Norm
ABGB §7Kopf
SZ 22/75
Spruch
Wird eine Körperschaft öffentlichen Rechtes (Arbeiterkammer) durch den Gesetzgeber oder auf Grund gesetzlicher Ermächtigung aufgelöst, so erlischt ihre Rechtspersönlichkeit. Die Neugrundung oder Rekonstruktion unter den gleichen oder ähnlichen Voraussetzungen oder gleicher Aufgabensetzung und Organisation macht die neu gegrundete Körperschaft zwar wesensähnlich, aber nicht wesensgleich.
Es kann aber nach den Umständen des Falles Rechtsnachfolge angenommen werden. Einer solchen Annahme steht der Umstand nicht entgegen, daß ein Teil der Aktiven der Vorgängerin noch im Treuhandeigentum des Staates steht.
Entscheidung vom 17. Mai 1949, 4 Ob 20/49.
I. Instanz: Arbeitsgericht Graz; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz.
Text
Die Kläger hatten auf Grund ihrer Dienstverträge Pensionsansprüche gegen die seinerzeit auf Grund des Gesetzes vom 26. Februar 1920, StGBl. Nr. 100 (Arbeiterkammergesetz) errichtete Kammer für Arbeiter und Angestellte. Sie machten nunmehr diese Ansprüche gegen die auf Grund des Gesetzes vom 20. Juli 1945, StGBl. Nr. 95, wiedererrichtete Arbeiterkammer geltend.
Sowohl das Arbeitsgericht Graz als auch das Berufungsgericht haben den Klägern die geltend gemachten Ansprüche gegenüber der wiedererrichteten Arbeiterkammer zuerkannt. Der von der beklagten Arbeiterkammer dagegen erhobenen Revision ist vom Obersten Gerichtshof nicht Folge gegeben worden.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Revision bekämpft zunächst die Anwendbarkeit des § 1409 ABGB. auf den vorliegenden Fall zur Begründung der Haftung der Beklagten für die Pensionsverbindlichkeiten der Arbeiterkammer 1920, ohne im wesentlichen neue rechtliche Gesichtspunkte vorzubringen, aus denselben Erwägungen, die sie schon in den Unterinstanzen zur Stützung ihres Rechtsstandpunktes herangezogen hat.
Darüber, daß § 1409 ABGB. nicht seinem Wortlaut nach auf den vorliegenden Fall Anwendung finden kann, da weder eine rechtsgeschäftliche Vermögensübertragung noch der Weiterbestand des neben dem Übernehmer solidarisch forthaftenden ursprünglichen Eigentümers des Vermögens, durch welches diese Haftung den Charakter eines gesetzlichen Schuldbeitrittes annimmt, gegeben sind, besteht kein Zweifel. Auch die Unterinstanzen wollen darum nur die analoge Anwendung dieser Gesetzesstelle vornehmen, wobei das Arbeitsgericht auf die "natürlichen Rechtsgrundsätze" des § 7 ABGB. verweist, die zweite Instanz die Ausführungen von Klang in den JBl. 1948, Heft Nr. 18, S. 437 ff. heranzieht und betont, daß bei einer nur auf die Gleichheit des Rechtsgrundes gestützten Anwendung dieser Gesetzesstelle nicht alle ihre Tatbestandsvoraussetzungen notwendig zutreffen müßten.
Immerhin müßte auch im Falle einer analogen Anwendung die primäre Voraussetzung vorliegen, daß das Vermögen der Arbeiterkammer 1920, wenngleich nur kraft öffentlich-rechtlichen Hoheitsaktes oder gesetzgeberischer Anordnung, ganz oder teilweise auf die Beklagte übergegangen ist. Dies hat die Beklagte in erster Instanz ausdrücklich mit dem Hinweise bestritten, daß sie von dem nach der Befreiung und Auflösung der DAF. übriggebliebenen einstigen Vermögen der Arbeiterkammer 1920 nichts besitze, vielmehr dieses Vermögen von der Liquidierungsstelle des Deutschen Reiches beim Bundesministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung verwaltet werde, während die Kläger behauptet hatten, daß die Beklagte das gesamte noch vorhandene Vermögen der Arbeiterkammer 1920 nutze und benutze. Beide Parteien haben zum Nachweis ihres Vorbringens Beweise angeboten. Das Erstgericht hat diese Beweisanträge jedoch abgelehnt, weil es als gerichtsbekannt erklärte, daß die Beklagte das noch vorhandene bewegliche und unbewegliche Vermögen der Arbeiterkammer 1920 wie ein Eigentümer benütze. Dabei übersieht das Erstgericht, daß es sich hier nicht bloß um allgemein bekannte Tatsachen, sondern auch um rechtliche Schlußfolgerungen handelt, auf welche die Norm des § 269 ZPO. keine Anwendung findet. Die Beklagte hat nun in ihrer Berufung die Richtigkeit dieser Tatsachenfeststellung bestritten und auch Mangelhaftigkeit des Verfahrens wegen Nichtzulassung des Beweises durch Einvernahme des Präsidenten der Arbeiterkammer Graz geltend gemacht, indem sie vorbrachte, daß sie die ihr von der Liquidierungsstelle überlassenen Vermögensbestandteile der ehemaligen DAF. oder der Arbeiterkammer 1920 auf Grund eines schriftlichen Vertrages lediglich gegen Benützungszins verwende und ein Übergang dieses Vermögens auf sie nie stattgefunden habe. Bei der Berufungsverhandlung legte sie den Grundbuchsauszug über die EZ. 386 KG. Lend vor, aus dem sich ergibt, daß mit 29. Juli 1947 der Bund gemäß § 1 VerbotsG. 1945 als Eigentümer dieser Liegenschaft einverleibt wurde, und behauptete, daß Gleiches auch für die ehemaligen Kammerrealitäten EZ. 1178 KG. Lend und EZ. 303 KG. Gries gelte.
Das Berufungsgericht nahm als erwiesen an, daß diese Liegenschaften tatsächlich nunmehr auf Grund des § 1 VerbotsG. 1945 ins bücherliche Eigentum des Bundes übergegangen sind, erblickte darin aber nur einen provisorischen Zustand, weil der Beklagten auf Grund des Zweiten Rückstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 53/1947, § 1 Abs. 1 ein Rückstellungsanspruch gegen den Bund zustehe, von dem sie Gebrauch zu machen habe, wie sie denn ja auch selbst vorbringe, daß sie sich um Rückstellung der Vermögenswerte der Arbeiterkammer 1920 bemühe.
Das Berufungsgericht erblickte ferner einen Vermögensübergang in der der Kammer zustehenden Abgabenhoheit, welcher die analoge Anwendung des § 1409 ABGB. rechtfertigte, und erklärte es für belanglos, daß gegenwärtig eine Dienst- und Bezugsordnung, wie sie früher bestanden habe (Beilage H), noch nicht erlassen worden sei.
Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes kann diesen Rechtsausführungen nicht zugestimmt werden. Wenngleich der Beklagten ein Rückstellungsanspruch nach § 1 Abs. 1 Zweites RückstellungsG. gegen den diese Liegenschaften gegenwärtig nur treuhändig zu Eigentum besitzenden Bund zustehen mag, so stellt dieser Anspruch doch nur einen Vermögensbestandteil der Beklagten dar, nicht ein von ihr übernommenes Vermögen ihrer Vorgängerin, der Arbeiterkammer 1920. Die Abgabenhoheit, welche die Beklagte ausübt, wurde ihr nicht als Vermögensbestandteil der Arbeiterkammer 1920 übertragen, sondern beruht auf der konstitutiven Verleihung durch § 20 Abs. 3 des Gesetzes vom 20. Juli 1945, StGBl. Nr. 95; sie stand sinngemäß auch schon ihrer Vorgängerin nach § 20 Abs. 2 des Gesetzes vom 26. Februar 1920, StGBl. 100 zu, ist aber mit deren Auflösung erloschen. Sie bildet also einen Vermögenswert, der durch gesetzliche Bestimmung für die Beklagte durch das Arbeiterkammergesetz 1945 neu geschaffen wurde.
Die Dienst- und Bezugsordnung der Arbeiterkammer 1920, deren § 46 von den Unterinstanzen herangezogen wurde, ergibt nichts für die Entscheidung dieses Rechtsstreites, nicht nur weil jene Bezugsordnung mit der Auflösung der Arbeiterkammer 1920 hinfällig wurde und unbestritten blieb, daß die Beklagte eine analoge Bezugsordnung noch nicht erlassen hat, sondern auch weil jene Norm eine rein finanzrechtliche, budgetäre Maßnahme darstellt, deren Zweck darin besteht, eine geordnete Finanzwirtschaft der Arbeiterkammern zu sichern. Der Gehalts- und Pensionsetat der Kammer soll aus ihren laufenden Einnahmen, also nicht etwa aus ihrem Stammvermögen oder durch Aufnahme von Anleihen gedeckt werden. Für die Einhaltung dieser Vorschrift ist die Kammer ihrer Aufsichtsbehörde, also dem Bundesministerium für soziale Verwaltung, allenfalls dem Obersten Rechnungshof verantwortlich. Nach außen, den Gläubigern gegenüber, haftet die Beklagte jedenfalls mit ihrem ganzen Vermögen.
Hinsichtlich des sonstigen, allenfalls aus dem Vermögen der Arbeiterkammer 1920 in den Besitz der Beklagten übergegangenen Vermögens und der Art seiner Benützung enthält das angefochtene Urteil keine Feststellungen. Das Berufungsgericht hat es für entbehrlich gehalten, sich mit den in dieser Richtung geltend gemachten Berufungsgrunden der unrichtigen Tatsachenfeststellung und Mangelhaftigkeit des Verfahrens zu befassen, weil es die Berechtigung des Klagsanspruches auch noch auf einen anderen Rechtstitel grunden zu können glaubte.
Wenn die Revision in langen Ausführungen dartun will, daß von einer Identität der Beklagten mit der Arbeiterkammer 1920 nicht die Rede sein könne, hat sie freilich recht. Denn die Auflösung einer Körperschaft des öffentlichen Rechtes durch den Gesetzgeber oder einen Verwaltungsakt auf Grund gesetzlicher Ermächtigung (im vorliegenden Fall durch den Stillhaltekommissar auf Grund des Gesetzes vom 14. 5. 1938, GBlÖ. Nr. 136) führt zur Auslöschung ihrer Rechtspersönlichkeit und steht dem natürlichen Tode einer physischen Person gleich. Auch bei juristischen Personen gibt es keine Auferstehung. Konstituiert ein neuer Akt der Gesetzgebung jene Körperschaft unter gleichen oder ähnlichen Voraussetzungen, mit demselben personellen Substrat und einem in ähnlicher Weise gebildeten Vermögen bei gleicher Aufgabensetzung und Organisation wieder, so liegt eine Neugrundung vor und die rekonstituierte Körperschaft ist mit der aufgelösten wohl wesensähnlich, aber nicht wesensgleich (identisch). Allein die Ausführungen der Revision sind gegenstandslos, weil die Unterinstanzen eine Identität gar nicht angenommen, vielmehr diese Frage offen gelassen und nur eine Rechtsnachfolge angenommen haben. Auch gegen diese Annahme wenden sich die Ausführungen der Revision, nach Meinung des Obersten Gerichtshofes jedoch zu Unrecht. Die durch das Gesetz StGBl. Nr. 95/1945 wiedererrichteten Arbeiterkammern dienen demselben Zweck wie ihre Vorgängerinnen auf Grund des Gesetzes StGBl. Nr. 100/1920 und im wesentlichen auch mit denselben Mitteln. Ihre Organisation ist gleichartig, gleichartig auch ihr Aufgabenkreis. Zur Erreichung ihrer Aufgaben werden ihnen dieselben finanziellen und administrativen Mittel zugewiesen wie den Arbeiterkammern 1920, vor allem die Abgabenhoheit. Das Berufungsgericht verweist zutreffend auf die weitgehende Inhaltsgleichheit der Gesetze StGBl. Nr. 100/1920 und StGBl. Nr. 95/1945, deren Abweichungen sich vor allem aus gewissen in der Zwischenzeit und schon in der ersten Republik eingetretenen Rechtsänderungen ergeben, auch wenn noch andere Erwägungen bei den textlichen Differenzen mitgespielt haben mögen.
Es ist den Ausführungen des angefochtenen Urteils über die Rechtsnachfolge der Beklagten gegenüber ihrer Vorgängerin zuzustimmen und daran kann auch nichts ändern, daß der Gesetzgeber es versäumt hat, diese Rechtsnachfolge ausdrücklich im Arbeiterkammergesetz 1945 auszusprechen. Diese Rechtsnachfolge bewirkt aber auch den Übergang des einstigen Vermögens der Arbeiterkammer 1920, also des Inbegriffes geldwerter Rechte und Verbindlichkeiten, welche jener zustanden, bzw. ihr oblagen. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß ein Teil jener Aktiven auf Grund anderer gesetzlicher Normen inzwischen noch im Treuhandeigentum des Staates steht und ihre Rückübertragung auf die Beklagte von dieser erst erwirkt werden muß, während die Passiven sogleich auf sie übergegangen sind. Ihr Hinweis auf die Unbilligkeit, die darin gelegen sei, daß sie für diese Passiven haftbar gemacht werde, ohne die zugehörigen Aktiven zu erhalten, erledigt sich nicht nur durch das eben Gesagte, sondern auch dadurch, daß die Beklagte ja inzwischen selbständiges Vermögen erworben hat, bzw. fortdauernd erwirbt, aus dem zunächst die Befriedigung der klägerischen Pensionsansprüche erfolgen kann. Es ist ja nirgends gesagt, daß die Beklagte zu diesem Zwecke bereits über die Vermögensaktiven der Arbeiterkammer 1920 verfügen können müsse, die nach den damaligen Grundsätzen (§ 46 Bezugsordnung) budgetär hierzu ohnedies nicht zu verwenden waren.
Die Revisionsbeantwortung verweist in diesem Zusammenhang auch zutreffend auf die Ausführungen Ehrenzweigs in den JBl. 1949, Nr. 3, S. 67 f., in denen ein Fall wie der vorliegende erörtert und ausgesprochen wird, daß die "mittelbare Rechtsnachfolge", d. h. der über allerlei Zwischenfiguren hinweg erfolgte Eintritt der B. in die verwaltungsrechtliche Persönlichkeit der A. nur dann gegeben ist, wenn jetzt, ohne Rücksicht auf die Zwischenfiguren, die gesetzlichen Aufgaben der B. jene der A. umfassen und B. kraft Gesetzes dieselbe oder eine gleichwertige Abgabenhoheit zusteht, wie die, welche die A. genoß. Ehrenzweig verweist zutreffend darauf, daß der pensionsberechtigte Beamte bei seinem Diensteintritt an die Sicherung seiner Pensionsansprüche nicht durch die etwa vorhandenen Zinshäuser gedacht habe, sondern durch die aus der Abgabenhoheit fließenden Einnahmen seiner Dienstgeber.
Damit erscheint es, ohne daß es notwendig wäre, die Bestimmung des § 1409 ABGB. auf den Fall analog anzuwenden, wofür die gesetzlichen Voraussetzungen zumindest nicht genügend klargestellt sind, möglich, die Haftung der Beklagten auf ihre Rechtsnachfolge gegenüber der Arbeiterkammer 1920 zu stützen.
Anmerkung
Z22075Schlagworte
Arbeiterkammer, Rechtsnachfolge, Haftung Rechtsnachfolge der Arbeiterkammer, Juristische Person Rechtsnachfolge, Körperschaft öffentlichen Rechts, Rechtsnachfolge, Person juristische, Rechtsnachfolge, Rechtsnachfolge, Arbeiterkammer, Rechtspersönlichkeit, Auflösung einer KörperschaftEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1949:0040OB00020.49.0517.000Dokumentnummer
JJT_19490517_OGH0002_0040OB00020_4900000_000