TE OGH 1949/6/1 2Ob112/49

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Veröffentlicht am 01.06.1949
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Norm

Ehegesetz §55

Kopf

SZ 22/84

Spruch

Zur Frage der Beachtlichkeit des Widerspruches nach § 55 Abs. 2 EheG.

Entscheidung vom 1. Juni 1949, 2 Ob 112/49.

I. Instanz Kreisgericht Leoben; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.

Text

Die Ehegattin hatte Scheidung ihrer Ehe mit dem Beklagten gemäß § 55 EheG. begehrt. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes war die häusliche Gemeinschaft der Streitteile seit mehr als drei Jahren aufgehoben, die Klägerin lebte seit Aufhebung der Gemeinschaft mit einem anderen Manne als dessen Lebensgefährtin und hatte ihm auch bereits ein Kind geboren. Sie erklärte, die Ehe mit dem Beklagten unter keinen Umständen fortsetzen zu wollen, weil sie völlig zerrüttet sei. Der Beklagte hat gegen das Scheidungsbegehren Widerspruch im Sinne des § 55 Abs. 2 EheG. erhoben und sich bereit erklärt, der Klägerin alles zu verzeihen und mit ihr die Ehe fortzusetzen.

Das Erstgericht hatte dem Klagebegehren stattgegeben und die Ehe unter Ausspruch des Alleinverschuldens der Klägerin gemäß § 55 EheG. geschieden. Das Urteil war im Wesen damit begrundet, daß die Bestimmung des § 55 Abs. 2 EheG. nur dem Schutze der Frau diene, daß daher der Widerspruch des Ehemannes im vorliegenden Falle nicht zu beachten sei.

Das Berufungsgericht änderte über Berufung des beklagten Ehemannes das Ersturteil dahin ab, daß es das Scheidungsbegehren der Ehegattin abwies. Das Berufungsgericht erachtete den Widerspruch des Ehemannes für zulässig und beachtlich, da der Mann der Gattin ihre Verfehlungen zu verzeihen und die Ehe mit ihr fortzusetzen erklärt hat. Ferner verwies das Oberlandesgericht auf die seit dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Herrschaft eingetretene Änderung in der Auslegung des § 55 Abs. 2 EheG. Hienach sei die Aufrechterhaltung der Ehe im Falle des Widerspruches des beklagten Eheteiles der Regelfall, von dem nur ausnahmsweise abgegangen werden dürfe.

Der Oberste Gerichtshof hat der Revision der Klägerin Folge gegeben, die Urteile der Untergerichte aufgehoben und die Rechtssache zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Revision ist begrundet. Wenn auch grundsätzlich die oben angeführte Anschauung des Berufungsgerichtes zu teilen ist, wonach es gleich ist, ob die Frau oder der Mann den Widerspruch erhoben haben, muß dennoch im Einzelfalle, wie in der Entscheidung 1 Ob 345/47, EvBl. Nr. 445 (SZ. XXI/40), zum Ausdruck gebracht wurde, geprüft werden, ob nicht dann, wenn infolge der besonderen Sachlage des Einzelfalles diese gegenseitige Beistandspflicht jeglichen Sinn verloren hat und so der Ehe der wesentlichste Inhalt genommen ist, noch sittliche Erwägungen für die Aufrechterhaltung der Ehe sprechen.

Nach den Feststellungen der Untergerichte hat der eheliche Verkehr der Streitteile vor acht Jahren sein Ende gefunden; die Klägerin hat unbestritten bereits zwei Kinder geboren, die aus Ehebrüchen stammen. Der Beklagte hat zugegeben, den ehelichen Verkehr mit der Klägerin wegen deren ehewidrigen Beziehungen eingestellt zu haben, wenngleich er in seiner Parteienvernehmung angab, erst anläßlich der Geburt des nicht von ihm stammenden Kindes auf das ehebrecherische Verhältnis der Frau daraufgekommen zu sein. Er hat also geraume Zeit von diesem gewußt; er behauptet aber nicht einmal, den Versuch unternommen zu haben, gegen dieses ständige Verhältnis der Klägerin mit K. eingeschritten zu sein, wiewohl ihm das Strafgesetz hinreichende Hilfe geboten hätte. Die Klägerin erklärte schon im Verfahren erster Instanz, daß sie krank gewesen sei, und hat in ihrer Parteienaussage darauf hingewiesen, daß dies deshalb der Fall gewesen sei, weil sie und der Beklagte geschlechtlich nicht zusammenpaßten, was auch von ihr als Grund für ihre Weigerung, mit dem Beklagten die Ehe fortzusetzen, angeführt wird, zumal sie meint, des geschlechtlichen Verkehres nicht entraten zu können. Der Zeuge K. hat ausgesagt, daß er mit Einverständnis des Beklagten mit der Klägerin in den Ehebetten schlief und der Beklagte, wenn er ab und zu früher einmal heimgekommen war und zu Hause übernachtete, im gleichen Zimmer in einem dritten Bette geschlafen habe; er mußte also sehen, daß seine Frau und K. die Ehebetten miteinander teilten.

Diese angeführten Umstände sind für die Entscheidung von Bedeutung, da, ihre Richtigkeit vorausgesetzt, nach den oben angeführten rechtlichen Darlegungen von einem sittlichen Rechte auf Aufrechterhaltung dieser Ehe nicht gesprochen werden kann, wenn der Mann den Ehebruch der Frau durch sein Verhalten geradezu ermöglichte, bzw. erleichterte und überdies eine sexuelle Unstimmigkeit für die Frau Folgeerscheinungen nach dem ehelichen Verkehre nach sich zog und diesen angeblich zur Qual für sie machte. Es wäre auch zu prüfen, ob die nach dem Gesetze dem Manne zustehende Beistandspflicht der Frau im vorliegenden Falle noch ernstlich als von ihm in Anspruch genommen angesehen werden kann, wenn er durch Jahre hindurch durch sein Verhalten selbst erkennen ließ, daß er auf dieses sein Recht keinen Wert legte und dem Ehebrecher das Feld räumte. Unter solchen Umständen könnte dem Widerspruche Beachtung wohl versagt werden.

Anmerkung

Z22084

Schlagworte

Ehescheidung Beachtlichkeit des Widerspruches nach § 55 EheG., Scheidung Beachtlichkeit des Widerspruches nach § 55 EheG., Widerspruch nach § 55 EheG., Beachtlichkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1949:0020OB00112.49.0601.000

Dokumentnummer

JJT_19490601_OGH0002_0020OB00112_4900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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