetzter Träger der in Bildung begriffenen neuen Ordnungsgewalt die fragliche Kundmachung erlassen hat. Angesichts des Zusammenbruches der früheren Ordnungsgewalt und der damals infolge der ersten Kundmachung der Besatzungsmacht herrschenden völligen Unsicherheit über den Fortbestand der bis dahin geltenden Rechtsordnung muß der Kundmachung des Bürgermeisters vom 19. April 1945 die Bedeutung einer notrechtlichen Verfügung zuerkannt werden. Diese in der Kundmachung des Bürgermeisters zur allgemeinen Kenntnis der Bevölkerung gebrachte Verfügung hat nicht nur die Grundlage für das materielle Recht der Gemeinde geschaffen, Wohnräume anzufordern und den Wohnungsbedürftigen zuzuweisen, sondern auch eine den besonderen Bedürfnissen der Übergangszeit angepaßte Normierung der Zuständigkeit zu solchen Maßnahmen getroffen. Ging es doch darum, das Einweisungsrecht nach einheitlichen, dem Gesamtwohl dienenden Richtlinien anzuwenden, wozu die Konzentrierung beim Magistrate erforderlich war, um dadurch kontrollosen Eingriffen lokaler Gewalten vorzubeugen.

In diesem Lichte gesehen, kommt der Kundmachung des Bürgermeisters der Charakter einer über die bloße Abgrenzung der Geschäftsverteilung innerhalb des Behördenapparates der Gemeinde Wien hinausgehenden, also einer echten Zuständigkeitsnorm zu. In diesem Zusammenhange und unter Berücksichtigung der damaligen, durchaus abnormalen Verhältnisse hat die früher erwähnte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes die lokalen Bezirksstellen als selbständige Behörden bezeichnet und darum den von ihnen unter Verletzung der vom provisorischen Bürgermeister als Notgesetzgeber geschaffenen Zuständigkeitsregelung vorgenommenen Einweisungen als von einer unzuständigen Behörde erlassenen Verwaltungsakten die Wirksamkeit abgesprochen. Dieselbe Entscheidung des Obersten Gerichtshofes hat aber auch der Meinung Ausdruck gegeben, daß es der Gemeinde Wien jederzeit freisteht, derartige Verfügungen der lokalen Bezirksstellen zu ratihabieren und ihnen damit rückwirkende Gültigkeit zu verleihen. Eine generelle Ratihabierung nichtiger Einweisungen aber komme nicht in Frage. Sie wäre nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes schon deshalb ausgeschlossen, weil sie unter den heute wieder normalen Verhältnissen nur durch den Gesetzgeber vorgenommen werde könnte.

Den hier entwickelten Gedankengängen trägt auch die in Ziffer 8 des III. Abschnittes des XIV. Hauptstückes des Nationalsozialistengesetzes getroffene Regelung Rechnung. Sie erklärt die von den im § 4 Abs. 1 und im § 13 des Verbotsgesetzes 1947 genannten Personen geschlossenen Mietverträge über Wohnungen kraft Gesetzes für aufgelöst, für die vor Inkrafttreten des Nationalsozialistengesetzes einer anderen Person eine vorläufige Benützungsbewilligung von der "dafür nach ihrem Aufgabenbereich zuständigen Behörde" ausgestellt wurde. Darin liegt zunächst eine nachträgliche, mit rückwirkender Kraft ausgestattete Legalisierung einer notrechtlichen Verfügung durch den nach der Verfassung zuständigen Gesetzgeber. Hinsichtlich der kompetenzrechtlichen Seite der Frage ist zu beachten, daß die zitierte Stelle des Nationalsozialistengesetzes nicht schlechthin von der "zuständigen Behörde" spricht, sondern die Wendung "der nach ihrem Aufgabenkreis zuständigen Behörde" wählt, womit wohl den in der Übergangszeit bestehenden abnormalen Verhältnissen innerhalb des Behördenapparates der Gemeinde Rechnung getragen werden sollte. Mit dieser Auffassung steht durchaus im Einklang, daß der Schlußsatz der früher bezogenen Ziffer 8 dem Bundesministerium für soziale Verwaltung das Recht einräumt, im Einvernehmen mit dem Bundeskanzleramt durch Kundmachung festzustellen, welche Behörden für die Ausstellung von vorläufigen Benützungsbewilligungen zuständig waren. Eine Kundmachung dieser Art ist aber bisher nicht erlassen worden. Es steht somit die Verfügung des provisorischen Bürgermeisters hinsichtlich der Kompetenz noch insoweit in Kraft, als nach dem 19. April 1945 von magistratischen Bezirksämtern verfügte Einweisungen als nichtig zu gelten haben, sofern sie vom Magistrat nicht ratihabiert worden sind. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, ist somit, da eine nachträgliche Legalisierung der Zuweisung vom 9. Mai 1945 durch den Magistrat von der Beklagten weder behauptet noch unter Beweis gestellt wurde, die gegenständliche Einweisung als solche im Sinne der aufrechterhaltenen bisherigen Rechtsübung als ein nicht wirksamer Verwaltungsakt anzusehen.

Aus dieser Erwägung heraus erscheint die vom Berufungsgerichte aufgetragene Prüfung der Frage, ob mit der Einweisung eine Wohnung oder ein Geschäftsraum zugewiesen wurde und, falls keine Wohnungseinweisung vorliegen sollte, ob und in welchem Verhältnisse die Wohnräume zum Geschäftslokale stehen, entbehrlich.

Anmerkung

Z22012

Schlagworte

Einweisung durch Bezirksbürgermeister, keine Wirkung nach Z. 8 des XIV., Hauptstückes, Abschnitt III NS-Gesetz, Geschäftsräume, Einweisung durch Bezirksbürgermeister, Nationalsozialistengesetz, Wirkung auf Wohnungseinweisung durch, Bezirksbürgermeister, Wohnungseinweisung durch Bezirksbürgermeister, keine Wirkung nach Z. 8, des XIV. Hauptstückes, Abschnitt III des NS-Gesetzes

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1949:0010OB00020.49.0126.000

Dokumentnummer

JJT_19490126_OGH0002_0010OB00020_4900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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